James Vowles: Warum Williams erst ab China ein drittes Chassis hat

Logan Sargeant muss in Australien zuschauen, während Alex Albon seinen Boliden fährt - Aber plant Williams erst ab China mit einem dritten Chassis?

(Motorsport-Total.com) - Es ist eine der skurrilsten Situationen der noch jungen Formel-1-Saison 2024: Alex Albon zerstört im Freien Training zum Großen Preis von Australien in Melbourne sein Chassis und bekommt daraufhin das Auto seines Teamkollegen Logan Sargeant zur Verfügung gestellt, der das Rennen nun als Zuschauer verfolgen muss. Doch warum hat Williams kein Ersatzchassis dabei und warum wird es wohl erst in China ein drittes Chassis geben? Teamchef James Vowles gibt Auskunft.

Titel-Bild zur News: Alexander Albon

Darum plant Williams erst ab China mit einem dritten Chassis Zoom

Vowles und Technikchef Pat Fry mussten mit ansehen, wie der neue FW46 vor der Saison 2024 in letzter Minute fertiggestellt wurde, wodurch der Zeitplan für den Bau des dritten Chassis in Verzug geriet. Die beiden Hauptautos und die Upgrades für die ersten drei Rennen hatten Vorrang, weshalb der Bau des dritten Chassis noch lange nicht abgeschlossen ist.

Das ist auch der Grund, warum das Unfallwrack sofort zur Reparatur nach Großbritannien geschickt wurde. Das Auto soll am Montag im Williams-Stützpunkt eintreffen, wo es für den Großen Preis von Japan wieder auf Vordermann gebracht wird. In der Zwischenzeit ist der Bau des dritten Chassis noch nicht so weit fortgeschritten, weshalb eine Reparatur schneller möglich ist.

Verspätungen beim neuen Auto

"Als wir vergangenes Jahr im Februar begannen, war es unser Ziel, bis zum ersten Rennen drei Chassis fertig zu haben", sagt Vowles. "Aber es gab große Veränderungen in der Organisation, und die Optimierung von Performance und Technologie am Ende des Prozesses hat dazu geführt, dass wir einige grundlegende Elemente vorangetrieben haben."

Doch die Ressourcen eines Formel-1-Teams sind begrenzt, und bei Williams waren die Voraussetzungen für die Herausforderungen nicht ideal: "Wir haben uns die ineffizienten Strukturen angeschaut und gleichzeitig einen Wandel eingeleitet, und das hat zu Problemen geführt", gibt der Williams-Strippenzieher zu.

"Und diese Probleme hätten dazu führen können, dass wir Metallkomponenten [statt Karbon] oder die Heckflügel vom letzten Jahr verwenden hätten müssen", so Vowles weiter. "In diesem Fall hat sich das dritte Chassis verzögert und verzögert und verzögert. Wir haben immer transparent kommuniziert, dass wir mit den neuen Autos sehr, sehr spät dran waren."

Neue Prozesse und Altlasten

Williams arbeitete mit Hochdruck an der Fertigstellung der beiden neuen Boliden für die Saison 2024. Der Bau des Ersatzautos geriet dabei ins Hintertreffen. "Es sollte eigentlich für das dritte Rennen bereit sein", so der Teamchef weiter. "Aber es gab weitere Verzögerungen." Auch deshalb setzt der Rennstall darauf, das Auto zu reparieren, statt ein neues Chassis für Japan fertigzustellen.

Doch warum hinkt Williams bei der Konstruktion des Chassis so hinterher, während andere Teams besser aufgestellt sind? "Die Wurzel des Übels liegt darin, dass wir signifikante Prozesse eingeführt haben, die die Konstruktion eines Chassis bei uns grundlegend verändert haben", erklärt Vowles. "Die Anzahl der Komponenten für ein Chassis hat sich im Vergleich zum Vorjahr verzehnfacht. Diese Komplexität erfordert eine Organisation auf einem neuen Niveau."

