• 10.04.2013 15:46

  • von Pete Fink

Cyndie Allemann: Nicht nur Simona und Danica

Cyndie Allemann macht derzeit TV-Karriere, aber die 27-jährige Vollblutrennfahrerin hat auch vieles mit Danica Patrick und Simona de Silvestro gemeinsam

(Motorsport-Total.com) - Cyndie Allemann ist in diesen Tagen eine viel beschäftigte Frau. Die 27-jährige Schweizerin ist seit einigen Wochen beim TV-Sender 'Sport1' in der Sendung "Auftrag Auto" zu sehen. Am Wochenende lief darüber hinaus eine sechsteilige Dokumentation an mit dem Titel "Ziel: Grüne Hölle." Darin bereitet Allemann unter anderem den ehemaligen Skisprung-Star Sven Hannawald auf das diesjährige 24-Stundenrennen am Nürburgring vor. Die Folge: Ihr Telefon klingelt derzeit fast pausenlos.

Titel-Bild zur News: Cyndie Allemann

Cyndie Allemann fuhr in der Saison 2008 ein Jahr in den USA Zoom

Eigentlich ist sie aber eine Vollblutrennfahrerin, die in ihrer vielseitigen Karriere auch ein ganzes Jahr in den USA verbrachte. Es war die Saison 2008, in der die kleine Schweiz mit Simona de Silvestro, dem aktuellen Shooting-Star der IndyCar-Szene, und der im bernerischen Moutier geborenen Allemann gleich zwei heiße Eisen im Nachwuchsfeuer hatte. Damals natürlich auf den Spuren von Danica Patrick, der US-Vorreiterin der weiblichen Piloten.

Nach dem Formel-3-Cup (2006) und der Formel-3-Euroserie (2007) wechselte Allemann also die USA. Wie kam es dazu? "In meiner Zeit im Formel-3-Cup sind wir auch auf dem Oval am Lausitzring gefahren", schildert sie im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'. "Das hat mir sehr gut gefallen, denn ich holte die Pole-Position und kam im Rennen auf das Podium. Und weil die Formel-3-Euroserie damals sehr teuer war, haben wir uns umgesehen, ob sich vielleicht eine Möglichkeit in den USA ergibt." Was dann auch funktionierte, denn Jon Lewis verpflichtete die damals 22-Jährige für die IndyLights-Saison 2008 und sein Team American Sprit Racing.

Es war ein sehr kleines Team, das sich gegen die großen Namen wie Michael Andretti, Sam Schmidt oder Panther-Chef John Barnes natürlich dementsprechend schwer tat. Zudem wohnte Teamboss Lewis in Florida, während die zusammengekaufte Mannschaft in Indianapolis stationiert war. Allemanns Renningenieur war eine Italienerin mit Wohnsitz in Atlanta. Zu allem Überfluss war sie auf sich alleine gestellt, denn einen erfahrenen Teamkollegen gab es nicht - und damit auch keine Kostenteilung.

Kurioser Mid-Ohio-Erfolg

"Jeder weiß, wie weit die Entfernungen in den USA sind", betont Allemann. "Das war ein Grund, warum viele Gelder leider nicht in die Entwicklung des Autos geflossen sind. Das hat man spätestens dann gemerkt, als ich bei einer Vollgasrunde im Oval pro Runde 0,8 Sekunden auf die Konkurrenz verloren habe. Das war eine schwierige Situation für mich, denn normalerweise solltest du auch in einem kleinen Team auf die Großen vielleicht ein oder zwei Zehntel verlieren. Aber bei acht Zehntelsekunden hast du einfach keine Chance mehr."

Cyndie Allemann

Cyndie Allemann in ihrem America-Sprit-Dallara auf dem Oval in Kansas Zoom

Weil sich die US-Ovale also als problematisch entpuppten, setzte das Team auf die Rundstrecken. In Mid-Ohio fuhr Allemann im Juli 2008 dann einen starken vierten Platz heraus. Dies war ihr bestes Einzelergebnis, erzielt im strömenden Regen. "Es war das erste Mal, dass ich dieses Auto bei Nässe gefahren bin", erinnert sie sich. "Direkt vor dem Start ging ein heftiges Gewitter nieder und nach dem Start gab es natürlich ein Riesenchaos. Auch ich habe mich einmal gedreht."

