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Wayne Rainey im Interview: "Marc hat den Fehler gemacht, nicht Quartararo"

Im Interview gibt uns 500er-Legende Wayne Rainey seine Einschätzung zur MotoGP-Saison 2020 mit weniger Rennen und einem verletzten Weltmeister Marc Marquez

(Motorsport-Total.com) - Wir haben uns mit Dreifach-Weltmeister Wayne Rainey für ein exklusives Interview zusammengesetzt, um mit ihm über die ungewöhnliche MotoGP-Saison 2020 zu sprechen. Weniger Rennen, ein verletzter Marc Marquez: Welchen Einfluss hat das aus seiner Sicht auf die Wertigkeit der Weltmeisterschaft? Und wie bewertet er die Motorensituation bei Yamaha?

Titel-Bild zur News: Fabio Quartararo, Marc Marquez

Nach dem Ausfall von Marc Marquez führt Fabio Quartararo die WM an Zoom

Frage: "Sie hatten als Grand-Prix-Fahrer damals nur 13, 14 Rennen in einer Saison. Was denken Sie über die Behauptungen, dass eine kürzere Saison den MotoGP-Titel abwertet?"
Wayne Rainey: "Zuallererst muss man bedenken, dass wegen der Pandemie alles kompromittiert worden ist, und das auf der ganzen Welt. Eine Meisterschaft mit zehn, elf, zwölf, 13 oder 14 Rennen auf die Beine zu stellen, ist da mehr als genug. Schauen Sie nur, wie aufgeregt alle nach dem ersten Rennen waren."

"Dasselbe gilt hier in den Staaten, als wir die MotoAmerica gefahren sind. Die Leute lieben den Rennsport. Es ist die Aufregung, die die Fans bekommen, wenn sie den weltbesten Fahrern zusehen, wie sie sich duellieren. Und wenn die Meisterschaft auf 21, 22 Rennen wächst und dann auf zwölf schrumpft, hat das keinerlei Auswirkungen auf mich, es hat keinen Einfluss auf meine Sichtweise. Denn es ist für alle gleich."

"Die Fahrer reihen sich wie immer in der Startaufstellung auf, ihre Hingabe ist die gleiche. Es ist nur so, dass es schwieriger sein könnte, einen Fehler, den man zu Beginn macht, später wieder gutzumachen, weil man nicht all die Rennen hat. Das müssen man also berücksichtigen, wenn man sein Rennprogramm zusammenstellt und kalkuliert, wie man versuchen wird, die Meisterschaft zu gewinnen."

Verkürzte MotoGP-Saison erlaubt keine Fehler

Frage: "Das ist ein guter Punkt, denn vergangenes Jahr stürzte Marc in Austin, aber er hatte 17 Runden, um diesen Rückstand aufzuholen. Jetzt haben die Fahrer diesen Luxus nicht mehr. Zu Ihrer Zeit gab es nur 13 oder 15 Rennen. War der Druck immer noch derselbe, weil Sie wussten, dass Sie nur ein kurzes Zeitfenster hatten, um Fehler auszugleichen?"
Rainey: "100 Prozent. Unsere Meisterschaft bestand aus zwölf oder 14 Rennen. Das war, was wir hatten. Ich habe nie wirklich darüber nachgedacht: 'Oh, ich wünschte, es wären mehr.'"

"Das haben wir nie getan, denn wir wussten, was uns erwartet. Ich denke, dass das jetzt nicht anders sein wird. All diese Fahrer, all diese Teams in der MotoGP gingen in das erste Rennen und wussten, dass dies der Kalender war. Egal, ob es ein Kalender mit sechs oder zwölf Rennen ist, ich glaube, dass jedes einzelne Team und jeder einzelne Fahrer sein Bestes gibt."

"Jedes Mal, wenn sie auf dem Motorrad sind, versuchen sie, die bestmögliche Leistung zu bringen, um für das Rennen am Sonntag bereit zu sein und dann das Ergebnis zu erzielen. Ich sehe keinen Unterschied, egal wie lang der Kalender ist."


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Keine vollwertige WM? Für Rainey Quatsch

Frage: "Honda-Chef Alberto Puig machte in den vergangenen Wochen einige Anmerkungen, dass der Fahrer, der Marc Marquez im Titelkampf schlägt, während dieser verletzt ist, nicht "völlig zufrieden" wäre. Das deutet darauf hin, dass der Titel in irgendeiner Weise abgewertet würde. Was ist Ihre Meinung dazu?
Rainey: "So wie ich Alberto kenne, wollte er das wahrscheinlich nicht sagen, um Schlagzeilen zu machen. Vielleicht war es ein spontaner Kommentar."

