Trulli: "Wir setzen unser Leben aufs Spiel"
Jarno Trulli philosophiert im Interview über sein erstes Podium auf dem Nürburgring, die Bedeutung des Fahrers in der Formel 1 und vieles mehr
(Motorsport-Total.com) - Es ist genau zehn Jahre her, dass Johnny Herbert 1999 das verrückte Regenrennen auf dem Nürburgring gewonnen hat. Zweiter wurde damals Prost-Pilot Jarno Trulli, heute bei Toyota unter Vertrag. Im Interview erinnert sich der 34-Jährige an jenen Grand Prix zurück und er spricht über viele andere interessante Themen.

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Vor zehn Jahren das erste Mal auf dem Formel-1-Podium: Jarno Trulli
Frage: "Jarno, vor zehn Jahren bist du auf dieser Strecke in einem chaotischen Regenrennen das erste Mal auf das Podium gefahren. Erinnerst du dich noch daran?"
Jarno Trulli: "Ja, sehr gut sogar. Es war ein verrücktes Rennen, denn gestartet sind wir auf Trockenreifen, aber dann begann es zu regnen. Ich war einer der wenigen Fahrer, die nicht an die Box kamen, um auf Regenreifen zu wechseln, sondern ich blieb auf einer feuchten Strecke mit Trockenreifen draußen. Das war der Schlüssel. Ich war ja nur Zehnter der Startaufstellung, aber die Fahrer vor mir kamen reihenweise an die Box. Dadurch wurde ich Zweiter. Es war ein sehr schwieriges Rennen, aber ein sehr gutes für mich."#w1#
Nicht wichtiger als Monte Carlo 2004
Frage: "War dieses erste Podium für dich wichtiger als der erste Sieg?"
Trulli: "Nein. Es war ein gutes Ergebnis, mein erstes Podium. Natürlich habe ich mich darüber gefreut."
Frage: "Wir haben viele polnische Leser. Wie kommst du mit Robert Kubica aus?"
Trulli: "Sehr gut. Ich kenne ihn schon vom Kartfahren. Er ist ein netter Kerl, sehr talentiert."
Frage: "Wann hast du seinen Namen zum ersten Mal gehört?"
Trulli: "Als ich selbst noch Kart gefahren bin. Damals war er noch sehr jung, aber er war schon größer als die anderen Fahrer in seinem Alter! Er war sehr schnell."
Frage: "1994 hast du in Polen den Kart-WM-Titel gewonnen."
Trulli: "Ich erinnere mich noch ein wenig daran. Die Strecke war der Hammer! Vor allem hatten alle Fahrer Nackenprobleme, denn die letzte Kurve ging voll im sechsten Gang - 130, 140 km/h, würde ich schätzen. Das sind schöne Erinnerungen. Ich weiß auch noch, dass wir damals ein polnisches Mädchen hatten, das für uns übersetzt und uns geholfen hat. Ich wünschte, ich würde sie wieder einmal treffen, denn sie war eine sehr freundliche Person. Die ganze Atmosphäre damals war sehr angenehm."
Frage: "Du bist der erfolgreichste Kartfahrer in der Formel 1."
Trulli: "Das stimmt. Ich habe alles erreicht: Staatsmeister, Europameister, Weltmeister. Ich habe in den USA gewonnen und in Japan - einfach alles!"
Frage: "Fühlst du dich deswegen besser als andere Formel-1-Fahrer?"
Trulli: "Nein. Ich bin glücklich, dass ich das alles erreicht habe, aber andere Fahrer haben dafür in der Formel 1 mehr erreicht. Manchmal hängt das alles auch von den Umständen ab."
Frage: "Im Vorjahr haben alle gesagt, dass Hamilton, Massa und Alonso die besten Fahrer sind. Jetzt reden alle von Vettel und Button. Wie siehst du diese Diskussion?"
Trulli: "Es gibt halt immer die Tendenz, zu vergessen, was die Fahrer schon erreicht haben. Vor allem wird vergessen, was für ein Auto jemand hat. Es ist nicht einfach, in der Formel 1 erfolgreich zu sein, aber es ist mit einem guten Auto wesentlich einfacher."
Der Einfluss des Fahrers
Frage: "Wie wichtig ist der Fahrer in der Formel 1 heutzutage?"
Trulli: "Frag doch Hamilton!"
Frage: "Mit den alten Autos hatte der Fahrer noch mehr Einfluss, oder?"
Trulli: "Das ist schwierig zu beantworten, denn ich war damals ja nicht in der Formel 1. Ich glaube aber generell, dass die mechanische Seite im Motorsport letztendlich immer am wichtigsten ist."
Frage: "War das noch anders als heute, als du in die Formel 1 gekommen bist?"
Trulli: "Nicht wirklich. Du brauchst immer ein gutes Team, ein gutes Auto, um erfolgreich zu sein. Damals war es anders, weil wir vielleicht mehr Elektronik hatten, aber das Verhältnis zwischen Bedeutung des Fahrers und des Autos war nicht anders als heute."
