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  • 10.03.2016 07:30

  • von Marcus Simmons (Haymarket)

Wie gut ist Mick Schumacher wirklich?

Die Erwartungen an Michael Schumachers Sohn sind groß, doch wie schlägt er sich in den Anfängen seiner Karriere? Weggefährten des Deutschen geben einen Einblick

(Motorsport-Total.com) - Die indische Coverband ist in voller Fahrt und schmettert diesen harmlosen Hochzeits-Rock, den man zu sozialen Anlässen auf der ganzen Welt zu hören bekommt. Es ist die Saisonabschlussparty der MRF-Challenge, die zuvor das Saisonfinale auf der Strecke abgehalten hat, die nur die wellige, staubige, verkehrsverrückte Straße weg von Chennai liegt.

Titel-Bild zur News: Mick Schumacher

Mick Schumacher legte einen guten Einstand in seine Karriere hin Zoom

Ein paar Jugendliche - vornehmlich aus Europa und Lateinamerika - streifen über die Fläche, klopfen sich auf die Schulter und umarmen sich. Unter ihnen ist der 16-jährige Mick Schumacher, der von seinen Freunden und Kollegen angerempelt wird und versucht, seinen Drink nicht zu verschütten. "Seht ihn an. Er ist wie ein normaler Junge, der eine gute Zeit haben möchte. Es ist toll zu sehen, dass er Spaß hat", sagt ein erfahrener Motorsport-Beobachter.

Kurze Zeit später tritt Peter Kaiser - die langjährige rechte Hand der Schumacher-Familie - aus der Menge, tippt auf seine Uhr und signalisiert: 'Bist du bereit zu gehen?' Mick fügt sich und scheint das Gebäude verlassen zu haben, doch wenig später hat die Band alle Fahrer für eine misstönige Gesangseinlage auf die Bühne eingeladen - und ihr junger deutscher Kollege ist plötzlich wieder im Gewimmel aufgetaucht.

Mit einer Preisfahrt fing es an

Mehr als Beobachten können wir Schumacher im Moment nicht. Das ist verständlich, denn die deutsche Klatschpresse ist genauso für ihre Maßlosigkeit bekannt wie die britische. Daher möchte die Familie und ihr Management ihn schützen - speziell in dieser Zeit, in der es Zweifel an den medizinischen Fortschritten seines Vaters gibt. Wir wollen ihn nicht in Verlegenheit bringen, indem wir fragen, wie es seinem Papa geht.

Die einzigen passenden Fragen über Michael sind im Moment, wie er seinen Sohn vielleicht inspiriert und ihm in den Kartjahren geholfen hat. Aber derzeit müssen wir die Wünsche des Schumacher-Clans respektieren. Trotzdem können wir ihn beim Nahkampf auf der Strecke beobachten und mit denen reden, die mit ihm gearbeitet haben. "Er ist ein fantastischer junger Mann", lobt Frits van Amersfoort, für dessen Team Schumacher in der Formel 4 unterwegs war - seinem ersten Jahr im Formelsport. "Das Team hat ihn geliebt. Er ist ein wirklich toller Mensch."

Frits van Amersfoort

Frits van Amersfoort kam durch eine Preisfahrt zum Kontakt mit Schumacher Zoom

Van Amersfoorts erster Kontakt mit Schumacher kam nach dessen zweitem Platz bei der Deutschen Junior-Kartmeisterschaft 2014. "Wir haben dem DMSB eine kostenlose Simulatorfahrt für denjenigen zur Verfügung gestellt, der Zweiter in der Deutschen Meisterschaft wird", fügt van Amersfoort an. "In diesem Oktober bekam ich einen Anruf von Peter Kaiser, der mir sagte, dass Mick interessiert an dem Simulatortest sei, und natürlich war ich freudig überrascht."

Im Rennen stark, im Kopf kühl

"Mick kam an einem Samstag und war wirklich überrascht von unserer Ingenieurskraft, besonders von Rik (Vernooij, der zu diesem Zeitpunkt mit Max Verstappen in der Formel-3-EM arbeitete), und er war wirklich enthusiastisch - also haben wir angefangen, Gespräche zu führen." Die Partnerschaft begann wie im Märchen, als Schumacher im Scheinwerferlicht der Medien ein Rennen beim Saisonauftakt in Oschersleben gewann. Allerdings hatte er sich zuvor nur auf Rang 19 qualifiziert, bevor er sich auf Rang neun durchkämpfte und anschließend aus der ersten Reihe losfahren durfte.

