Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Mohammed bin Sulayem

Der Grand Prix von Sao Paulo hat gezeigt, woran es in der Formel 1 krankt - dabei gibt es einige simple Ansätze, die den Sport vielleicht verbessern könnten ...

Titel-Bild zur News: Mohammed bin Sulayem

FIA-Präsident Mohammed bin Sulayem ist Chef einer Non-Profit-Organisation Zoom

Liebe Leserinnen und Leser,

ich habe Mohammed bin Sulayem, den derzeitigen Präsidenten des Automobil-Weltverbands FIA, diesen Sommer beim Grand Prix von Belgien in Spa kennengelernt. Gut eineinhalb Stunden lang dauerte meine Audienz bei einem der mächtigsten Männer der Formel 1, und ich war danach angenehm überrascht von den Ansichten des 61-Jährigen.

Bin Sulayem wird von manchen im Paddock als egogetriebener Kontrollfreak beschrieben. Zumindest mir gegenüber hat er sich ganz anders präsentiert. Als einer, dem das Wohl des Sports ehrlich am Herzen liegt, und als einer, dem die Fans der Formel 1 wichtiger sind als die Geldbörsen steinreicher Aktionäre.

Und gerade deswegen kann ihm nicht gefallen, wie sich die letztendlich durch die FIA geregelte Formel 1 zuletzt entwickelt hat.

Das Rennwochenende in Sao Paulo war ein gutes Beispiel für vieles, was gerade schiefläuft in der Königsklasse des Motorsports. Stundenlang mussten nicht nur wir Journalisten, sondern vor allem Formel-1-Fans auf der ganzen Welt auf das Ergebnis des Qualifyings warten, nur um dann zu erfahren, dass die Startaufstellung doch eine andere sein wird als zu dem Zeitpunkt, als die TV-Sender aus ihren Live-Übertragungen ausgestiegen sind.

Jetzt könnte man zynisch anmerken: In einer Formel 1, die zunehmend nur noch im Pay-TV stattfindet, juckt das die breite Masse eh nicht mehr. Aber Tatsache bleibt: Dem Durchschnittsfan ist nicht mehr stimmig zu vermitteln, warum inzwischen nach fast jedem Qualifying stundenlange Untersuchungen und meistens dann auch Gridstrafen folgen, die das Ergebnis auf den Kopf stellen.

Dabei gäbe es vielleicht ein paar simple Maßnahmen, die die FIA implementieren könnte.

Erstens: Weg mit der Boxenausfahrtregel!

Die jüngste Vorgabe von Rennleiter Niels Wittich, dass die Fahrer an der Boxenausfahrt nicht mehr stehenbleiben dürfen, bevor sie auf die Strecke fahren, wurde mit den besten Absichten eingeführt. Es war zur Unsitte geworden, dass Max Verstappen und Co. bereits vor dem Rausfahren auf die Strecke versuchten, die besten Lücken für ihre schnelle Runde zu finden, weil man ihnen das Suchen und Bummeln auf den Out-Laps verboten hatte.

Sao Paulo war der eindrucksvolle Beweis dafür, dass die Regel keine gute Idee war. "Fürchterlich", "dumm" und "immer undurchsichtiger" waren nur einige der Schlagwörter, die Verstappen und Co. dazu einfielen.

Dabei wäre die Lösung womöglich ganz einfach. Wenn den Fahrern vorgeschrieben wird, dass sie auf der sogenannten "Fastlane" zumindest in den Qualifyings nur noch mit der voreingestellten Geschwindigkeit ihres Speedlimiters rausfahren dürfen, von mir aus mit einer fest zu definierenden Toleranz, gibt's über ein Stehenbleiben an der Boxenausfahrt keine Diskussionen mehr.

Freilich, es würde Ausnahmen von der Regel brauchen. Wenn zum Beispiel jemand einen technischen Defekt erleidet, oder wenn einer einem anderen Auto oder einem rumstehenden Wagenheber ausweichen muss. Doch solche Fälle würden nur selten auftreten, und wenn, dann könnten die Kommissare nach Ermessen entscheiden, ob bestraft werden muss oder nicht.

