Kommentar: Wie die FIA der FIFA auf einen besorgniserregenden Weg folgt

Politische Botschaften nur noch mit Genehmigung: Was der neue Vorstoß der FIA für die Formel 1 und ihre Fahrer bedeuten könnte

(Motorsport-Total.com) - Die Nachricht, dass die FIA ihren Internationalen Sportkodex (ISC) aktualisiert hat, um "politische" Aussagen in der Formel 1 und anderen Rennserien künftig einzuschränken, wurde zu Recht mit Enttäuschung aufgenommen.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton

Lewis Hamilton ist einer der Vorreiter, wenn es darum geht, Stellung zu beziehen Zoom

Sie platzt in eine Zeit wochenlanger Debatten über die Haltung der FIFA während der Fußball-WM in Katar, die es trotz der Kontroversen vorzog, "beim Fußball zu bleiben".

Bisher gab es in den Regeln der Formel 1 keine ausdrücklichen Bestimmungen, die die Fahrer daran hinderten, sich zu Themen zu äußern, die sie für wichtig halten, sondern nur, dass sie sich an die FIA-Statuten halten müssen, die einen breiten Geltungsbereich haben.

Doch mit den nun in den ISC aufgenommenen spezifischen Beschränkungen scheint die FIA der FIFA auf einem besorgniserregenden Weg zu folgen, der den jüngsten Bemühungen um Veränderungen in der Formel 1 zuwiderläuft.

Ein Großteil der Diskussionen um die Fußball-WM drehte sich um die Eignung Katars als Gastgeberland - angesichts seiner Menschenrechtslage, der Behandlung von Wanderarbeitern, die laut Amnesty International "nach wie vor Opfer von Arbeitsmissbrauch" sind, und der Tatsache, dass Homosexualität eine Straftat ist.

Dies veranlasste viele dazu, ihren Protest zum Ausdruck zu bringen. So wollten Mannschaften eine Armbinde mit Regenbogenflagge tragen, was aber letztendlich aufgrund der Androhung von sportlichen Maßnahmen gestrichen wurde.

FIFA geht mit schlechtem Beispiel voran

Das Ausmaß des Ereignisses machte es unmöglich, sich einfach auf den Sport zu beschränken, wie es sich diejenigen wünschen, die solche großen menschlichen und sozialen Themen unter den Teppich kehren wollen.

Die FIFA, der Dachverband des Fußballs, verwies lediglich auf ihre Spielregeln und erklärte, dass diese die Art von politischen Aussagen, die die Mannschaften mit der "OneLove"-Armbinde machen wollten, nicht zuließen. Das hielt einige Spieler und Akteure jedoch nicht davon ab, öffentlich Stellung zu beziehen.

Vor dem Eröffnungsspiel gegen Japan posierten die Spieler der deutschen Nationalmannschaft für ein Foto mit verdecktem Mund, um laut Cheftrainer Hansi Flick "die Botschaft zu vermitteln, dass die FIFA uns zum Schweigen bringen will".

Die BBC-Moderatorin Alex Scott trug die Armbinde während der Übertragung des Spiels England gegen Iran und der britische Sportminister Stuart Andrew während des Spiels gegen Wales. Die Aufforderung an die Spieler, die Armbinde nicht zu tragen, wurde von vielen LGBTQ+-Fangruppen mit Enttäuschung aufgenommen, zumal die FIFA bereits im September über den Plan informiert wurde.

Nach der Entscheidung verwiesen viele Formel-1-Fans in den sozialen Medien auf das Beispiel von Lewis Hamilton beim letztjährigen Rennen in Katar, dem ersten des Landes.

Am Freitag stieg Hamilton in sein Auto und trug einen Helm mit der "Progress Pride"-Flagge. Er behielt das Design für die letzten beiden Rennen in Saudi-Arabien und Abu Dhabi bei - Länder, in denen es ebenfalls strikte LGBTQ+-Gesetze gibt.

"Es ist wichtig für mich, diese Gemeinschaft hier zu repräsentieren, denn ich weiß, dass es einige Situationen gibt, die nicht perfekt sind und die hervorgehoben werden müssen", sagte Hamilton über seinen Helm in Katar im vergangenen Jahr.

