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  • 15.11.2010 14:16

  • von Roman Wittemeier

Vettels Weg zum Titel: Against all odds

Motorplatzer, Radmutter-Defekt, Kollisionen und weitere Hindernisse: Der Weg von Sebastian Vettel an die Spitze der Formel 1 war steinig

(Motorsport-Total.com) - "Wenn wir ein solch überlegenes Auto hätten, dann wäre die WM längst entschieden", unkte Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali vor dem Formel-1-Finale von Abu Dhabi. Der Italiener drückte damit zwei Dinge gleichzeitig aus: Respekt vor dem schnellen Red Bull RB6 und Schadenfreude darüber, dass Sebastian Vettel und Mark Webber auf ihrem Weg durch die Saison viele Punkte verschenkt hatten.

Titel-Bild zur News: Sebastian Vettel

Sebastian Vettel hat sich trotz vieler Rückschläge zum Weltmeister gekrönt

Für den späteren Champion war es bis zum Ende eine ungeahnte Zitterpartie. Erst in Abu Dhabi sicherte sich Vettel erstmals den "Platz an der Sonne" und somit gleichzeitig auch die Krone in der Königsklasse. Dabei hätte das WM-Rennen tatsächlich deutlich früher entschieden werden können. "Wir haben jede Menge Punkte durch technische Mängel verloren", gibt Red-Bull-Technikchef Adrian Newey zu.

Die Serie von Pleiten, Pech und Pannen begann für den neuen Titelträger schon gleich beim ersten Saisonrennen und nahm erst mit dem spektakulären und schmerzhaften Motorschaden in Südkorea ein Ende. Der junge Deutsche musste auf seinem Weg zu seinem Traum viele Hürden überwinden. Hier eine Aufstellung der größten Hindernisse:

Bahrain (13 Punkte verloren): Vettel führt den ersten Grand Prix des Jahres 33 Runden lang an, sieht wie der sichere Sieger aus. Doch dann macht ihm eine defekte Zündkerze einen Strich durch die Rechnung. Der Red-Bull-Pilot fällt noch bis auf Platz vier zurück, auf dem Podest stehen Fernando Alonso, Felipe Massa und Lewis Hamilton.

"Er fiel zwar auf Rang vier zurück, aber es hätte auch deutlich schlimmer sein können", fasst Teamchef Christian Horner später zusammen. Dennoch überwiegt die Enttäuschung, da statt 25 nur zwölf Zähler eingefahren wurden. Was sich beim zweiten Saisonrennen in Melbourne abspielen wird, ahnt damals natürlich noch niemand...

Australien (25 Punkte verloren): Nach eingehender Analyse des Zündkerzen-Defekts geht Red Bull voller Optimismus in den zweiten Lauf der Saison. Erneut liegt Vettel in Führung, doch in Runde 25 folgt der Totalausfall. Eine Radmutter schert ab, der Heppenheimer muss seinen RB6 abstellen. Der defekt entpuppt sich später als Folgeschaden einer harten Randsteinberührung.

Sebastian Vettel

Melbourne 2010: Sebastian Vettel hat die Formel-1-Szene eigentlich im Griff Zoom

"Man hätte es mit ein paar anderen Zusatz-Maßnahmen vermeiden können", so Red-Bull-Motorsportberater Helmut Marko in der Nachbetrachtung der zweiten großen Enttäuschung des Jahres. Jenson Button fährt in Melbourne vor Robert Kubica und Felipe Massa zum Sieg. Vettel hat nach nur zwei Rennen - trotz der Aussicht auf zwei Siege - nur 12 Zähler auf dem Konto: Zwischenrang sieben.

Spanien (3 Punkte verloren): Nach einem Sieg in Malaysia und einem missglückten Taktikpoker in China kommt Vettel als WM-Fünfter zum ersten Europarennen in Barcelona. Red Bull ist in Spanien das Maß der Dinge. Im teaminternen Duell liegt jedoch Webber vorne. Am Australier führt im Rennen kein Weg vorbei. Vettel verliert jedoch den sicheren zweiten Rang an Fernando Alonso.

Aufgrund von Taktik und Timing kommen Alonso und Hamilton am Heppenheimer vorbei. Doch es kommt noch schlimmer: "15 Runden vor Schluss traten Bremsprobleme auf. Da musste ich dann froh sein, überhaupt ins Ziel zu kommen", fasst Vettel zusammen. Nur ein Reifenschaden von Hamilton bringt ihn noch auf einen Podestplatz zurück.

Türkei (mindestens 18 Punkte verloren): Das Rennen in Istanbul gilt bis heute als Sinnbild des teaminternen Fights bei Red Bull. Webber drückt dem Rennen seinen Stempel auf, während Vettel nach einem Defekt am Stabilisator im Qualifying als Dritter losfahren muss und hinter seinem Rvalen im Schwesterauto feststeckt.

