Keine Strafe für Ricciardo: "Habe Albon nicht gesehen"

Daniel Ricciardo und Alex Albon sorgen für rote Flagge in Suzuka: Freispruch für den Australier und Rückendeckung vom Team

(Motorsport-Total.com) - Die nächste bittere Pille für Daniel Ricciardo: Nach schwachem Saisonstart wollte der Australier in Suzuka endlich den Turnaround schaffen - am Sonntag steht er aber schon nach drei Kurven im Kies: Kollision mit Alex Albon und das frühe Aus für beide Piloten.

Titel-Bild zur News: Daniel Ricciardo und Alex Albon kollidieren in Suzuka

Daniel Ricciardo und Alex Albon kollidieren in Suzuka Zoom

Eine Szene, die nicht nur eine frühe Rennunterbrechung nach sich zieht, sondern im Cooldown-Room hinter dem Podium nach der Zieldurchfahrt auch die Top 3 beschäftigt, die den Crash auf dem Bildschirm sehen und diskutieren: "Er war im toten Winkel", kommentiert Sergio Perez, ehe Red-Bull-Teamkollege Max Verstappen hinzufügt: "Man konnte sehen, wie Daniel nach links schaut."

Ricciardo selbst steht zu dieser Zeit längst bei den Interviews: "Das will man natürlich nie haben, aber für mich ist es ein typischer Erstrunden-Vorfall, ein Rennunfall", gibt der Australier seine Einschätzung ab - der wenig später dann auch die Rennstewards zustimmen: "Die Erklärungen beider Fahrer stimmen überein", heißt es in der Urteilsbegründung unter anderem.

"Auf dem Weg zu Kurve drei hat der Fahrer von Auto 3 (Ricciardo) auf seiner linken Seite Auto 18 (Lance Stroll) bemerkt und wollte diesem Auto genügend Platz geben. Er hat gesagt, dass er deshalb auf den Scheitelpunkt von Kurve drei geschaut hat. Auto 23 (Albon) auf seiner rechten Seite hat er nicht gesehen", begründen die Regelhüter den Freispruch.

Ricciardo erklärt: "Wir haben im Vergleich zu den Autos um uns herum mit dem Medium am Start viel mehr gelitten. Was seltsam ist, weil die Autos vor uns damit ganz gut weggekommen sind." Regelrecht "aufgefressen" hätten die Gegner ihn und Teamkollege Yuki Tsunoda auf den ersten Metern, berichtet der Racing-Bulls-Pilot: "Aus Kurve zwei raus dachte ich, dass es sich gelegt hat, aber die Traktion war immer noch schlecht, ich hatte weiter Probleme."

"Stroll kam links außen, ich bin bisschen nach rechts und da war leider Alex", sagt Ricciardo: "Ich habe mir seine Onboard-Aufnahmen angeschaut und ich weiß nicht, ob er überhaupt dort sein wollte: Aber seine Traktion war so viel besser mit dem Soft."

Albon: "War schon zu weit neben ihm"

Unfallgegner Albon räumt mit Blick auf seinen Angriff ein: "Ich konnte mich an ihn anheften und hatte einen guten Run zu Kurve drei. Aber es ging ehrlich gesagt mehr darum, ihn dort etwas von der Linie zu kriegen, um einen Weg zu finden, ihn für (Kurve) vier, fünf, sechs, sieben aus der Linie zu bringen."

"Es ist ein schwieriger Fall", sagt Albon: "Wir waren auf den weichen Reifen und hatten damit im Vergleich zu den RBs natürlich bisschen mehr Grip. Daniel hat mich nicht gesehen und in dem Moment, wo ich das realisiert habe, weil er so rübergezogen ist, bin ich auf die Bremse, um da noch rauszukommen. Aber ich war schon zu weit neben ihm, um den Crash zu verhindern und wir haben uns berührt."

Mit durchaus gravierenden Folgen: "Der Einschlag war eher mit niedrigem Speed, aber der Weg, wie ich den Reifenstapel getroffen habe ... Normalerweise haben wir diese Plastikbarrieren, hier war es so, dass man deutlich mehr eintaucht und mit recht viel Wucht gestoppt wird", berichtet der Williams-Pilot, der jedoch wie sein Gegenüber unverletzt blieb.

Da ist's passiert: Albon und Ricciardo berühren sich

Da ist's passiert: Albon und Ricciardo berühren sich Zoom

Was bleibt, ist allerdings der nächste Crash zur absoluten Unzeit für den Rennstall aus Grove: "Sofort, noch bevor ich die Wand traf", habe er sich Sorgen wegen der ohnehin extrem angespannten Ressourcenlage im Team gemacht, sagt Albon: "Das ist natürlich nicht, was wir wollten. Es ist kein Geheimnis, dass wir im Moment Probleme mit den Teilen haben. Das tut uns mit Sicherheit weiter weh."

