• 07.09.2017 12:56

  • von James Allen

James Allen: UBS-Rennstrategie-Report für Formel 1 in Monza

Der Grand Prix von Italien ist strategisch gesehen nie das interessanteste Rennen, doch bei der Strategie war die Finesse von Mercedes und Ferrari faszinierend

(Motorsport-Total.com) - Ab dem Training am Freitag war klar, dass Mercedes für Monza das stärkere Paket hatte. Das kam nicht unerwartet. Ferrari bekam die Abstimmung am Freitag aber nicht in den Griff und konnte sie am Samstag aufgrund des Regens nicht in Ordnung bringen. Nach einer schwachen Vorstellung im Qualifying war Ferrari nicht nur hinter Mercedes, sondern auch hinter den beiden Mercedes-Kundenteams Williams und Force India.

Titel-Bild zur News: Valtteri Bottas

Strategisch war das Rennen trotz Einstopp-Strategie interessant Zoom

Hier werden wir analysieren, was von diesem Moment an geschah, der Ferrari so aus dem Konzept brachte, und wie die Taktik dahinter ebenso viel mit dem nächsten Rennen in Singapur zu tun hat wie mit Monza. Wir werden uns auch anschauen, wie Daniel Ricciardo und Red Bull eine Gegenstrategie aus dem Monza-Strategiebuch von Sergio Perez nahmen, um sich einen fantastischen vierten Platz zu sichern und den Ferrari von Kimi Räikkönen zu schlagen. Seltsamerweise hielt sich Perez dieses Mal aber nicht an sein eigenes Regelbuch.

Erwartungen vor dem Rennen

Monza ist traditionell ein Ein-Stopp-Rennen, da die Geschwindigkeit der Autos auf der Strecke von 360 km/h im Vergleich zu den 80km/h in der Boxengasse mehr Stopps ziemlich unattraktiv macht. In diesem Jahr brachte Pirelli neben der Soft- und Medium-Mischung erneut die Supersoft-Reifen mit nach Monza. Wie schon so oft in dieser Saison, wenn es die harte Mischung zur Auswahl gab, nutzen die Teams im Rennen nur die beiden weicheren Reifenmischungen.

Beide hielten im Rennen etwa 30 Runden und es gab von Supersoft zu Soft keinen signifikanten Geschwindigkeitsunterschied. Es war aber ziemlich klar, in welchen Runden die Stopps stattfinden würden. Die Abnutzung war am Renntag, wie erwartet, aber geringer als am Freitag, also gab es einen gewissen Spielraum.

Das Rennen war in einigen Punkten ungewöhnlich. Da es im Qualifying geregnet hatte, war es den Teams freigestellt, auf welchen Reifen sie ins Rennen gehen wollten, und die Top 10 mussten nicht wie normalerweise auf den Reifen aus dem Qualifying starten. Die meisten entschieden sich für Supersoft, um am Start besseren Grip zu haben. Und es war auch ein Rennen ohne eine einzige Gelbe Flagge, was extrem selten vorkommt.

Lewis Hamilton, Esteban Ocon, Lance Stroll, Kimi Räikkönen

Esteban Ocon und Lance Stroll sorgten für Außenseiter-Würze im Rennen Zoom

In der Startaufstellung standen die beiden Mercedes in den Top 4, getrennt durch die Kundenteams Williams mit Lance Stroll und Force India mit Esteban Ocon. Die Ferraris standen auf den Plätzen fünf und sechs, wobei Räikkönen vor Vettel stand.

Weiter hinten hatten sich Verstappen und Ricciardo, die Motorstrafen bekommen hatten, entschieden, auf dem Soft-Reifen zu starten. Die Frühphase des Rennens, als beide von langsameren Autos aufgehalten wurden, war die beste Zeit, diese Reifen einzusetzen und dann später bei freier Fahrt von den schnelleren Reifen zu profitieren.

Wenn man das macht, ist es wichtig, keine Kollision zu haben, nach der man früh stoppen muss, da die Supersoft-Mischung nicht bis zum Rennende durchhält und man noch einmal stoppen muss (da das Reglement vorschreibt, dass im Rennen zwei Mischungen verwendet werden müssen). Das ist genau das, was Verstappen nach seiner Berührung mit Massa passierte und es ruinierte sein Rennen.

Alonso und Grosjean waren auf der gleichen Strategie wie Red Bull. Für Alonso, der gerne auf den gleichen Reifen startet wie die Spitze, egal, wie weit er hinten steht, war das ungewöhnlich.

