• 29.11.2005 09:28

Renaults drittes Schlüsselrennen: Der Türkei-Grand-Prix

Der Ärger über die bittere Niederlage von Budapest, wo Renault keinen WM-Punkt einfahren konnte, provozierte eine wichtige Trotzreaktion

(Motorsport-Total.com) - Die Ausgangslage für das Renault-Team vor dem Istanbul-Grand-Prix wies eine besondere Spannung auf - auch wenn ein Blick in die Meisterschaftstabelle dies vor Beginn des 14. Saisonlaufs so gar nicht vermuten ließ. Mit 177 Punkten führte das französische Werksteam in der Konstrukteurs-Wertung vor McLaren, Fernando Alonsos Vorsprung auf seinen einzig verbliebenen Titelkonkurrenten betrug 26 Zähler.

Titel-Bild zur News: Fernando Alonso

Für Istanbul musste sich Renault eine besondere Strategie einfallen lassen

Dies hörte sich nach beruhigenden Abständen an. Doch kurz zuvor, beim Großen Preis von Ungarn auf dem Hungaroring, hatte die Werksabordnung des "Créateur d'Automobiles" noch eine schwere Schlappe einstecken müssen. Nicht nur das Qualifying war auf dem Puszta-Kurs ordentlich daneben gegangen, auch im Rennen hatten Alonso und sein Teamkollege Giancarlo Fisichella nicht viel zu melden.#w1#

Traurige Bilanz des Ausflugs nach Budapest: null Punkte. Bei Renault schrillten die Warnsirenen laut auf. Von nun an, so viel stand fest, würde es im Kampf um die WM-Titel auf jeden einzelnen WM-Zähler ankommen.

Der Rennstall hatte die Botschaft klar verstanden: Um den leichten, aber schwerwiegenden Performance-Rückstand auf McLaren zu egalisieren, musste Renault auf ebenso intelligente wie mutige Strategien zurückgreifen. Der Grand Prix auf der bezaubernden neuen Rennstrecke vor den Toren Istanbuls sollte dies geradezu exemplarisch unter Beweis stellen.

Aus einer schwierigen Situation gelang es den cleveren Taktikern rund um Chefingenieur Pat Symonds, das Beste herauszuholen und mehr WM-Punkte an Land zu ziehen, als dies normalerweise möglich gewesen wäre. Dazu schlugen sie einen unkonventionellen Weg ein - der bis aufs Siegerpodest führen sollte.

Das brandneue, vom Aachener Architekten und Hobby-Rennfahrer Hermann Tilke entworfene 'Otodrom' erwies sich prompt als Meisterleistung: Teams wie Fahrer schlossen den überaus anspruchsvollen Parcours bereits ins Herz, noch bevor sie die erste Runde gedreht hatten.

Damit kam den vier freien Testsessions eine noch größere Bedeutung zu als ohnehin: Jeder versuchte, sich mit den Eigenheiten des neuen Grand-Prix-Kurses möglichst schnell vertraut zu machen. Alonso und Fisichella fühlten sich auf der Berg- und Talbahn von Beginn an wohl.

Beide spulten in der ersten Session gut zehn Runden ab, dabei legten sie die siebt- und zehntschnellste Zeit vor. Als die Ampel am Ende der Boxengasse zum zweiten Mal auf Grün sprang, absolvierten sie 25 beziehungsweise 29 Umläufe. Danach rangierte Fernando weiterhin auf dem siebten Platz der Zeitenliste, Giancarlo hatte sich auf Rang acht verbessert.

Grund zur Sorge? Jein - wie immer an einem Grand-Prix-Freitag hatte das Renault-Team auf Bestzeiten keinen gesteigerten Wert gelegt, sondern sein komplexes Arbeitspensum routiniert und diszipliniert abgespult.

Dennoch wirkten die Ingenieure der Werks-Equipe beunruhigt. "Unser Abstand auf die McLaren betrug ungefähr 0,8 Sekunden pro Runde", blickt Pat Symonds zurück. "Bis zum Qualifying am Samstag hätten wir noch etwas an der Abstimmung unserer R25 verbessern können, doch uns war klar, dass dies allein nicht reichen würde. Also mussten wir für den Rest des Wochenendes einen cleveren Weg finden, unser Manko zu überspielen. Wir spekulierten weniger auf einen Sieg denn auf Podest-Platzierungen."

Am folgenden Morgen erwiesen sich die Streckenbedingungen als suboptimal. Alonso und Fisichella drehten jeweils weniger als zehn Runden - genug für den Spanier, um sich unter die schnellsten Drei zu schieben.

Die neue Strategie seines Teams schien sich bereits auszuzahlen. Nach dem letzten Freien Training dominierte Kimi Räikkönen vor dem BAR-Piloten Jenson Button und Fernando, der mit einem leichten Fahrzeug auf die Strecke gegangen war. Giancarlo folgte auf Rang fünf. Das Ablenkungsmanöver funktionierte perfekt: Keiner der Rivalen konnte sich ein genaues Bild darüber machen, wie konkurrenzfähig die Renault R25 wirklich waren.

Die Absicht, die das französische Werksteam verfolgte, ist plausibel: Nach den bitteren Erfahrungen von Budapest mussten die Mannen von Flavio Briatore unbedingt vermeiden, das Rennen erneut aus dem Mittelfeld in Angriff zu nehmen.

"Die Gefahr, in eine Kollision verwickelt oder von langsameren Teilnehmern aufgehalten zu werden, war einfach zu groß. Also griffen wir zu einer für Renault eher ungewöhnlichen Taktik", so Symonds. "Wir wollten von Beginn des Grand Prix an in der Lage sein, das Tempo der McLaren mitzugehen. Dies sollte uns einen genügend großen Vorsprung einbringen, um auch nach einem frühen Tankstopp nicht allzu viele Positionen einzubüßen und so den Sprung aufs Podium zu schaffen."

Das Qualifying verlief bereits nach Plan: Räikkönen eroberte zwar die Pole Position, doch die beiden besonders leichten Renner von Giancarlo und Fernando belegten die Startplätze gleich dahinter. Juan-Pablo Montoya im zweiten McLaren musste sich mit Rang vier begnügen - für das Renault-Team eine nahezu ideale Ausgangssituation. Doch würde dies genügen, um während des Rennens die gewünschten Ergebnisse zu erringen? Die Grand Prix-Analyse wird es zeigen...