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Titelentscheidung vertagt: Hunter-Reay siegt in Baltimore

Ryan Hunter-Reay hält mit einem Sieg in Baltimore den IndyCar-Titelkampf bis zum Finale offen - Will Power reist mit knappem Vorsprung nach Fontana

(Motorsport-Total.com) - Ryan Hunter-Reay (Andretti-Chevrolet) holte sich in einem dramatischen und von Strategie geprägten Baltimore Grand Prix seinen vierten Saisonsieg und wahrte sich damit seine Chance auf seinen ersten IndyCar-Titel. Tabellenführer Will Power (Penske-Chevrolet) ging von der Pole-Position ins Rennen, musste sich nach 75 teilweise verregneten Runden aber mit Platz sechs zufrieden geben und hat vor dem Saisonfinale in zwei Wochen auf dem Zwei-Meilen-Oval im kalifornischen Fontana nur noch 17 Punkte Vorsprung auf Hunter-Reay. Auch für Power wäre es der erste IndyCar-Titel.

Titel-Bild zur News: Ryan Hunter-Reay

Ryan Hunter-Reay rückte Will Power mit seinem Baltimore-Sieg auf den Pelz Zoom

Auf dem Stadtkurs rund um das Baseball-Stadion der Baltimore Orioles sah es lange Zeit gar nicht nach einem Sieg für Hunter-Reay aus. Schon im Qualifying am Samstag war es für den US-Amerikaner nicht optimal gelaufen, als er bereits in Q1 scheiterte, da er nach einem Crash von Graham Rahal keine Runde auf die Bahn legen konnte.

Von Startplatz zehn ins Rennen gegangen, bewahrte Hunter-Reay zunächst die Ruhe, während Polesetter Power an der Spitze das Zepter in der Hand hielt. Hinter dem Australier hielten Scott Dixon (Ganassi-Honda) und Sebastien Bourdais (Dragon-Chevrolet) in der Anfangsphase die Plätze zwei und drei, wobei der Franzose mit einem Überholmanöver gegen den Neuseeländer in Runde fünf die direkte Verfolgung von Spitzenreiter Power aufnahm.

Regen sorgt für unterschiedliche Strategien

Ab Runde zehn sorgte einsetzender Regen dann für Spannung und unterschiedliche Strategien im Feld. Als Marco Andretti (Andretti-Chevrolet) in Runde 19 mit einem Ausrutscher in die Reifenstapel von Turn 1 eine Gelbphase auslöste, nutzten die Führenden die Gunst der Stunde, um auf Regenreifen zu wechseln - eine Entscheidung, die nur wenige Minuten später bereut werden sollte.

Lediglich Hunter-Reay, Andretti-Teamkollege James Hinchcliffe, Justin Wilson (Coyne-Honda), Rubens Barrichello (KV-Chevrolet), Takuma Sato (Rahal-Honda) und Graham Rahal (Ganassi-Honda) zogen es vor, auf Slicks draußen zu bleiben. Beim folgenden Restart lagen diese sechs Piloten folgerichtig vorn, während Power als Siebter die Gruppe der Fahrer mit Regenreifen anführte.

Schon kurz darauf hatte der Regen aber nachgelassen und als Simona de Silvestro (HVM-Lotus) in Turn 1 den amtierenden IndyCar-Champion Dario Franchitti (Ganassi-Honda) in einen Dreher schickte, herrschte in den Boxen erneut Hochbetrieb. Die regenbereiften Power und Dixon spielten jedoch auf Sicherheit und blieben auf der Strecke. Die slickbereiften Hinchcliffe, Sato und Rahal blieben ebenfalls draußen, während sich der Rest des Feldes inklusive Hunter-Reay neue Trockenreifen und eine volle Ladung Sprit abholte.


Fotos: IndyCars in Baltimore


Beim Restart übernahm Sato das Kommando von Hinchcliffe, der seinen Andretti-Chevy wenig später ausgangs Turn 2 ausrollen lassen musste, nach reichlich Zeitverlust zwar wieder angeschoben wurde und weiterfahren konnte, fortan aber keine Rolle mehr im Rennen spielte. Sato hielt die Spitze vor Rahal. Als Power und Dixon in Runde 27 einsehen mussten, dass die Strecke für ihre Regenreifen endgültig zu trocken war, fielen sie entscheidend zurück, während Hunter-Reay dadurch wieder in die Top 5 nach vorn stieß.

