Kurve acht: Die türkische Eau Rouge
Die achte Kurve ist zweifellos das Highlight der Strecke in Istanbul - Fahrer schwärmen von ihr als größte Herausforderung im Rennkalender
(Motorsport-Total.com) - Jahrelang war die Senke Eau Rouge in Spa-Francorchamps die spektakulärste Kurve der Formel 1: Die Fahrer kommen dort nach einer Bergabgerade mit vollem Zunder an, lenken nach links ein, erreichen die Talsohle, lenken nach rechts ein, steigen wie ein Starfighter den Berg hoch - und atmen tief durch, wenn sie den Ausgang erreichen. Doch inzwischen ist eine andere Passage die heimliche Nummer eins.

© xpb.cc
Faszination Kurve acht: Die Autos setzen regelmäßig auf den Bodenwellen auf
Denn weil Eau Rouge nicht zuletzt durch die Einführung der leistungsschwächeren V8-Motoren anno 2008 locker voll geht, ist viel von der ursprünglichen Herausforderung verloren gegangen. Das kann man von Kurve acht in Istanbul nicht behaupten: Dieser einzigartige Linksbogen kann mit den meisten Autos nur unter besonderen Umständen mit Vollgas gefahren werden - und ist fahrerisch das Anspruchsvollste, was die Formel 1 zu bieten hat.#w1#
Einzigartige Kurve mit vier Scheitelpunkten
"Die Kurve ist einfach einzigartig. Das gibt es sonst auf keiner Strecke der Welt - zumindest nicht auf denen, die ich kenne", schwärmt beispielsweise Nick Heidfeld. Adrian Sutil schließt sich an: "Für fünf bis sechs Sekunden erreicht man die höchste G-Force. Es macht einfach Spaß - man kann es gar nicht erklären. Es ist eine ewige Achterbahnfahrt durch diese Kurve mit vier Scheitelpunkten. Eine der schönsten Kurven überhaupt!"
Beim Anbremsen sind die Formel-1-Stars fast 300 km/h schnell, ehe sie fünf bis sechs Sekunden Abenteuer pur erwartet: Nach links einlenken, 270 km/h und 4,5 G am zweiten von insgesamt vier (!) Scheitelpunkten, dann noch einmal neu die Linie justieren, sich auf den etwas weitläufigeren zweiten Teil einstellen, 262 km/h, 4,3 G, beim Ausfahren immer noch 2,6 G bei 281 km/h - das ist der Stoff, von dem Kimi Räikkönen und Co. träumen.
Dazu kommen erschwerend andere Faktoren hinzu: "Es sind vier Scheitelpunkte, verschiedene Radien und Höhenunterschiede drin. Es sind überhöhte Teile da, manchmal ist es etwas flacher. Insgesamt ist das schon interessant", weiß Timo Glock, der noch nie mit einem Formel-1-Auto dort gefahren ist, sondern nur im Vorjahr in der GP2: "Damals ging sie voll. Vielleicht muss man bei uns jetzt etwas lupfen."
Bodenwellen als neue Herausforderung
Und: "In den vergangenen Jahren wurde sie immer schwieriger, weil es dort immer welliger wurde. Aber das ist ja auch eine Herausforderung", so Heidfeld. "Wir wollen mal sehen, wie es in diesem Jahr ohne Traktionskontrolle geht. Eigentlich ist eher bei langsamen Kurven das Fehlen der Traktionskontrolle ein Problem, aber wenn man Bodenwellen hat und kurz den Grip verliert, dann könnte das auch etwas schwierig werden. "
In den vergangenen Jahren bildete sich zumindest im Rennen immer eine helle Spur auf der Ideallinie. Dabei handelte es sich nicht etwa um irgendwelche Flüssigkeiten, sondern um Holzspäne von den Bodenplatten der Autos, wie Sebastian Vettel erklärt: "Man kann nicht verhindern, dass das Auto aufsitzt, aber man muss darauf achten, dass man das so gut wie möglich verhindert", erläutert der Toro-Rosso-Pilot.
Alonsos Begeisterung hält sich in Grenzen

© xpb.cc
Abgehen der Strecke am Donnerstag: Kurve acht will genau einstudiert sein Zoom
Fernando Alonso empfindet Kurve acht im Gegensatz dazu "nicht wirklich" als umwerfend: "Es ist eine einzigartige Kurve, ja, aber es ist keine Kurve, in der man viel Zeit gewinnt oder verliert. Sie ist nicht so wichtig", meint der Spanier. "Beim Fahren ist es etwas Besonderes, denn mit den G-Kräften fühlt es sich speziell an, aber es ist nicht die einzige Passage, auf die man sich auf dieser Strecke konzentrieren muss."
Das sieht Toyotas Technischer Direktor Pascal Vasselon freilich anders: "In Bezug auf die meisten Parameter - Bremsen, Abtrieb und so weiter - ist die Strecke durchschnittlich. Ein besonderer Faktor in Istanbul ist allerdings Kurve acht, eine lang gezogene Linkskurve. Diese ist eine Schlüsselkurve und ganz einfach die anspruchsvollste der gesamten Saison", widerspricht der Franzose dem Weltmeister von 2005 und 2006.
Und weiter erklärt Vasselon: "Das bedeutet, dass die Kurve einen erheblichen Einfluss auf die Fahrzeugbalance und den Verschleiß der Reifen hat. Man kann wirklich sagen, dass es in hier in erster Linie um diese Kurve geht. Istanbul ist einer der wenigen Kurse, bei denen eine einzelne Kurve eine so große Bedeutung hat. Man muss sicherstellen, dass das Paket Kurve acht im Griff hat. Danach richtet sich auch die Reifenwahl."
Eingang entscheidet über Ausgang
Nico Rosberg empfindet Kurve acht auch fahrerisch gesehen als entscheidend für eine gute Rundenzeit, weil man sie optimal treffen muss, um sie komplett gut zu erwischen: "Schon beim Einlenken entscheidet sich, wie du am Ausgang rauskommst. Das Einlenken muss genau passen, damit du alle drei oder vier Scheitelpunkte erwischst. Du musst immer ein bisschen korrigieren", sagt der Williams-Pilot.
Interessant ist aber - und das spricht für die Sicherheit der Formel 1 -, dass es abgesehen von ein paar harmlosen Reifenschäden noch keine schlimmen Unfälle in Kurve acht gegeben hat. Aber die Reifenschäden waren kein Zufall: Das rechte Vorderrad steht dort unter so starker Belastung, dass Bridgestone in diesem Jahr die beiden härtesten Gummimischungen in die Türkei gebracht hat. Auch das unterstreicht die Bedeutung dieser Schlüsselstelle.