"Aber wenn jemand wissen sollte, dass das nicht wahr ist, dann Alberto. Wenn das eine ernst gemeinte Bemerkung wäre, dann hat er seinen ersten und einzigen Grand Prix gewonnen, weil Mick [Doohan] gestürzt ist, aber ich glaube nicht, dass das so sagen würde.

"Ich glaube, er dachte: 'Mick hat den Fehler gemacht, ich habe das Rennen gewonnen', und hier ist es nicht anders. Marc führte das Rennen an, kam von der Strecke ab, machte diesen höllischen Save und fuhr verdammt gut durch das Feld zurück. Es war eine fantastische Fahrt, bis sie es nicht mehr war."

Marc Marquez kann niemanden beschuldigen

"Er hat wieder einen Fehler gemacht und niemanden, dem er die Schuld geben kann. Die anderen Fahrer haben keinen Fehler gemacht. Ich denke also, diese Jungs sehen die Weltmeisterschaft oder die Rennen deshalb nicht als weniger wertvoll an. Und ich glaube, Marc würde das auch sagen."

"Solche Situationen gibt es immer wieder. Man könnte dasselbe über Kevin und mich '93 sagen. Ich führte die Meisterschaft an, ich hatte meinen Unfall und war raus, Kevin hat die Meisterschaft gewonnen. Ich sehe das in keiner Weise so, dass ich sagen könnte: 'Nun, das wurde geschmälert, weil ich nicht dabei war.' Ich habe den Fehler gemacht, Kevin nicht, und er war der Weltmeister. Darum dreht sich alles."

"Wenn man die Meisterschaft mit zwölf Rennen fährt, kann man nur Champion werden, wenn man am Ende der Meisterschaft derjenige mit den meisten Punkten ist. Jedes einzelne Rennen zählt, und besonders in einer so sonderbaren Saison wie dieser muss man bei jedem einzelnen Rennen dabei sein. Also hat Marc den Fehler gemacht. Nicht Quartararo."

Fehler, Aufholjagd und Highsider in Jerez 1

Frage: "Es ist interessant, dass Sie den Sieg von Puig 1995 erwähnt haben, denn er hat gesagt, dass seine Ansicht aus persönlicher Erfahrung kam. Aber ich vermute, ein Fahrer hält einen Sieg für einen Sieg, egal wie er zustande gekommen ist, denn er hat den Fehler nicht gemacht."
Rainey: "Genau. Quartararo hatte einen Vorsprung. Marc holte ihn sich und dann hatte er diesen außergewöhnlichen Save, fuhr zurück auf die Strecke und machte noch ein paar Fehler, als er versuchte, wieder in Fahrt zu kommen. Aber er erwischte diese Jungs in Windeseile und war dran an Maverick."

"Einige Leute sagten: 'Oh, er hat die Linie berührt, als er zu Boden ging', aber wenn man sich die Kurve in der gleichen Runde bei Maverick ansieht, war er eigentlich noch weiter auf der Linie. Der einzige Unterschied, den ich sah, war, dass Marc mehr Schräglagenwinkel hattem und es kam zu einem riesigen Highsider."

"Aber dass Marc wieder so weit nach vorn kam, vor allem mit dem Fehler, den er gemacht hat... Da wäre ein Podiumsplatz ein großartiges Ergebnis gewesen. Und ich bin sicher, dass er das auch gedacht hat. Bei dieser Meisterschaft wird man ohnehin nicht jedes einzelne Rennen gewinnen. Man muss also auf dem Podium stehen oder so nah wie möglich dran sein. Aber jetzt ist Marc verletzt."

Wayne Rainey

Wayne Rainey (vorne) mit Roberts, Ezepelta, Mamola und Roberts Jr. Zoom

Verletzter Marquez wird es schwer haben

Frage: "Was halten Sie davon, dass Marquez so schnell nach einer ziemlich großen Verletzung ein Comeback versucht hat? Fühlen Sie sich als Rennfahrer unzerstörbar, wenn Sie diese großen Ausfälle haben und in der Lage sind, so zeitnah wieder fahren zu können?"
Rainey: "Nun, das fragen Sie wahrscheinlich den Falschen. Ich war eher einer der Sorgenträger."

