• 22.09.2005 10:45

Nick Heidfeld: Zur falschen Zeit am falschen Ort...

Vom verkorksten Prost-Jahr über den geplatzten Traum vom "Silberpfeil" bis hin zum Vertrag mit BMW - "Quick Nick" im Porträt

(Motorsport-Total.com) - Er galt als Formel-1-Hoffnungsträger, und doch musste Nick Heidfeld fünf Jahre lang kämpfen, bis er in einem Spitzenteam landete. Schuld daran war nicht fehlendes Talent, sondern schlechtes Timing. Unsere Kollegen vom 'emagazine' der 'Credit Suisse' nahmen die Karriere des 28-Jährigen noch einmal genau unter die Lupe.

Titel-Bild zur News: Nick Heidfeld

Seit seinem Jahr im BMW WilliamsF1 Team ist Nick Heidfeld heiß begehrt

Ein Riss des rechten Schulterblattes, eine Verstauchung eines Fingers, dazu mehrere Schürfwunden: Die Verletzungen, die sich Nick Heidfeld am 10. September zugezogen hatte, stammten nicht etwa von einem Crash mit seinem Boliden. Nein, "Quick Nick", wie ihn seine Fans nennen, raste an jenem Samstagnachmittag mit seinem Rennrad in ein Motorrad, als er in der Nähe seines Schweizer Wohnorts Stäfa etwas für seine Fitness tun wollte.#w1#

1998: Bittere Niederlage gegen Montoya in der Formel 3000

Wieder einmal wurde dem 28-Jährigen ein Syndrom zum Verhängnis, dass ihn im Laufe seiner Karriere mehrmals fast aus der Bahn geworfen hätte: Er war zur falschen Zeit am falschen Ort. Das schlechte Timing schlug meistens gerade dann zu, wenn alles im Leben des Deutschen perfekt zu laufen schien. So auch 1998, als Heidfeld ganz groß in der Formel 3000 aufgeigte. Leider fuhr zur gleichen Zeit mit Juan-Pablo Montoya ein anderes Megatalent in der gleichen Serie und schnappte dem Deutschen prompt den Gesamtsieg weg.

Ein Jahr später klappte es dann doch noch, und die Bahn war frei für die Formel 1. Heidfelds Karriere war damals längst in den festen Händen von Mercedes, die den Youngster systematisch zum neuen deutschen Formel-1-Star aufbauen wollten und ihn deshalb zwischen 1997 bis 1999 als Testfahrer für McLaren-Mercedes einsetzten. Im Jahr 2000 parkten die Stuttgarter dann ihr schnelles Pferd im Prost-Peugeot-Team. Doch was als fulminanter Start in die höchste Rennkategorie hätte beginnen sollen, wurde zu einem Leidensjahr, an dessen Ende kein einziger Zähler auf Heidfelds Konto zu Buche schlug, dafür umso mehr Pleiten und Pannen.

Das Team von Ex-Weltmeister Alain Prost war damals schon in Auflösung begriffen. Motorenpartner Peugeot befand sich auf dem Absprung, genauso wie wichtige Geldgeber, und es herrschte das nackte Chaos. Einziger Lichtblick für Heidfeld war damals sein Teamkollege: Jean Alesi. Für einen Rookie gibt es nichts besseres, als sich mit einem erprobten Crack messen zu können - gesetzt den Fall, dass er mit diesem Crack einigermaßen mithalten kann. Und Heidfeld konnte es: Sieben zu neun stand am Saisonende das Qualifyingduell aus seiner Sicht.

Sensationeller Sauber-Auftakt mit Platz drei in Brasilien

Dieser erfolgreiche Einstand entging auch Peter Sauber nicht, der ihn prompt für die folgende Saison unter seine Fittiche nahm. Es sollte ein Volltreffer für beide Seiten werden: Gleich im ersten Rennen für die Hinwiler fuhr Heidfeld auf den hervorragenden vierten Platz. Nur zwei Rennen später, in Brasilien, stand er zum ersten Mal in seiner Formel-1-Karriere auf dem Podest: In einem chaotischen Regenrennen wurde Heidfeld hinter David Coulthard und Michael Schumacher Dritter.

Der Absprung in eines der Topteams schien nur eine Frage der Zeit, schließlich hatte Heidfeld immer noch einen Vertrag mit Mercedes. Doch einmal mehr wurde der Mann aus Mönchengladbach das Opfer des schlechten Timings. Statt über die Heldentaten des jungen Nick sprach die Fachwelt nur über dessen Teamkollegen Kimi Räikkönen. Zwar hatte Heidfeld im teaminternen Duell öfter die Nase vorne, doch war Räikkönen nahe dran am Deutschen, was insofern erstaunte, als der Finne erst zu Saisonbeginn aus den Niederungen der Formel Renault in die Formel 1 katapultiert worden war.

