• 12.12.2005 13:22

Interview: Hondas neuer Windkanal in Brackley

Hondas Windkanalchef Graham Miller im Interview über die völlig neue Anlage in Brackley, die voraussichtlich im Sommer 2006 fertig wird

(Motorsport-Total.com) - Die meisten Topteams der Formel 1 haben mindestens einen eigenen Windkanal vom allerhöchsten Standard, doch Honda hat schon bald zwei: Zusätzlich zur bestehenden Anlage entsteht in Brackley gerade ein dreistöckiges Gebäude, welches einen der so begehrten Aerodynamikprüfstände enthalten wird. Windkanalchef Graham Miller erklärt im Interview die Vorzüge des Projekts.

Titel-Bild zur News: Windkanal

Die Windkanäle sind heute die Herstücke eines jeden erfolgreichen Formel-1-Teams

Frage: "Graham, wie wichtig ist die Aerodynamik bei einem modernen Formel-1-Rennwagen?"
Graham Miller: "Die Entwicklung der Aerodynamik bei Rennwagen ist in der Formel 1 unentbehrlich geworden, seit Lotus Ende der 60er Jahre damit begann, mit Heckflügeln an Rennwagen zu experimentieren. Ende der 70er Jahre wurde ein neues aerodynamisches Konzept entwickelt, bei dem die gesamte Unterseite des Wagens wie eine umgedrehte Flugzeugtragfläche fungierte und den Wagen buchstäblich an die Fahrbahnoberfläche saugte. Damals horchte die gesamte Formel-1-Welt auf und begann damit, die Aerodynamik sehr ernst zu nehmen. Die Teams erkannten die Bedeutung der Windkanaltechnologie."#w1#

15 Prozent des Entwicklungsbudgets entfallen auf die Aerodynamik

"Heutzutage gibt ein Team normalerweise mindestens 15 Prozent seines Entwicklungsbudgets für die Aerodynamik aus, und die Verwendung von Windkanälen ist die einzige Möglichkeit, um vorne mitmischen zu können. Sie gehören zu unseren wichtigsten Werkzeugen."

Frage: "Wo wird euer neuer Windkanal gebaut?"
Miller: "Hier in Brackley. Wir haben ein vorhandenes Gebäude abgerissen, um Platz für das neue dreistöckige Gebäude zu schaffen, in dem sich der Windkanal befinden wird."

Frage: "Wann haben die Arbeiten an dem Projekt begonnen? Liegt ihr noch immer im Zeitplan, und wann wird der Tunnel richtig funktionieren?"
Miller: "Die Bauarbeiten haben vor genau einem Jahr, im Dezember 2004, begonnen. Zuerst wurde das vorhandene Firmengebäude abgerissen, um Platz für unsere neue Einrichtung zu schaffen. Das Programm verläuft planmäßig, und wir wollen mit den Tests im Juli 2006 beginnen."

Frage: "Was kostet der Windkanal, und muss er von einem speziellen Unternehmen gebaut werden?"
Miller: "Eine so komplexe Einrichtung kostet rund 30 Millionen Pfund (knapp 45 Millionen Euro; Anm. d. Red.). Der Windkanal ist eine Spezialanfertigung, genau wie das 'Rolling-Road'-System, auf dem sich die Testfahrzeuge befinden. Es handelt sich folglich um ein sehr technisches und kompliziertes Bauprojekt, bei dem der Bauunternehmer mit dem Flugzeugbauer und dem Hersteller des Rollbandes eng zusammenarbeiten muss. Gutes Teamwork und ausreichende Verständigung sind unabdingbar, um das Projekt innerhalb des knappen Zeitrahmens realisieren zu können."

Frage: "Wie groß und leistungsstark sind die Ventilatoren?"
Miller: "Der Hauptventilator hat einen Flügeldurchmesser von über fünf Metern und wird von einem 3.000 PS starken Elektromotor angetrieben, der ein Drehmoment von 32.000 ft-lb bei 500 Umdrehungen pro Minute erzeugt. Insgesamt gibt es 16 sich drehende Flügel und 27 statische Flügel - das sind sich nicht drehende Flügel, die tragende Teile der Ventilatorkonstruktion bilden. Dieser Ventilator bewegt rund 1.000 Kubikmeter Luft pro Sekunde, und wir werden im Testbereich Windgeschwindigkeiten von 80 Metern pro Sekunde erzielen!"

