• 02.02.2011 00:09

  • von Stefan Ziegler & Dieter Rencken

Mehr Knöpfe denn je: Chaos im Cockpit?

Dank KERS und dem verstellbaren Heckflügel müssen die Fahrer in dieser Saison noch mehr Knöpfe drücken als jemals zuvor: Manchem ist das zuviel

(Motorsport-Total.com) - Pünktlich zur neuen Rennsaison müssen sich die Fahrer der Formel 1 einmal mehr mit neuen Regeln auseinander setzen. In diesem Jahr haben die Veränderungen sogar eine direkte Auswirkung auf die Arbeit im Cockpit, denn die Aufgabenliste eines Grand-Prix-Piloten wurde kräftig erweitert: Auf dem Lenkrad sind dank KERS und dem verstellbaren Heckflügel nun einige neue Knöpfe zu finden.

Titel-Bild zur News: Sauber-Lenkrad

Der Arbeitsplatz eines Sauber-Piloten: Und wieder sind neue Knöpfe am Lenkrad

Damit können die Formel-1-Protagonisten während der Fahrt auf ihre Zusatzsysteme zurückgreifen, die ihnen nicht zuletzt das Überholen auf der Strecke erleichtern sollen. Diese Funktion hatten die Fahrer beim Testauftakt im spanischen Valencia wahrscheinlich aber nicht im Hinterkopf - vielmehr ging es den Piloten wohl darum, sich an die Bewegungsabläufe im Renncockpit zu gewöhnen.

Viele Teams beschränkten sich auch auf die Überprüfung der Zuverlässigkeit, wobei ausgerechnet das KER-System zuweilen Probleme machte. Die Energie-Rückgewinnungs-Einheit gibt in diesem Jahr ihr Comeback in der Formel 1, nachdem die Rennställe im vergangenen Jahr freiwillig darauf verzichtet hatten. Bei der KERS-Premiere 2009 waren eh nur wenige Teams damit unterwegs.

Nun ist das Zusatzsystem wieder am Start, allerdings erneut nicht in der kompletten Boxengasse. Wie schon 2009, so ist es den Teams auch 2011 erlaubt, pro Runde eine gewisse Menge an Energie abzurufen, um einen Extraschub zu erhalten. Eben diesen Vorgang steuert der Fahrer per Knopfdruck direkt aus dem Cockpit. Ähnlich verhält es sich mit dem neuen, verstellbaren Formel-1-Heckflügel.


Fotos: Testfahrten in Valencia


Diesen kann der Pilot bei Bedarf flacher stellen, um sich so im Windschatten an den Vordermann heranzusaugen und anschließend einen Überholversuch zu wagen. Auch diese Technologie ist in ihrer Nutzung eingeschränkt, darf nicht beliebig oft verwendet werden und darf erst ab einem Abstand von einer Sekunde zum voraus fahrenden Rennwagen aktiviert werden - natürlich per Knopfdruck.

Barrichello: Am ersten Testtag etwas überfordert?

Einen ersten Vorgeschmack auf den Umgang mit diesen Neuerungen erhielten die meisten Fahrer bereits in den Simulatoren ihrer Rennställe, beim Testauftakt konnten sie ihre Erkenntnisse erstmals praktisch überprüfen. Unterschiedlicher hätten die Urteile im Anschluss an die ersten Ausfahrten aber wohl kaum ausfallen können: Von "gefällt mir gar nicht" bis "absolut super" war einfach alles dabei.

Rubens Barrichello

Rubens Barrichello wäre auch mit ein paar Knöpfen weniger zufrieden gewesen... Zoom

Dass die Bedienung der neuen Elemente mit einem Zusatzaufwand seitens des Piloten verbunden ist, war aber keine Überraschung, wie Williams-Technikchef Sam Michael erläutert. "Im Cockpit geht es jetzt sehr arbeitsreich zu, so viel steht fest. Das haben wir schon bei unseren Simulatortests im Winter bemerkt", meint der Australier. Es sei "ein hartes Stück Arbeit", an das man sich gewöhnen müsse.