Allemann arbeitete sich unter diesen schwierigen Bedingungen - trotz Dreher - von ihrem Startplatz 17 auf Rang fünf nach vorne. Dann geschah das Unglaubliche: Das Rennen ging unter Gelber Flagge zu Ende und Leader Jonny Reid (Ganassi) fuhr in der letzten Kurve vor der Ziellinie an die Box. "Er dachte wohl, das Rennen sei schon zu Ende und er ist einfach zu früh abgebogen. Das war schon sehr cool, denn so war ich plötzlich Vierte", lacht die Schweizerin.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: 2008 ging es der IndyLights-Serie noch richtig gut. Regelmäßig waren mehr als 20 Teams am Start, beim Saisonhöhepunkt von Indianapolis traten gar 27 Autos an. Und es gab ein starkes Teilnehmerfeld: Champion Raphael Matos, J.R. Hildebrand, Ana Beatriz, Wade Cunningham, Franck Perera - sie alle schafften später den Sprung zu den IndyCars. "Wir hatten leider kein Geld für eine zweite Saison in den USA", sagt Allemann, die in der Gesamtwertung schließlich 14. unter insgesamt 40 Startern wurde.

Die Kunst des Ovalfahrens

"Das war sehr schade, denn ich wäre sehr gerne dort geblieben. Die Serie gefiel mir super, die Atmosphäre dort ist toll und die IndyCars bieten einfach eine Supershow. Sowohl für die Fahrer, als auch für die Zuschauer. Auch die Mischung aus Ovalen und Rundstrecken ist klasse. Ich hätte gerne noch ein zweites Jahr in der IndyLights-Serie verbracht, dann vielleicht in einem Top-Team, um regelmäßig in den Top 5 mitkämpfen zu können."

Cyndie Allemann

Cyndie Allemann (18) im Zweikampf gegen IndyLights-Champion Raphael Matos Zoom

Die IndyLights-Serie nutzt ein Dallara-Einheitsschassis mit einem 3,5 Liter V8-Motor von Infiniti, der rund 420 PS produziert. "Auf den großen Ovalen, zum Beispiel in Indianapolis, sind wir mit bis zu 300 Stundenkilometern unterwegs gewesen und das Ganze mit 20 Formel-Autos direkt um dich herum", schildert Allemann. "Da braucht man richtig viel Mut und Konzentration und im Windschatten musst du immer einkalkulieren, wie viel Grip du am Kurveneingang verlieren wirst."

"Denn wenn du direkt vor dir ein Auto hast, dann verlierst du an der Vorderachse viel Grip. Wenn jetzt direkt neben dir, und das passiert sehr oft, noch jemand fährt, dann musst du dir ganz genau ausrechnen, wie stark zu lupfen musst, um entsprechend Geschwindigkeit abzubauen, damit du nicht abfliegst, aber dennoch schnell genug bist, um die Kurve zu nehmen, deinen Platz zu halten und niemanden zu treffen. Das war schon eine sehr intensive Erfahrung für mich."

"Was du auch lernen musst, ist Geduld zu haben. Auf dem Oval passiert fast alles in den letzten 50 Runden. Dann wird die Strategie sehr wichtig, dann darfst du keine Angst haben, sondern du musst attackieren, versuchen zu Überholen und eben den Windschatten richtig zu nutzen." Das große Problem für alle Rennfahrer der europäischen Schule bestätigt auch Allemann: "Die Ovale sind eine ganz andere Welt. Das ganze Auto ist so eingestellt, dass du geradeaus eine Kurve fahren würdest, damit es dir später beim Einlenken in die Kurve helfen kann."