Anhand von Videoaufzeichnungen, Telemetriedaten und Zeugenaussagen könnte man meiner Meinung nach mit hoher Trefferquote klären, ob jemand absichtlich gebummelt hat oder ob die reduzierte Geschwindigkeit eine sicherheitsrelevante Notwendigkeit oder vielleicht technisch bedingt war.

Vor allem aber würde es mit einem Schlag kaum noch Fälle geben. Kaum noch Fälle = weniger Untersuchungen nach dem Qualifying = mehr Verständlichkeit für die Zuschauer. Und genau das wollen wir schließlich: das Ergebnis des Qualifyings mit möglichst hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar nach dem Qualifying kennen.

Zweitens: Weg mit der vorgeschriebenen Deltazeit!

Ein weiterer Faktor, der in den vergangenen Wochen zu einer Vielzahl offener Untersuchungen am Ende der Qualifyings geführt hat, war die ebenfalls erst 2023 eingeführte Regel, dass die Fahrer auf ihren Out- und In-Laps den Vorgaben einer sogenannten Deltazeit entsprechen müssen. Sprich: Zwischen den beiden Safety-Car-Linien darf eine maximale Rundenzeit nicht überschritten werden.

Die Idee dahinter ist zunächst mal nachvollziehbar. Weil es zur Unsitte geworden ist, dass die Fahrer ihre Lücken für die schnelle Runde oftmals vor der letzten Kurve suchten, und das auch meistens kurz vor Ablauf der Zeit, wenn das Gripniveau der Strecke am höchsten ist, kam es regelmäßig zu Verkehrsstaus. Wenn aber ein Mindesttempo vorgeschrieben ist, kann keiner mehr bummeln.

In der Praxis stellte sich heraus: Das Gebummel verlagerte sich zunächst an die Boxenausfahrt (deswegen die oben beschriebene Regel, die erst hinterher eingeführt wurde), und ja, tatsächlich wird seither insgesamt weniger auf der Strecke gebummelt. Aber das ging auf Kosten einer viel höheren Zahl an offenen Untersuchungen nach den Qualifyings, die niemand wollen kann.


Und die in den meisten Fällen dafür sorgen, dass sich zwar das offizielle Endergebnis manchmal um Stunden verzögert, es letztendlich aber eh keine Sanktionen gibt. Denn fast immer können die untersuchten Fahrer plausibel erklären, warum sie zu langsam gefahren und über der Deltazeit geblieben sind.

Ein Beispiel vom vergangenen Wochenende: Ein Fahrer geht vom Gas, um ein anderes Fahrzeug vorbeizulassen und auf einer schnellen Runde nicht zu behindern. Dann kommt vielleicht noch ein zweiter solcher Zwischenfall dazu, und schwupps ist die Deltazeit schon überschritten. Das gibt eine verwirrende Untersuchung, aber letztendlich (zurecht) keine Strafe. Braucht kein Mensch, oder?

Ich bin ganz bei Max Verstappen: Bei vielen Themen sollte die Formel 1 versuchen, Überregulierung abzubauen und sich auf ihre Wurzeln und den gesunden Menschenverstand zu besinnen. Wer einen Stau verursacht oder zu einem beiträgt, muss konsequent und hart bestraft werden. Konsequenter und härter als in der Vergangenheit.

Plus fünf Positionen für "normales" Impeding auf der Strecke ist okay. Wer es in den letzten fünf Minuten einer Session macht, sollte gnadenlos vom Qualifying disqualifiziert werden. Ich bin mir sicher, wir würden keine Staus mehr erleben. Und der, dessen Runde kaputtgemacht wurde, hat bei fünf Minuten Restzeit die Chance, nochmal an die Box zu kommen und einen weiteren Versuch zu beginnen.

Drittens: Weg mit den Tracklimits!