Trotz der Herausforderung ist Williams mit dem Status quo nicht zufrieden, denn ohne ein Sicherheitsnetz, sprich ein drittes Auto, zu einem Grand Prix zu reisen, ist für ein Team in der Formel 1 kein Zustand: In der modernen Welt der Königsklasse, so der Teamchef, würde kein Rennstall mit nur zwei Autos planen.

Kritik an sich selbst

Vowles selbst hat diesen Fall zuletzt 2009 mit Brawn GP erlebt. "Damals hatten wir kein drittes Auto und hätten die Meisterschaft leicht verlieren können, wenn wir ein Auto verloren hätten", erinnert er sich. "So etwas plant man nicht. Es ist inakzeptabel, nicht beide Autos auf der Strecke zu haben, die Seite an Seite um Positionen kämpfen."

Williams hinkt in der Konstrukteurswertung hinterher und kann deshalb nicht so reagieren, wie es sich für ein Formel-1-Team gehört. Das dritte Chassis fiel der Komplexität des neuen Autos, den neuen Prozessen innerhalb des Teams und der späten Fertigstellung des aktuellen Boliden zum Opfer. Außerdem waren früh Upgrades am Auto geplant, um die Fahrbarkeit zu verbessern.

Das beschädigte Auto von Alexander Albon (Williams) beim Training zum Formel-1-Rennen in Australien 2024

Das beschädigte Auto von Alexander Albon (Williams) beim Training zum Formel-1-Rennen in Australien 2024 Zoom

So wurden die ersten Rennen für Williams zum russischen Roulette, das nicht aufging. Ein großer Crash stürzte das Team in einen Albtraum, in dem am Ende Sargeant die Hauptrolle spielte, obwohl er nicht einmal für den Unfall verantwortlich war. Albon bekam das Auto seines Teamkollegen, weil sein eigener Bolide an der Rennstrecke nicht mehr zu reparieren war.

Reparatur statt neue Chassis

"Gestern ist das Getriebe in zwei Teile zerbrochen und die Motorhalterungen sind komplett verbogen. Es hat auch den Motor erwischt, der komplett kaputt ist", sagte Vowles. "Außerdem ist das Chassis vorne rechts an der Ecke, wo die Radaufhängung ist, verschoben. Ich kann meine Finger dazwischen stecken, das sollte nicht sein."

Trotzdem scheint eine Reparatur besser zu sein, als auf Teufel komm raus ein neues Chassis zu bauen. "Das Team hat über Nacht brillante Arbeit geleistet, um zu entscheiden, wie das Auto so schnell wie möglich repariert werden kann", erklärt der Teamchef. "Wir werden in Japan zwei Chassis haben, aber ich glaube nicht, dass es drei sein werden, denn die Arbeit am Wrack wird wieder zu Verzögerungen führen."

Das liegt daran, dass Williams im Werk nur auf begrenzte Ressourcen zurückgreifen kann. Das Team in Grove weiß bereits, wie das Chassis repariert werden kann, jetzt muss das Wrack nur noch schnell in die Basis gebracht werden, um mit den Arbeiten beginnen zu können. Doch bisher konnten sich die Ingenieure und Mechaniker nur anhand von Fotos und Tests vor Ort ein Bild von den Schäden machen.

Eine Garantie gibt es nie

Wird das Chassis also wirklich hundertprozentig für das Rennen in Suzuka bereit sein? "Eine hundertprozentige Garantie kann niemand geben", sagt Vowles. Er ist aber optimistisch, dass sein Team diese Herausforderung meistern wird. Die ersten Testergebnisse zeigen, dass die Schäden in der richtigen Umgebung schnell und effizient behoben werden können.

"Ich habe Chassis gesehen, die in einem schlimmeren Zustand waren und wieder eingesetzt wurden", erklärt der Teamchef. "Hundertprozentig ist eine Zahl, die ich schwer geben kann, denn ich bin Statistiker, also gebe ich keine einhundert Prozent. Aber die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass alles funktioniert."