Sato und Pagenaud schnuppern Führungsluft

Der Führende Sato konnte sich seiner Spitzenposition anschließend nicht mehr lange erfreuen. "Plötzlich ließ die Leistung nach. Es ist eine Schande", so der Japaner, nachdem er seinen Rahal-Honda mit mangelndem Benzindruck abstellen und tatenlos zusehen musste, wie ein weiteres potenzielles Top-Ergebnis durch seine Finger rann. Derweil hatte sich Simon Pagenaud (Schmidt-Honda) mit einem beherzten Restart aus der dritten Reihe kommend auf der Innenbahn von Turn 1 die Führung gegriffen und machte fortan das Tempo vor Hunter-Reay, während Tabellenführer Power als Zehnter im Mittelfeld festhing.

Takuma Sato

Takuma Sato (vorn rechts) wurde durch die Technik um ein Top-Ergebnis gebracht Zoom

Im Zuge des letzten Tankstopps, der vom gesamten Feld im Bereich von Runde 53 bis 57 unter Renntempo absolviert wurde, wartete Hunter-Reay eine Runde länger als der Führende Pagenaud und kam nach seinem eigenen Stopp unmittelbar vor dem Franzosen zurück auf die Piste. An der Spitze lag strategiebedingt nun Penske-Pilot Ryan Briscoe, der jedoch genau wie die auf den Plätzen drei und vier der Gesamtwertung angereisten Helio Castroneves und Scott Dixon unbedingt noch eine Gelbphase brauchte, um es mit seinen Spritvorräten über die Distanz zu schaffen. Die Gelbphase kam zehn Runden vor Schluss, als Charlie Kimball seinen Ganassi-Honda ausgangs der Haarnadel Turn 3 mit Motorschaden abstellen musste und die Strecke von ausgetretenem Öl befreit werden musste.

Diskussionen um Restart Hunter-Reay vs. Briscoe

Spitzenreiter Briscoe war seine Spritsorgen nun zwar los, hatte inzwischen aber ein ganz anderes Problem: Sein Push-to-Pass-Kontingent war gänzlich aufgebraucht, weshalb er beim vorletzten Restart nicht in die Gänge kam. Zur Überraschung des Penske-Piloten beschleunigte der Zweitplatzierte Ryan Hunter-Reay neben ihm volles Rohr und holte sich die Führung. Der Andretti-Pilot musste anschließend nur noch einmal zittern, als Mike Conway (Foyt-Honda; 16.) fünf Runden vor Schluss mit einem Abflug in die Reifenstapel von Turn 4 - bezeichnenderweise ausgerechnet in der Conway Street - die neunte und letzte Caution auslöste und hinter sich für ein Verkehrschaos sorgte.

Ryan Briscoe

Sonoma-Sieger Ryan Briscoe verlor die Führung beim vorletzten Restart Zoom

Beim letzten Restart ließ sich Hunter-Reay die Butter dann nicht mehr vom Brot nehmen und brachte seinen vierten Saisonsieg vor Briscoe (2.) und Pagenaud (3.) unter Dach und Fach. Im Ziel war der Andretti-Pilot ausgelaugt und überglücklich zugleich. "Ich habe heute alles gegeben. Beim letzten Restart habe ich mir sogar einen Bremsplatten eingefangen, um Pagenaud hinter mir zu halten. In Fontana werden wir einen irren Kampf um die Meisterschaft erleben." Teamchef Michael Andretti fügte nach dem Pech der vergangenen Wochen mit Tränen in den Augen hinzu: "Das ist einfach unglaublich. Wir werden dieses Ding gewinnen."

Während Hunter-Reay und die Andretti-Crew ihrer Freude freien Lauf ließen, sorgte der vorletzte Restart, bei dem Briscoe stehen gelassen wurde, im Penske-Lager für Unmut. "Ich war der Führende und war doch recht verwundert, als mich plötzlich drei Autos überholten", so die Argumentation von Briscoe, der einen Frühstart von Hunter-Reay beobachtet haben wollte. Nachsatz des Australiers: "Ich bin überrascht, dass er keine Strafe bekommen hat." Der siegreiche Andretti-Pilot indes war sich keiner Schuld bewusst: "Grün bedeutet, das Rennen ist freigegeben. Es tut mir leid für Briscoe, der den Kürzeren zog, aber wenn die Grüne Flagge kommt, heißt das Vollgas." Mit einem Shakehand räumten Hunter-Reay und Briscoe ihre Differenzen unmittelbar nach den Interviews aus der Welt.

