• 04.10.2006 10:13

  • von Inga Stracke

Inga on Tour: Achterbahnfahrt in Suzuka

'F1Total.com'-Reporterin Inga Stracke berichtet, warum die japanischen Fans angenehmer sind als die chinesischen, und erklärt die Strecke in Suzuka

(Motorsport-Total.com) - Hallo, liebe Formel-1-Fans! Seit 1987 findet der Japan-Grand-Prix in Suzuka - zirka zwei Stunden von Nagoya und dreieinhalb Stunden von Osaka entfernt - statt, zum vorerst letzen Mal. 2007 steigt der Grand Prix in Fuji, bei Tokio. Es gibt jedoch Gerüchte, dass wir einen zusätzlichen Grand Prix in Suzuka sehen werden, als Pazifik-Grand-Prix benannt, so wie zuletzt das Rennen 1995 in Aida.

Titel-Bild zur News: Inga Stracke in Suzuka

'F1Total.com'-Reporterin Inga Stracke mit einem Maskottchen in 'Suzuka-Land'

Zum vorletzten Lauf der Weltmeisterschaft 2006 startet die Formel 1 aber nochmals auf dem Grand-Prix-Kurs mitten in 'Suzuka-Land' - einem Vergnügungspark, der für die Mitarbeiter einer ortsansässigen Honda-Fabrik errichtet wurde. Der Kurs bietet alle Kurvenvarianten - von der sehr engen Spoon-Kurve bis zum Vollgaslinksbogen 130R. Die Möglichkeit extremer Wetterbedingungen - etwa Regen in Monsunstärke - und das nahe Saisonende erhöhen die Spannung zusätzlich.#w1#

Japanische Fans unglaublich enthusiastisch

Was mich hier schon beim ersten Besuch fasziniert hat, sind die japanischen Fans. Stundenlang harren sie schweigend auf den Tribünen - auch nachts - aus und beobachten die Mechaniker bei der Arbeit. Immer wieder sieht man in der Dunkelheit Fotoblitze aufleuchten. Sie warten ewig vor dem Fahrerlagereingang, um dann wild schreiend und lachend auf die herauskommenden Piloten loszustürmen und um Autogramme zu bitten. Ihre Bilder, Kartons und Magazine haben sie superordentlich in Plastik gehüllt, damit sie ja keinen Knick oder Fleck abbekommen, und meine japanischen Bekannten haben mir erzählt, dass viele ganze Monatsgehälter ansparen, um sich in Suzuka beim Grand Prix an den unzähligen Mechandisingständen mit möglichst originalgetreuen Kleidungsstücken einzudecken. Nirgendwo anders sieht man so viele Fans in Teamkleidung, von den Schuhen über die Socken, Hose, Hemd bis hin zur Mütze - da ist der Japaner Perfektionist!

Fans in Japan

Die japanischen Fans sind die enthusiastischsten der gesamten Formel 1 Zoom

Die Sparbücher werden geknackt und der gesamte Jahresurlaub geht drauf für die Reise zum Grand-Prix-Wochenende. Viele schlafen in ihren Autos auf den Streckenparkplätzen, und Sonntagnacht vor dem Rennen liegen sie - wenn es trocken ist - mit ihren Schlafsäcken sogar in Reih und Glied vor dem Streckeneingang auf dem Fußboden, um ja die Ersten zu sein, die reinkommen, um gute Plätze zu haben. Nach der lauten Hektik und Ellbogenmentalität in Shanghai empfinde ich Japan fast schon als wohltuend, obwohl es auch hier alles andere als ruhig zugeht. Die Aufzüge im Hotel sprechen mit einem, jedes Auto piept, wenn es rückwärts fährt, und auch sonst klingelt, dingdongt und dröhnt es an jeder Ecke. Sensationell übrigens: die Getränkeautomaten. Überall stehen sie an der Straße, und vom vitaminangereicherten Zuckerwasser bis hin zu heißem Kaffee - wahlweise mit Zucker, Milch oder schwarz, in Dosen (!) - gibt es alles.

Traditionell übrigens ist am Sonntagabend nach dem Rennen Karaokesingen mit Teammitgliedern und Piloten in den Log-Kabinen an der Strecke angesagt - so ziemlich das einzige, was man in Suzuka am Sonntagabend partymäßig unternehmen kann (abgesehen von der Honda-Party traditionell am Donnerstagabend im Vergnügungspark, wo man zu Sushi, japanisches Bier und Sake gereicht bekommt und dann jede Menge Spaß haben kann, kostenlos so oft Achterbahn zu fahren wie man mag oder es der Magen verträgt - ein Kollege jammert heute noch, ohne dass ich Namen nennen will...).

Suzuka ist in Form einer Acht angelegt

Doch kommen wir zum Sportlichen. Eines steht fest: Suzuka ist eine der wenigen Strecken, die durch die Modernisierung deutlich an Attraktivität gewonnen hat. 1987 wurde Suzuka gründlich umgebaut und auf neue Standards gebracht; damit konnte man die Formel 1 nach zehnjähriger Abwesenheit wieder nach Japan zurückholen. Es ist die einzige Strecke, die eine Acht beschreibt, und viele große und entscheidende Duelle haben hier über den WM-Titel entschieden. In den schnellsten Rundenabschnitten sind die Motorleistung und geringer Luftwiderstand entscheidend, hingegen kommt es an anderen Stellen auf ganz andere Aspekte an. Suzuka ist sehr facettenreich.