Es gibt wirklich niemanden in der Formel 1, der die strenge Sanktionierung der Tracklimits gut findet. Die Fans, aus offensichtlichen Gründen, sowieso nicht. Noch mehr Untersuchungen, die manchmal ewig dauern. Aber auch die meisten Fahrer rebellieren aus nachvollziehbaren Gründen dagegen.

Das Argument, es gelten doch die gleichen Regeln für alle und man solle doch einfach nicht über die weiße Linie fahren, halte ich für eine unzulässige Simplifizierung. Wie kann man von den Fahrern, die so tief in ihren Cockpits liegen, dass sie die weiße Linie an manchen Stellen nicht einmal gescheit sehen, verlangen, dass sie mit der Geschwindigkeit eines Formel-1-Autos einen millimetergenauen Balanceakt vollziehen?

Wie man es auch dreht und wendet: Die Tracklimits sind ein signifikanter Schaden für die Formel 1. Aber was wäre die Lösung? Darauf gibt es keine einfachen Antworten. Auch nicht, einfach überall Kiesbetten hinzumachen. Obwohl das oberflächlich betrachtet alle Probleme mit einem Schlag lösen würde.

Schaut man genauer hin, scheitert dieser Ansatz an seiner Praxistauglichkeit. Viele in der Formel 1 argumentieren, dass Kiesbetten auf all jenen Rennstrecken unmöglich sind, auf denen auch Motorräder fahren. Spannend finde ich in dem Zusammenhang allerdings, dass mir meine Kollegen aus dem Zweiradressort erzählen, dass die Biker die Kiesbetten eigentlich nicht wirklich stören.

Das Problem liegt woanders. Das Geschäftsmodell einer permanenten Rennstrecke besteht nur eine Woche im Jahr aus der Formel 1. An den anderen 51 Wochen fahren dort irgendwelche anderen Rennserien, meist mit weniger dicken Geldbörsen als die Formel 1, oder auch Amateure, für die es das Höchste der Gefühle ist, sich einen Ferrari zu mieten und damit einmal im Leben auf einem echten Grand-Prix-Kurs fliegen zu lassen.

Wenn so ein Amateur dann aber mal seine Fähigkeiten falsch einschätzt (und das kommt häufiger vor als man denkt, weiß ich aus eigener Erfahrung), kommt er von der Strecke ab oder dreht sich vielleicht sogar raus. Das tut bei einem asphaltierten Auslauf nicht weiter weh - Rückwärtsgang rein, langsam anfahren, weiter geht's -, aber bei einem Kiesbett schon.

Erstens hinterlässt ein Kiesbett unschöne Schrammen auf dem Ferrari, und zweitens gräbt sich der Hobbyflitzer im schlimmsten Fall auch noch so ein, dass er von der Streckensicherung abgeschleppt werden muss. Nur: Das dauert. Denn anders als am Formel-1-Wochenende kann an normalen Trackdays logischerweise nicht jeder Streckenposten besetzt sein.

Jeden Posten zu besetzen, wäre ein viel zu teures und völlig utopisches Unterfangen, und wäre auch nicht im Sinne des Breiten- und Amateursports. Niemand hat ein Interesse dran, die Kosten eskalieren zu lassen. Andererseits sind die Begnadeteren unter den Amateurfahrern sauer, wenn ihre Session dauernd unterbrochen wird, weil wieder irgendein Selbstüberschätzer aus dem Kiesbett geschleppt werden muss.

Wo Kiesbetten also keine Option sind, könnte man die Tracklimits doch einfach freigeben. Es ist noch gar nicht so lang her, dass es niemanden gestört hat, wenn ein Kimi Räikkönen mal zwei Meter neben der Strecke Staub aufgewirbelt hat. War das wirklich so ein großes Problem? War die Formel 1 damals schlechter? Ich finde nicht.