Will Power hadert mit vergebener Chance

Derweil war Will Power nach Platz sechs untröstlich und pochte in seiner ersten Reaktion ebenfalls auf eine Strafe für seinen schärfsten Verfolger in der Meisterschaft: "Hunter-Reay hat ein klaren Frühstart hingelegt und ist ungeschoren davongekommen." Die IndyCar-Offiziellen verwiesen jedoch auf die Fakten und führten an, dass Hunter-Reays Beschleunigungsphase korrekt in der entsprechenden Restart-Zone und nicht davor vonstatten ging.

Will Power

Tabellenführer Will Power schaffte von der Pole-Position nur Rang sechs Zoom

Mit Blick auf den Titel-Showdown in zwei Wochen in Fontana hielt Power zähneknirschend fest: "Ich bin es ja schon gewohnt, dass es bis zum letzten Rennen geht. Wir müssen bis zum Schluss kämpfen und kommen dann hoffentlich als Sieger aus der Schlacht hervor." In den beiden vergangenen Jahren hatte der Australier den möglichen Titel jeweils beim Saisonfinale noch an Ganassi-Pilot Dario Franchitti abtreten müssen. Eine Wiederholung dieses Szenarios will er gegen Hunter-Reay unbedingt vermeiden.

Scott Dixon (Ganassi-Honda) beendete sein 200. IndyCar-Rennen auf Platz vier und hat genau wie Helio Castroneves (Penske-Chevrolet; 10.) nur noch eine Chance auf den Titel, sollte Tabellenführer Will Power beim Finale nicht antreten können.

Barrichello zum zweiten Mal in Folge in den Top 5

Hinter Dixon kam Rubens Barrichello nach Platz vier vor einer Woche in Sonoma zum zweiten Mal in Folge in den Top 5 ins Ziel und hatte seinen Spaß am Rennen auf dem tückischen Stadtkurs in Baltimore. "Es ging heute heiß her. Mal wurde ich berührt, mal berührte ich andere", so der IndyCar-Rookie.

Eine dieser Berührungen fand in der Haarnadel Turn 3 nach dem letzten Restart ausgerechnet gegen Will Power statt, womit sich Barrichello Rang fünf holte. Der Brasilianer sprach anschließend davon, dass er "eigentlich nur ausweichen wollte, um ihm nicht ins Heck zu rauschen - in der Kurve ging mir dann leider der Lenkradeinschlag aus".

Barrichellos KV-Teamkollege Tony Kanaan (20.) wurde genau wie Simona de Silvestro (HVM-Lotus; 22.) und Ed Carpenter (Carpenter-Chevrolet; 25.) die ominöse Schikane auf der Start-Ziel-Geraden zum Verhängnis. Zum Zeitpunkt seines Abflugs lag Kanaan strategiebedingt auf Platz zwei. "Das war ganz klar mein Fehler. In der Runde, in der du in die Box kommen willst, greifst du naturgemäß noch etwas härter an als sonst. Dabei habe ich es leider übertrieben, es war komplett mein Fehler."

Rubens Barrichello

Rubens Barrichello rückte mit Platz fünf auf den elften Gesamtrang nach vorn Zoom

Der anfangs gut im Rennen liegende Sebastien Bourdais kam ebenfalls nicht ins Ziel. Nachdem er seinen zweiten Platz durch einen Dreher auf feuchter Strecke unter Gelb hergeschenkt hatte, musste der Franzose seinen Dragon-Chevy bei Halbzeit der Distanz an der Box abstellen. "Ich dachte zuerst, ich hätte mir hinten rechts einen Reifenschaden eingefangen. Tatsächlich aber gab es ein Problem an der rechten vorderen Aufhängung, weshalb das Auto hinten durchhing."

Auch Bruno Junqueira, der bei Sarah Fisher für den verletzten Josef Newgarden einsprang, musste sein erstes IndyCar-Rennen auf einem Straßenkurs seit Detroit 2008 kurz vor Schluss mit technischem Defekt aufgeben. Zuvor war der Brasilianer nach einem Dreher in Turn 5 unter tatkräftiger Mithilfe von J.R. Hildebrand (Panther-Chevrolet; 12.) bereits aussichtslos zurückgefallen.