• 01.09.2008 01:10

  • von David Pergler

Detroit: Wilson versaut die große Penske-Party!

Helio Castroneves sah in Detroit wie der sichere Sieger aus, bis ihm Justin Wilson einen Strich durch die Rechnung machen konnte - Titelentscheidung in Chicago!

(Motorsport-Total.com) - Das Rennen im wunderschönen Park auf Belle Isle war ein spannungsgeladener Kracher mit mehreren entscheidenden Momenten, die es in sich hatten. Der bedeutendste Augenblick war wohl Runde 73, als Helio Castroneves (Penske) seinen Verfolger Justin Wilson (Newman-Haas) auf Platz eins vorbei lassen musste. Der Brasilianer sah über weite Strecken aus, als hätte er das Rennen locker in der Tasche, während sein Titelrivale über Platz fünf nicht mehr hinauskommen sollte.

Titel-Bild zur News: Justin Wilson

Finish - Justin Wilson ist begeistert, seinen ersten IRL-Sieg feiern zu können

Zuvor hatte eine Caution Castroneves seines riesigen Vorsprungs auf Wilson von fast 16 Sekunden beraubt und unmittelbar nach dem Schwenken der grünen Flagge wollte der Brite es wissen: Er klebte am Auspuff des führenden Penske-Boliden und dessen Fahrer kam erstmals an diesem Wochenende in echte Bedrängnis. In Runde 71 lieferte sich das Duo einen spannenden und beinhart geführten Kampf um die Spitze, wobei sich Castroneves öfter der Brechstange bedienen musste, um seine Haut zu retten.#w1#

Gekonnt fuhr der Sonoma-Sieger Kampflinie und schmiss Wilson jede Türe zu, die sich ihm bot, bis der Newman-Haas-Bolide die Krallen allmählich wieder einfuhr. Während man sich bei Penske in Sicherheit wog, missfiel der IndyCar-Rennleitung die Art und Weise, wie Castroneves seine Führung verteidigte und forderte den 33-Jährigen auf, den hinter ihm liegenden Wagen durchzulassen. Der Grund: Castroneves habe Wilson geblockt.

Castroneves musste den Sieg herschenken

An der Penske-Box glühte nun nicht nur die Funkverbindung, der so sicher geglaubte Sieg hing plötzlich am seidenem Faden. Doch es half alles nichts und um einer Strafe zu entgehen ließ "Spiderman" seinen Verfolger in Runde 73 passieren. Für das Newman-Haas-Team lag damit plötzlich der zweite Saisonsieg in greifbarer Nähe. Bei den "Weiß-Roten" wurden die Gesichter immer länger, hatte Castroneves doch zuvor unerreichbare 16 Sekunden vor Wilson gelegen, nun musste er den Sieg und 10 wertvolle Punkte im Kampf gegen Scott Dixon (Ganassi) einfach herschenken. Doch wie kam es überhaupt soweit?

Helio Castroneves

Helio Castroneves wäre auf Belle Island eigentlich nicht zu schlagen gewesen Zoom

Am Start hatte der Neuseeländer nichts anbrennen lassen und seine Führung vor Castroneves locker verteidigt. Das frisch freigegebene Rennen wurde sogleich wieder neutralisiert, als Bruno Junqueira (Dale Coyne) Milka Duno (Dreyer and Reinbold) in einen Dreher schickte, woraufhin der Brasilianer von der Rennleitung bestraft wurde.

Kaum war das Rennen wieder freigegeben, setzten sich die beiden Führenden sogleich vom Rest des Feldes ab und fuhren zunächst in einer eigenen Liga - nach sechs Runden lag der drittplatzierte Oriol Servia (KV) bereits vier Sekunden zurück! In dieser Phase des Rennens gab es keinerlei Positionskämpfe, man wartete auf die erste Welle der Boxenstopps.

Ganassi setzte strategisch wieder auf das falsche Pferd

Diese sollte bald kommen und dies war einer der ersten entscheidenden Augenblicke des Rennens: Während einer durch Jaime Camara (Conquest) und Dan Wheldon (Ganassi) ausgelösten Gelbphase eröffnete Dixon den Reigen und fand sich gemeinsam mit Graham Rahal (Newman-Haas) und Marco Andretti (Andretti-Green) bei seinen Mechanikern ein, während Castroneves draußen blieb. Das gab einen entscheidenden Hinweis auf die Strategien der beiden Titelkombattanten.

Danica Patrick

Danica Patrick war in Detroit mit Vitor Meira in eine Kollision verwickelt Zoom

Der Ganassi-Pilot setzte offenbar einer Dreistopp-Strategie, während man bei Penkse auf zwei Stopps vertraute - ein weiser Entschluss. Denn kaum hat er die Box verlassen fand sich Dixon schnell in einem aus Sonoma bekannten Szenario wieder: Während der Brasilianer unbeschwert vorne weg fahren konnte, versackte der rote Bolide in den Kämpfen des hinteren Mittelfeldes, die ihn viel Zeit gekostet haben.