Wobei das, zugegeben, nicht uneingeschränkt für alle Kurven Gültigkeit hat. Ich erinnere mich an ein GT-Rennen in Spa vor einigen Jahren, bei dem genau das versucht wurde, eine Freigabe der Tracklimits, und die Fahrer in der Bus-Stop absurd weite Linien fuhren. Das ist nicht im Sinne des Erfinders. Die Kurven, die zu solchen Auswüchsen verleiten, kann man aber an einer Hand abzählen.

Für die muss man sich halt was einfallen lassen. Die Pyramidencurbs, die dieses Jahr in Katar verwendet wurden, könnten eine Antwort sein. Vielleicht noch nicht ganz zu Ende gedacht. Aber wenn den schlauesten Köpfen im internationalen Motorsport noch eine Modifikation einfällt, mit der die Pirelli-Reifen nicht gleich strukturell ans Limit gebracht werden, wäre das eine Lösung.

Und warum nicht auch mal Schwarmintelligenz nutzen, einen offiziellen Ideenwettbewerb ausschreiben? Zum Thema Tracklimits habe ich im Dialog mit Fans auf Social Media in den vergangenen Jahren schon dutzende vielversprechende Ideen gehört, die sinnvoll klingen, aber noch nie den Weg in den Paddock der Formel 1 gefunden haben. Vielleicht wäre da ja ein Vorschlag dabei, der wirklich umsetzbar ist. Einen Versuch wär's wert.

Pyramiden-Randsteine in Katar

Die Pyramidencurbs wurden in Katar getestet und haben noch ihre Schwächen Zoom

Das Argument, dass eine Freigabe der Tracklimits in vielen Kurven nicht möglich ist, weil sich dann die Ideallinie der Fahrer näher zur Streckenbegrenzung verschiebt und die komplexen Sicherheitsformeln nicht mehr erfüllt werden, erscheint mir kein Ausschlusskriterium zu sein. Da, wo es wirklich gefährlicher wäre, muss man halt an den dahinterliegenden Barrieren arbeiten und womöglich mal billige Reifenstapel durch etwas teurere TecPros ersetzen.

Und, mein Totschlagargument: Wenn es die Petrodollars in Saudi-Arabien möglich machen, dass Verstappen und Co. mit jenseits 300 km/h an Leitplanken vorbeidonnern, die unmittelbar neben der Strecke stehen, dann wird es wohl auch möglich sein, die letzte Kurve am Red-Bull-Ring so zu sichern, dass ein Fahrer auch mal ein paar Meter neben die Strecke fährt, ohne gleich den sicheren Tod fürchten zu müssen.

Viertens: Weg mit dem F1-Sprint!

Zugegeben, der F1-Sprint hat seinen Charme. Vor allem für die Fans, die inzwischen oft vierstellige Eurobeträge für ein halbwegs passables Wochenendticket hinblättern. Während das erste Freie Training für die Zuschauer auf der Tribüne noch halbwegs reizvoll sein mag, weil man zum ersten Mal die Faszination Formel 1 live miterleben kann, lässt der Charme im zweiten und dritten Freien Training dann doch deutlich nach.

Ich verstehe, dass es für den Fan viel spannender ist, gleich am Freitagnachmittag ein Qualifying zu erleben, in dem es wirklich um was geht, und am Samstag sogar ein Rennen zu sehen.

Auf der anderen Seite läuft die Formel 1 im Hinblick auf die TV-Zuschauer meinem Bauchgefühl nach langfristig Gefahr, in eine Übersättigung zu laufen. 24 Grands Prix pro Saison, mindestens sechsmal davon schon am Freitag Qualifying und am Samstag F1-Sprint: Welcher normale Mensch hat ernsthaft ein Privatleben, das es ihm ermöglicht, so viel Zeit in die Formel 1 zu investieren?

Und dann ist es ein bisschen wie bei einer guten Netflix-Serie: Wenn man zwei Folgen verpasst hat, weil die Lebensgefährtin unbedingt ohne einen schauen wollte, ist die Gefahr akut, dass man die restlichen Folgen auch nicht mehr verfolgt und die nächste Staffel vielleicht noch wegen des Trailers mitkriegt, sich aber nicht mehr dazu durchringen kann, alte Rückstände aufzuholen.

