• 06.02.2012 21:41

Vergne: "Es gibt noch viel zu lernen"

Der Franzose Jean-Eric Vergne steht vor seiner ersten Formel-1-Saison - Im Interview gibt der Toro-Rosso-Pilot Einblicke in seine Persönlichkeit

(Motorsport-Total.com) - Jean-Eric Vergne hat es in die Königsklasse geschafft. Im Alter von 21 Jahren wird der Franzose in Melbourne sein Formel-1-Debüt am Steuer des neuen Toro-Rosso-Ferrari STR7 geben. Bevor es soweit ist, stehen die Testfahrten in Spanien an. Vergne, dessen Spitznahme 'JEV' ist, durchlief in den vergangenen Jahren die klassische Red-Bull-Nanchwuchsschule. Über die Britische Formel 3, die Renault-World-Series, den Yound-Driver-Tests und Freitagseinsätzen für Toro Rosso tastete sich Vergne an die Königsklasse heran. In der Formel 1 ist er noch ein relativ unbeschriebenes Blatt. Deshalb erzählt er im Interview etwas über seine Persönlichkeit, seine Ziele und Träume.

Titel-Bild zur News: Jean-Eric Vergne

Jean-Eric Vergne ist einer von drei Franzosen in der Formel-1-Saison 2012

Frage: "Jean-Eric, was hat es mit deinem Kosenamen 'JEV' auf sich?"
Jean-Eric Vergne: "Ich finde, es ist viel einfacher, wenn man mich 'Jev' ruft anstatt Jean. Das hat begonnen als ich mit acht Jahren Go-Kart fuhr. Das J steht für Jean, Eric für E und V für Vergne. Daraus entsteht Jev und ist viel einfacher. Deshalb ruft mich jeder so."

Frage: "Beginnen wir mit ein paar Fragen: Zählst du die Tage bis zu deiner Grand-Prix-Premiere in Melbourne?"
Vergne: "Ich habe mehr die Tage bis zu den Testfahrten in Jerez gezählt. Schließlich kommen sie zuerst. Es ist ein sehr wichtiger Test, um mich für meinen ersten Grand Prix vorzubereiten. Aber natürlich freue ich mich auf mein Debüt."

Frage: "Ist es schon eingesunken, dass du ein vollwertiger Grand-Prix-Pilot bist?"
Vergne: "Als ich den Telefonanruf bekommen habe, waren die ersten beiden Tage unglaublich. Aber dann arbeitet man normal weiter und man vergisst ein wenig alles, was es rund um die Formel 1 gibt. Man konzentriert sich auf sich selbst und seine Arbeit. Unter dem Strich zählen nur harte Arbeit und das Resultat am Ende eines Wochenendes. Wenn man sich genau darauf konzentriert, dann vergisst man alles andere."

Frage: "Wie findest du den neuen Toro Rosso STR7?"
Vergne: "Er sieht schön aus. Für mich ist ein schönes Auto ein schnelles Auto. Warten wir einmal bis Melbourne ab, wie schön das Auto ist."


Fotos: Präsentation des Toro-Rosso-Ferrari STR7


Frage: "Wie gewöhnst du dich an das neue Auto? Du hast dich in deiner Karriere schon oft an neue Autos gewöhnen müssen. Wie lange brauchst du, um dir alle Knöpfe zu merken und bis du damit verwachsen bist?"
Vergne: "Ich habe viel Zeit im Red-Bull-Simulator verbracht, drei Jahre. Die Knöpfe sind alle gleich. Ich bin also daran gewöhnt. Das gleiche gilt auch für Rennautos. Ich weiß, wie alle diese Dinge funktionieren. Es wird mein erstes Formel-1-Rennen sein, aber ich bin schon viel mit diesen Autos gefahren. Es gelten neue Regeln in diesem Jahr. Durch das Verbot der auspuff-angeströmten Diffusoren wird es weniger Abtrieb geben. Ich komme aber von Klassen, in denen es generell weniger Anpressdruck gibt. Wir werden sehen wie es läuft, aber es sollte kein großes Problem sein, sich darauf einzustellen."

Frage: "Du bist bereits an einigen Freitagen und bei den Young-Driver-Tests ein Formel-1-Auto gefahren. Wie kannst du jemandem, der noch nie ein Formel-1-Auto gefahren ist, in wenigen Worten beschreiben, wie sich das anfühlt?"
Vergne: "Ich kann mich an meinen ersten Formel-1-Test erinnern. Das war für Toro Rosso in Abu Dhabi 2010. Es war ein unglaublicher Tag, der erste. Wenn man am ersten Tag aus der Box fährt und zum ersten Mal aufs Gas tritt, dann denkst du dir 'Wow, das ist verdammt schnell.' Man gewöhnt sich aber an den Speed, den Grip und den Anpressdruck. Dann fährt man mit Vollgas durch eine Kurve und denkt sich 'Woah', es gibt soviel Grip."