"Ich würde gerne wissen, was hier passiert und was sie tun, um diese Gemeinschaft, die LGBTQ+-Gemeinschaft, mehr zu unterstützen. Ich warte darauf, etwas darüber zu hören."

Hamilton und Vettel als Vorreiter in der Formel 1

Hamilton und Sebastian Vettel waren in den vergangenen Jahren zwei der lautstärksten Figuren in der Formel 1, wenn es um soziale Rechte ging. Sie machten sich nach dem verspäteten Saisonstart 2020 für "Black Lives Matter-"Bewegung stark.

Und Vettel trug beim letztjährigen Grand Prix von Ungarn ein T-Shirt mit der Aufschrift "Same Love", um auf die vorgeschlagenen Anti-LGBTQ+-Gesetze des Landes zu reagieren. Daraufhin sagte Hamilton, er sei "stolz", dass Vettel seinen Standpunkt so deutlich mache. Dies sind nur einige Beispiele dafür, dass das Duo wichtige Botschaften vertritt, die weit über den Rennsport hinausgehen.

Sebastian Vettel, Pierre Gasly

Sebastian Vettel protestierte in Ungarn gegen das Anti-LGBTQ+-Gesetz Zoom

Doch nachdem am Dienstag bekannt wurde, dass der ISC dahingehend aktualisiert wurde, dass "politische, religiöse oder persönliche" Äußerungen oder Kommentare ohne vorherige Genehmigung untersagt sind, besteht nun die Gefahr, dass die Fahrer in ihrer Meinungsäußerung eingeschränkt werden.

Damit wurde eine Klausel ersetzt, die besagte, dass die Autos keine Slogans tragen dürfen, die "politischer oder religiöser Natur sind oder den Interessen der FIA schaden".

Weder die Formel 1 noch die FIA haben in der Vergangenheit direkt auf die Art von Botschaften reagiert, die Hamilton und Vettel gesendet haben. Ja, es gab eine Untersuchung, nachdem Hamilton in Mugello 2020 auf dem Podest ein T-Shirt mit der Aufschrift "Arrest The Cops Who Killed Breonna Taylor" getragen hatte.

Und Vettel wurde dafür verwarnt, dass er sein "Same Love"-T-Shirt beim Grand Prix von Ungarn während der Siegerehrung anbehielt. Das war drakonisch, ja, aber es war gleichzeitig keine gezielte Maßnahme gegen ihre Botschaft.

FIA pocht auf den Grundsatz der Neutralität

Bei der WM in Katar war die Grundlage für die Androhung von Sanktionen gegen Spieler, die eine "OneLove"-Armbinde trugen, in den "Spielregeln" des Fußballs verankert.

Darin heißt es: "Die obligatorische Grundausrüstung darf keine politischen, religiösen oder persönlichen Slogans, Aussagen oder Bilder enthalten. Die Mannschaft eines Spielers, dessen Grundausrüstung politische, religiöse oder persönliche Slogans, Aussagen oder Bilder enthält, wird vom Wettbewerbsveranstalter oder der FIFA bestraft."

Nach dem Regelwerk der FIA für die Formel 1 gibt es bisher nicht dieselbe Art von möglichen Maßnahmen. Als Hamiltons T-Shirt in Mugello in die Kritik geriet, erinnerte Rennleiter Michael Masi die Fahrer lediglich daran, dass die FIA "jede Form der individuellen Meinungsäußerung in Übereinstimmung mit den Grundprinzipien ihrer Statuten unterstützt". Darin verpflichtet sie sich zu Neutralität.

"Die FIA unterlässt im Rahmen ihrer Tätigkeit Diskriminierungen aufgrund von Abstammung, Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientierung, ethnischer oder sozialer Herkunft, Sprache, Religion, philosophischer oder politischer Anschauung, familiärer Situation oder Behinderung", heißt es in den Statuten.

Außerdem wird darin verlautbart, dass sich die FIA "auf unterrepräsentierte Gruppen konzentriert, um eine ausgewogenere Vertretung von Geschlecht und Herkunft zu erreichen und eine vielfältigere und integrativere Kultur zu schaffen".