So voll, wie der Rennkalender 2024 mit 24 Grands Prix und mindestens sechs F1-Sprints sein wird, ist es schwierig, zwischen den Events noch so etwas wie Vorfreude zu entwickeln. Ich möchte es mal plump formulieren: Der Reiz daran, mit der Traumfrau ins Bett zu gehen, geht spätestens dann verloren, wenn man das jeden Tag haben kann.

Und: Ich habe immer noch Cyril Abiteboul im Ohr, der vor ein paar Jahren dafür plädiert hat, vorsichtig umzugehen mit dem Aufblähen des Terminkalenders, weil die Protagonisten der Formel 1 in der 20. Woche, in der sie von zu Hause weg sind, am Ende eines kräftezehrenden Tripleheaders mit mehreren Überseeflügen dazwischen, nicht mehr die gleiche Leidenschaft ausstrahlen können wie beim ersten Rennen.

Abiteboul hat damit schon einen Punkt. Die Schlag-auf-Schlag-Konzeption des modernen Rennkalenders führt dazu, dass die im TV übertragenen Pressekonferenzen, Fahrern und Teamchefs ohnehin ein Dorn im Auge, die immer gleichen Belanglosigkeiten hervorbringen, weil uns Journalisten bei der 78. Pressekonferenz des Jahres auch nicht mehr einfällt, welche spannende Story wir unseren Lesern noch auftischen sollen.

War es da nicht besser, als die Formel 1 noch alle zwei Wochen stattfand, an rennfreien Wochenenden in der Welt am Sonntag ein großes Sonntagsinterview mit einem Fahrer oder Teamchef zu lesen war und mit kernigen Antworten Heldengeschichten und ein authentischer Hype vor dem nächsten Rennen aufgebaut wurden?

Und: Warum nehmen eigentlich gerade die Kleinen, die Günther Steiners und Franz Tosts dieser Welt, einfach so hin, dass sie medial immer weniger stattfinden, weil die Redaktionen auf der ganzen Welt bei der extremen Taktung des Grand-Prix-Zirkus es gerade noch schaffen, die großen Stars und den Lokalmatador abzubilden, aber kein Raum mehr bleibt für die sympathischen Underdogs?

Wir sind alle nicht naiv. Die Antwort auf 99 Prozent aller Fragen in der Formel 1 ist Geld. Für kaum ein Thema gilt das mehr als für den Rennkalender. 24 Promoter zahlen mehr Eventgebühr als 20 ein, und die sechs, die wegen eines F1-Sprints auch am Freitag und Samstag volles Haus haben wollen, sollen nochmal extra draufzahlen. Das ist doch die Idee, um die es hier eigentlich geht.

Mohammed bin Sulayem und Christian Nimmervoll

Mohammed bin Sulayem im Gespräch mit Chefredakteur Christian Nimmervoll Zoom

Aber vielleicht wäre es ganz smart, mal die eine oder andere Million liegen zu lassen und dafür die langfristige Nachhaltigkeit nicht ganz aus den Augen zu verlieren. 20 Rennen pro Saison - 20 wirklich gute - sind auch mit einer Garnitur Personal zu stemmen. Die Rotation, die es braucht, um 24 zu schaffen, kostet auch ein bisschen mehr Geld. Und vor allem Qualität.

Außerdem sind die zehn Formel-1-Teams ganz versessen darauf, kein elftes Team in ihrem elitären Club zuzulassen, weil die Verknappung der Startplätze den Preis in die Höhe treibt. Wer Formel 1 machen möchte, der weiß heute, dass er richtig dafür blechen muss. Und die Realität zeigt, dass das Prinzip funktioniert und der Wert der Formel-1-Teams in Regionen eskaliert, die selbst die kühnsten Optimisten noch vor ein paar Jahren für astronomisch gehalten hätten.