Noch heute Setup-Rätsel

"Das ganze Fahrgefühl ist anders, die Überholmanöver müssen im Vergleich zur Rundstrecke viel sanfter ablaufen. Im Prinzip kannst du alles, was du in den Formelserien gelernt hast, auf dem Oval vergessen. Zum Beispiel hatten wir in unserem Team große Schwierigkeiten damit, ein vernünftiges Oval-Setup aufzubauen." Das Problem dabei ist die richtige Mischung. "Du brauchst eine Balance, die schnell ist, aber nicht zu hart. Denn wenn das Auto zu hart abgestimmt ist, dann verlierst du es und das tut bei Tempo 300 richtig weh."

Simona de Silvestro

Auch Simona de Silvestro wechselte früh in ihrer Karriere nach Amerika Zoom

Dieses Setup-Thema war auch einer der Gründe, warum Allemann damals gerne noch ein zweites IndyLights-Jahr angehangen hätte. "Ganz ehrlich: Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich das Thema Ovale schon in vollem Umfang verstanden habe. Das geht mir auch heute noch so, denn mein Team war damals ganz einfach viel besser im Umgang mit den Rundstrecken." Was sich übrigens auch an den Ergebnislisten ablesen lässt: In den acht Rundstrecken-Rennen fuhr Allemann viermal in die Top 10, auf den acht Ovalen kein einziges Mal.

Überhaupt war das Jahr 2008 aus Schweizer Sicht ein sehr gutes Motorsport-Jahr, denn parallel zu Cyndie Allemann schlug sich auch Simona de Silvestro in der Formel Atlantic wacker. Doch während Allemann - mangels Budget - nach Europa zurückkehrte und später nach Japan ging, schaffte de Silvestro tatsächlich den so schwierigen Sprung zu den IndyCars und wurde zur "Swiss Miss". Von denen es eigentlich zwei gab. Man kennt sich natürlich, denn die beiden Renn-Ladys lieferten sich in früheren Tagen viele heiße Kämpfe in den Go-Karts.

De Silvestro erlebte in den Jahren 2010 und 2011 zwei schwere Unfälle auf den schnellen US-Ovalen. Einmal der spektakuläre Feuercrash von Texas, der jedoch glimpflich ablief. Ein Jahr später überschlug sie sich beim Training zum Indy 500. Dieser Unfall, so sagte de Silvestro erst vor wenigen Wochen, steckte ihr noch viele Monate lang in den Knochen. "Das kann ich gut verstehen", meint Allemann. "Glücklicherweise habe ich so etwas noch nie erleben müssen, insofern kann ich die Situation auch nur schwer beurteilen."

In den USA ganz normal ...

"Aber ich kann mir schon vorstellen, dass man danach kein gutes Gefühl mehr hat. Bei den IndyCars geht es auf den Ovalen wirklich sehr schnell zur Sache und ihr Team (damals HVM Racing; Anm. d. Red.) war auf den Ovalen ganz sicher nicht das beste. Auf den Ovalen geht es vor allem auch darum, deinem Auto zu vertrauen und daher kann ich schon verstehen, dass sie danach eine gewisse Zeit gebraucht hat."

Danica Patrick

Danica Patrick: Die 31-Jährige machte quasi den Weg frei Zoom

Das ist nun abgehakt. Allemanns Landsfrau sorgt für Furore. "Ich finde es unglaublich und ich bin auch überrascht davon, wie gut sie sich schlägt", lautet ihr Lob in Richtung de Silvestro. "Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als sie damals im Regen von Sao Paulo die schnellste Runde gefahren ist. Da habe ich mir nur gedacht: Wow! Und jetzt hat sie ja einen sehr bekannten Teamkollegen (Tony Kanaan; Anm. d. Red.), den sie schon einige Male schlagen konnte. Wenn sie das dauerhaft schafft, dann steht sie in den USA wirklich unter den besten fünf Piloten."

