Interview mit Cosworths Entwicklungschef Hitzinger

Alexander Hitzinger im 'F1Total.com'-Interview über das Abschneiden Cosworths bisher, 19.000 Touren ab Montreal und vieles mehr

(Motorsport-Total.com) - Die Leistungen von Red Bull Racing in der laufenden Saison haben fast alle Experten überrascht, nachdem das Team erst im Winter von Ford an den österreichischen Energydrink-Hersteller verkauft worden ist. Parallelen zu Cosworth sind nicht zu übersehen: Auch die Zukunft der Motorenschmiede hing an einem seidenen Faden, doch auch ihr ist eine Überraschung gelungen.

Titel-Bild zur News: Alexander Hitzinger

Alexander Hitzinger, ein Deutscher, ist bei Cosworth für die Formel 1 zuständig

Trotz der Verdoppelung der Laufleistung der Motoren hat es Cosworth geschafft, im Vergleich zu 2004 300 Umdrehungen pro Minute und 25 PS zuzulegen, was auf eine Neufokussierung der Ressourcen zurückzuführen ist. Alexander Hitzinger, ein 33-jähriger Deutscher, nahm sich Zeit, um mit 'F1Total.com' den aktuellen Stand der Dinge bei Cosworth zu analysieren. Im Folgenden das Transkript des Interviews mit dem Formel-1-Entwicklungschef der Mannschaft aus Northampton.

"Wir haben einen großen Schritt nach vorn gemacht"

Frage: "Alexander, ihr habt die ersten drei Saisonrennen nach neuem Reglement hinter euch. Ist motorenseitig alles so gelaufen, wie ihr euch das vorgestellt habt?"
Alexander Hitzinger: "Wir haben einen großen Schritt nach vorn gemacht. Oder anders ausgedrückt: Möglicherweise haben andere einen größeren Schritt als erwartet nach hinten gemacht. Es sieht so aus, als seien leistungsmäßig alle enger zusammen als letztes Jahr. Von daher sind wir gut dabei. Lebensdauermäßig sieht es auch gut aus. Wenn man die Laufleistung von 700 auf 1.300 Kilometer erhöht, können viele Dinge schief gehen, die man nicht planen kann. Davon ist aber nichts eingetreten. Alles sieht soweit also recht gut aus."

Frage: "Waren eure Motoren am Limit, als ihr sie nach dem zweiten Rennen in Malaysia zerlegt habt, oder hättet ihr sogar noch weiterfahren können?"
Hitzinger: "Wir haben die Motoren nach Malaysia auf dem Prüfstand weiterlaufen lassen. Damit haben wir eine Gesamtlaufleistung von 1.800 Kilometern erreicht."

Imola nach Bahrain-Hitzeschlacht ein echter Härtetest

Frage: "Jetzt steht Imola vor der Tür, aber die meisten Motoren haben schon das Hitzerennen von Bahrain hinter sich. Macht euch das Sorgen?"
Hitzinger: "Auf alle Fälle. Der Grand Prix von Bahrain war der heißeste in der Geschichte der Formel 1. Es hatte dort 42 Grad. Das ist für einen Motor schon sehr heftig. Christian (Klien; Anm. d. Red.) hatte natürlich das Pech, dass er das Rennen gar nicht erst bestreiten konnte, weil er auf dem Grid stehen geblieben ist. Aus dem Grund ist das Risiko bei seinem Motor natürlich wesentlich geringer. Bei David (Coulthard; Anm. d. Red.) haben wir zwar nicht Bedenken in dem Sinn, aber irgendwo doch ein gewisses Kribbeln."

Frage: "Ist die Annahme richtig, dass Bahrain für die Motoren noch schwieriger als Malaysia war, weil die Luftfeuchtigkeit in der Wüste geringer ist?"
Hitzinger: "Bahrain war schwieriger für die Motoren als Malaysia - nicht nur wegen der geringeren Luftfeuchtigkeit, auch wegen des höheren durchschnittlichen Drehzahlniveaus und des höheren Volllastanteils. Ich hatte ursprünglich etwas Bedenken bezüglich der Luftfiltration, aber die Motoren haben keine offensichtlichen Probleme gezeigt, soweit man das beurteilen kann, ohne sie zu zerlegen."

