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  • 12.07.2020 21:36

  • von Stefan Ehlen, Co-Autor: Jonathan Noble

Warum der Renault-Protest nicht sofort verhandelt wird

Warum die Sportkommissare den Renault-Protest gegen Racing Point zwar zulassen, aber nicht sofort in Spielberg weiterbearbeiten

(Motorsport-Total.com) - Der Protest von Renault gegen Racing Point ist zulässig. Das hat der Weltverband FIA am Abend nach dem Steiermark-Grand-Prix 2020 in Spielberg bestätigt. Aber: Ein Urteil wird nicht noch vor Ort gesprochen, sondern an einem noch zu bestimmenden Datum, wenn die erforderlichen Beweise vorliegen und die Sportkommissare sich ein Bild davon machen konnten.

Titel-Bild zur News: Mercedes, Racing-Point

Wie viel Mercedes W10 von 2019 steckt im aktuellen Racing Point RP20? Zoom

Weil die Sportkommissare die Frage erörtern müssen, ob Racing Point mit dem aktuellen RP20 sogenannte Listed Parts von Mercedes übernommen hat, können die technischen Beauftragten der FIA nicht nur unabhängige Experten zur Beratung hinzuziehen, sondern auch die beteiligten Teams Renault, Racing Point und Mercedes um aktive Mitarbeit bitten.

Konkret fußt der Protest übrigens auf den Bremsluftzuführungen, die Racing Point am RP20 verwendet. Diese sollen nun im ersten Schritt mit den Modellen des Mercedes W10 aus der Formel-1-Saison 2019 abgeglichen werden. Mercedes ist daher angehalten, die entsprechenden Teile von Vorder- und Hinterachse beim Weltverband zu Vergleichszwecken vorzulegen.

FIA beschlagnahmt Teile des RP20

Die Pendants an den beiden RP20-Fahrzeugen von Sergio Perez und Lance Stroll, in Spielberg auf den Positionen sechs und sieben im Ziel, haben die technischen Beauftragten der FIA bereits versiegelt und beschlagnahmt.

Und so ist der Renault-Protest gegen Racing Point ins Rollen gekommen: Speziell Perez hatte im Steiermark-Grand-Prix mit herausragendem Speed überzeugt und bei der Konkurrenz gewisse Ängste geweckt.

"Ich denke, jeder sollte sich Sorgen machen wegen Racing Point", sagte Red-Bull-Teamchef Christian Horner nach dem Rennen. Sein Amtskollege Cyril Abiteboul von Renault denkt offenbar ähnlich: Dessen Rennstall hat nach dem Rennen offiziell Protest gegen Racing Point eingelegt, weil man den Verdacht hat, der RP20 sei eine Mercedes-Kopie.

Mehr noch: Renault wittert ein illegales Vorgehen zwischen Racing Point und Mercedes, gewissermaßen eine untersagte Datenweitergabe, wie sie in der Formel 1 für bestimmte Komponenten verboten ist.

In der Protestbegründung heißt es, es sei ein möglicher Verstoß gegen die Artikel 2.1 und 3.2 des Sportlichen Reglements zu prüfen, außerdem ein möglicher Verstoß gegen die Absätze 1, 2(a) und 2(c) aus dem Anhang 6 des Dokuments.

Was Renault konkret beanstandet

Darin heißt es: Ein Team darf nur sogenannte Listed Parts verwenden, die es auch selbst designt hat. Und: Informationen über diese gelisteten Teile dürfen weder weitergegeben noch in Empfang genommen werden, weder von einem direkten Konkurrenten noch von einer außenstehenden Firma.

Heißt also: Renault hat den Verdacht, Racing Point hat den RP20 nicht einfach nur nachgebaut, sondern konkret Mercedes-Materialien verwendet, um das Fahrzeug zu bauen. Und nun müssen die Formel-1-Sportkommissare darüber entscheiden.


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Renault selbst will sich vorerst nicht äußern, sondern meldet nur: "Wir bestätigen, dass wir eine Bitte bei den Sportkommissaren eingereicht haben, zur Klarstellung der Legalität des Racing Point RP20. Solange die Sportkommissare nicht zu einer Entscheidung gekommen sind, haben wir nichts weiter zu sagen."

Immer wieder Zweifel am RP20

Die Legalität des RP20 wird bereits seit den ersten Metern des Fahrzeugs bei den Formel-1-Wintertests in Barcelona im Februar angezweifelt. Seither versicherte Racing Point immer wieder, man habe das Auto ohne Hilfe des Mercedes-Werksteams entwickelt und gebaut, aber natürlich klarerweise angelehnt an das Design des Weltmeisterautos von 2019.

Racing-Point-Technikchef Andrew Green hat bereits im Mai erklärt, sein Team habe nichts zu befürchten, weil sich der Weltverband FIA schon bei einem Werksbesuch über den RP20 informiert habe und zu dem Urteil gekommen sei, es sei alles mit rechten Dingen zugegangen.

Green sagte damals: "[Mitarbeiter vom] Weltverband [kamen] in unser Werk und haben sich das Design des Autos angesehen. Man nahm sogar die Designdaten des letztjährigen Mercedes zur Hand und glich sie mit unseren Daten ab. Die FIA hat also eine gründliche Überprüfung durchgeführt."

Die "alte Diskussion" um Formel-1-Kundenautos

Die Konkurrenz gab sich damit nicht zufrieden. Abiteboul sprach beispielweise davon, Racing Point habe mit dem RP20 "die alte Diskussion um Kundenautos [...] auf die Spitze getrieben". Und Red-Bull-Teamchef Horner meinte, das Thema werde "mit Sicherheit wiederkommen".


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Letzteres ist nun passiert, nachdem Racing Point beim zweiten Saisonrennen mit beiden Fahrzeugen in die Punkte gefahren ist und dabei, unter anderem, Renault hinter sich gelassen hat.

McLaren-Fahrer Lando Norris, selbst Fünfter im Rennen, sagte daraufhin anerkennend: "Wenn ein Kerl im Auto sitzt, der alles daraus herausholen kann, dann sieht man, wie schnell sie sind." Tatsächlich fuhr Sergio Perez für Racing Point von Startplatz 17 noch auf P6 nach vorne.

Weil Perez so unheimlich schnell war

Genau diese Aufholjagd hat bei Horner Fragen aufgeworfen, wie er sagt. "Perez war zu einem Zeitpunkt im Rennen schneller als Mercedes. Bottas hatte Reifen drauf, deren Alter sich nur um eine Runde von denen am Racing Point unterschieden, aber Perez war drei, vier Zehntel schneller. Das war eine beeindruckende Pace", so der Teamchef.

Es ist diese "beeindruckende Pace" von Racing Point, die Mittelfeld-Teams wie Renault sauer aufstößt, zumal Racing Point nun besser klassiert war als Renault. Deshalb folgt nun die "Bitte um Klarstellung" bei den Sportkommissaren mit der Hoffnung, den direkten Gegner bloßzustellen oder entscheidend zu schwächen. Wann und wie das Verfahren ausgeht, das ist derzeit aber noch völlig offen.