Rubens Barrichello wird das nicht gerne hören. Der brasilianische Williams-Pilot hatte sich nach seiner Jungfernfahrt im FW33 nämlich nicht gerade vor Begeisterung überschlagen - die Neuerungen waren so gar nicht nach seinem Geschmack: "Man kann sich kaum auf das Fahren konzentrieren", wetterte der Formel-1-Routinier. "Es gibt nun einfach zu viele Knöpfe am Lenkrad. Das macht keinen Spaß."

Michael relativiert die Kritik an den Knöpfen

Man sei im Cockpit nun fortwährend damit beschäftigt, irgendwelche Knöpfe und Regler zu bedienen. "Dazu kommen noch die Gangwechsel", sagt Barrichello. "Und dann quatscht dir jemand auf dem Funk rein: 'Könntest du den Knopf bitte etwas früher betätigen?' Ich kann nur hoffen, dass sich dadurch die Show um einhundert Prozent verbessert. Ansonsten macht mir das Ganze keinen Spaß."

"Rubens musste nur den Heckflügel bedienen..." Sam Michael

Sein Technischer Direktor nimmt diese Aussagen mit einem Schulterzucken zur Kenntnis und meint: "Es war sein erster Tag im Auto - und außerdem ist er am Nachmittag sogar ohne KERS gefahren. Rubens musste also nur den Heckflügel bedienen." Den verstellbaren Frontflügel, der erst 2010 eingeführt worden war, gibt es ohnehin nicht mehr. Die Teams nutzten das Element nur spärlich.

Oder zumindest nicht so, wie es die Verantwortlichen eigentlich erwartet hatten. Ursprünglich hatte man den verstellbaren Frontflügel eingeführt, um das Überholen zu erleichtern. "Wir verwendeten es aber bloß zur Regulierung der Balance während des Rennens", erläutert Michael. Bei Williams ging das "mit mehreren verschiedenen Schaltern" vonstatten, jetzt muss Barrichello einen Knopf drücken.

20 Millisekunden für einen Balancewechsel

In dieser Hinsicht wird es also sogar einfacher für den Brasilianer, der mit einer kleinen Bewegung ein wahres Feuerwerk an technischer Innovation in Gang setzen kann. Michael erklärt, wie der neue Heckflügel im Einzelnen funktioniert: "Wir nutzen ein hydraulisches System. Ich weiß aber nicht, ob das alle tun." Ein elektrisches System wäre sehr wohl ebenfalls denkbar, brauche aber deutlich länger.

Sauber-Heckflügel

Der neue Heckflügel des Sauber C30: Dieses Element kann der Fahrer verstellen Zoom

In der Formel 1 entscheidet eben die Geschwindigkeit, auch im allerkleinsten Bereich. Statt dem Flügel nach dem Flachstellen für die Rückkehr in die steile, Anpressdruck generierende Position "rund einhundert Millisekunden" (elektrische Variante) Zeit zu geben, setzt man beim britischen Team auf das hydraulische System, das "nur ein paar Millisekunden" dafür benötigt, wie Michael festhält.

"Wenn der Fahrer den Knopf loslässt, dauert es noch 20 Millisekunden" - und schon ist der Heckflügel wieder in seiner Ausgangsposition. Man könne diese Rückbewegung auch per Bremsdruck aktivieren, doch dabei "verliert man etwas auf den ersten Metern", wie Williams im Simulator herausgefunden hat. "Für uns war demnach schnell klar, dass man den Knopf immer loslassen sollte", sagt Michael.¿pbvin|512|1368|kers|0|1pb¿

Und was passiert im Falle des Falles...?

Die Schrauber des britischen Traditionsteams wollen sich indes eher praktisch mit dieser Materie auseinander setzen, wie Michael amüsiert berichtet: "Die Mechaniker möchten einmal einen Tennisball auf den Flügel legen und dann schauen, wie weit er fliegt." Eine derart spielerische Herangehensweise würde vielleicht auch Mercedes-Rennfahrer Michael Schumacher gefallen.