"Man würde das auf keinen Fall vom Auto erwarten. Am beeindruckendsten sind aber die Bremsen. Bei einem Formel-1-Auto geht es um Abtrieb, Bremsen, Speed, Grip. Alles ist besser als bei einem normalen Auto und fühlt sich beeindruckend an."

Frage: "Und Druck? Wie kannst du mit dem Druck, der von allen Seiten kommt, umgehen?"
Vergne:: "Ich habe nicht sehr viel Druck. Die Formel 1 ist natürlich ein großes Ziel, aber es ist nicht das Ziel meiner Karriere. Das ist erst der erste Schritt. Ich muss jetzt doppelt so hart arbeiten, um in dieser Welt Erfolg zu haben."

Frage: "Was sind dann deine Ziele?"
Vergne: "Mein Ziel ist es, in einigen Jahren Weltmeister zu sein. Ich komme diesem Ziel Schritt für Schritt näher. Zuerst gab es den Formel-1-Test, anschließend Toro Rosso. Ich werde versuchen, den bestmöglichen Job zu machen und will so schnell wie möglich lernen. Ich bin realistisch, denn in der Formel 1 gibt es noch viel zu lernen. Mir ist das bewusst und ich werde daran arbeiten."

Frage: Du hast vor kurzem auch von Podestplätzen gesprochen. Wäre das in deiner Debütsaison nicht schön? Aber wie realistisch ist das?"
Vergne: "Ich weiß es nicht. Zuerst müssen wir abwarten, wie gut das Auto ist. Dann weiß man nie, was alles in einem Rennen passieren kann. Es kann alles passieren. Dieses Auto, das Toro-Rosso-Team hat mit Sebastian Vettel in Monza schon einmal gewonnen. Das zeigt, dass alles möglich ist. Ein Podestplatz wäre sicher gut."

Frage: "Ich weiß, dass dir diese Frage schon gestellt wurde, aber wie hast du von deinem Vertrag erfahren?"
Vergne: "Ich bekam in der Früh einen Anruf, ich glaube, es war der 14. Dezember. Am Nachmittag wurde es offiziell bekanntgegeben. Ich hatte zehn, oder fünfzehn Minuten, um meine Eltern anzurufen. Später hat mein Telefon ständig geläutet. Ich konnte selbst keinen einzigen Anruf tätigen, also habe ich es weggelegt. Ich habe einige Interviews mit dem französischen Fernsehen gemacht und bin dann direkt in die Fabrik nach Milton Keynes gefahren, um im Simulator zu üben. Ich schwebte für einen Moment auf Wolke sieben, bin dann aber auf den Boden der Realität zurückgekehrt und habe im Simulator gemacht."

"Mein Ziel ist es, in einigen Jahren Weltmeister zu sein." Jean-Eric Vergne

Frage: "Toro Rosso ist eine Art Ausbildungsstätte in der Formel 1. Das ist doch die Idee dahinter, oder?"
Vergne: "Ja. Red Bull hat eine Akademie, mit der man in die Formel 1 zu Red-Bull-Racing kommen kann. Ich glaube, ich bin jetzt seit vier Jahren Teil des Red-Bull-Nachwuchsprogrammes und jetzt bin ich bei Toro Rosso in der Formel 1. Es fehlt noch ein weiterer Schritt zu Red-Bull-Racing, dem Weltmeisterteam. Ich glaube, es gibt immer einen Weg an die Spitze der Formel 1 und ich würde sagen, dass ich mich bei Troro Rosso derzeit in der Hälfte befinde. Aber ich bin sehr, sehr glücklich, dass ich hier sein darf. Ich habe eine fantastische Möglichkeit."

Frage: "Das wurdest aufgrund deiner Qualitäten ausgewählt und hast den Vorzug vor zwei erfahrenen Piloten bekommen. Was denkst du über die Qualitäten deiner Vorgänger Sebastien Buemi und Jaime Alguersuari?"
Vergne: "Ich weiß es nicht. Ich glaube, um ein Formel-1-Fahrer zu sein, brauch man einige Qualitäten. Ich habe mich wahrscheinlich in der Vergangenheit in den Nachwuchsklassen bewiesen. Ich habe einige Meistertitel gewonnen, auch einige Rennen und ich glaube, ich habe genug für Red Bull in diesen Meisterschaften gezeigt. Aber auch bei der Arbeit im Simulator und den Testfahrten für Toro Rosso und Red Bull auf der Strecke. Ich glaube, sie hatten ihre Gründe. Ich werde ihnen zeigen, dass sie sich richtig entschieden haben."

Vergne pflegt einen aggressiven Fahrstil

Frage: "Manchmal finden Leute, dass du ein Kämpfer bist und einen aggressiven Stil pflegst. Siehst du dich als Rennfahrer auch so?"
Vergne: "Ja, ganz bestimmt. Ich glaube, ich kann aggressiv sein, bin aber immer auf der sicheren Seite. Ich komme immer ins Ziel und könnte immer jemanden überholen, wenn ich wollte, aber in der Formel 1 könnte das anders sein. Ich habe bestimmt einen recht aggressiven Fahrstil, speziell wenn ich durch das Feld fahre. Wir werden sehen, wie es laufen wird."