Ricciardo - von 16 auf vier und vor Räikkönen

Einer der besten Fahrer des Tages war Daniel Ricciardo, der bis auf vier Sekunden an einen Platz auf dem Podium herankam, nachdem er aufgrund einer Motorstrafe als 16. gestartet war. Er wendete die gleiche Gegenstrategie an, mit der er schon 2015 von Platz 15 auf acht nach vorne gekommen war und die auch Sergio Perez 2012 sehr erfolgreich für Sauber angewendet hatte, als er von Platz zwölf bis auf Position zwei nach vorne fuhr.

Dabei startet man auf dem härteren Reifen, fährt einen längeren ersten Stint und greift dann am Ende auf den weicheren Reifen an. Das funktioniert in Monza sehr gut, da man dort überholen kann.

Ricciardos Ziel waren die Ferraris. Im Freien Training am Freitag sah es so aus, als könnten die Red Bulls mit den Ferraris mithalten. Aber er hatte viele Autos vor sich und würde auf die Ferraris Zeit verlieren, außer diese würden von Ocon und Stroll aufgehalten. Vettel kam an ihnen vorbei, Räikkönen hatte damit aber Probleme - und das war für ihn der Anfang vom Ende.

Force India und Williams kämpften ihren eigenen Kampf um Platz vier in der Konstrukteursmeisterschaft und waren bei diesem Rennen daher auf sich und ihre eigenen Strategien konzentriert. Als Ocon Stroll am Start überholte, blieb der Teenager dran, und Räikkönen folgte dem Paar.

Was man in der Situation von Ferrari tun kann, ist warten, bis sie sich gegenseitig beim Boxenstopp überholen, länger draußen bleiben und sie dann Dank der besseren Ferrari-Power beim eigenen Stopp überholen.

Kimi Räikkönen

Die Strategie von Kimi Räikkönen ging nach hinten los Zoom

In diesem Fall passierte das aber nicht, denn Räikkönen bat um neue Reifen, bevor Ferrari ihn in Runde 15 an die Box rief. Das Problem dabei ist aber, dass ein Undercut nur funktioniert, wenn die neuen Reifen in deiner Garage entscheidend schneller sind als die an deinem Auto. In dieser Situation war das am Ende von Runde 14 und mit wenig Verschleiß nicht der Fall.

Räikkönen kassierte Stroll, denn der Kanadier hatte einen recht langsamen Stopp, aber Ocon konnte beide problemlos hinter sich halten und seine Position verteidigen. All das spielte Ricciardo und Red Bull in die Karten. Er fuhr einen langen ersten Stint und schnappte sich dann Räikkönen, als seine neuen Supersofts Räikkönens gebrauchten Softs überlegen waren. Am Ende konnte er Vettel beinahe Platz drei streitig machen; der Ferrari-Pilot konnte sich aber wehren.

Force India und Williams weiter vor dem Mittelfeld als normalerweise

Gehen wir also einen Schritt zurück und betrachten die Rolle der beiden Ausreißer in dieser Rennsituation. Die Rennverlaufsgrafik (unten) ist in dieser Woche ziemlich aussagekräftig. Die Force-India- und Williams-Autos hatten einen größeren Leistungsvorsprung auf das Mittelfeld als normalerweise und mehr als in Kanada - einer weiteren Strecke, auf der mit wenig Abtrieb gefahren wird. Was war also der Grund dafür?

Nun, eine Theorie hat damit zu tun, welche Entscheidung Mercedes bezüglich der Motoreinstellungen bei Ocons und Strolls Auto am Sonntag getroffen hatte (wie auch bezüglich der Werksautos). Da sie Stroll und Ocon als Puffer zwischen sich und Ferrari hatten, hatten sie die Möglichkeit, maximale Punkte gegenüber ihren Rivalen zu holen und die Scuderia auf heimischem Territorium gleichzeitig zu demütigen, was unweigerlich Konsequenzen haben würde.


Fotostrecke: GP Italien, Highlights 2017

Bei diesen Hybrid-Motoren gibt es verschiedene Einstellungen, die möglich sind, und es hängt von dem "Schaden" ab, den die Fahrer laut Hersteller anrichten dürfen, indem sie mit maximaler Belastung fahren. Normalerweise fährt man am Start des Rennes und nach dem Safety-Car am Maximum, ansonsten fährt man ihn zurück, um den Schaden so gering wie möglich zu halten und somit die Zuverlässigkeit und Lebensdauer der Motoren zu maximieren.

