Verstappen über Tracklimits: "Könnt ja mein Auto nehmen und es probieren!"

Max Verstappen und Co. erklären, warum die Tracklimits teilweise ein reines Glücksspiel sind - Wirklich Spaß mache es mit den aktuellen Regeln auch nicht immer

(Motorsport-Total.com) - Satte 47 Rundenzeiten wurden im Formel-1-Qualifying zum Großen Preis von Österreich 2023 gestrichen. Abgesehen von Charles Leclerc und Logan Sargeant leisteten sich alle anderen 18 Piloten im Laufe der Qualifikation mindestens ein Tracklimitvergehen.

Titel-Bild zur News: Max Verstappen

Auch Max Verstappen war im Qualifying mehrfach neben der Strecke Zoom

"Wir machen das nicht mit Absicht. Aber bei diesen Geschwindigkeiten und diesen Hochgeschwindigkeitskurven ist es so schwer, die weiße Linie wirklich zu erkennen", erklärt Polesitter Max Verstappen, dem selbst vier Rundenzeiten gestrichen wurden.

"Ehrlich gesagt ging es nur ums Überleben, selbst in Q3", berichtet der Niederländer. Man müsse am Anfang zunächst eine Sicherheitsrunde fahren, "was den Spaß etwas nimmt", erklärt er. Vor allem im letzten Sektor habe er etwas Luft gelassen.

Denn von den 47 gestrichenen Zeiten gingen ganze 45 auf das Konto der beiden letzten Kurven 9 oder 10. "Vor allem gegen Ende [der Runde] werden die Reifen wirklich heiß. Sie sind also nicht mehr so agil wie zu Beginn der Runde", erklärt Verstappen.

Und auch generell sei Spielberg "eine der schlechtesten Strecken" im Hinblick auf die Tracklimits. Leclerc, der sich kein Vergehen leistete, sagt über Kurve 10: "Es liegt in der Natur der Kurve, dass das Auto Mitte der Kurve leichter wird, weil die Strecke dort abfällt."

Verstappen: "Haben fast wie Amateure ausgesehen"

Die Positionierung dort sei entscheidend für den Kurvenausgang. Verstappen erklärt: "Wenn man es auch nur etwas falsche erwischt, dann verliert man sofort das Auto oder es untersteuert. Und dann ist es sehr leicht, über die weiße Linie zu kommen."

"Ich glaube, es hat heute ziemlich dumm ausgesehen. Wir haben fast wie Amateure ausgesehen bei den ganzen Rundenzeiten, die gestrichen wurden", erklärt der Weltmeister und Leclerc versichert: "Wir können [im Cockpit] gar nichts sehen."

"Die Helmkamera ist ziemlich repräsentativ für unsere Sicht, und die weiße Linie sehen wir überhaupt nicht", so der Ferrari-Pilot. Dessen Teamkollege Carlos Sainz ergänzt: "Wir haben außerdem das Problem, dass wir die weiße Linie nicht spüren."


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"Meine Präferenz wäre es, den rot-weißen Randstein [als Limit] zu nutzen", sagt Leclerc daher und betont: "Ich glaube, das haben wir hier einige Jahre gemacht, und das hat gut funktioniert, weil wir da wenigstens spüren können, wo das Limit der Strecke ist."

Der Randstein wäre als Limit "eine gute Referenz", so der Monegasse. Verstappen schlägt derweil vor: "Auf einigen Strecken haben wir bereits probiert, eine etwas breitere weiße Linie zu malen. Ich denke, das hat ein bisschen geholfen, weil die weiße Linie auf manchen Strecken ziemlich schmal ist."

Der Weltmeister ärgert sich zudem darüber, dass einige Runden gestrichen worden seien, obwohl man gar nicht mit absoluter Sicherheit sagen könne, ob die Fahrer wirklich abseits der Strecke gewesen seien. "Und sie wurden trotzdem gestrichen", zuckt er die Schultern.

Warum gibt es noch immer keine echte Lösung?

"Ich denke also nicht, dass das heute gut ausgesehen hat", urteilt er und erklärt: "Natürlich können die Leute sagen: 'Ja, dann bleibt halt innerhalb der weißen Linien!' Tja, wenn es so einfach wäre, dann könnt ihr ja mein Auto nehmen und es probieren ..."

"Ich denke nicht, dass wir alle Idioten sind", schmunzelt der Polesitter, der aber auch "keine echte Antwort" darauf hat, was man für die Zukunft ändern kann. "Auf den meisten Strecken funktioniert [die aktuelle Regelung] wirklich gut", erinnert Verstappen.