Hitzinger outet sich als Befürworter der neuen Regeln

Frage: "Durch die Änderungen im Reglement ist die Motorenentwicklung zwar langfristig billiger geworden, kurzfristig aber sicher nicht. Das steht gar nicht zur Diskussion. Was aber ist deine persönliche Meinung in dieser Frage? Wärst du eher beim alten Reglement geblieben oder befürwortest du die Maßnahmen der FIA?"
Hitzinger: "Ich denke, die Regeln sind gut. Dass die Lebensdauer der Motoren von einem Rennen auf zwei Rennen erhöht worden ist, reduziert auf alle Fälle die Kosten. Da die Motoren wesentlich langlebiger sind, braucht man für den Rennbetrieb und auch beim Testen ganz einfach eine geringere Stückzahl. Es wirkt sich also nicht nur auf die Rennen, sondern auch auf die Tests aus. Heutzutage kann man einen dreitägigen Test mit einem Motor absolvieren."

"2006 greifen dann wesentlich mehr Restriktionen bezüglich der Materialien, Dimensionen und so weiter. Das reduziert den Entwicklungsaufwand, weil bestimmte Entwicklungsrichtungen ganz einfach nicht mehr erlaubt sind. Je weniger unterschiedliche Entwicklungsrichtungen man verfolgt, desto weniger Geld gibt man unterm Strich aus. Das wird meiner Meinung nach definitiv Kosten reduzieren. Daher bin ich ein Befürworter der neuen Regeln."

Stabiles Reglement wäre im Sinne von Cosworth

Frage: "Meine nächste Frage wäre gewesen, wie dein Wunschreglement aussehen würde. Aus deiner Antwort schließe ich aber, dass sich das ohnehin weitgehend mit der aktuellen Situation deckt. Oder hast du noch andere Vorschläge?"
Hitzinger: "Man kann natürlich viele Ideen haben, aber irgendwo muss man einmal einen Kompromiss finden, der für alle annehmbar ist. Ich glaube, dass der Kompromiss, den wir jetzt haben, ganz gut ist. Von daher würde ich nicht unbedingt etwas ändern - speziell nicht kurzfristig, denn jede Änderung kommt mit Kosten. Das Reglement, das wir jetzt haben, sieht aber gut aus. Hoffentlich ist es mal eine Zeit lang stabil."

Frage: "Wie war es für Cosworth eigentlich möglich, von 2004 auf 2005 einen so großen Sprung zu machen, obwohl die Zukunft des gesamten Unternehmens unsicher gewesen ist?"
Hitzinger: "In so einer Situation kann man eigentlich nur so gut wie möglich arbeiten. Das war im Prinzip jedem von uns klar. Wir haben viel umstrukturiert. Das Team arbeitet sehr effizient - effizienter als in der Vergangenheit. Wir haben unsere Arbeitsweise und unseren Fokus, auf welche Bereiche wir uns konzentrieren, geändert. Oftmals ist es besser, sich auf wenige Bereiche zu konzentrieren, in diesen dafür aber mehr ins Detail zu gehen. Unsere Verbesserung ist nicht das Resultat von ein paar Monaten Arbeit."

Zweijahresplan von Cosworth mündet 2006 im V8

"Die Verbesserung ist das Resultat jener Maßnahmen, die wir Anfang 2004 in die Wege geleitet haben. Damals wurde die hauptsächliche Umstrukturierung innerhalb von Cosworth durchgeführt. Wir haben einen zweijährigen Entwicklungsplan aufgestellt, dessen endgültiges Ziel der neue Motor für 2006 ist. Das ist noch vor der V8-Diskussion entschieden worden. An diesem Entwicklungsprogramm haben wir kontinuierlich gearbeitet und langfristige Forschungsprojekte durchgezogen. Jetzt fangen wir gerade erst an, die Früchte davon zu ernten. Der TJ2005 ist der erste Schritt, das Upgrade Mitte des Jahres wird der zweite Schritt sein und der V8 für 2006 das ultimative Ziel dieses Entwicklungsprojekts."

Frage: "Renault hat vor ein paar Jahren mit einem Weitwinkelkonzept experimentiert. Ist so ein radikaler Schritt auch bei euch möglich - gerade jetzt, wo auf den V8 umgestellt wird?"
Hitzinger: "Nein, denn der V8 muss einen V-Winkel von 90 Grad haben. Wir hatten aber in der Vergangenheit schon einmal einen 120-Grad-Motor. Der ist zwar nie im Auto gelaufen, war aber für den Jaguar R3 angedacht."

