• 22.06.2006 22:04

  • von Inga Stracke

Wurz: "Bin einer der begehrtesten Testfahrer"

Alexander Wurz über seine schwierige Zukunftsplanung, seine bisherige Bilanz mit Williams und das bevorstehende Wochenende in Montréal

(Motorsport-Total.com) - Alexander Wurz ist der ungekrönte König der Freitagstestfahrer, doch seine Suche nach einem Renncockpit gestaltet sich auch diesen Sommer wieder schwierig. Im Interview mit 'F1Total.com' sprach er heute in Montréal über seine bisherige Bilanz als dritter Williams-Pilot und das bevorstehende Rennwochenende.

Titel-Bild zur News: Alexander Wurz

Um Alexander Wurz' Chancen auf ein Renncomeback ist es eher schlecht bestellt

Frage: "Alexander, wie gefällt es dir hier in Montréal? Das Flair ist schon besonders, oder?"
Alexander Wurz: "Montréal ist - genau wie Australien - eines meiner Lieblingsrennen, denn man ist mitten in der Stadt. Da ist Action, da ist Leben - und das motiviert."#w1#

Kampf im Mittelfeld enger als je zuvor

Frage: "Wie lautet deine Halbzeitbilanz mit dem neuen Team?"
Wurz: "Haben wir wirklich schon Halbzeit? Fast? Wahnsinn, wie die Zeit verfliegt! Wir stecken voll drin und arbeiten hart, denn das Mittelfeld ist in diesem Jahr brutal eng. Mark (Webber; Anm. d. Red.) hat in Australien geführt, ist dann aber leider ausgeschieden, genau wie in Monaco, wo er nur eine Sekunde Rückstand auf den Führenden hatte. Andererseits gab es aber auch Rennen wie Silverstone, wo wir aus eigener Kraft nicht in die Punkte fahren konnten. Das zeigt, wie knapp man in diesem Jahr beisammen liegt. Die kleinste Entwicklung, der kleinste technische Vorsprung bringt einen nach vorne. Daran müssen wir arbeiten."

"Vor diesem Interview hat mir gerade jemand gesagt, dass ich die Freitags-WM anführe. Mehr kann ich leider auch nicht tun." Alexander Wurz

Frage: "Und deine persönliche Halbzeitbilanz?"
Wurz: "Ich bin happy. Vor diesem Interview hat mir gerade jemand gesagt, dass ich die Freitags-WM anführe. Mehr kann ich leider auch nicht tun. Mein Ziel ist es aber natürlich nicht, hier immer die Freitagsbestzeiten zu fahren, sondern für das Team da zu sein, denn ich bin Angestellter des Teams und muss gute Resultate liefern, wenn ich mich etablieren will."

Frage: "Deine Hauptaufgabe ist es, die Reifenwahl zu treffen und das Setup zu definieren. Wie herausfordernd ist das hier in Montréal?"
Wurz: "Montréal ist grundsätzlich extrem hart für das Material. Wir haben einen wahnsinnig hohen Volllastanteil. Das heißt, dass wir viel mit Vollgas fahren, was wegen der hohen Drehzahlen hart für die Motoren ist. Dazu kommen sehr lange Schwingungen von den Bodenwellen, die auf die Motoren übertragen werden. Das führt oft zu Motorschäden."

"Die Bremsen werden extrem beansprucht, weil man auf jeder der Geraden über 300 km/h schnell ist, danach aber sehr harte Bremsmanöver in den zweiten oder dritten Gang folgen. Für uns Fahrer ist es weniger hart, aber man muss durch die Schikanen und über die Randsteine sehr sauber fahren und das Auto gut abstimmen. Es ist hier - wie überall - sehr schwierig, vorne mitzufahren."

Wurz sieht Renault in der Favoritenstellung

Frage: "Das Qualifying ist dann ja wohl wieder eine ganz große Herausforderung, oder?"
Wurz: "Auf jeden Fall, aber ich glaube, dass Renault hier wie auch in den vergangenen Rennen den Ton angeben wird."