"Aber auf anderen braucht man vielleicht [eine andere Lösung]", grübelt er und erklärt, ein Problem sei, dass die Formel 1 einige Strecken nicht exklusiv für sich habe. In Spielberg fährt neben der Königsklasse zum Beispiel auch die Motorrad-Weltmeisterschaft (MotoGP).


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Laut Verstappen ließe sich das Problem nämlich ganz einfach lösen, indem man einfach wieder mehr Kiesbetten bauen würde. "Für uns wäre es in Ordnung, dort Kies zu haben. Aber bei Motorrädern sieht das etwas anders aus", behauptet der Niederländer.

Für die Motorräder müsste man die Kiesbetten also extra wieder abbauen. "Das kostet eine Menge Geld und ist auch nicht wirklich eine gute Lösung", erklärt Verstappen. Doch warum wurde bislang nicht auf die Situation reagiert, obwohl das Problem keinesfalls neu ist?

"Ich denke, es liegt einfach daran, dass wir keine Lösung gefunden haben oder uns nicht genug damit beschäftigt haben, eine Lösung zu finden. Das müssen wir machen", erklärt Sainz, der darauf hofft, die Situation für das Rennen 2024 in Zusammenarbeit mit der FIA zu verbessern.

Sainz: Aktuelle Regel ergibt teilweise keinen Sinn

Spielberg sei "eine sehr spezielle Strecke", so der Spanier, der erklärt, dass einige Kurven ein "natürliches Limit" wie einen Randstein oder Kies hätten. Umso mehr ärgert es ihn, dass unter der aktuellen Regelung selbst dort die Rundenzeiten gestrichen werden.

"Wenn man zwei Zentimeter zu weit raus fährt, kommt man in den Kies oder auf den Randstein. Man verliert Rundenzeit, aber wir werden trotzdem noch wegen Tracklimits bestraft, was meiner Meinung nach keinen Sinn ergibt, weil wir keinen Vorteil gewinnen, [dort] die Tracklimits zu überfahren", so Sainz.

"Ich denke, die Regel der Tracklimits sollte auch beachten, ob man einen Vorteil hat", fordert er für die Zukunft. Ein weiteres Problem besteht seiner Meinung nach darin, dass die entsprechenden Rundenzeit teilweise erst mit etwas Verzögerung annulliert werden.

"Ich glaube, ich kam in Q2 im zweiten Run in Kurve 1 zu weit raus", nennt Sainz ein Beispiel. Er habe anschließend aber keinerlei Information von der FIA bekommen, ob die Runde zählt oder nicht. "Ich musste noch einmal rausfahren und einen weiteren Reifensatz verwenden", erklärt er.

Das sei für das weitere Wochenende "ein ziemliches Problem", weil dieser frische Reifensatz nun fehlt. "Letztendlich wurde die Zeit nicht gestrichen. Es waren so viele Tracklimits, dass selbst die FIA nicht mehr hinterherkam", zuckt Sainz die Schultern.

FIA-Statement: Kiesbetten sind nicht überall möglich

"Es macht unser Leben im Auto extrem schwierig", so der Spanier. 'ORF'-Experte Alexander Wurz nimmt FIA-Rennleiter Niels Wittich aber in Schutz und erklärt: "Beim Tennis ist es auch so, dass der Ball out gegeben wird, wenn er out ist."

"Mir persönlich ist das auch zu viel. Aber was soll er machen, wenn die drüberfahren?", so der Österreicher. Und die FIA selbst erklärt zu der Situation rund um die Tracklimits: "Das ist etwas, auf das wir uns sehr konzentrieren."

"Wir haben viele Ressourcen sowohl in der Rennleitung als auch im 'FIA Remote Operations Centre' eingesetzt, um mögliche Verstöße zu erkennen und zu überprüfen. Dieser Überprüfungsprozess war ein bedeutender Fortschritt im Hinblick auf die Effizienz im Vergleich zu früheren Saisons."

Allerdings nehme es natürlich eine gewisse Zeit in Anspruch, wenn man "viele Dinge" gleichzeitig überprüfen müsse. "Im Idealfall fordern wir dort, wo wir die Situation für die Fahrer verbessern können, die Rennstrecken auf, die Kiesbetten näher an den Streckenrand zu verlegen", heißt es.

Das sei zum Beispiel in der Parabolica in Monza passiert. "An einigen Orten wie dem Red Bull Ring ist dies jedoch nicht möglich, da es ein Sicherheitsproblem für andere Kategorien darstellen würde, die hier Rennen fahren", betont die FIA.

Zudem stellt man klar, dass man in nicht eindeutigen Grenzfällen immer für den Fahrer entscheiden würde. Diesen Eindruck hatte zumindest Max Verstappen heute nicht ...