• 14.11.2010 20:20

Wurz: "Vettel ist verdient Weltmeister geworden"

Formel-1-Experte Alexander Wurz über den Grand Prix von Abu Dhabi und den WM-Ausgang: "Die Leistung von Vettel hat alles zementiert"

(Motorsport-Total.com/Sky) - "Mir als Formel-1-Fan hat dieses Rennen total getaugt", sagt Alexander Wurz nach dem Großen Preis von Abu Dhabi. Damit spricht der Österreicher wohl vielen Deutschen aus der Seele, denn Sebastian Vettel krönte sich beim Dämmerungs-Rennen zum neuen Weltmeister. Der 23-Jährige fuhr überaus abgeklärt zum Sieg und profitierte von der Schwäche seiner Titelkonkurrenten. Im Interview analysiert Wurz die entscheidenden Szenen des Rennens und zieht eine überaus positive Saisonbilanz.

Titel-Bild zur News: Alexander Wurz

Alexander Wurz hatte viel Spaß am Finale der Formel-1-Saison 2010 in Abu Dhabi

Frage: "Alex, ein aufregendes Rennen in Abu Dhabi. Hat Ferrari einen Fehler gemacht, indem sie Fernando Alonso so früh hereingeholt haben?"
Alexander Wurz: "Die werden sich total in den Hintern beißen. Man muss sich nur Rosberg anschauen: Der ist mit einer blitz-cleveren Entscheidung vom Stern aus Stuttgart auf Platz vier gefahren. Mercedes hat ihn gleich während der Safety-Car-Phase nach dem Start hereinbeordert. Das hat ihm den vierten Rang eingebracht."

"Das hätte Alonso gereicht. Aus eigener Kraft waren sie nicht dabei. Der Boxenstopp von Alonso war schließlich nur ein Reagieren auf den Boxenstopp von Mark Webber. Zu diesem Zeitpunkt fuhr er noch gegen Webber, doch danach war Schluss mit lustig. Die Leistung von Vettel hat heute alles zementiert. Er ist verdient Weltmeister geworden."

"Mercedes und Renault haben erkannt, dass die Safety-Car-Phase eine Chance darstellt." Alexander Wurz

Frage: "Hat Ferrari etwa nur auf Webber geschaut und die anderen Positionen gar nicht weiter beachtet? War das ein taktischer Fehler?"
Wurz: "Ich arbeite ja für die Kollegen aus Österreich und sagte: 'Wir reden von oben herunter wie die Muppet-Show.' Mercedes und Renault haben erkannt, dass die Safety-Car-Phase eine Chance darstellt."

"Da muss man Ferrari den Vorwurf machen: 'Warm seid ihr nicht schnell genug, um diese Chance, diese Situation zu erkennen?' Red Bull ist ja vorbeigefahren. Wären sie hereingekommen, wäre es eine gemähte Wiese für Alonso gewesen. Die WM ist aber entschieden und Vettel ist verdient Weltmeister."

Hat Ferrari alles richtig gemacht?

Frage: "Stefano Domenicali gab sich eben betont einsilbig. Er hat Stress..."
Wurz: "Ja, aber was soll er jetzt schon sagen. Im Prinzip war es schon ein kleines Wunder, dass sie überhaupt noch um die WM kämpfen konnten. Das muss man ganz ehrlich festhalten. Alonso hatte nicht die gleiche Waffe in der Hand wie Sebastian Vettel. Red Bull war zwar nicht immer so standfest, aber wesentlich schneller. Alonso ist schon ein Ausnahmekönner. Heute haben sie aber ein bisschen schwach verloren."

Frage: "Hand aufs Herz: Hättest du gedacht, dass Sebastian Vettel und Red Bull das noch drehen würden? Die Hoffnung war immer da, doch daran geglaubt haben die Wenigsten..."
Wurz: "Das ist die Lektion des Motorsports, des Sports an sich, für jeden zuhause: Man sollte im Leben niemals aufgeben. Ein philosophischer Spruch (lacht; Anm. d. Red.). So ist es aber. Man muss bis zum Schluss kämpfen. Die Sportsleute von Red Bull haben es erkannt und mit Vettel eiskalt genutzt."

"Er hat in der letzten halben Stunde des Rennens nur Gelb gesehen - und im Auto vermutlich nur Rot." Alexander Wurz

Frage: "Eine Szene möchte ich ansprechen: Nach der Zieldurchfahrt gestikuliert Fernando Alonso in Richtung Vitaly Petrov. Was sagst du dazu?"
Wurz: "Dazu muss ich sagen: Du redest hier von einem Südländer. Er hat in der letzten halben Stunde des Rennens nur Gelb gesehen - und im Auto vermutlich nur Rot. Da kommen dann einfach die Emotionen durch. Das ist gerechtfertigt."