Warum also nicht auch die Kalendertermine verknappen? 20 Grands Prix, sinnvoll verteilt auf allen Kontinenten, und wer dabei sein will beim Megaevent Formel 1, der muss dafür richtig tief in die Tasche greifen. Zugegeben, das würde Kollateralschäden bedeuten, die mir nicht gefallen. Ein Grand Prix in Deutschland wäre damit wahrscheinlich auf Jahre undenkbar. Aber es wäre, finde ich, insgesamt im Interesse des Sports.

Fünftens: Weg mit dem Freitagstraining!

Wir haben weiter oben schon festgestellt, dass es für den Fan auf der Tribüne ganz spannend sein mag, als "Warm-up" ein Freies Training zu sehen, dann ein Qualifying und dann einen klassischen Grand Prix. Ein Crescendo der röhrenden Motoren sozusagen, in dem sich die Erwartungshaltung und Anspannung immer weiter steigern.

Was am F1-Sprint gut funktioniert, ist, dass es nur noch ein Freies Training gibt. Erstens, weil das nicht langweilt, und zweitens, weil die Teams durch den Mangel an Vorbereitung manchmal auf dem falschen Fuß erwischt werden. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Dominatoren auch mal stolpern, und es gibt den Kleineren die Chance, die eine oder andere Sternstunde zu erleben.

Dafür braucht man allerdings weder den F1-Sprint noch den Freitag. Mit wem auch immer man im Paddock spricht, es kommt sofort das Argument, dass die lokalen Veranstalter auf Fahrbetrieb am Freitag bestehen, weil sie damit mehr Tickets verkaufen. Man darf mich gern als naiv bezeichnen, aber diese Story kaufe ich den Veranstaltern nicht ab.

Ich weiß noch gut, wie das ist, als Fan sein Erspartes zusammenzukratzen, 4.000 Schilling für die Haupttribüne, um sich ein Wochenende Formel 1 mit "Bett" im Kornfeld (buchstäblich!) leisten zu können, und mir hätte damals, am A1-Ring in Spielberg, der Freitag ganz und gar nicht gefehlt.

Wäre es nicht viel attraktiver, den Freitag zu einem echten Erlebnis für die Fans an der Rennstrecke aufzujazzen, mit Boxenstopp-Competitions und Pitwalks für alle? Wäre es nicht mega, im Rennsimulator gegen einen Formel-1-Fahrer anzutreten, und die 100 Fans, die das am besten hinkriegen, dürfen am Nachmittag eine Runde Renntaxi mit ihrem jeweiligen Idol mitfahren?

Auf eine Showbühne könnte man Tom Clarkson (Name austauschbar) hinsetzen, der statt der FIA-Pressekonferenz eine Talkshow mit Fragen aus dem Publikum hostet, und hinterher gibt's ausreichend Zeit, mit dem Lieblingsfahrer ein Selfie zu knipsen und vielleicht sogar ein paar Worte zu wechseln.

Auf der Rennstrecke könnte man die Rahmenserien schon mal fahren lassen, und in den Slots, die durch das Streichen der Formel 1 frei werden, könnte man Legendenautos von der Leine lassen, die bei vielen Fans wahrscheinlich mehr Gänsehaut auslösen als die modernen Boliden. Wer mir das nicht glaubt, der soll sich einfach mal die Legendenparade am Red-Bull-Ring anschauen, übrigens im Sinne der Eventgestaltung einer der Vorzeige-Grands-Prix einer jeden Formel-1-Saison.

Für einen Aufpreis könnte man ein paar hundert Freitags-Add-ons verkaufen, die dazu berechtigen, aufgeteilt in Gruppen für bis zu drei Stunden das Allerheiligste der Formel 1 zu betreten, den Paddock, und durch die jeder sein Selfie auf dem Podium oder auf der legendären Pressekonferenz-Couch machen darf.