Doch nicht nur das Chassis ist bei Williams ein Thema, sondern auch die Entscheidung, Sargeant aus dem Auto zu verbannen und Albon in Australien fahren zu lassen, obwohl er den Unfall verschuldet hatte. Vowles rief sofort das gesamte Team zusammen, um seine Entscheidung zu rechtfertigen.

Veränderungen sind pflicht

"Wir müssen diese Situation als Katalysator für Veränderungen nutzen", sagt er. "Wir sollten nie wieder in eine solche Situation im Top-Motorsport kommen, es ist wirklich frustrierend, weil wir nicht in der Lage sind, zwei Autos an den Start zu bringen."

Vowles und Williams steht also ein langer Prozess und Wandel bevor, denn die Probleme des Rennstalls lassen sich nicht über Nacht lösen. "Es wird nicht einen Monat oder ein Jahr dauern, sondern mehrere Jahre, um all diese Probleme zu lösen", gibt der Teamchef zu. Dennoch glaubt er, dass Williams in der Lage ist, die Probleme in den Griff zu bekommen und die Wende zu schaffen.

Die Mitarbeiter bei Williams, so Vowles, halten zusammen und stecken zu keinem Zeitpunkt den Kopf in den Sand. "Das macht mich stolz, denn das Team zerreißt sich nicht, sondern zieht an einem Strang", sagt er. "Das gilt auch für die Ingenieure. Wir schauen jetzt, wie wir die Arbeit aufteilen und wie wir es schaffen, Punkte zu holen."


Formel-1-Qualifying in Australien

So hart Williams auch arbeiten wird, die Situation in Japan wird sich nicht ändern, denn Albon darf in Australien keinen weiteren Unfall bauen und in Suzuka müssen beide Fahrer saubere Sessions abliefern, sonst könnte wieder so ein skurriler Fall eintreten, dass ein Fahrer nicht am Rennen teilnehmen kann.

"Ich bin mir sicher, dass jeder nach [dem Unfall] weiß, dass er zu diesem Zeitpunkt kein Risiko eingehen kann", sagte Vowles. "Das ist psychologisch interessant, denn ich würde den Fahrern sagen, sie sollen kein Risiko eingehen, aber dafür werden sie bezahlt. Sie werden dafür bezahlt, dass sie ans absolute Limit gehen."

Die Fahrer müssten also gegen ihre Natur, im Rennen ihr Bestes zu geben, ankämpfen. Deshalb macht Vowles auch keine großen Ansagen, sondern vertraut auf das Urteilsvermögen seiner Piloten. "Sie wissen, was los ist und was in den letzten 24 Stunden passiert ist, weshalb wir in dieser Situation sind."

China mit drei Autos?

Williams hofft, in China drei Chassis einsatzbereit zu haben, wenn in Australien und Japan nichts Außergewöhnliches passiert. Das Rennwochenende findet vom 19. bis 21. April nach Suzuka statt. Ersten Schätzungen zufolge beläuft sich der Schaden auf eine halbe Million Euro, doch Vowles stellt klar, dass es sich bei dieser Schätzung um ein reines Bauchgefühl handelt, da die Rechnung noch nicht gemacht wurde.

Auch Williams glaubt nicht, dass das reparierte Chassis die Leistung in Japan beeinträchtigen wird. "Das Chassis ist nicht gebrochen, es ist die Aufhängungshalterung, die nicht an der richtigen Stelle ist", stellt Vowles klar. "Ich wäre überrascht, wenn ein Fahrer einen Unterschied zwischen den Chassis spüren würde."

Die Entscheidung, wer in Japan welches Chassis bekommt, ist noch nicht gefallen. "Ich möchte erst sehen, wie die Reparaturen vorankommen und wie gut es funktioniert", sagt der Teamchef. "Aber nach dem, was ich bisher gesehen habe, wird es keinen Leistungsunterschied geben."