"Es ist sicher keine persönliche Attacke gegen den armen Petrov. Es ist vielmehr ein Loslassen dieser Emotion, dieser Spannung. Ich möchte ihn da ein bisschen in Schutz nehmen. Er ist kein Unmensch, kein grausamer Typ, sondern ein Südländer, ein emotionaler Mensch. Hier gestikulierte er sich einfach den Druck von der Leber."¿pbvin|512|3275|dhabi|0|1pb¿

Vitaly Petrov macht Fernando Alonso das Leben schwer

Frage: "Petrov hat überraschend gute Arbeit geleistet, oder?"
Wurz: "Eigentlich hat er zum ersten Mal keinen eigenen Fehler gemacht. Ausgerechnet, als er das Zünglein an der Waage war. Er hat tolle Arbeit geleistet und davon profitiert, dass sein Auto an der Hinterachse nicht nervös war."

"Letzteres treibt einen Fahrer meistens in den Fehler. Man konnte es an den Onboard-Aufnahmen erkennen: Er kämpfte zumeist nur gegen das Untersteuern. Er beging keinen Fehler. Da muss man ihm gratulieren - Platz sechs. Er fährt um ein Cockpit und hat jetzt eine tolle Leistung erbracht."

"Da haben alle Beteiligten, die ganze Formel 1, schon sehr viel Glück gehabt." Alexander Wurz

Frage: "Was sagst du zur Kollision zwischen Michael Schumacher und Vitantonio Liuzzi? Das war eine enge Kiste..."
Wurz: "Das war schon eine haarscharfe Situation. Liuzzi springt von vorne auf Michael drauf. Das waren Millimeter am Helm vorbei. Da haben alle Beteiligten, die ganze Formel 1, schon sehr viel Glück gehabt. Wir können froh sein, dass hier nichts passiert ist. Man sieht, wie knapp es war."

Frage: "Sprechen wir ein bisschen über die Gesamtwertungen. Es war eine lange Saison und zuletzt kämpften noch vier Fahrer um den Titel. Absolut unglaublich, oder?"
Wurz: "Allerdings, total unglaublich. Es war ein Hollywood-Drama. In Wirklichkeit sind die Zuschauer, die Fans, die Fernsehstationen - wir alle sind die Sieger, dieser spannenden Saison. Wir haben diese Saison gesehen."


Fotos: Großer Preis von Abu Dhabi


"Jeder hat Fehler gemacht, die Teams haben Fehler gemacht, die Fahrer haben Fehler gemacht. Nicht, weil sie schlecht sind, sondern weil das Niveau absolut hoch ist. Was passiert dann? Die menschliche Komponente kommt durch und Fehler bestimmen das Tagesgeschehen. Noch einmal: Das ist das Indiz für eine total hochstehende Formel-1-Saison."

Viel Lob für Red Bull und Nico Rosberg

Frage: "Ein Wort noch zu den neuen Teams: Wie schätzt du die Leistung der Fahrer und der Rennställe selbst ein?"
Wurz: "Ihnen muss man gratulieren, dass es ihnen gelungen ist, innerhalb so kurzer Zeit überhaupt die Finanzen und solche Autos aufzustellen. Bernie sagt da halt salopp, sie seien nicht stark und nicht gut genug für die Formel 1."

"Man muss ihnen aber ein bisschen Zeit geben. Die wahren schon Sieger, weil sie angetreten sind. Jetzt geht es darum: Wer wird 2011 und 2012 da sein? Schaffen sie es, zu überleben, dann haben sie absolut eine gute Leistung erbracht und verdienen es, in der 'Königsklasse' zu sein."

"Grundsätzlich war der Red Bull heuer das beste Auto." Alexander Wurz

Frage: "Schon seit Brasilien steht fest: Red Bull hat die Teamwertung für sich entschieden. Dein Kommentar dazu?"
Wurz: "Das haben sie sich verdient. Wir als Österreicher sind natürlich besonders stolz darauf, die österreichische Hymne zu hören. Grundsätzlich war der Red Bull heuer das beste Auto. Sie sind absolut verdient Konstrukteurs-Weltmeister geworden. Anfangs hatten sie ein paar Probleme mit der Standfestigkeit, doch zum Schluss verdienter Titelgewinner."

Frage: "Wie würdest du die Leistung von Nico Rosberg in dieser Saison einschätzen?"
Wurz: "Seit ich Teamkollege von Nico war, sage ich: Er ist für mich eigentlich der beste Qualifier in der Formel 1. In der Qualifikation ist er immer sehr konstant."

"Ein kleiner Fehler ist eine Seltenheit bei ihm. Im Rennen ist er mittlerweile auch ein absoluter Kapazunder (eine Koryphäe; Anm. d. Red.) und für mich einer der Besten in der Formel 1. Er ist ein guter Freund von mir, doch ich sage das, weil er es sich einfach mit perfekten Leistungen verdient hat."