Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat: Francesco Bagnaia
Mit Ruhe, Cleverness, Übersicht und Speed fährt Francesco Bagnaia eine fast perfekte Saison - Das zeigt, dass mehr als Talent für einen WM-Titel notwendig ist
Liebe MotoGP-Fans,

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Francesco Bagnaia hat mit einem Sieg seinen WM-Titel verteidigt Zoom
nach einer sehr langen Saison haben wir in Valencia ein sehr spektakuläres Saisonfinale erlebt. Das Aufbäumen von Jorge Martin im Sprint und anschließend ein turbulentes Rennen als krönenden Schlusspunkt eines aufregenden Jahres.
Der ganz große Super-GAU ist zum Glück ausgeblieben. Erstens, dass die WM-Entscheidung schon an einem Samstag fällt und zweitens, dass die Reifendruckregel keine tragende Rolle gespielt hat. Für Fabio Di Giannantonio war es natürlich bitter, einen tollen Podestplatz verloren zu haben.
Ich muss gestehen, dass ich wegen möglicher Reifendruckstrafen nervöser war als vor dem Grand Prix. Da Martin ausgeschieden ist, hätte das zumindest für die WM-Entscheidung keine Rolle mehr gespielt.
Der "Martinator" hat für Valencia volle Attacke bei jedem Manöver angekündigt. Das hat er auch so umgesetzt. Am Samstag ist alles gut gegangen, am Sonntag aus seiner Sicht dann nicht mehr. Zum Glück hat sich Marc Marquez bei dem Unfall nicht verletzt.
Martin ist aktuell vom puren Speed her vielleicht der schnellste MotoGP-Fahrer. Diese Grundschnelligkeit hat der Spanier schon in der Moto3-Klasse gezeigt. Aber damals war es noch oft Sieg oder Crash. Er hat sich weiterentwickelt und ist ein kompletter Rennfahrer geworden.

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Jorge Martin gratuliert Francesco Bagnaia zum WM-Titel Zoom
Aber für den WM-Titel hat es eben doch (noch) nicht ganz gereicht. Ein Beispiel dafür war das vergangene Wochenende in Katar. Wegen eines schlechten Reifens im Grand Prix sah Martin eine Verschwörung gegen sich. Michelin habe ihm den WM-Titel gestohlen.
Dabei hat Francesco Bagnaia in Katar am Samstag das gleiche Problem gehabt. Er hat zwar darauf hingewiesen, aber nicht so große Töne gespuckt wie Martin tags darauf. Das hat die Coolness des alten und neuen Weltmeisters gut gezeigt.
Cleverness und Ruhe zeichnen Bagnaia aus
Selbst in schwierigen Situationen bleibt der Italiener ruhig und gelassen, und macht das Beste aus der Situation. Kritiker können anmerken, dass er vielleicht zu ruhig und "langweilig" ist. Klar, Bagnaia ist jetzt nicht so eine polarisierende Persönlichkeit wie ein Rossi oder Marquez.
Der Sonntag in Valencia war ein weiteres Beispiel seiner Cleverness. Da es kühler wurde, hat Bagnaia das KTM-Duo vorbeigelassen. Bei beiden ist in freier Fahrt der Vorderreifen ausgekühlt und sie haben Fehler gemacht. Bei Bagnaia stieg im Windschatten die Temperatur und er fand ein gutes Gefühl.

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Mit viel Übersicht macht Francesco Bagnaia das Beste aus den Situationen Zoom
Diese stoische Ruhe und diese Übersicht finde ich beeindruckend. Bagnaia macht sehr viel richtig. Einerseits ist er im Ducati-Stall jener Fahrer, der die Richtung für die Entwicklung vorgibt. Er ist derjenige, der konzentriert mit den Ingenieuren arbeitet und die Abstimmung verbessert.
Davon profitieren letztendlich auch seine Markenkollegen. Bagnaia ist die Galionsfigur bei Ducati. Und selbst wenn er vielleicht nicht ganz so explosiv fährt wie Martin, so macht er andererseits sehr viel richtig. Von allen Rennen inklusive Sprints hat er nur fünfmal nicht gepunktet.
Da die Leistungsdichte im Feld so hoch ist und es so viele Rennen gibt, sind die Zeiten vorbei, dass jemand zehn Rennen am Stück gewinnen kann oder bei praktisch allen Rennen auf dem Podest steht.
Man muss sich immer in eine Position bringen, um gute WM-Punkte mitzunehmen. Und wenn es die Chance auf mehr gibt, muss man sie nutzen. Und das hat Bagnaia in dieser Saison mehr oder weniger perfekt umgesetzt. Deshalb ist er auch verdienter Weltmeister.
Im nächsten Jahr kommt Marquez als Gegner hinzu
Einen WM-Titel zu gewinnen, ist unfassbar schwierig, wie Martin es nun schmerzlich erlebt hat. Aber einen WM-Titel gegen einen so explosiven und schnellen Fahrer wie Martin zu verteidigen, ist hohe Kunst und ein Meisterstück.
Im nächsten Jahr wird es für Bagnaia nicht einfacher werden. Wenn Martin die neue Saison auf diesem Level beginnt, dann wird er sich auch noch einmal steigern müssen. Und mit Marc Marquez kommt ein weiterer starker Fahrer ins Ducati-Lager.

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Was wird Marc Marquez im nächsten Jahr mit der Ducati alles zeigen? Zoom
Das wird natürlich die spannende Frage werden. Wie schnell kann sich Marquez auf die Desmosedici einstellen? Kann er an seine Glanztaten der Vergangenheit anknüpfen? Einfach wird es nicht, denn Bagnaia und Martin fahren auf einem sehr hohen Level.
Schnell wird Marquez bestimmt sein, davon bin ich überzeugt. Aber kann er auch über eine komplette Saison ein hohes Level zeigen? Denn wir dürfen nicht vergessen, dass außer Bagnaia und Martin alle anderen Ducati-Fahrer sehr schwankende Leistungen gezeigt haben.
Spannend wird es im nächsten Jahr auf alle Fälle!
Ihr,

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