Außergewöhnlicher Racer und Gentleman: Nachruf auf Gil de Ferran

Gil de Ferran gewann alles, was man im IndyCar-Sport gewinnen konnte, und hatte auch als Teambesitzer Erfolg - Vor allem aber bleibt er als Gentleman in Erinnerung

(Motorsport-Total.com) - Als Gil de Ferran 2003 in seinem letzten Versuch das Indianapolis 500 gewann, war dies die Krönung einer Karriere, die seine bemerkenswerte Kämpfernatur und seine ausgeprägte Rennintelligenz widerspiegelte. (Gil de Ferran überraschend verstorben)

Titel-Bild zur News: Gil de Ferran starb im Alter von nur 56 Jahren

Gil de Ferran starb im Alter von nur 56 Jahren Zoom

Im Alter von 35 Jahren schlug er seinen guten Freund und brasilianischen Teamkollegen bei Penske, Helio Castroneves, um 0,299 Sekunden nach einem erbitterten Kampf um den Sieg in Amerikas größtem Rennen.

Das Duo setzte sich gegen die Herausforderer Tony Kanaan und Michael Andretti von Andretti Green Racing sowie Tomas Scheckter von Chip Ganassi Racing durch. 30 Runden vor Schluss schnappte sich de Ferran im Verkehr die Führung von Castroneves.

Trotz des immensen Drucks von Castroneves, der zu diesem Zeitpunkt bereits zweimaliger Sieger des Indy 500 war, und trotz Schulterkrämpfen in der Schlussphase war dies der krönende Abschluss von de Ferrans brillanter Monoposto-Karriere. Er kombinierte seine Schnelligkeit mit einer bemerkenswerten Rennintelligenz, was ihm an diesem Tag sehr zugute kam.

"Wenn du Rennen fährst, bist du so sehr auf das Fahren konzentriert und versuchst, gute Entscheidungen zu treffen. Um mit dem Druck umzugehen, ein Rennen wie dieses anzuführen, musst du deine Emotionen wirklich zur Seite stellen", erklärte er gegenüber Motorsport.com, der globalen Schwesterpublikation von Motorsport-Total.com, seine Herangehensweise, das Indy 500 zu gewinnen.

"Man muss so rational wie möglich bleiben. Es hat eine Weile gedauert, bis ich begriffen habe, was das eigentlich bedeutet. Rick Mears hat es am besten ausgedrückt. Er sagte direkt nach dem Rennen zu mir: 'Du wirst das erst in zwei oder drei Wochen verstehen, und dann wird es dich treffen'. Und genau das ist passiert."

Er zog sich am Ende jener Saison aus der IndyCar-Rennserie zurück, nachdem er in den Jahren 2000 und 2001 - noch unter dem Namen CART - zwei Titel geholt hatte.

An der F1 gescheitert, im IndyCar eine Legende

De Ferran, der in Paris geboren wurde, begann in Brasilien mit dem Kartsport, nachdem seine Familie in jungen Jahren dorthin gezogen war. Richtig bekannt wurde er jedoch im Vereinigten Königreich, wo er dem Trend folgte, den Emerson Fittipaldi für junge brasilianische Rennfahrer gesetzt hatte. Er fuhr in der Formel Ford, der Formel Opel/Vauxhall Lotus und der Formel 3 und gewann 1992 für Paul Stewart Racing den britischen F3-Titel.

Er stieg in die Formel 3000 auf, wo er in zwei Saisons drei Siege errang. Allerdings verpasste er den Aufstieg in die Formel 1 trotz Testfahrten mit Williams und Arrows nur knapp, sodass er 1995 seine Aufmerksamkeit nach Amerika lenkte.

De Ferran betrat die IndyCar-Serie in ihrer wohl umkämpftesten Ära und gewann das letzte Rennen seiner Debütsaison in seinem leuchtend gelben Pennzoil-Reynard für Jim Hall Racing auf dem Laguna Seca Raceway gegen Fahrer wie Jacques Villeneuve, Fittipaldi, Andretti, Al Unser jun., Paul Tracy und Bobby Rahal. Er wurde verdientermaßen zum Rookie des Jahres gekürt.

Danach machte er sich bei Penske einen Namen. Unsterblich machte ihn der Geschwindigkeitsweltrekord für geschlossene Rennstrecken, den er im Qualifying auf dem California Speedway in Fontana mit einer atemberaubenden Runde von 241,428 Meilen pro Stunde (388,541 km/h) aufstellte.


Fotostrecke: Historie: Alle IndyCar-Champions seit 1979

Er holte zwölf Siege und 21 Polepositions, seinen letzten Sieg errang er bei seinem letzten IndyCar-Start 2003 in Texas.

In seiner Würdigung sagt Roger Penske: "Gil definierte seine Klasse als Fahrer und als Gentleman. Als IndyCar-Champion und Indianapolis-500-Sieger hat Gil während seiner Karriere so viel erreicht, sowohl auf als auch abseits der Rennstrecke."

"Gil wurde von so vielen geliebt. Er war ein großer Freund des Teams Penske und der IndyCar-Familie sowie der gesamten internationalen Motorsportgemeinschaft. Gils Tod ist ein schrecklicher Verlust, und wir werden ihn sehr vermissen."

Auch nach IndyCar-Rücktritt erfolgreich

De Ferrans widmete sich nach seiner IndyCar-Karriere Sportwagenrennen, Teammanagement und Medien. Schließlich schaffte er es auch in die Formel 1, wo er von 2005 bis 2007 beim BAR-Honda-Team als Sportdirektor tätig war.

Im Jahr 2008 kehrte er im werksunterstützten Acura-LMP2-Prototyp in der amerikanischen Le-Mans-Serie ins Cockpit zurück. Als Besitzer seines Teams de Ferran Motorsports und Fahrer in Personalunion tat er sich mit dem Franzosen Simon Pagenaud zusammen, der später in die Fußstapfen von Gil als IndyCar-Champion und Indy-500-Sieger treten sollte.

Das Team stieg 2009 als Acura-Werksteam in die Königsklasse LMP1 auf, erzielte fünf Siege, sieben Poles und wurde Zweiter in der Gesamtwertung.

Anschließend war er bis 2011 Miteigentümer des IndyCar-Teams de Ferran Dragon Racing und diente als Vertreter der Teambesitzer im ICONIC-Komitee, das die Entwürfe für die nächste Generation von IndyCar-Chassis bewertete.


Gil de Ferrans Rekordrunde in Fontana

De Ferran wurde 2018 zum Sportdirektor von McLaren Racing in der Formel 1 ernannt. Diese Rolle hatte er bis Anfang 2021 inne. Im Mai 2023 wurde er von McLaren als Berater und Beirat wieder eingestellt.

Zak Brown von McLaren sagt: "Ich bin mit Gil überall auf der Welt Rennen gefahren und habe ihn einige der größten Rennen gewinnen sehen. Er war über 20 Jahre lang ein großartiger Freund, den wir sehr vermissen und nie vergessen werden."

Neben seinen Erfolgen im Rennsport wird man sich an de Ferran wegen seiner warmherzigen Persönlichkeit, seines scharfsinnigen Humors und seiner freundlichen Art gegenüber allen erinnern, denen er in seinem Sport begegnete, den er mit großer Leidenschaft betrieb.

Gil hinterlässt seine Frau Angela - die er kennenlernte, als sie für Paul Stewart Racing arbeitete -, Tochter Anna und Sohn Luke.