Force India und Williams sind im Normalfall - zumindest bezüglich der Höchstgeschwindigkeit - starke Autos. Eine genaue Analyse der Daten am Ende der Geraden vom Sonntag in Monza deutet aber darauf hin, dass Mercedes sowohl Hamilton und Bottas, als auch den beiden Kunden Ocon und Stroll erlaubte, in diesem Rennen mehr Schaden anzurichten als normalerweise.

Lewis Hamilton

Zwischen dem Werksteam und den Kunden gab es kaum Unterschiede Zoom

Bei der Geschwindigkeitsmessung in Kurve 1 waren die Mercedes-Autos ohne Windschatten zwischen 328 und 330 km/h schnell. Mit Windschatten waren es bis zu 350 km/h. Interessanterweise gab es keinen echten Unterschied zwischen den Werksautos mit den Serie-4-Motoren und den Kundenautos mit den Serie-3-Aggregaten. Das hielt für den größten Teil des Rennens an.

Ferrari war indes zwischen 316 und 318 km/h schnell, ein Defizit von mehr als zehn km/h auf der Geraden in jeder Runde. Vettel kam nach 53 Runden 36 Sekunden hinter dem Sieger Hamilton ins Ziel, während die Kunden Räikkönen den Tag verdarben. Auf dem Podium streute Hamilton noch Salz in die Wunde, als er sagte: "Mercedes-Power ist besser als Ferrari-Power." Ferrari-Präsident Marchionne nannte die Vorstellung später "peinlich".

Die Vorstellung ist verlockend, das Rennen so zu sehen, dass Mercedes wusste, dass sie in Monza sowieso gewinnen würden. Das Rennen bot aber die Gelegenheit, Ferrari beim Heimrennen weh zu tun, bei dem das rote Team sowieso immer nervös ist. Wenn man alle Aktiva zusammennimmt, um Ferrari das Leben schwer zu machen, könnte es die Vorbereitungen für das nächste Rennen beeinflussen. Das ist eines, bei dem Ferrari erwartet zu gewinnen - Singapur.


Großer Preis von Italien in der Strategieanalyse

Nach dem Doppelsieg von Mercedes in Monza analysiert das Team das Rennen und rekapituliert die verschiedenen Strategien. Weitere Formel-1-Videos

In Maranello muss Ferrari nun sehr stark sein und Monza schnell vergessen und sicherstellen, in Singapur in Bestform zu sein. Vettel hatte nach dem Rennen Recht, sich eher auf die positiven Dinge zu konzentrieren als auf die negativen, wie es Präsident Sergio Marchionne tat. Vettel wusste, dass Monza nicht Ferraris Wochenende werden würde, bevor er am Donnerstag im Fahrerlager ankam. Er möchte aber nicht, dass das Team den Fokus vor dem Rennen in Singapur verliert, das sie unbedingt gewinnen müssen.

Der UBS-Rennstrategiereport ist von James Allen geschrieben, mit Input verschiedener führender Formel-1-Teamstrategen und von Pirelli.
Die Rennverlaufsgrafik wird von Williams zur Verfügung gestellt.

Gezeigt werden die Abstände in Sekunden und somit die Leistungsunterschiede. Eine Aufwärtskurve deutet eine gute relative Pace an, eine Abwärtskurve das Gegenteil. Ein plötzlicher Abfall steht für einen Boxenstopp.

Betrachten wir die Pace von Ocon und Stroll im ersten Stint im Vergleich zum Mittelfeld (zum Beispiel Toro Rosso und Renault), mit denen sie normalerweise eng beieinander liegen. Der Abstand ist größer als sonst. Das liegt teilweise an der ungewöhnlichen Situation des Mercedes-Motors, der mit höherer Leistung gefahren werden durfte.

Wenn man den Abstand der Stopps zwischen Räikkönen (Runde 15) und Vettel (Runde 31) anschaut, hätte Räikönen auf einen Undercut-Versuch von Stroll gegenüber Ocon warten und einen Overcut gegen beide tätigen können.

Man beachte auch den Fortschritt von Ricciardo, nachdem er freie Fahrt hatte. Er verfiel nicht in Panik, als seine Reifen im Verkehr heiß wurden, sondern fuhr weiter und wurde am Ende mit Platz vier belohnt.