• 27.08.2012 01:18

  • von Pete Fink

Sonoma: Briscoe siegt - Power dicht vor dem Titel

Ryan Briscoe gewinnt mit einer Portion Glück in Sonoma, während sich Will Power in Richtung IndyCar-Titel fährt - die Konkurrenz patzt, Bourdais crasht

(Motorsport-Total.com) - Ungewöhnlich, aber wahr: Sonoma sah am Sonntagabend zwei Sieger. Ryan Briscoe gewann das Rennen, sein Penske-Teamkollege Will Power machte als Zweiter einen Riesenschritt zum IndyCar-Titel 2012, weil die versammelte Konkurrenz Federn ließ. Zwei Rennen vor dem Saisonende besitzt der Australier in der Gesamtwertung nun 36 Punkte Vorsprung vor Ryan Hunter-Reay (Andretti-Chevrolet) und kann bereits am kommenden Wochenende in Baltimore den Meistersack zumachen.

Titel-Bild zur News: Ryan Briscoe

Ryan Briscoe gewann mit einer Portion Glück das Sonoma-Rennen Zoom

Ein dominanter Power verlor den sicher geglaubten Sieg an der Box, als ein paar Überrundete direkt vor ihm unter Gelber Flagge langsam um die Strecke rollten, während weiter vorne Briscoe seinen Stopp erledigte. Das spülte die Startnummer 2 tatsächlich vor die 12. "Ich bin enttäuscht, denn eigentlich will ich gewinnen", sagte Power. "Aber für den Titel war das sicherlich ein guter Tag."

Für Briscoe ging damit eine lange Durststrecke seit Texas 2010 zu Ende. "Ich wusste gar nicht, wo Will war", schilderte er die entscheidende Rennsituation, die durch einen heftigen Crash zwischen Sebastien Bourdais (Dragon-Chevy) und Josef Newgarden (Fisher-Honda) ausgelöst wurde. Die Rennleitung ließ die Boxengasse offen, was Briscoe eiskalt nutzen konnte. Rang drei ging an Dario Franchitti im besten Ganassi-Honda, der sich im Finale aber nicht mehr gegen das zu starke Penske-Duo durchsetzen konnte.


Fotos: IndyCars in Sonoma


Der große Verlierer des Sonoma-Sonntags hieß Hunter-Reay (18.), der sich mit einem suboptimalen Fahrzeug auf dem Weg zu Platz drei befand, bevor er beim Restart nach dieser Gelbphase in Turn 7 von Alex Tagliani (Herta-Honda; 9.) abgeschossen wurde. "Das war einer dieser Tagliani-Deals, dafür ist er bekannt", konstatierte ein restlos bedienter Hunter-Reay. "Das ändert in Sachen Meisterschaft alles." Auch Scott Dixon (Ganassi-Honda; 13.) und Helio Castroneves (Penske-Chevrolet; 6.) erwischte es in Turn 7 gleich in Runde eins.

Power setzt vorne die Segel

Doch der Reihe nach: Polesitter Power gewann bei besten Bedingungen den Start souverän vor Briscoe und Bourdais. Dahinter wurde es in der Haarnadelkurve von Turn 7 zu eng, als sich Castroneves verschätzte und den direkt vor ihm fahrenden Dixon umdrehte. Der Neuseeländer fand sich unvermittelt auf Rang 14 wieder, der "Spiderman" kassierte hingegen eine Durchfahrtsstrafe und fiel sogar aus den Top 20 heraus.

Will Power, Ryan Briscoe

Start in Sonoma: Will Power (12) hatte von Beginn an alles im Griff Zoom

Danach herrschte Ruhe im Feld. Nur Takuma Sato (Rahal; 27.) strandete früh mit defektem Honda-Motor in Runde 3, während Power an der Spitze unwiderstehlich auf und davon fuhr. Lediglich sein Teamkollege Briscoe konnte dessen Pace einigermaßen mitgehen, Bourdais, Franchitti und Tagliani fielen pro Runde um rund eine Sekunde zurück. An dieser Tendenz änderte auch die Phase der ersten Boxenstopps zwischen Runde 14 und 22 nichts.

Wie überlegen Power zu Rennbeginn war, verdeutlicht die Zeitenmessung nach 25 Runden: Der Australier lag vier Sekunden vor Briscoe und über 20 Sekunden vor dem drittplatzierten Bourdais. Hinter Franchitti, Tagliani und Hunter-Reay hatte sich Dixon bereits wieder auf Rang sieben nach vorne gearbeitet. Barrichello und sein KV-Teamkollege Kanaan, sowie Simon Pagenaud im Schmidt/Hamilton-Honda rundeten die Top 10 ab. Lediglich Castroneves steckte als 19. weit hinten fest.

Rookie Newgarden mit einem Ausritt ohne Fremdeinwirkung und James Hinchcliffe (26.) im Andretti-Chevrolet, der in der Spitzkehre vor Start und Ziel von Oriol Servia (Dreyer/Reinbold-Chevy) umgedreht wurde, sorgten in einer sehr ruhig verlaufenden Frühphase für die einzigen Aufreger. Ansonsten waren die Positionen im Vorderfeld fest zementiert und das Feld auf der Berg- und Talbahn weit auseinander gezogen.

Power hat alles unter Kontrolle

So verlor Dixon, der sich nun zwangsläufig auf einer anderen Boxenstrategie befand, bei seinem zweiten Stopp in Runde 38 nur drei Positionen. Der Neuseeländer beantwortete den frühen Rückschlag im Titelkampf, indem er nun mit dem Messer zwischen den Zähnen fuhr. Nach der Runde der zweiten Stopps zu Rennhalbzeit kam es zu einem kurzen und intensiven Vierkampf um Platz drei zwischen Bourdais, Hunter-Reay und Franchitti, bei dem sich Dixon den Frontflügel anknackste.