Und so kam es, dass nicht Heidfeld, sondern Räikkönen das Rennen machte, als bei McLaren-Mercedes das Cockpit von Mika Häkkinen frei wurde. Was den Deutschen besonders schmerzte: Als Mercedes-Zögling hätte ihn das deutsch-britische Team ablösefrei haben können, während man Peter Sauber für die Verpflichtung von Räikkönen satte 20 Millionen Dollar hinblättern musste.

Nach Räikkönen ließ Heidfeld auch Massa stehen

Heidfeld blieb also bei den Schweizern - wohl wissend, dass es angesichts der finanziellen Kräfteverhältnisse bereits eine Sensation wäre, in der neuen Saison den vierten Gesamtrang zu wiederholen. Das Wunder fand nicht statt, Sauber-Petronas rutschte in der Saison 2002 auf den immer noch respektablen fünften Rang zurück, und Heidfeld gelang es erneut, das teaminterne Duell gegen einen Formel-1-Neuling zu entscheiden, diesmal in der Person des Brasilianers Felipe Massa. Doch eben: Einen Rookie zu schlagen, ist nichts, womit sich ein talentierter Pilot profilieren könnte.

Insofern konnte es Heidfeld nur begrüßen, dass ihm im dritten Jahr bei Sauber mit Heinz-Harald Frentzen ein erfahrener Pilot zur Seite stand. Doch was viele erwartet hatten, traf nicht ein: Nicht der um zehn Jahre jüngere Heidfeld lag am Ende mit 13 zu sechs Punkten vorne, sondern der Oldie, der nochmals seine Klasse aufblitzen ließ, bevor er endgültig in den Formel-1-Ruhestand trat.

So eindeutig, wie es die Punkte erahnen ließen, war die Sache jedoch nicht. Heidfeld klebte das Pech die ganze Saison hindurch praktisch an den Reifen - und als im drittletzten Grand Prix der Saison, in Indianapolis, endlich alles zusammenpasste für die Hinwiler und man auf einen Schlag zehn Punkte holte, war einmal mehr schlechtes Timing im Spiel: Wäre Heidfeld - und nicht Frentzen - eine Runde früher an die Box beordert worden, hätte er am Schluss als Dritter vom Treppchen gegrüßt. So kam diese Ehre dem Teamkollegen zuteil. Vom fünftplatzierten Heidfeld dagegen sprach niemand.

Doch auch wenn er das Rennen gewonnen hätte: Sein Cockpit bei Sauber hätte er gleichwohl verloren, denn zu diesem Zeitpunkt stand bereits fest, dass Sauber mit dem Duo Giancarlo Fisichella und Felipe Massa einen Neuanfang probieren wollte.

Karriere schien schon beendet zu sein - Rettungsanker Jordan

Auf Heidfeld kamen harte Zeiten zu: Die Möglichkeit lag in der Luft, dass eine hoffnungsvolle Formel-1-Karriere nach nur vier Jahren zu Ende gehen würde. Dann klopfte Eddie Jordan an und bot Heidfeld eine weitere Chance, sein Talent im Scheinwerferlicht zu präsentieren. "Besser als ganz draußen zu sein", sagte sich Heidfeld - und griff zu, obwohl die gelben Boliden finanziell und sportlich ums Überleben kämpften.

In diesen harten Zeiten lernte man einen neuen Nick Heidfeld kennen: einen Rennfahrer, der nicht aufsteckte, sondern sich durchbiss, meist im hinteren Teil des Feldes um jede Position kämpfte, wohl wissend, dass die Punkteränge gewöhnlich außer Reichweite waren. Dass am Ende der Saison trotzdem drei Punkte auf seinem Konto lagen, grenzte schon fast an ein Wunder. Weniger verwunderlich war dagegen, dass Heidfeld mit seinen beiden Teamkollegen Giorgio Pantano und Timo Glock kurzen Prozess machte.

Die Zähigkeit sollte sich am Ende auszahlen: Ausgerechnet jetzt, wo Heidfeld am toten Punkt seiner Karriere angelangt schien, wurde das Transferkarussell für ihn zum Glücksrad. Praktisch in letzter Minute - um genau zu sein eine halbe Stunde vor der Teampräsentation - gab ihm Frank Williams den lange herbeigesehnten Zuschlag, in der Saison 2005 für das BMW WilliamsF1 Team zu fahren. Endlich schien das Timing des Deutschen zu stimmen, auch wenn es lange nicht danach aussah. Denn Heidfeld war weder erste Wahl für die Leute in Grove, noch zweite. Doch als die Wunschkandidaten nacheinander außer Traktanden fielen - erst Jenson Button, dann Anthony Davidson -, schlug Heidfelds Stunde.