Mark Webber, Sebastian Vettel

Red-Bull-Kleinholz in Istanbul: Sebastian Vettel und Mark Webber kollidieren Zoom

Doch in Runde 39 passiert das Unfassbare: Vettel greift Webber an, die beiden kollidieren und versauen Red Bull einen goldenen Sonntag. Beim Doppelsieg von McLaren kann sich Webber immerhin noch auf Rang drei retten, für Vettel ist das Rennen nach dem Zusammenstoß beendet. An der Red-Bull-Box schüttelt man ungläubig mit den Köpfen.

Großbritannien (mindestens 12 Punkte verloren): Nach einem taktisch verpatzten Auftritt in Montréal und einem sicheren Sieg in Valencia geht Vettel in Silverstone von der Pole-Position ins Rennen. Doch die Freude währt am Rennsonntag nicht lang. Teamrivale Webber, der das Rennen als Sieger beendet ("Nicht schlecht für eine Nummer zwei"), geht sofort nach dem Start an Vettel vorbei, auch Hamilton versucht sein Glück.

Doch der Brite schrammt am Red Bull des Deutschen vorbei, Vettels Auto rollt in der ersten Runde mit einem Reifenschaden an die Box. "Man begreift schnell, dass da nichts mehr geht", sagt der Heppenheimer, der sich am Ende nur noch auf Rang sieben nach vorne kämpfen kann. Mit etwas mehr Vorsicht im Startgetümmel wäre mindestens der zweite Rang in Reichweite gewesen.

Ungarn (zehn Punkte verloren): Vettel hatte am Hockenheimring hinter den bärenstarken Ferraris mit Rang drei das Maximum herausgeholt, der dritte Platz von Budapest gilt jedoch als herber Rückschlag. Der Red-Bull-Pilot tritt auf dem Hungaroring in überzeugender Manier auf, hat die gesamte Szene locker im Griff - bis zu einem folgenschweren Fehler zur Mitte des Rennens.

Sebastian Vettel

Frust in Budapest: Sebastian Vettel lässt das Safety-Car zu weit davonfahren Zoom

Am Ende einer Safety-Car-Phase lässt Vettel viel zu viel Platz zwischen seinem RB6 und dem Mercedes SLS von Bernd Mayländer. Die logische Konsequenz: Durchfahrtsstrafe. "Beim Restart schlief ich, ich hatte den Funk verloren und wartete auf Instruktionen, wann das Safety-Car reinkommen würde. Ich sah die Lichter von meinem Auto aus nicht", berichtet Vettel später. Aus einem sicheren Sieg wird so nur Rang drei.

Belgien (mindestens 15 Punkte verloren): Vier Wochen nach dem peinlichen Fauxpas hinter dem Safety-Car kommt Vettel aus der Sommerpause zurück. Das Pech haftet ihm jedoch auch nach dem Urlaub weiterhin an. In Belgien setzt sich Hamilton an die Spitze des Feldes, Vettel kämpft auf der spektakulären Bahn von Spa-Francorchamps bei schwierigen Bedingungen gegen Button um Platz zwei.

In Runde 15 verbremst sich der Deutsche und kracht in den McLaren des bis dorthin amtierenden Champions. "Mir ist ein kleiner Fehler unterlaufen, ich habe das Auto verloren", berichtet Vettel, der später nach Reparaturstopp, Durchfahrtsstrafe, Reifenschaden und missglückter Auswahl der Pneus nur auf Rang 15 die Ziellinie überquert.

Südkorea (25 Punkte verloren): Vettel bringt sich mit einem vierten Rang in Monza, Platz zwei in Singapur und einem Sieg in Suzuka wieder ins Rennen um die Meisterschaft. Beim Debüt in Südkorea sieht der 23-Jährige lange Zeit wie der sichere Sieger aus, hat das komplette restliche Feld im Griff. Doch dann sind üble Rauchzeichen über Yeongam zu sehen.

Sebastian Vettel

Von wegen Nichtraucher-Auto: Südkorea-Siegträume platzen im Heck des RB6 Zoom

Nach 45 von 55 Umläufen verabschiedet sich das Renault-Triebwerk im Red Bull RB6. Fassunglos blickt Vettel auf den qualmenden Wagen, die Titelchancen scheinen auf ein minimales Maß geschrumpft. "Renault entschuldigt sich beim Team für den Motorschaden", heißt es später vom französischen Triebwerkspartner. "Der Motor fuhr seinen dritten Grand Prix, aber wir haben den Schaden nicht erwartet. Das Resultat ist eine große Enttäuschung."

In Addition aller Pleiten und Pannen kommt Vettel auf über 120 Punkte, die während der Saison aufgrund technischer Defekte, Fahrfehler oder taktischer Fehlentscheidungen verloren gingen. Somit bekommt der Titelgewinn in der Nachbetrachtung möglicherweise einen zusätzlichen Glanz. "Ich könnte ein Buch schreiben über die Rennen, in denen wir auf einer besseren Position ins Ziel hätten kommen können. Jeder von uns hatte seine Höhen und Tiefen", sagt Vettel zum Abschluss einer "intensiven und harten Saison".