Suzuka

Vom Flair her erinnert Suzuka nicht gerade an Monaco oder Melbourne... Zoom

Für Ralf Schumacher ist Suzuka wie eine Heimstrecke, da er hier bereits viel in der japanischen Formel 3000 gefahren ist. Auch Ex-Piloten wie Jacques Villeneuve, Heinz-Harald Frentzen, Mika Salo und Eddie Irvine sind früher in der japanischen Nachwuchsserie gefahren - wie heute zum Beispiel Adrian Sutil.

Die Stadt Suzuka liegt an der Südostküste der japanischen Hauptinsel Honshu und gehört zur Mie-Präfektur. Die ortsansässige Industrie stellt vor allem Nahrungsmittel und Textilien her, außerdem hat Honda große Fertigungsstätten in Suzuka. Die Stadt wurde im Jahr 645 erstmals urkundlich erwähnt und hat heute etwa 184.000 Einwohner. In Suzuka gibt es eine medizinische Universität. Zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt gehören buddhistische Tempel sowie Shinto-Schreine. Im Jahr 2000 wurde das Formel-1-Fahrerlager während des Trainings von den Ausläufern eines Erdbebens leicht erschüttert. Ich kann mich noch daran erinnern, wie wir uns kurz fragten, was das jetzt war. Manch einer meinte danach, er hätte für einen Augenblick geglaubt, es seien die Nachwirkungen des Sake vom Vorabend. 2004 fiel die Qualifikation am Samstag wegen eines vorbeiziehenden Taifuns aus, die Piloten beschäftigten sich stattdessen mit Fußballspielen und Bowling.

Der Kurs ist eine Fahrerstrecke, etwas für Piloten mit großem Selbstvertrauen. Auch wenn einige Fahrer sie einst Mickey-Mouse-Kurs nannten und meinten, sie sei für Formel-3-Autos eher geeignet als für die Formel 1, hat sie Herausforderungen parat! Die Spoon-Kurve und die modifizierte, sehr schwierige 130R-Kurve verlangen hohen Abtrieb. Wiederum ganz andere Anforderungen stellt die letzte Schikane am Ende der Runde: Einerseits benötigt man starke Bremsleistung und -stabilität am Schikanenanfang und andererseits sehr guten mechanischen Grip und Traktion am -ausgang. Außerdem ist der Streckenbelag ziemlich rau, was die Wahl der Reifenmischung zu einem entscheidenden Faktor macht.

Fahrer und Ingenieure kommen gerne nach Suzuka

All das sind Gründe, weshalb Suzuka ein Favorit der Fahrer und Ingenieure ist. Jeder ist bestrebt, das Beste aus dem Auto herauszuholen. Es gibt kaum Überholmöglichkeiten und daher ist eine taktisch gute Startposition wichtig. Da der Kurs so lang und gewunden ist, kann man schnell viel Zeit verlieren, wenn man hinter einem langsameren Fahrzeug festsitzt und nicht daran vorbeikommt.

Karaoke-Bar in Suzuka

Karaoke zählt am Sonntag nach dem Rennen immer zum Standardprogramm Zoom

Der Kurs ist einer der längeren der Formel 1 und hart zu den Reifen. Schon der Start ist eine haarige Angelegenheit: Es geht bergab, jeder muss aufpassen, dass er nicht anrollt, denn ein Frühstart gibt eine Zehn-Sekunden-Strafe! 1998 hat "Schumi" hier den Motor abgewürgt und musste sich ganz hinten einreihen. In einer grandiosen Aufholjagd hatte er sich nach vorne gekämpft, bis dann ein Reifen platzte, und mit ihm auch die Titelhoffnung - Mika Häkkinen wurde zum ersten Mal Weltmeister.

Die Doppelrechts bietet gerade nach dem Start Spannung - mit erhöhter Crashgefahr! 1989 zum Beispiel im gnadenlosen Duell der Helden Senna und Prost legte es Prost in der Schikane auf eine Kollision an, und er gewann! Die Fortsetzung kam ein Jahr später: Senna führte in der WM mit elf Punkten vor Prost, noch vor der ersten Kurve revanchierte sich Senna für die Vorjahreskollision - beide fielen aus und Senna holte den WM-Titel!

Die schnellen, fließenden Kurven zu Beginn der Runde in Kombination mit einer Haarnadel, einer Schikane und der berüchtigten Hochgeschwindigkeitskurve 130R stellen große Ansprüche an die Fahrer. Einige Bodenwellen, die sich im Laufe der Jahre verstärkt haben, machen den Piloten allerdings weniger Freude. Einmalig in der Formel 1 auch die Streckenunterführung durch einen Tunnel, vor der Haarnadel. Dort ist übrigens auch eine Überholmöglichkeit, aber aufgepasst: Die meisten Zweikämpfe gibt es in der letzten Schikane vor Start und Ziel.

Ich freue mich vor allem aber auch auf Tokio - beim kurzen Zwischenstopp auf dem Weg von Shanghai nach Suzuka werde ich mir zum ersten Mal die japanische Metropole anschauen. Ich bin schon riesig gespannt!

Bis bald, eure Inga Stracke von der Strecke!