Das beschädigte Albon-Chassis wird nach dem Rennen zurück in die Fabrik geflogen, vom Team gibt es immerhin positive Signale, dass eine Reparatur bis zum China-Grand-Prix in knapp zwei Wochen möglich ist. Trotzdem leidet Albon mit seiner Truppe: "Es sind harte Zeiten und ich bin frustriert für alle im Team. Aber wir müssen jetzt motiviert und hungrig bleiben, um stärker zurückzuschlagen."

Wurz kritisiert Ricciardo: "Allein auf der Welt"

Gleiches hat in Schanghai auch Daniel Ricciardo vor, der trotz des straffreien Ausgangs für den Suzuka-Crash mehr und mehr unter Druck gerät. ORF-Experte Alex Wurz etwa stimmt zwar der Entscheidung der Kommissare zu, zählt den Australier aber trotzdem an: "Für mich ist es ein Rennunfall mit einer Mehrheit bei Ricciardo. Ein Mann seiner Erfahrung muss dann schon mal kurz checken, ob da noch wer ist", urteilt Wurz.

Dabei ist dem Ex-Formel-1-Piloten in Bezug auf Ricciardos Startphase aufgefallen: "Er fährt zunächst relativ passiv, lässt links und rechts die Autos vorbei und will erstmal nur überleben. Dann fokussiert er sich aber auf einmal nicht mehr auf die Anderen, sondern glaubt, er ist allein auf der Welt und nimmt Alex Albon voll den Platz weg."

"Kann in der Hitze des Gefechts passieren", findet der Österreicher: "Aber er muss hier mit sich selbst ins Gericht gehen. Da hätte er aufpassen und kontrollieren müssen - speziell er, der eh ums Cockpit fährt. So ein Unfall obendrauf", sagt Wurz, "das sind diese Nachrichten, die ihm gerade jetzt einfach wehtun."

Nach dem Einschlag reagiert die Rennleitung mit roter Flagge

Nach dem Einschlag reagiert die Rennleitung mit roter Flagge Zoom

Interessant: Auch die Rennstewards lassen mit einem Zusatz am Ende ihres Urteils durchblicken, dass Ricciardo in Suzuka glimpflich davongekommen ist: "Wenn sich der Vorfall auf einer nachfolgenden Runde oder ohne die Präsenz des dritten Autos (Auto 18, Stroll) zugetragen hätte, wäre das Urteil anders ausgefallen", schreiben die Regelhüter explizit dazu.

Ricciardo ist folglich im Verteidigungsmodus: "Ich habe ihn nicht gesehen, aber ich gehe ehrlich gesagt immer davon aus, dass jemand da sein könnte, es ist Runde eins. Ich habe nie versucht, die volle Breite der Strecke zu nutzen und komplett ignorant zu sein."


Bayer mit Rückenstärkung: "Werden ihn abholen"

Immerhin: Rückendeckung erfährt der Australier von Racing-Bulls-Boss Peter Bayer: "Unsere erste Analyse an der Boxenmauer war, dass es ein Rennunfall war. Dass in dieser Kurve in der ersten Runde plötzlich jemand rechts außen hinter ihm erscheint, ist wirklich sehr, sehr unwahrscheinlich."

Der Österreicher erklärt: "Es ist sehr schade für ihn, denn er hat eine super Leistung gezeigt übers Wochenende und wird sicherlich frustriert sein. Aber wir werden ihn da abholen und mit dem Positiven aus dem Wochenende rausgehen."

Dass Letzteres mit Startplatz elf, nur 0,055 Sekunden hinter Teamkollege Tsunoda, durchaus da war, weiß bei allem Ärger auch Ricciardo: "Ich war auch gestern schon frustriert, es um eine halbe Zehntel nicht geschafft zu haben (in Q3), aber es gibt Positives, einige Dinge, von denen wir dachten, dass wir sie heute zeigen können", erklärt der 34-Jährige und versucht den Kopf nicht zu sehr hängen zu lassen.

"Heute ist ein einzelner Moment. Ich gucke jetzt nicht auf heute und denke: 'Oh Mann, dieses Jahr', nach dem Motto: 'Wenn es regnet, dann schüttet es richtig' oder sowas in der Art. Es war einfach eine dieser Sachen", sagt Ricciardo.

Daniel Ricciardo steht nach vier punktelosen Rennen unter Druck

Daniel Ricciardo steht nach vier punktelosen Rennen unter Druck Zoom

"Diese Dinge können passieren. Natürlich stinkt es, wenn sie das tun, und natürlich wäre es schön gewesen, mal ein Rennen reinzubekommen, wo wir ein bisschen zeigen können von dem, von dem ich gestern das Gefühl hatte, dass es anfängt Früchte zu tragen."

"Das müssen wir jetzt eben in China machen", motiviert sich der Racing-Bulls-Pilot und verrät: "Ich teste tatsächlich schon am Dienstag, also die Runden, die mir heute fehlen, die hole ich Dienstag wieder rein." In Schanghai ist Riccardo dann auch mit neuem Chassis unterwegs - nicht wegen des Unfalls, sondern um in der aktuellen Formkrise nichts unversucht zu lassen, wie er selbst bestätigt: "Wir wollen da einfach sichergehen."