Doch nun wurde der ISC aktualisiert und besagt, dass die Fahrer gegen die Bestimmungen verstoßen, wenn sie "politische, religiöse und persönliche Äußerungen oder Kommentare abgeben oder zeigen, die insbesondere gegen den allgemeinen Grundsatz der Neutralität verstoßen, der von der FIA im Rahmen ihrer Statuten gefördert wird".

Nicholas Latifi, Lance Stroll, Lewis Hamilton, Pierre Gasly

Mit dem Kniefall setzten die Fahrer vor dem Rennen ein Zeichen gegen Rassismus Zoom

Es sei denn, es liegt eine vorherige Genehmigung vor. Damit ist das Risiko jetzt viel größer, dass diese Botschaften nicht weitergegeben werden, weil sportliche Maßnahmen drohen.

Fahrer sollen vor allem eines sein: Fahrer

Ein FIA-Sprecher erklärte, die Aktualisierung des ISC stehe "im Einklang mit der politischen Neutralität des Sports als universellem ethischen Grundprinzip der olympischen Bewegung, das im Ethikkodex des Internationalen Olympischen Komitees verankert ist, zusammen mit dem Grundsatz der Universalität im Artikel 1.2".

Es handelt sich also um eine Formalisierung dieses Prozesses. Und obwohl es zuvor vielleicht einen Dialog zwischen der FIA und den Fahrern über öffentliche Botschaften gegeben hat, die sie verbreiten möchten, ist die Aktualisierung dennoch einschränkender als in der Vergangenheit, da sie im ISC verankert ist.

Das ist ein besorgniserregender Schritt, der darauf hindeutet, dass man die Fahrer darauf beschränken will, genau das zu sein: Fahrer. Nicht die globalen Superstars mit der Art von Plattform, die es ihnen erlaubt, sich zu wichtigen Themen zu äußern und denen eine Stimme zu geben, die so oft ungehört bleiben.

Es widerspricht auch dem Versuch, positive Veränderungen in den Ländern herbeizuführen, in denen die Formel 1 Rennen austrägt und in denen die Menschenrechte ein großes Thema sind - darunter Katar, das 2023 in den Rennkalender zurückkehrt.

In Abu Dhabi sagte Mercedes-Teamchef Toto Wolff, er sei der Überzeugung, dass der Sport helfen könne, Veränderungen herbeizuführen, indem er Probleme ins Rampenlicht rücke.

"Das kann Veränderungen auslösen, weil die Dinge nicht mehr versteckt werden können", sagte er damals. "Wir können einfach versuchen, dort, wo wir hingehen, unsere Präsenz zu zeigen, mit der Führung zu interagieren und uns nicht zu verstecken."

Fortschrittsgedanke der Formel 1 untergraben

Aber auch die Fahrer sind ein wichtiger Teil dieser Diskussion. Sie sind diejenigen, denen die Fans folgen und wirklich zuhören und von denen sie erwarten, dass sie sich für das Richtige einsetzen. Wir können diese Länder nicht einfach besuchen, die beträchtlichen Gastgebergebühren kassieren und dann fröhlich weitermachen und so tun, als gäbe es nichts zu tun oder keine Veränderungen zu fördern.

Die Werte mögen sich von Kultur zu Kultur unterscheiden, doch so viele dieser Rechte sind grundlegende Menschenrechte, für die man sich einsetzen und die man schützen muss, egal wo man hingeht. Daher wird die Umsetzung der neuen FIA-Regelung zu Beginn der neuen Saison genau zu beobachten sein.

Wie sehr schränkt sie die Fahrer ein, welche möglichen Sanktionen könnten ihnen drohen und wären sie bereit, diese zu akzeptieren? Als sein "Same Love"-T-Shirt in Ungarn für Ärger sorgte, sagte Vettel: "Ich bin glücklich, wenn sie mich disqualifizieren. Sie können tun, was sie wollen. Es ist mir egal. Ich würde es wieder tun."

Die Formel 1 möchte fortschrittlich sein und sich auf Themen wie Nachhaltigkeit und Verbesserung der Vielfalt konzentrieren. Aber dieser Vorstoß wird konterkariert, wenn die FIA die Möglichkeit einschränkt, sich zu wichtigen Themen zu äußern, und sie nur auf Themen oder Agenden beschränkt, mit denen sie einverstanden ist.