Neues Gebäude in Brackley enthält komplette Testanlage

BAR-Fabrik in Brackley

Die Honda-Fabrik im britischen Brackley wird derzeit massiv aufgerüstet Zoom

Frage: "Was wird sich außerdem in diesem Gebäude befinden?"
Miller: "Der Windkanal selbst sowie alle erforderlichen Anlagen, einschließlich der Antriebselemente für den Ventilator und die 'Rolling Road', elektrische Transformatoren, Kompressoren und Vakuumpumpen sowie eine vollständig integrierte Fertigungseinrichtung. Außerdem gibt es einen vollständig ausgestatteten Serverraum, in dem sich die Server für den Windkanal befinden, sowie eine Notfalleinrichtung, die die gesamte Anlage im Notfall versorgt, falls es Probleme im Hauptserverraum im Hauptquartier gibt. Nebenbei wird es ein Museum und einen Präsentationsraum geben, damit wir unseren Gästen auch eine beeindruckende Umgebung bieten können."

Frage: "Das Honda-Team besitzt bereits einen kleineren Windkanal in Brackley. Worin liegen die Vorteile des neuen Tunnels?"
Miller: "Bei sorgfältiger Durchführung der Messungen bietet der neue Kanal viel genauere Ergebnisse. Es handelt sich um einen so genannten 'Closed-Jet'-Tunnel, der im Allgemeinen einen hochwertigeren Luftstrom erzeugt. Im anhaltenden Streben nach einer höheren Genauigkeit von Aerodynamiktestdaten geht der Trend hin zu größeren Modellen, die eine bessere Reproduktion der Fahrzeugoberflächen und eine höhere Genauigkeit bieten. Dazu sind natürlich große Testbereiche erforderlich, was zu höheren Investitionen und schließlich höheren Betriebskosten führt."

"Der vorhandene Windkanal ist von anderer Bauart: Es handelt sich um eine 'Open-Jet'-Konfiguration. Wie der Name schon sagt, besitzen 'Open-Jet'-Kanäle einen offenen Testbereich, in dem wir die beiden Wände und die Decke entfernen können. Im Prinzip wird bei dieser Bauart um das Modell herum ein Luftstrom erzeugt, der dem ähnelt, der auf der Rennstrecke erzeugt wird. Ein weiterer Vorteil sind die verbesserten Sicht- und Zugangsmöglichkeiten für den Testingenieur. Der Nachteil von 'Open-Jet'-Kanälen: Kräfte von außen können den Luftstrom auf unvorhersehbare Weise beeinflussen. Die Aerodynamiktestdaten sind folglich nicht immer so genau wie bei dem neuen geschlossenen Tunnel."

Bedingungen im Windkanal sollen möglichst realistisch sein

"Das letztendliche Ziel besteht darin, im Windkanal einen Luftstrom zu erzeugen, der dem auf der Rennstrecke weitgehend entspricht. Um dieses Ziel zu erreichen, besitzt unser neuer Windkanal einen Testbereich mit Wänden, die an die Fahrzeugkonturen und den Gierwinkel angeglichen werden können."

Frage: "Welche Teile werden in dem Windkanal getestet?"
Miller: "Wir möchten den Wagen und große Teile in dem neuen Kanal testen und natürlich auch Tests in unserer vorhandenen Einrichtung durchführen. Wie die meisten anderen Teams werden wir beträchtliche Veränderungen vornehmen, um die Rundenzeiten zu verbessern. Dazu gehören alle Bereiche der Fahrzeugoberfläche, einschließlich Front- und Heckflügel, die Seitenteile und der direkt angrenzende Bereich sowie Motorabdeckung und Boden."