"Aerodynamische Effizienz, Motorleistung und Traktion sprechen für Renault." Alexander Wurz

Frage: "Wie siehst du denn die Konkurrenten an der Spitze, also Renault, Ferrari und dein Ex-Team McLaren-Mercedes?"
Wurz: "Aerodynamische Effizienz, Motorleistung und Traktion sprechen für Renault. Ferrari kann vielleicht Renault gefährden, wenn ihre Reifen konkurrenzfähig oder sogar besser sind, wie das in diesem Jahr schon das eine oder andere Mal der Fall war. Richtig den Ton angeben werden aber die Franzosen. Von McLaren glaube ich nicht, dass sie hier eingreifen können. Sie sind stark, keine Frage, können hier aber gegen Renault nichts ausrichten. Sie können sich vielleicht - je nach Ferrari-Form - als zweites oder drittes Team etablieren, aber ich fürchte, dass wieder ein blaues Wochenende auf uns zukommt."

Frage: "Schauen wir mal auf die Dunkelblauen mit dem roten Bullen drauf, zu deinem Landsmann Christian Klien..."
Wurz: "Red Bull? Die haben ein ähnliches Problem wie wir, nämlich zu viel Luftwiderstand. Das wirkt sich hier sehr stark aus, denn man verschwendet dadurch die Leistung auf den Geraden damit, das Auto gegen den Wind zu pressen. Man muss dann mit wenig Flügel reagieren, aber dadurch verliert man zu viel beim Bremsen und in den Kurven. Die Aerodynamik ist einfach so wichtig - das elende Thema der Formel 1! Da haben sie noch Aufholbedarf. Da stecken wir genauso drin, ebenso wie Toyota. Im Mittelfeld gibt es das typische Kuddelmuddel. Der Kampf um die Punkte wird hier genauso hart wie auf den anderen Strecken."

Formel-1-Piloten auch in Montréal im Fußballfieber

Frage: "Guckst du auch Fußball hier? Und wenn ja, wo?"
Wurz: "Ich war grad vorher im Hotel, habe in der Lobby einen Großbildschirm gesehen, habe mich hingesetzt - und beim nächsten Umdrehen standen plötzlich sechs Formel-1-Fahrer hinter mir, die alle mitfieberten! Es war das Match Italien gegen Tschechien. Das zeigt schon, wie viel Fieber wir haben! Jeder fiebert mit, alle schauen zu - und auch wenn ich kein großer Fußballfan bin, taugt mir die WM immer sehr, weil wirklich jeder das Letzte gibt."

"Es ist verdammt schwierig für mich, ein Cockpit zu ergattern." Alexander Wurz

Frage: "Du wirkst persönlich viel entspannter als in den vergangenen Jahren. Wie steht es um deine eigene Zukunft in Bezug auf ein Renncomeback?"
Wurz: "Mein Strahlen nimmst du mir mit dieser Frage, denn es ist verdammt schwierig für mich, ein Cockpit zu ergattern. Ich hänge in einer Kette drin und muss hoffen, dass sich am Fahrermarkt ein Loch auftut, um glücklich zu werden."

Frage: "Aber ein Renncomeback ist auf jeden Fall das Ziel, oder?"
Wurz: "Hundertprozentig! Würde ich das nicht wollen, dann könnte ich die Arbeit als Testfahrer gar nicht machen, denn das ist meine Motivation. Andererseits kann ich auch so gut leben. Das bitte nicht falsch verstehen, aber ich bin einer der begehrtesten Testfahrer im Fahrerlager und ich kann bei Williams sehr viel bewegen. Das ist auch wahnsinnig gut. Wenn du jede Woche ein Formel-1-Auto fahren darfst und dafür auch noch bezahlt wirst, ist das affengeil, aber ich strebe natürlich - wie alle Sportler - nach dem Besten. Ich möchte im besten Team Rennen fahren."