Damit schien zunächst alles in die Karten von Castroneves zu spielen, denn Dixon musste sich mit Underdogs wie Ed Carpenter (Vision) herumschlagen, wohlwissend, dass er noch zwei Mal an der Box erwartet wird. Bei Penske ahnte man wohl schon vorher, dass man an dem Polesetter auf dem engen Kurs von Detroit zu Beginn nicht würde überholen können, daher vertraute man auf eine konservative Strategie.

Castroneves auf der Überholspur

Wenig später sollte auch die Führung an die Boxen gehen, wobei Wilson bei dieser Gelegenheit hinter Castroneves auf Platz zwei schlüpfen konnte, der die Führung nach dem Boxenhalt behielt. Nun brach in Runde 34 etwas Hektik aus. Erst waren Vitor Meira (Panther) und Danica Patrick (Andretti-Green) in einen Kampf verstrickt von der Piste gesegelt, unweit davon krachte gleichzeitig noch Ernesto Viso (HVM) unsanft in die Wand. Das Safety-Car war wieder gefragt.

Oriol Servia

Starkes Rennen von Oriol Servia, der die Spitze unter Druck setzen konnte Zoom

Nachdem sich der Pulverdampf gelegt hatte, führte Castroneves vor Wilson, Dixon lag auf fünf. Das Führungsduo setzte sich sogleich wieder vom Verfolgerfeld ab, wobei der Brasilianer merklich langsamer fuhr, als zu Beginn des Grand Prix, wohl, um Sprit zu sparen. Trotzdem konnten er und sein britischer Schatten dem drittplatzierten Servia acht Sekunden abnehmen.

Die nächste Boxenstoppwelle sollte am Klassement nichts ändern, allerdings hatte Castroneves durch seine treibstoffsparende Fahrweise bequeme 16 Sekunden auf Wilson herausgebolzt. Nun wurde Dixon scheinbar nervös. Der Neuseeländer attackierte verzweifelt seine Vorderleute, er wusste, dass noch ein finaler Splash-and-Dash anstehen würde und hoffte imständig auf eine Gelb-Phase. Sein einstmals riesiger Punktevorsprung in der Meisterschaft drohte nur innerhalb von zwei Rennen vollständig zu verpuffen.

Ganassi-Pilot Wheldon als Zünglein an der Waage

Die ersehnte Caution sollte bald kommen - ausgerechnet sein Teamkollege Wheldon war in die Reifenstapel gerast, was eine ausgedehnte Gelb-Neutralisation mit sich brachte. Damit war der Brite gleich in zweifacher Hinsicht ein Stolperstein für Castroneves und der große Retter von Dixon.

Dan Wheldon

Dan Wheldon war auf Belle Island ein unfreiwilliger Entscheidungsfaktor Zoom

Nicht nur dass der Neuseeländer in der Gelbphase genug Treibstoff sparen konnte, um auf den Splash-and-Dash-Stopp doch noch verzichten zu können und so seine fünfte Position zu behalten, auch Wilson war vorne im Nu wieder in den Rückspiegeln des Brasilianers. So ist es kein Wunder, dass sogleich Gerüchte aus dem Boden schossen, Ganassi hätte Wheldon "geopfert", es ist eine Irionie des Schicksals, dass ausgerechnet ein Ganassi-Bolide das Renngeschehen wieder umdrehen sollte.

Denn nun lag Wilson hinter Castroneves und in Runde 73 kam es zu dem Anfangs beschriebenen Szenario: "Spiderman" ließ den ehemaligen Formel-1-Piloten ziehen. Der Brasilianer versuchte zwar noch Wilson unter Druck zu setzen, doch es half alles nichts mehr. So sicherte sich Wilson seinen ersten IndyCar-Sieg und übertrumpfte damit sein Edmonton-Resultat, wo er Dritter geworden war.

Wilson siegt, Meistertitel wird in Chicagoland vergeben werden

Während im Ziel an der Newman-Haas-Box großer Jubel ausbrach, marschierte ein sichtlich hektischer Castroneves, der dieses Jahr nun bereits zum achten Mal Zweiter geworden war, in der Boxengasse wie ein Tiger auf und ab. "Chicago, wir kommen!" gab er als trotzigen Schlachtruf in Richtung Dixon zwar noch ab, doch sein Lächeln konnte die Enttäuschung in seinen Augen nicht verbergen.

Justin Wilson

Die Drei von der Tankstelle: Justin Wilson, Helio Castroneves, Tony Kanaan Zoom

Der Penske-Pilot wusste, dass er in Detroit eine Riesenmöglichkeit verspielt hatte, entscheidend Boden in der Meisterschaft auf Dixon gutzumachen, welcher nun mit 30 Zählern Vorsprung zum Meisterschaftsfinale nach Chicagoland reist. Andererseits hat Castroneves heute Dixon ebenso viele Punkte abgenommen, wie wenn er gewonnen und der Ganassi-Pilot auf Zwei angekommen wäre.

Das ist der Fluch der großen Punkterückstände, man ist zwingend auf das Ergebnis des Gegners angewiesen. Der Kampf um den Titel verschiebt sich nun ins letzte Meisterschaftsrennen nach Chicagoland - Spannung pur in der IndyCar!