"Das ist kein Problem. Da mache ich mir keine Sorgen." Michael Schumacher

Der 42-Jährige ist schließlich bekannt dafür, sämtliche Möglichkeiten zum Verfeinern der Balance auszunutzen. Entsprechend positiv reagiert "Schumi" auf die Neuerungen in Sachen KERS und Heckflügel: "Das ist kein Problem", stellt der Deutsche klar - auch nicht hinsichtlich der Sicherheit. "Da mache ich mir keine Sorgen", sagt Schumacher. Damit steht der Rekordchampion nicht alleine da.

Ferrari-Pilot Fernando Alonso vertritt beispielsweise die Ansicht, dass man sich eben darauf einlassen müsse. "Im Spiegel kannst du deinen Heckflügel zwar sehen, aber auf der Bremse hast du deine Augen sicher nicht im Rückspiegel. Wenn irgendwann einmal etwas passieren und das System nicht funktionieren sollte, dann wird der Luftdruck dafür sorgen, dass der Flügel nach unten gepresst wird."

Konfusion im Cockpit? "Schumi" winkt ab

"Du musst dem Teil einfach vertrauen", erklärt Alonso, zumal man ohnehin nichts spüre, wenn der Flügel in seine ursprüngliche Position zurückkehre. Unabhängig davon ist für Weltmeister Sebastian Vettel nun eine gewisse Grenze erreicht. "Das Wichtigste ist - genau wie im Straßenverkehr -, dass die Augen wirklich auf der Straße sind und nicht irgendwo anders", findet der Red-Bull-Pilot.

Michael Schumacher

Mercedes-Pilot Michael Schumacher fühlt sich wohl, wenn er viel verstellen kann Zoom

"Da kommt mit KERS und dem Heckflügel sehr viel auf uns zu. All das zum richtigen Zeitpunkt und in der richtigen Reihenfolge anzuwenden - unsere Arbeit sollte es sein, ins Lenkrad zu greifen und zu fahren", sagt Vettel. Er habe sich beim Testauftakt allerdings nicht allzu intensiv damit beschäftigt und sei nur "ein bisschen herumgerollt, um zu schauen, ob alles funktioniert", so der Titelverteidiger.

Sein erster Eindruck: "Es ist schon eine andere Welt als im vergangenen Jahr." Trifft diese Aussage auch auf die Anzahl der Überholversuche im Starterfeld zu? Schumacher ist zuversichtlich: "Es ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung", meint der Rekordchampion. "Im Vorjahr war es manchmal absolut unmöglich, jemanden zu überholen. Mit den neuen Regeln sollte es aber einfacher werden."

Überholen wird einfacher, aber nicht zu einfach

Aber nicht zu einfach, wie Schumacher betont: "Es wird nicht passieren, dass wir den Knopf drücken und dann ganz easy am Vordermann vorbeiziehen können, doch das sollte uns zumindest in Position bringen. Mit den früheren Autos war das nicht der Fall, daher ist es ein Schritt in die richtige Richtung. Ich freue mich schon darauf, diese Knöpfe einzusetzen", gibt der Mercedes-Pilot zu Protokoll.

"Die Fahrer, die sich sehr rasch an diese Dinge gewöhnen, werden es zu ihrem Vorteil nutzen." Fernando Alonso

Genau deswegen möchte auch Alonso möglichst schnell damit klarkommen: "Die Fahrer, die sich sehr rasch an diese Dinge gewöhnen, werden es zu ihrem Vorteil nutzen. Es ist also eine Herauforderung für uns alle, diesbezüglich besser zu sein als alle anderen", erläutert der Spanier, merkt aber an: "Es ist nicht so einfach, denn wenn du die Konzentration verlierst, verlierst du automatisch auch Leistung."

Wichtig sei vor allem, die zahlreichen Knöpfe in der richtigen Reihenfolge zu drücken, sagt Vettel. Den russischen Renault-Piloten Witali Petrow kann aber auch das nicht erschüttern. "Als Fahrer wird man von nun an sicherlich sehr beschäftigt sein", vermutet der 26-Jährige. "Das ist es aber schon. Es ist nicht weiter kompliziert. Man braucht halt einfach seine Zeit, um sich daran zu gewöhnen."