Schnelle Ladys im Motorsport. Was bei den IndyCars mittlerweile Normalität ist und in der NASCAR langsam wird, hat in Europa noch viel Nachholbedarf. "Es ist sicherlich so, dass du als Frau in Amerika derzeit größere Chancen hast als in Europa", ist Allemann überzeugt. Dies liegt vor allem an Danica Patrick, die spätestens beim Indy 500 des Jahres 2005 ihren ganz großen Durchbruch schaffte, als sie das legendäre Rennen um ein Haar gewann und im Spritsparmodus am Ende Vierte wurde. Das war der Startschuss. "Danica hat damals ihre Chance bekommen und die hat sie genutzt", ist die Schweizerin überzeugt.

Und sie weiß, wovon sie spricht, denn just als Allemann 2008 ihr US-Jahr bestritt, gewann Danica Patrick im April das Motegi-Rennen. Daraufhin bekam die "Danica Mania" in den USA noch einmal einen massiven Schub. "Vor allem auf den Ovalen kam Danica immer gut zurecht. Sicher hat sie auch ihren Sex-Appeal eingesetzt und das finde ich völlig in Ordnung. Wir Frauen haben im Rennsport genügend Nachteile, warum sollen wir das also nicht nutzen?"

Winkt irgendwann die Formel 1?

Ganz sicher waren es die frühen Patrick-Erfolge verbunden mit der dadurch geschaffenen Aufmerksamkeit, die den weiblichen Piloten in den USA einige Türen aufgemacht haben. Plötzlich wurden in den USA Menschen für den Motorsport begeistert, die sich bislang nicht dafür interessiert hatten. Keine Frage: So etwas fehlt in der Königsklasse des Motorsports, der Formel 1. Noch, denn Allemann traut ihrer erst 24-jährigen Landsfrau de Silvestro einiges zu. "Es würde mich überhaupt nicht wundern, wenn Simona irgendwann einmal die Chance bekommt, einen Formel-1-Test zu machen." Die übrigens bekennender Ferrari-Fan ist, aber auch die Schweiz beherbergt bekanntlich seit Jahren ein eigenes Formel-1-Team.

Cyndie Allemann

Immer für einen kleinen Spaß zu haben: Cyndie Allemann Zoom

Doch zunächst ist de Silvestro gefordert, ihre Leistungen bei den IndyCars auf einem sehr hohen Niveau zu stabilisieren. Das sieht auch Allemann so: "Man muss ehrlich zugeben, dass es bisher noch keine Frau geschafft hat, in einer Top-Serie konstant unter die ersten Fünf zu fahren. Wenn du als Frau nur auf Platz zwölf oder 15 ins Ziel kommst, dann wäre es auch gegenüber den Jungs nicht fair, wenn du dann einen Platz in der Formel 1 bekommst. Auch als Frau musst du meiner Meinung nach beweisen, dass du jederzeit vorne mitfahren kannst."

Allemann verfolgt indes natürlich ganz andere Ziele. "Ich möchte unbedingt weiterfahren", versichert die vor wenigen Tagen 27 Jahre alt gewordene Schweizerin, die zuletzt in der Saison 2012 in der Super-GT-Serie in Japan antrat. "Wir hatten dort einen Audi R8 LMS zur Verfügung, der leider als LMS ultra eingestuft wurde obwohl er keiner war." In diesem Jahr sind bislang einige Auftritte in der VLN am Nürburgring geplant - dann wahrscheinlich in einem Mercedes SLS AMG GT3.

Europa ist eine logische Option, aber auch mit den USA hat der Neo-Fernsehstar noch lange nicht abgeschlossen. An der GT-Front haben vor kurzem die ALMS und die GrandAm-Serie für die Saison 2014 zur United SportsCar Racing (USCR) fusioniert, die unter dem starken NASCAR-Dach in Zukunft sicher für viel Furore sorgen wird. "Auch das ist eine sehr interessante Entwicklung", sagt die US-erfahrene Allemann. Und dann gibt es ja noch das Thema des US-amerikanischen DTM-Ablegers, das für die Saison 2015 heiß werden wird ...