In der ersten Saisonhälfte schien er Schwierigkeiten zu haben, das Qualifying richtig umzusetzen, dafür war er im Rennen ziemlich stark. Bis zum Qualifying auf dem Nürburgring im August schaffte er es nie in die Top 10, doch dann gelang es ihm in sieben von acht Versuchen. Elf Plätze in den Punkten brachten ihm am Ende Rang zehn in der Meisterschaft. Okay, wie van Amersfoort sagt, hat er "während der Saison viel getestet", aber auf der anderen Seite waren einige Fahrer noch in anderen Meisterschaften unterwegs.


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"Mick ist nicht der Typ, der sich in einen Rennwagen setzt und von Beginn an unfassbar schnell ist", fügt er an, "aber das Gute ist: Gib ihm die Zeit und er kommt dahin. Beim ersten Wochenende konnte er einen Glückstreffer landen und das Rennen mit umgekehrter Startaufstellung gewinnen, aber er war ruhig geblieben und es hat Spaß gemacht, das zu sehen. Er ist kühl im Kopf - das einzige, was ihm gefehlt hat, war Erfahrung."

Schumacher spürt keinen Druck

Und wie ist er mit der Aufmerksamkeit umgegangen? "Mick spürt den Druck der Presse gar nicht - zumindest konnten wir das nicht sehen", sagt van Amersfoort. "Er hat so viel klare Luft um sich, und das ist auch ein Grund, warum sie in der Schweiz leben. Ihn interessiert das gar nicht - er tut, was er tun möchte. Der Druck lastet auf den Leuten um ihn herum."

Gegen Ende des Jahres wurde klar, dass sich Schumacher auf dem Weg zu Prema befindet, wo er seine zweite Saison in der Formel 4 fahren wird. Zwar sagt van Amersfoort, dass er "ein Meisterschaftskandidat" sei, doch Prema-Boss Rene Rosin spielt die Erwartungen herunter. "Wie immer kämpft jeder um die Spitze", sagt er. "Das Wichtigste ist, dass wir ihn in eine Position bringen, wo er Leistung bringen kann, aber wir werden es Rennen für Rennen angehen."

Mick Schumacher

Auch unter Druck blieb der junge Deutsche auf der Strecke cool Zoom

Schumacher, der Italienisch und Englisch spricht, ist noch in der Anfangsphase bei Prema, doch er konnte mit dem Team bereits in Monza, Mugello und Barcelona testen. "Er ist zu jedem sehr freundlich", fügt Rosin an, "einfach wie jeder normale Kerl." Aber was für eine Art Fahrer ist er? "Er ist sanft, sehr technisch, sehr präzise - und widmet sich seinen Tätigkeiten wirklich zu 100 Prozent", sagt Rosin.

Karthikeyan beeindruckt von Micks Reife

Alle Aspekte dieser Eindrücke werden unterstützt von denen, die bei Schumachers MRF-Einsatz dabei waren. Serienbotschafter und Ex-Formel-1-Pilot Narain Karthikeyan sagt, dass Schumachers Stil besser zu einem Formel-3-Auto passen würde. "Er tendiert dazu, viel Geschwindigkeit zum Kurvenscheitel mitzunehmen", sagt Karthikeyan, der derzeit in der Super Formula in Japan fährt. "Auf neuen Reifen war es offensichtlich, dass er mehr Geschwindigkeit zum Kurvenscheitel mitnimmt als andere Fahrer."

Schumacher war bereits ein paar Tage zuvor in Indien angekommen und Karthikeyan hatte ihn mit um den welligen und herausfordernden Kurs genommen, bevor er ihn in die Garage brachte. "Er ging zum Auto, schaute sich den Unterboden an und stellte ein paar wirklich technische Fragen, was ziemlich reif für sein Alter war", sagt Karthikeyan. "Er fuhr sogar ohne Stabilisator, weil er eine so bissige Front nicht leiden kann. Das war einfach die Charakteristik des Reifens und seines Fahrstils - es hat besser zu ihm gepasst, und es war vermutlich die welligste Strecke, die er je in seinem Leben fahren wird!"

Karthikeyan war ebenfalls beeindruckt, dass Schumacher auf einem Kurs, auf dem das Überholen schwierig ist, "einer der Jungs war, der einen Angriff probierte. Er wagte eine Attacke - er flog zwar ab, doch zumindest hat er es probiert." Das geschah zum Leidwesen von Tatiana Calderon, die er in einem Rennen zweimal mit ins Aus nahm. "Ich habe keine Ahnung, was er sich dabei gedacht hat", sagte eine verdutzte Calderon nach dem Rennen.