"Zu sehen, wie diese Fahrer nach einer schweren Verletzung zurückkommen, wie Marc oder Lorenzo vor einigen Jahren... Es zeigt, wie sie gepolt sind. Sie wollen zumindest versuchen zu sehen, ob sie es schaffen, und ich denke, das ist die Mentalität, die dahinter steckt."

"Aber was Marc und seinen Arm betrifft, ist es natürlich eine kurze Saison und er wird gegen seine Konkurrenten antreten, die nicht verletzt sind. Zudem muss er auf dieser Honda fahren, was, wie alle sagen, sehr schwierig ist. Trotzdem hätte es mich nicht überrascht, wenn er in Jerez 2 gestartet wäre und ein paar Punkte geholt hätte."

Yamaha motorenseitig weiter im Nachteil?

Frage: "Eine etwas andere Frage: Yamaha scheint wieder Motorprobleme zu haben, und in Jerez waren sie langsam. Wie war die Philosophie von Yamaha zu Ihrer Zeit?"
Rainey: "Ja, damals in meiner Ära war Yamaha in puncto Topspeed eines der langsamsten Bikes in der Startaufstellung. Ich erinnere mich, dass wir in Hockenheim fast 25 km/h langsamer waren als die Honda von Ito. Aber es geht um so viel mehr als nur um den ultimativen Topspeed, wie wir auf einer Strecke wie Jerez sehen."

"Man braucht einfach ein Motorrad, das wirklich fahrbar ist, wirklich beherrschbar mit der Elektronik. Und die Yamaha war schon immer ein sehr fahrerfreundliches Motorrad. Aber die Philosophie der Honda war: 'Wir müssen zeigen, dass wir die meisten Pferdestärken haben', und in den vergangenen Saisons hat sie das vielleicht sogar Titel gekostet."

"Ich fand, dass die Yamaha in diesem Jahr wirklich gut aussah, und ich denke, dass sie im vergangenen Jahr in der Beschleunigung und beim Topspeed im Vergleich zu ihren Konkurrenten zu kämpfen hatten. Aber ich denke, dass einige der Strecken, auf denen sie dieses Jahr fahren, sie nicht so stark beeinträchtigen werden. Sie haben Brünn bewältigt, und auf welchen anderen Strecken fahren sie, wo man Power braucht?"


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Rainey sieht Wachablösung in der MotoGP

Frage: "Es finden zwei Rennen am Red Bull Ring in Österreich statt."
Rainey: "Das könnte eine Strecke sein, bei deres nur darum geht, mit brutalem Drehmoment aus der Kurve herauszukommen und durchzubeschleunigen. Wenn sie ein Leistungsproblem haben, dann wird es sie dort vielleicht ein wenig beeinträchtigen."

"Aber ich denke, am Ende des Jahres gleicht sich das alles irgendwie aus. Quartararo hatte schon viele Pole-Positions auf einem Motorrad, das nicht unbedingt das schnellste war."

Frage: "Zuguterletzt: Ihre Zeit wird immer wieder als 'goldene Ära' der MotoGP bezeichnet. Aber wir haben in den vergangenen Jahren eine Wachablösung in der MotoGP erlebt. Was halten Sie davon, wohin sich die Serie entwickelt?"
Rainey: "Wir werden alle irgendwann zu alt dafür, das ist sicher. Ich meine, ich werde dieses Jahr 60 Jahre alt. Sehen Sie sich die jungen Leute jetzt an. Ich denke, es ist sehr aufregend, was sie zeigen."

"Es ist ganz klar eine Wachablösung, man sieht eine Handvoll Jungs, sie sind die Zukunft oder sicherlich die nächsten fünf, acht Jahre. Ich denke also, es sieht gut aus. Und dann gibt es Fahrer aus der ganzen Welt, die versuchen, in die Serie zu kommen. Der Rennsport ist jetzt also eher ein Sport für junge Männer, alles geschieht in einem viel jüngeren Alter als in den vergangenen Jahren. Deshalb finde ich es sehr aufregend."

"Wir alle denken an die goldene Ära, oder ich denke an meine Ära, und das war eine großartige Zeit, aber sie konnte nicht ewig andauern. Und es geht weiter in die nächste Ära. Rossi hatte seine Zeit, und er hält immer noch durch. Aber diese Kids, sie sind die Zukunft."