Will Power

Will Power fuhr über weite Strecken ein einsames Rennen Zoom

Power setzte derweil an der Spitze weiterhin überlegen seine Segel. Briscoe lag nun schon über acht Sekunden zurück, Bourdais fuhr 20 Sekunden dahinter sicher auf Rang drei. Der dritte Sonoma-Ausfall nach Sato und Hinchcliffe hieß Marco Andretti (25.), dessen Chevy-Motor in Runde 46 sein Leben aushauchte. Katherine Legge (24.) stellte ihren Dragon-Chevy kurze Zeit später mit einem Getriebeproblem ab.

Dixon setzte seinen dritten und letzten Stopp samt Frontflügelwechsel nach Runde 57 und befand sich damit am äußersten Rand des Spritfensters. Zu allem Überfluss überfuhr der Ganassi-Pilot in der Box einen Luftschlauch der Schlagschrauber und kassierte dafür eine Durchfahrtsstrafe. Der Sonoma-Sonntag wurde für den zweifachen IndyCar-Champion zu einem rabenschwarzen Tag.

Vorne bestand das einzige Problem für Leader Power im dichten Überrundungsverkehr, was den Penske-Piloten ein paar Sekunden gegenüber seinen Verfolgern kostete. Das sollte sich rächen, denn der Australier befand sich in Runde 64 gerade an der Box, als fast parallel der drittplatzierte Bourdais (22.) und Newgarden (23.) crashten. Die erste Gelbphase seit Toronto (Edmonton und Mid-Ohio blieben komplett Grün) war die Folge.

Ein Crash lässt die Szenerie kippen

Was war passiert? Bourdais verlor seinen Dragon-Chevy in den schnellen Esses aus der Kontrolle und kollidierte mit dem unschuldigen Newgarden, der daraufhin einen harten Einschlag in die Reifenstapel erleben musste. Dragon-Teamchef Jay Penske raufte sich an der Box die Haare, denn der Franzose befand sich auf dem Weg zu einem ungefährdeten dritten Platz, dem ersten IndyCar-Podium der kleinen Mannschaft.

Josef Newgarden

Josef Newgarden verletzte sich bei seinem schweren Crash am Finger Zoom

Und plötzlich gab es einen neuen Führenden: Nach diesem Crash waren die Boxen offen geblieben, Power steckte nach seinem recht langsamen Stopp unter Gelb im Bummel-Verkehr (unter anderem Justin Wilson) fest, was Briscoe nach dessen Service tatsächlich an seinem Penske-Teamkollegen vorbeibrachte. Neuer Dritter war Hunter-Reay vor Franchitti, Tagliani, Barrichello, Rahal, Pagenaud, Castroneves und Hildebrand. Nur noch die Top 10 befanden sich in der Lead-Lap.

Eine interessante Situation, denn natürlich kämpft Power um den IndyCar-Titel, während sich der neue Leader Briscoe mit einem Sonoma-Sieg für einen neuen Penske-Vertrag empfehlen könnte. "Ich gebe hier garantiert keine Teamorders aus", schmunzelte Roger Penske während der Aufräumarbeiten in den Esses. "Die beiden sind Profis und werden das schon regeln können."

In der Tat: Briscoe gewann den Restart vor Power, während sich Tagliani in Turn 7 massiv verbremste: Der kanadische IndyCar-Veteran schoss geradeaus an Franchitti vorbei und traf den drittplatzierten Hunter-Reay! Der Andretti-Pilot würgte dabei zu allem Überfluss seinen Motor ab. Dixon nur auf 18, Castroneves auf 8, Hunter-Reay plötzlich nur noch 19. - war Sonoma das vorentscheidende Titelrennen für Power?

Power in Baltimore schon Meister?

Der Australier musste in den letzten neun Runden noch eine Zitterpartie überstehen, denn an seinem Penske-Chevy ließ sich der Push-to-Pass-Button nicht mehr aktivieren, während er Franchitti im Genick sitzen hatte. Dies ermöglichte es Briscoe vorne seinem ersten Saisonsieg entgegen zu fahren und als die Extra-PS-Uhr am Ganassi-Honda von Franchitti abgelaufen war, war auch Powers zweiter Platz sicher.

Ryan Hunter-Reay

Von 3 auf 18: Ryan Hunter-Reay büsste in Sonoma wertvolle Punkte ein Zoom

Rang vier, und damit sein bestes IndyCar-Ergebnis, ging an Rubens Barrichello (KV-Chevrolet) vor Graham Rahal (Ganassi-Honda), Castroneves, Pagenaud und Lokalmatador J.R. Hildebrand (Panther-Chevrolet). Tagliani bekam für die wilde Aktion gegen Hunter-Reay eine Durchfahrtsstrafe aufgebrummt und wurde Neunter. Auch Hunter-Reay musste am Ende noch einmal durch die Boxengasse rollen, weil er ebenfalls in Turn 7 noch Ernesto Viso (KV-Chevrolet; 16.) erwischt hatte.

Doch das änderte nichts mehr an der Gesamtsituation: Obwohl er nicht gewann, war Power der ganz große Profiteur des Sonoma-Sonntags. Hunter-Reay (-36), Castroneves (-41) und auch Dixon (-54) verloren im Titelkampf allesamt vielleicht vorentscheidend an Boden. Sollte Power nach dem kommenden Wochenende von Baltimore mehr als 41 Zähler Vorsprung besitzen, ist ihm der Titel in Fontana quasi nicht mehr zu nehmen.