Daniel Ricciardo, Jean-Eric Vergne

Jean-Eric Vergne und Daniel Ricciardo enthüllten den neuen Toro Rosso STR7 Zoom

Frage: "Denkst du dir manchmal, dass du jetzt gegen einige deiner Idole fahren wirst, gegen Leute, zu denen du in den vergangenen Jahren aufgeblickt hast?"
Vergne: "Ich habe ein wenig darüber nachgedacht. Es ist etwas verrückt, dass ich gegen Alonso oder Schumacher fahren werde. Ich habe ihnen zugesehen als ich noch ein Kind war, gemeinsam mit meinen Eltern daheim. Ich glaube, es hat mit ihnen angefangen, weshalb es sich unglaublich anfühlt. Ich glaube aber, dass man das vergisst, wenn man in der Startaufstellung steht. Dann wird jeder ein normaler Fahrer sein, den man schlagen will."

Frage: "Du bist weltweit recht berühmt. Wie viele Freiräume kannst du für dich und dein Privatleben schaffen? In der modernen Welt weiß jeder alles über Formel-1-Fahrer. Bereitet dir das Sorgen?"
Vergne: "Eigentlich nicht. Ich glaube, man muss immer vorsichtig mit seinen Aussagen sein, und was man tut. Das gehört zum Job dazu."

Vergne denkt noch nicht an 2013

Frage: "Du fährst zusammen mit Daniel Ricciardo bei Toro Rosso. Theoretisch könnte einer von euch in Zukunft für Red Bull fahren, man weiß nie. Sag mir einen Grund, warum du das sein wirst."
Vergne: "Man muss sagen, dass das nur eine Theorie ist. Ehrlich gesagt denke ich jetzt nicht an 2013. In diesem Jahr bin ich bei Toro Rosso und ich möchte den bestmöglichen Job machen und so viele Punkte wie möglich holen. Unter dem Strich muss der Fahrer den Unterschied ausmachen und das Auto ins Ziel bringen. In einem großen Team gibt es immer einen gewissen Druck. Dann sehen wir weiter, was die Zukunft bringt.

"Es ist etwas verrückt, dass ich gegen Alonso oder Schumacher fahren werde." Jean-Eric Vergne

Frage: "In diesem Jahr werden drei Franzosen in der Startaufstellung stehen. Das war zum letzten Mal vor über zehn Jahren der Fall. Was ist mit den Franzosen plötzlich los?"
Vergne: "Ich schätze, Frankreich hat derzeit eine Fahrergeneration, die sehr talentiert ist. Ich denke an Romain Grosjean, Charles Pic und auch an Jules Bianchi, der noch kein Stammcockpit hat, aber jetzt Ersatzfahrer bei Force India ist. Ich bin sicher, dass er bald zu uns stoßen wird. Ich glaube der französische Verband hat eine gute Fahrerakademie, ähnlich wie Red Bull. Sie haben mich bis in die Formel 1 unterstützt."

"Sie haben mich aus dem Kart in den Monoposto-Sport geholt und ich schätze, das Rad dreht sich recht gut. Es ist auch neu, denn sonst macht das kein Verband. Ich glaube, das ist erst der Start und wird sich in dieser Weise fortsetzen."

Frage: "Viele Kids werden zu dir sagen, dass sie eines Tages so sein wollen wie du. Beschreibe in deinen eigenen Worten, was man haben muss, um es in die Formel 1 zu schaffen?"
Vergne: "'Man muss sich stark engagieren. Der Rennsport muss deine Leidenschaft sein, sonst gibt es keinen Platz für dich. Man muss viel arbeiten und viele Entbehrungen auf sich nehmen. Das tut man aber nur für etwas, das man liebt, denn dann sind dir Entbehrungen egal. Harte Arbeit, etwas Talent und viel Freude."

Frage: "Wie wichtig ist die Fitness und was tust du dafür?"
Vergne: "Ich mache derzeit sehr viel. Es ist sehr wichtig, das Auto zu fühlen. Es geht nicht nur um eine schnelle Runde, sondern um einen kompletten Grand Prix. Jeder kann für fünf oder zehn Runden fit sein, aber es geht darum, wie lang man in einem Auto fit ist. Wenn man schwächer wird, dann lässt die Konzentration nach, man verliert pro Runde einige Zehntelsekunden und es wird immer schlimmer und schlimmer. Vielleicht kommt man gar nicht ins Ziel oder fährt in eine Mauer. Am Ende des Rennens kann man einen Unterschied gegenüber anderen Fahrern machen. Das ist sehr wichtig."

Frage: "Wie sieht dein Testplan aus?"
Vergne: "Ich werde das neue Auto entdecken, und wir wollen es zuverlässig machen. Bei den drei Tests in Jerez und Barcelona wollen wir das Optimum herausholen, damit wir das bestmögliche Auto bei den Rennen in Melbourne und Sepang haben."