Frage: "Seit du in der Formel 1 bist, hast du viele Regeländerungen miterlebt. Wie wirken sich die auf dich aus?"
Trulli: "Die Welt befindet sich im stetigen Wandel. Wir verändern uns laufend. In der Formel 1 geht es eben um Entwicklung. Ich will nicht zu denen gehören, die ständig jammern, dass früher alles besser war. Manche Dinge sind heute besser, manche waren früher besser. Nicht alles, was neu ist, muss automatisch schlecht sein. Wir müssen uns weiterentwickeln, um am Nabel der Zeit zu bleiben."
Frage: "Welche Regeländerungen empfindest du als positiv?"
Trulli: "Zum Beispiel die Wiedereinführung der Slicks. Weniger Elektronik. Vielleicht sollten wir darüber nachdenken, wie der Einfluss des Fahrers beim Überholen wieder größer werden kann. Ich weiß nicht, was da die richtige Lösung wäre, aber wir müssen eine bessere Show für die Fans und für die Fahrer schaffen. Wir Fahrer haben Spaß in der Formel 1, aber Rad-an-Rad-Kämpfe würden noch mehr Spaß machen. Das lieben wir!"
Frage: "Vor 20 Jahren war es nicht ungewöhnlich, wenn Ayrton Senna in Monte Carlo um zwei Sekunden schneller war als alle anderen. Heute liegen 20 Fahrer teilweise innerhalb einer Sekunde. Ist das Niveau in der Formel 1 so hoch wie noch nie?"
Trulli: "Auf jeden Fall. Die Fahrer sind besser, das technische Niveau ist besser. Zum Beispiel in der Leichtathletik, um ein Beispiel zu nennen: Die Weltrekorde werden fast jedes Jahr gebrochen, weil wir immer besser werden, besser trainieren, besseres Material haben."
Frage: "Glaubst du, dass du an dir nach all den Jahren noch etwas verbessern kannst?"
Trulli: "Es gibt immer Spielraum für Verbesserungen."
Die jungen Wilden der Formel 1
Frage: "Es gibt viele junge Fahrer in der Formel 1. Sind die anders als du damals, als du in die Formel 1 gekommen bist?"
Trulli: "Sie sind besser vorbereitet. Ich selbst kam zum Beispiel aus dem Kartsport in die Formel 3 und dann gleich in die Formel 1 - und das innerhalb von zwei Jahren! Ich hatte nicht viel Gelegenheit, etwas zu lernen. Ich musste sehr schnell lernen."
Frage: "Wie war es, als junger Kerl plötzlich gegen Michael Schumacher zu fahren?"
Trulli: "Die Namen sind mir egal. Mir ging es nur darum, schneller zu werden und meinen Teamkollegen zu schlagen. Das ist ja leider der einzige Referenzpunkt, an dem man sich messen kann."
Frage: "Du hattest in deiner Karriere schon viele Teamkollegen. Irgendwelche besonderen Erinnerungen?"
Trulli: "Ich kam mit allen gut aus. Ich hatte meiner Meinung nach immer sehr starke Teamkollegen: Frentzen, Panis, Ralf Schumacher, Alonso, jetzt Timo. Die waren immer sehr schnell und wenn man sich ihre Ergebnisse anschaut, dann wird das auch bestätigt."
Frage: "In Montréal 2007 hatte Robert Kubica nach einer Kollision mit dir einen schweren Unfall. Du warst einer derjenigen, die am meisten betroffen schienen..."
Trulli: "Zu dem Zeitpunkt ja, das stimmt. Ich war ja selbst in den Unfall involviert - und auf einmal sah ich ihn über mich hinwegfliegen! Ich sah nur, dass es ein schwerer Unfall war, aber ich wusste nicht, was los war. Zum Glück ist nichts passiert. Ich hatte das das ganze Rennen im Hinterkopf. Das war mir davor noch nie passiert."
Frage: "Wer den Unfall gesehen hat, hält es heute noch für ein Wunder, dass er sich dabei nicht schwerer verletzt hat, nicht wahr?"
Trulli: "Manchmal geschehen Wunder! Ich war sehr erleichtert. Ich habe Robert nach dem Rennen im Krankenhaus besucht. Es war ein Riesenschock. Zum Glück ging es ihm gut. Das war das Wichtigste."
Frage: "Bergen solche Unfälle nicht die Gefahr, dass die Leute einfach davon ausgehen, dass in der Formel 1 nichts mehr passieren kann, weil sie so sicher geworden ist?"
Trulli: "Die Leute sehen sich die Formel 1 aus verschiedenen Gründen an. Manche sind leidenschaftliche Motorsportfans, andere wollen Action sehen. Unfälle sind auch Action. Aber die Leute verstehen nicht, dass wir dabei unser Leben aufs Spiel setzen. Das versteht nicht jeder. Die Leute meinen, wir haben ein tolles Leben, müssen ein bisschen Rennfahren, uns nicht anstrengen. Aber das Risiko sehen sie nicht."