In Indien die Hörner abgestoßen

"Bei der ersten Kollision kam er von weit hinten und hätte nicht einmal die Kurve bekommen. Ich lenkte ein und spürte, dass mich etwas getroffen hatte. Beim zweiten Mal waren wir Seite an Seite, und er hat die Kurve nie wirklich bekommen und meine linke Front berührt." Im Grunde ist das ein Zeichen, dass ein Fahrer sein Handwerk lernt. Die Angriffe waren zwar stümperhaft, aber aus Ingenieurssicht war es weniger überambitioniert als einfach nicht entschlossen genug in den Manövern.

"Sein Renngeschick hat mich mindestens genauso beeindruckt wie seine Geschwindigkeit", sagt der MRF-Challenge-Meister von 2013/2014, Rupert Svendsen-Cook, der als Manager-Trainer des Inders Tarun Reddy in Chennai war. "Er zögert nicht vor einem Angriff, sondern ist wirklich mutig. Auf einer solchen Strecke hat man wirklich gesehen, wer es drauf hat und wer nicht. Das ist vermutlich die letzte Generation an Autos mit einem sequentiellen Getriebe, bei dem man die Hacke-Spitze-Technik anwenden muss."

Mick Schumacher

Nicht jeder Zweikampf geht immer gut, wie sich in Indien zeigte Zoom

"Ich dachte, dass es vielleicht Fahrer wie Schumacher und Harrison Newey blöd aussehen lässt, weil sie aus der Formel 4 Schaltwippen gewöhnt waren, aber man muss sagen, dass die Gangwechsel auf den Punkt waren und er sehr selbstbewusst aussah." Wie bei VAR und Prema hatte Schumacher auch bei seinem MRF-Team einen großartigen Eindruck hinterlassen. "Leute haben vermutlich diese Wahrnehmung von irgendwelchen Söhnen, aber für mich ist Mick nur ein Rennfahrer, der nicht anders als alle anderen ist", sagt Serienkoordinator David Lowe.

Hilfsbereit wie Nico Rosberg

"Er ist sehr sorgfältig bei allem und nimmt sich auch Zeit, die Ingenieure und Mechaniker kennenzulernen. Wenn er aus dem Auto ausgestiegen ist, möchte er den Mechanikern so helfen, wie ich es selten erlebt habe - und das ist brillant. Die einzige andere Person, die ich so erlebt habe, war Nico Rosberg, als er mit uns in Macao war (Lowe war zuvor beim Formel-3-Team Carlin; Anm. d. Red.)."

Ist dies ein Einfluss seines Vaters, der sehr praktisch und selbst ein brauchbarer Mechaniker war? "Das muss so sein", sagt Lowe. "Er möchte seine eigene Person sein, aber diese Leute haben Einflüsse. Harri Newey geht herum und schaut sich alle Flügel und Bodywork-Linien an und man fragt sich, woher er das nur hat."

Es ist einfach, zynisch über ein Kind zu sein, dass im Sport in die Fußstapfen seines Vaters treten möchte, und Schumacher hatte unzweifelhaft einen einfacheren Start ins Leben als viele andere. Aber man sollte das mit dem Horror ausgleichen, mit dem er leben muss, als er den schrecklichen Unfall seines Vaters gesehen hat, als er gerade einmal 14 Jahre alt war. Niemand würde so etwas jemandem wünschen, und trotzdem wurde er zu einem bemerkenswerten, gut ausgebildeten Kerl.


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Van Amersfoort ärgert Abgang

"Alle Leute um ihn herum sind nett", sagt van Amersfoort. "Seine Mutter ist eine liebenswerte Frau, genauso wie Sabine (Kehm, Managerin; Anm. d. Red.). Sie alle arbeiten hart für Mick, erkennen aber auch das Team an. Ich fühle mich echt scheiße, dass er weggegangen ist. Ich kann meine Enttäuschung nicht verstecken."

Aber ist er auch gut genug? Svendsen-Cook hat ihn auch bei den Formel-4-Tests im Dezember in Barcelona gesehen und sagt: "Er stach aus allen Topfahrern der deutschen und italienischen Teams dort hervor. Von der ersten Runde an schien er auf einem anderen Niveau als die Konkurrenz zu sein."

"Er stach aus allen Topfahrern der deutschen und italienischen Teams dort hervor." Rupert Svendsen-Cook

"Er hat die richtigen Gene und den richtigen Ansatz", meint Karthikeyan. "Aber zu sagen, ob er auch meinetwegen Formel 1 schaffen kann, das ist einfach zu früh, um ehrlich zu sein. Alle schnellen Jungs aus dem Fahrerfeld - sind sie gut genug? Vielleicht. Ich weiß es nicht. Aber er ist ein netter, junger Mann, der sehr reif und methodisch ist. Wenn irgendjemand die Chance hat, ganz nach oben zu kommen, dann ist er vermutlich einer, der eine gute Karriere haben wird."