Mercedes wieder vor Ferrari: Woher plötzlich das Formhoch?

Das Update sticht: Mehr Grip in langsamen Kurven und beim Hinterherfahren, dazu kommen die Reifen auf Temperatur - Aber reicht es dauerhaft gegen Ferrari?

(Motorsport-Total.com) - Wer es mit den Silberpfeilen hält, könnte nach dem Spanien-Grand-Prix am Sonntag ein erfreutes Fazit ziehen: Mercedes ist endlich in der Lage, Ferrari in der Formel-1-Saison 2017 auf der Strecke niederzuringen und schneller als der ärgste WM-Rivale zu fahren. Doch das wäre die halbe Wahrheit. Ein überraschend großes Update-Paket für den W08 hat die Truppe stark verbessert, aber: "Die Zeiten, in denen wir in den Sonnenuntergang davongebraust sind, sind vorbei", warnt Toto Wolff.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton

Lewis Hamilton war der Konkurrenz wieder ein Stück voraus: Hat das Bestand? Zoom

Dem Mercedes-Sportchef ist nicht entgangen, dass Ferrari - nach jahrelangem Rätseln - einen Qualifying-Boost für den Antrieb entwickelt zu haben scheint, der auf einer schnellen Runde für mehr Leistung sorgt. Wie ließe sich sonst erklären, dass die Roten in Barcelona in der Lage waren, im Vergleich zum Freien Training über eine Sekunde zuzulegen? "Sie müssen einen geheimen Antriebsmodus haben", ist Wolff sicher. Er hatte am Samstag den Faktor Hamilton entgegenzusetzen.

Das machte sich im letzten Sektor bezahlt, wo Sebastian Vettel patzte und der Brite die Pole-Position absicherte. Doch es lag nicht nur am Missgeschick des Konkurrenten, dass Silber in einem Abschnitt mit langsamen 90-Grad-Kurven um über 0,4 Sekunden die Oberhand behielt. Valtteri Bottas, der nicht sauber durch die Passage kam, war ebenfalls schneller als der Deutsche und Kimi Räikkönen. "Wir haben im letzten Sektor aufgetrumpft, wo es um niedrige Geschwindigkeiten geht", hält der Finne fest und nennt ein Indiz dafür, dass Mercedes eine Schwäche in den Griff bekommen hat.

Mercedes beim Qualifying-Topspeed nicht mehr spitze

Die Frage ist: Geht es auf Kosten alter Stärken? Vielleicht. Beim Topspeed war Hamilton im Qualifying 3,8 km/h langsamer als Vettel, der am Ende der Geraden so schnell gemessen wurde wie kein anderer Pilot. Auch das spricht für einen Boost bei Rot. Klarer ist, dass sich Ferrari in mittelschnellen und schnellen Passagen seine Vorteile bewahrt hat. In den Sektoren 1 und 2 nahm Vettel Hamilton je eine Zehntelsekunde ab. Möglich ist, dass die Reifen die entscheidende Rolle spielten.

Denn im Rennen kristallisierte sich heraus, dass Mercedes wieder besser über die Distanz kommt - allen voran mit dem Soft-Pneu. Hamilton war konstant zu Rundenzeiten im mittleren 1:25er- bis in den niedrigen 1:26er-Bereich in der Lage, während Vettel gegen Ende seiner (auch noch kürzeren) Stints höhere Werte zu verzeichnen hatte. "Wir verstehen die Reifen immer besser", bestätigt Wolff. "Wir wussten, dass wir auf Soft einen Vorteil haben. Sie überraschen uns nicht nur negativ."


Fotostrecke: Formel-1-Technik: Mercedes-Update im Detail

Mit den Soft-Reifen auch über die Distanz gesehen schnell

Denn es galt auch für den Medium, mit dem der Brite die Lücke zu Vettel gegen Rennmitte nicht aufreißen ließ. Die Probleme aus Sotschi, als das richtige Temperaturfenster auch nach mehreren Aufwärmrunden nicht erreicht wurde, waren wie weggeblasen. Mit den härteren Gummis war Hamilton ebenfalls überwiegend im mittleren 1:25er- bis in den niedrigen 1:26er-Bereich unterwegs.

Dass Vettel die Werte in seinem Schlussstint unterbot, hatte wohl mit Leistungsfreigabe und einem leeren Tank zu tun. Toto Wolff bilanziert erfreut: "Vorher hatten wir im Renntrimm nicht das Tempo, um mit Sebastian mitzuhalten." Jetzt schon. Weiterer Pluspunkt: Der Reifenverschleiß beim Hinterherfahren hinter einem anderen Auto scheint nicht mehr so heftig in die Höhe zu schnellen wie zu Saisonbeginn. Und auch das Handling leidet weniger unter den Luftturbulenzen.

Toto Wolff

Hat zumindest weniger Gründe zu grübeln: Mercedes-Sportchef Toto Wolff Zoom

Hamilton sagt: "Sogar, als ich nur noch zwei Sekunden dahinter war, fühlte es sich nicht an, als sei das Auto massiv beeinflusst worden. Ich war überrascht", bestätigt er mit Blick auf die Vorbereitung seines siegbringenden Überholmanövers, ohne einen Grund für die Verbesserung ausmachen zu können: "Es war merkwürdig, weil es Kurven gab, in denen er schnell war, ich aber noch schneller."

Wolff war überrascht, dass die Silberpfeile mithalten konnten

Klar ist, dass das Mercedes-Update die Achillesferse beheben sollte. Eine ausgefeiltere Aerodynamik im Bereich der Vorderachse und eine kontrolliertere Anströmung des Hecks mit einem neuen Monkey-Seat-Flügel sind Elemente, die prädestiniert für den Effekt sind. "Es ist ein sehr gutes Zeichen, wenn ein Auto ein hohes Tempo direkt hinter einem anderen fahren kann. Das ermutigt mich wirklich. Insgesamt bin ich sehr glücklich über den Wagen", reckt Wolff den Daumen nach oben.

Doch Mercedes weiß, dass die Oberhand über Ferrari nicht auf Dauer gewonnen sein muss. "Es ist jedes Rennen schwierig im Moment", erinnert der Österreicher daran, dass der Sieg nur durch einen Strategiecoup möglich wurde. "Ich war überrascht, dass wir mithalten konnten. Da hat auch der Hamilton-Faktor reingespielt." Beim anstehenden Monaco-Grand-Prix könnten sich die Fortschritte in langsamen Passagen bezahlt machen, der lange Radstand des W08 aber zum Stolperstein werden.

Hamilton erinnert daran, dass Ferrari mit weniger einschneidenden Updates ebenfalls zugelegt hätte und Mercedes der Durchbruch nicht gelungen sei: "Wir haben nur zusammen einen Schritt gemacht. Wir waren ein Fünkchen schneller und hatten ganz knapp die Nase vorne."