Frage: "Warum habt ihr dieses Konzept wieder fallen gelassen? Der Renault-Motor hat damals ja zu starke Vibrationen verursacht."
Hitzinger: "Damals, das war 2001, war unser Motor gut. Die Teamführung hat keinen Grund gesehen, das Motorenkonzept dramatisch zu ändern. Man wollte sich mehr auf das Chassis konzentrieren."

Minardi zunächst mit identischen Motoren wie Red Bull

Frage: "Ab Imola fährt auch Minardi mit eurem neuen Motor. Bekommen sie identisches Material wie Red Bull?"
Hitzinger: "Bis Mitte der Saison, ja, aber dann bekommt Red Bull eine Ausbaustufe."

Frage: "Kannst du in Rundenzeiten festmachen, um wie viel das Minardi schneller machen wird? Die Steigerung soll ja bei 60 PS liegen."
Hitzinger: "Die Steigerung liegt in diesem Bereich, ja, und der TJ2005 kann auch über die zwei Wochenenden wesentlich länger mit maximaler Leistung betrieben werden. Das auf eine Rundenzeit umzurechnen, ist unmöglich, weil das Chassis und der Motor sich gegenseitig beeinflussen und beides zur gleichen Zeit geändert wird. Wenn zum Beispiel der Motor das Chassis weniger fahrbar macht, würde man nicht die äquivalente Verbesserung in der Rundenzeit zu den PS herausbekommen. Umgekehrt hat man aber auch keine vernünftige Referenz für den Motor, wenn das Chassis schwierig zu fahren ist."

Sicherheitsnetz von Ford ist durch die Übernahme weg

Frage: "Bei Jaguar ist nach der Übernahme durch Red Bull ein richtiger Ruck durch die Mannschaft gegangen. War das bei euch auch der Fall, als ihr von Kevin Kalkhoven und Gerald Forsythe übernommen worden seid, und was hat sich durch die neuen Eigentümer alles verändert?"
Hitzinger: "Kevin ist sehr an der Formel 1 interessiert, sehr unterstützend. In der Firma hat sich ein Umdenken eingestellt: Man ist sich klar, dass man nicht mehr dieses Sicherheitsnetz von einem Fahrzeughersteller hat. Jetzt müssen wir uns alles erarbeiten. Ich will das nicht falsch rüberbringen, denn wir haben immer hart gearbeitet, aber irgendwo hat sich daraus schon ein Motivationsschub ergeben."

"Im Endeffekt wollen wir einen konkurrenzfähigen Motor bauen. Das ist die einzige Möglichkeit, Teams zu bekommen. Als wir noch zu Ford gehört haben, war ganz klar, dass unser Motor immer in den Jaguar kommen würde, und dadurch hatten wir weniger Druck. Der Wechsel von Ford zu Kevin, was das Eigentum von Cosworth angeht, hat dieses Umdenken veranlasst."

"Sind im Moment im Gespräch mit verschiedenen Teams"

Frage: "Es gab Befürchtungen, dass euer Formel-1-Programm nur noch auf Sparflamme weiterlaufen würde, als die beiden ChampCar-Herren eingestiegen sind. Die Erfolge sprechen jetzt aber eine andere Sprache. Ist die Formel 1 langfristig ein Fixpunkt von Cosworth?"
Hitzinger: "Ich gehe davon aus. Alles hängt davon ab, wie sich die Geschichte bezüglich Partnerteams entwickelt. Wir sind im Moment im Gespräch mit verschiedenen Teams, denen wir Motoren für nächstes Jahr liefern wollen. Ich hoffe, dass sich da kurzfristig etwas entscheidet, was unsere langfristige Zukunft definieren wird."

Frage: "Ihr geht auf eurer Internetsite erstaunlich offen mit den aktuellen Motorendaten um. Ist das ein Kurswechsel in eurer Medienstrategie? Wie muss man das interpretieren?"
Hitzinger: "Im Prinzip schon. Wir haben letztes Jahr viel schlechte Presse erhalten - zum Teil zu Unrecht. Viele Leute denken, dass der Motor letztes Jahr wesentlich schlechter war als das tatsächlich der Fall gewesen ist. Wenn man ein bisschen offener ist, wirkt das solchen Missverständnissen entgegen."