Knapper Sieg im Shootout gegen Pizzonia

Zuvor musste er aber noch seinen letzten übrig gebliebenen Rivalen, Testfahrer Antonio Pizzonia, ausstechen. Über sechs Wochen und 2.000 Testkilometer zog sich das so genannte Shootout hin, bei dem am Schluss Heidfeld knapp die Nase vorne hatte. Mehr noch als sein Speed hatte den Teamverantwortlichen sein technisches Verständnis beeindruckt: "Die Wahl fiel schließlich auf Nick, weil er mehr Erfahrung hat und weil er die abgeklärteren Entscheidungen trifft", ließ später Patrick Head verlauten.

Der Überraschungscoup am Transfermarkt schlug sich auch in den Medien nieder: Plötzlich wurde der Mann, der jahrelang im Schatten der Schumacher-Brüder stand, sogar in seiner Heimat zum neuen Hoffnungsträger. Und Experten, die noch vor kurzem dem unscheinbar wirkenden Blonden mit dem jungenhaften Gesicht jeglichen Killerinstinkt absprachen, sahen in ihm plötzlich einen Geheimfavoriten für die Weltmeisterschaft. Noch im Juli 2004 sagte der Ex-Formel-1-Pilot Hans-Joachim Stuck in einem Interview: "Nick ist schon sehr lange im Geschäft, hat es aber bisher versäumt, ein Highlight zu setzen. Irgendetwas fehlt mir bei ihm."

Spektakulärer Sinneswandel bei einigen Formel-1-Experten

Der BMW WilliamsF1 Team Vertrag führte dann offenbar beim gleichen Stuck zu einem spektakulären Sinneswandel, der ihn zu wahren Lobeshymnen auf den ehemals geschmähten veranlasste: "Heidfeld ist ein Arbeitstier. Der verlässt - ganz ähnlich wie 'Schumi' - die Garage erst, wenn auch die letzte Schraube auf die richtige Position gedreht ist, und nicht - wie andere Formel-1-Kollegen -, wenn das Essen auf dem Tisch steht", schrieb Stuck kurz nach Bekanntgabe des Deals in der 'Bild'-Zeitung. Den Artikel krönte er mit der Prognose: "Ich traue Heidfeld zu, dass er die Kiste knackt, dass er sogar zum großen Gewinner 2005 wird."

Nick Heidfeld

Mit Platz zwei in Monaco ließ "Quick Nick" auch die letzten Kritiker verstummen... Zoom

Die Stucks und Konsorten hatten jedoch einen Faktor nicht einkalkuliert: das schlechte Timing. Just als Heidfeld endlich nach den Sternen griff, fiel das BMW WilliamsF1 Team in die größte Krise seit dem Einstieg von BMW als Motorenlieferant, die schließlich den Ausschlag gab für die Trennung der beiden Partner. Dennoch war das Material konkurrenzfähig genug, damit Heidfeld sein Talent aufblitzen lassen konnte: Eine Pole Position und zwei zweite Plätze lieferten den letzten Zweiflern den Beweis, dass "Quick Nick" auch an der Spitze des Feldes seinen kühlen Kopf bewahren konnte. Dass er nebenbei locker mit seinem Teamkollegen mithielt - dem vermeintlichen Supertalent Mark Webber -, machte ihn zu einem begehrten Kandidaten auf dem Transfermarkt.

Heidfeld auf dem Transfermarkt von vielen heiß begehrt

Wo vorher noch verschlossene Türen waren, multiplizieren sich nun die Optionen: Verbleib bei WilliamsF1? Wechsel zu BAR-Honda? Oder zu Red-Bull-Ferrari? Während der traditionellen Gerüchtezeit wurde Heidfeld von der Presse in die unterschiedlichsten Cockpits geschrieben. Schließlich obsiegte die Variante, die von den meisten favorisiert wurde: BMW. Denn dort hat derselbe Mann das Sagen, der schon bei Heidfelds Wechsel zum BMW WilliamsF1 Team ein gewichtiges Wörtchen mitreden konnte: BMW Motorsport Direktor Mario Theissen, Architekt des neuen Rennstalls und erklärter Bewunderer von Heidfeld.

Nach drei Jahren bei Sauber-Petronas und zwei Jahren im Wechselbad der Gefühle feiert Heidfeld damit ein glorreiches Comeback in einem Rennstall, der ganz anders sein wird, als er ihn verlassen hatte, dessen Autos aber immer noch in Hinwil aus der Fabrik rollen werden - nur eine halbe Autostunde von seinem Wohnort Stäfa entfernt. Nun hoffen seine Fans, dass sich sein Timing für einmal als goldrichtig herausstellt - und dass er seinen Arbeitsweg lieber mit dem Auto als mit dem Fahrrad unter die Räder nimmt...