Ich bin mir sicher, dass Fans dazu bereit wären, für solche einmaligen Erlebnisse gutes Geld zu bezahlen. Ich hätte es Ende der 1990er-Jahre jedenfalls getan, und die Fahraction am Freitag hätte mir nicht die Bohne gefehlt.

Am Abend könnte man den Tag mit einem moderierten Lagerfeuer ausklingen lassen - in Silverstone klimpert Lewis Hamilton, begleitet von Eddie Jordan an den Drums, ein paar Akkorde mit der Gitarre, in Melbourne bläst Daniel Ricciardo ins Didgeridoo, und immer werden dabei amüsante Anekdoten erzählt, die vielleicht noch nicht jeder Fan kennt. So, wie VH1 das früher mit seinen Storytellers gemacht hat.

Das wären echte Erlebnisse, die man auch in zehn Jahren noch Freunden erzählt, die sich dann vielleicht überlegen, doch mal mitzukommen zur Formel 1. Und ich gehe jede Wette ein: Wenn der Lieblingsfahrer am Merchandisingstand steht und die Kappen und T-Shirts signiert, die dort verkauft werden, dann ziehen die Absatzzahlen der überteuerten Fanartikel nochmal deutlich an.

Sechstens: Weg mit der Geldgier!

Mohammed bin Sulayem ist Präsident der FIA, per Definition eine Non-Profit-Organisation. Geld hat, machen wir uns nichts vor, schon immer eine dominierende Rolle in der Formel 1 eingenommen. Doch durch den Verkauf an Liberty Media und die Umwandlung des Business als Teil einer Aktiengesellschaft hat sich der finanzielle Druck im Kessel nochmal vervielfacht.

Es ist nichts verkehrt daran, dass die beteiligten Player in der Formel 1 Geld verdienen wollen. Von mir aus auch sehr viel Geld. Aber bin Sulayem hatte schon einen Punkt, als er in einem Tweet im Januar dieses Jahres davor warnte, die Formel 1 für surreal erscheinende 20 Milliarden Dollar zu verkaufen.

Denn: Wer so viel Geld bezahlt, um ein Business zu übernehmen, der muss einen ganzen Haufen Geld verdienen, um damit Gewinn zu erwirtschaften. Das bedeutet teurere Eventgebühren, und die geben die Promoter dann natürlich an die Fans weiter, für die die Tickets noch teurer werden.

Das mag den Rechteinhaber, für den die Interessen der Aktionäre im Vordergrund stehen müssen, nicht groß jucken. Den Präsidenten der FIA aber schon.

Bin Sulayem wurde damals scharf gerügt für seinen Tweet. Das sei eine unlautere Einmischung in die Geschäftsinteressen der Formel 1 gewesen, hieß es. Eine Gefährdung der Interessen der FWONK-Aktionäre.

Ich finde: Den Präsidenten der FIA sollten die Aktionäre in einer perfekten Welt nicht groß scheren. Er sollte sich nur um das Wohl des Sports kümmern. Um das Wohl der Fahrer, der Fans, der ehrenamtlichen Helfer. Er sollte das eine Prozent vertreten, für das sich nicht alles ums liebe Geld dreht. Und ich glaube, er hat diesbezüglich die allerbesten Absichten.

Vielleicht ist in dieser Kolumne, die jetzt doch ein bisschen länger geworden ist, als ich das eigentlich vorhatte, ja die eine oder andere Idee dabei, die sich auf diesem Weg als sinnvoll herausstellen könnte.

Und ganz sicher gibt es Ideen, die ich nicht zu Ende gedacht habe. Das könnt ihr mir dann auf meiner Facebook-Seite "Formel 1 inside mit Christian Nimmervoll" um die Ohren ballern oder in unserem Diskussionsforum mit gleichgesinnten Motorsportfreaks besprechen.

Oder ihr lest jetzt einfach noch die Schwesterkolumne meines Kollegen Stefan Ehlen, die sich wie immer mit den erfreulicheren Seiten des vergangenen Rennwochenendes auseinandersetzt!

Euer

Christian Nimmervoll

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