Ab Kanada: 19.000 Umdrehungen pro Minute, über 900 PS

Frage: "Vielleicht kann ich den Bogen gleich ein bisschen weiter spannen: Wo liegt ihr denn in Sachen Maximaldrehzahl und Leistung?"
Hitzinger: "Bei 18.300 Umdrehungen pro Minute im Moment. Mitte des Jahres wollen wir um einiges höher sein. Wir planen ein Upgrade mit einem relativ großen Drehzahlsprung. Das Ziel sind 19.000 Umdrehungen pro Minute. PS? Ich könnte jetzt natürlich eine Zahl nennen, aber die Motorleistung hängt auch immer davon ab, auf welche Bedingungen die Prüfstandsdaten korrigiert werden. Die Spitzenleistung ist nur ein kleiner Teil dessen, was einen Motor ausmacht. Ein guter Drehmomentverlauf kann einiges an Spitzenleistungsdefizit kompensieren."

Frage: "Aus deiner Umschreibung schließe ich, dass ihr von der Top-Leistung nicht ganz vorn dabei seid, dafür aber eine gute Fahrbarkeit habt, richtig?"
Hitzinger: "Ja, das würde ich so sagen. Die Fahrbarkeit ist sehr gut und auch David macht darüber immer wieder lobende Bemerkungen. In der Spitzenleistung sind wir auch nicht schlecht. Man hört teilweise sehr hohe Zahlen. Was ist deine Auffassung, wo die Latte im Moment liegt?"

Cosworth im Moment knapp unter 900 PS

Frage: "Schwer zu sagen, weil da ja niemand etwas verraten will. Aber über den Daumen gerechnet ungefähr bei 900 PS."
Hitzinger: "Das ist eine realistische Zahl. Wir sind etwas darunter, aber nicht viel. Mitte der Saison wollen wir darüber sein."

Frage: "Bist du als Leiter der Formel-1-Entwicklung von Cosworth eigentlich auch in die Entscheidungsprozesse bezüglich der Partnerteams involviert?"
Hitzinger: "In gewisser Weise schon. Ich treffe natürlich nicht die Entscheidung, aber wir haben ein recht offenes Verhältnis und diskutieren diese Sachen natürlich untereinander."

Frage: "Wer wird also nach derzeitigem Stand der Dinge 2006 mit Cosworth-Motoren fahren?"
Hitzinger: "Das kann ich nicht sagen. Es gibt noch keine Verträge, nur Verhandlungen mit einigen Teams. Es ist aber noch nichts entschieden."

Mögliche Partner: Red Bull, Minardi und Midland

Frage: "Red Bull ist einer eurer Verhandlungspartner, nehme ich an, dazu Minardi. Wer sonst noch?"
Hitzinger: "Wir reden auch mit Midland, klar. Im Prinzip sprechen wir mit allen, die einen Motor haben wollen."

Frage: "Im Gegensatz zu den Herstellern müsst ihr mit euren Motoren Geld verdienen. Macht es dir Sorgen, wenn die Hersteller jetzt daherkommen und Motoren zum halben Preis versprechen?"
Hitzinger: "Wenn die Hersteller wirklich in Zukunft extrem subventionierte Motoren anbieten sollten, macht das natürlich unser Leben schwerer, gar keine Frage."

Ein Podium ist Hitzingers erklärtes Saisonziel

Frage: "Womit wärst du am Saisonende aus Cosworth-Sicht zufrieden?"
Hitzinger: "Es wäre sehr, sehr schön, ein Podium zu bekommen. In Australien waren wir schon knapp dran. Das wäre super. Der sechste Platz in der Meisterschaft wäre meiner Meinung nach ein gutes Ergebnis. Am wichtigsten ist, dass unsere Partnerteams am Saisonende mit der Arbeit von Cosworth zufrieden sind."

Frage: "Und längerfristig?"
Hitzinger: "Langfristig wollen wir natürlich Rennen gewinnen, keine Frage. Wir wollen unseren Motor in einem Team haben, das um die Weltmeisterschaft kämpft. Ich persönlich mache das ja auch nicht, nur um dabei zu sein. Das ist nicht meine Intention."