Frage: "Welche Bedingungen könnt ihr in einem Windkanal simulieren?"
Miller: "Ein guter Windkanal ist ein unabdingbares Hilfsmittel für ein Formel-1-Team. Hier können Abtrieb und Luftwiderstand gemessen werden - zwei Komponenten, die sich sehr stark auf die Gesamtleistung des Wagens auswirken. Man muss aber fairerweise einräumen, dass noch niemand in der Lage ist, das Fahrverhalten eines Wagens auf der Rennstrecke in einem Labor zu simulieren, und der Windkanal ist ja nichts anderes als ein Labor."

"Die wichtigste Testvorrichtung in dem Windkanal, die speziell für die Arbeit an einem Formel-1-Wagen konzipiert wurde, ist der 'Rolling-Road'-Bereich, in dem der starke Aerodynamikeffekt simuliert wird, der entsteht, weil sich der Wagenboden so nah an der Straßenoberfläche befindet. Die 'Rolling Road' selbst ist drehbar, so dass wir den Wagen an die Windrichtung anpassen können. Das hat starke Auswirkungen auf den Abtrieb, weil ein Wagen bei Kurvenfahrt in einem anderen Winkel zum Wind steht. Wenn der Wagen plötzlich weniger Abtrieb besitzt, obwohl mehr Abtrieb erforderlich ist, dann hat man ein Problem! Wir müssen die im Windkanal erzielten Ergebnisse auf die Rennstrecke übertragen - nur darum geht es letzten Endes."

Frage: "Worin liegen die Vorteile eines Windkanals gegenüber der Verwendung von CFD-Simulationen am Computer?"
Miller: "CFD macht die Arbeit im Windkanal noch effizienter. CFD ist im Grunde eine Gleichung, die die Luftströmung reguliert, und auch die Auswirkungen von Turbulenzen können recht genau berechnet werden. Neu entwickelte Teile entstehen nicht mehr zufällig. Sie entstehen am Computer und durchlaufen CFD-Simulationen, um ihre Effektivität vor der Produktion zu testen."

Alle Aerodynamikteile werden im Windkanal getestet

"Wir erwarten, dass wir beide Einrichtungen rund um die Uhr verwenden werden." Graham Miller

"Aerodynamikteile müssen dann noch im Windkanal geprüft werden, da im Kanal - im Gegensatz zum Modell - 'richtige' Ergebnisse erzielt werden können. Windkanäle sind ferner produktiver im Hinblick auf die Anzahl der geplanten Teile, die in einem bestimmten Zyklus entwickelt werden. Aber der Betrieb eines Windkanals ist sehr teuer, und die CFD ist ein wichtiges Hilfsmittel, das sicherstellt, dass neue Entwicklungen höchstwahrscheinlich gut funktionieren, bevor sie im Windkanal getestet werden."

Frage: "Wie häufig wird der Windkanal nach seiner Fertigstellung verwendet?"
Miller: "Sehr häufig! Anfangs werden wir 24 Stunden pro Tag im neuen und 18 Stunden pro Tag im alten Tunnel testen, bevor wir auch den bisherigen Tunnel 24 Stunden täglich verwenden werden. Wir erwarten, dass wir beide Einrichtungen rund um die Uhr verwenden werden."

Frage: "Wird das Team weitere Aerodynamikspezialisten einstellen, wenn der Windkanal in Betrieb genommen wird?"
Miller: "Durch den zweiten Kanal stehen uns doppelt so viele Aerodynamiktesteinrichtungen zur Verfügung. Im Rahmen dieses Programms stellen wir eine Reihe neuer Mitarbeiter ein, einschließlich leitender Aerodynamikspezialisten, Windkanaltechniker, Modellentwickler und Maschinisten."

Frage: "Ist der neue Windkanal das fehlende Stück im Puzzle des Honda-Teams?"
Miller: "So ist es. Nach der Fertigstellung des Kanals im Sommer 2006 haben wir eine vollständig integrierte Einrichtung hier in Brackley sowie alle erforderlichen Mittel, damit wir die Weltmeisterschaft gewinnen können."