• 20.07.2010 14:40

Horner-Interview: Freie Fahrt für Vettel und Webber

Red-Bull-Teamchef Christian Horner im Interview über Flügelknappheit und WM-Chancen: "Egal, ob der Australier oder der Deutsche"

(Motorsport-Total.com/SID) - Sebastian Vettels Teamchef Christian Horner ist im Moment mehr als Schlichter im Streit zwischen Vettel und Teamkollege Mark Webber gefordert als bei der Weiterentwicklung des zurzeit wohl besten Autos der Formel 1. Nach dem offenen Zwist in Silverstone und einem klärenden Gespräch mit Webber glaubt der Brite allerdings, bei Vettels Heimspiel am Sonntag in Hockenheim wieder Ruhe im "Bullenstall" zu haben und sich auf die Jagd nach den führenden McLaren-Piloten machen zu können.

Titel-Bild zur News: Christian Horner (Teamchef)

Teamchef in Nöten: Christian Horner war zuletzt eher als Schlichter im Einsatz

Frage: "Christian, was ist im Moment für Sie der schwierigere Job: an der Atmosphäre im Team zu arbeiten oder das Auto zu verbessern?"
Christian Horner: "Die Atmosphäre im Team ist gut. Wir haben zwei sehr starke Fahrer, das Team macht einen außergewöhnlichen Job. Neun Pole-Positions in zehn Rennen, wir haben fünf Rennen gewonnen, drei Doppelsiege geholt. In einigen Rennen hatten wir auch Pech."#w1#

"Ich denke, die erste Hälfte der Saison ist für uns gut gelaufen. Sie hätte noch besser sein können, aber wir haben mehr Rennen gewonnen als die anderen Teams. Leider hängen wir in der Meisterschaft zurück wegen der größeren Konstanz der McLaren-Fahrer. Aber es ist ein knapper Rückstand angesichts des neuen Punktesystems, und es könnte eine sehr interessante und aufregende zweite Saisonhälfte werden."

Keine Zwischenfälle mehr

Frage: "Was müssen Sie tun, um den Rückstand aufzuholen oder sogar an McLaren vorbeizuziehen?"
Horner: "Wir müssen uns darauf konzentrieren, die Performance des Autos zu verbessern, und sicherstellen, dass wir das Maximum herausholen. In den nächsten Rennen ist es wichtig, doppelt zu punkten, dafür dürfen die Fahrer nicht in Unfälle verwickelt sein."

Frage: "Mark Webber hat nach dem Rennen in Silverstone öffentlich heftige Kritik am Team geäußert. Hatten Sie mit ihm schon ein klärendes Gespräch?"
Horner: "Wir haben schon früh in der vorigen Woche gesprochen. Es war eine gute Unterhaltung. Ich denke, Mark bedauert einige der Kommentare, die er nach dem Rennen abgegeben hat, denn sie haben eine großartige Teamleistung geschmälert. Mark ist klasse gefahren, aber es war ein Sieg des Teams, wie die anderen zehn zuvor auch."

"Mark hat verstanden, was an dem Wochenende passiert ist. Als er ins Qualifying ging, war das nicht völlig transparent für ihn. Er ist ein großer Kämpfer, er ist wichtig für das Team, und er hat einen starken Teamkollegen. Beide stacheln sich gegenseitig sehr an. Mark weiß, dass jede Anstrengung, die das Team macht, genauso für ihn ist wie für Sebastian. Er muss nur schauen, wie man in der Fabrik für ihn nach dem Unfall von Valencia gearbeitet hat."

"Er muss nur schauen, wie man in der Fabrik für ihn nach dem Unfall von Valencia gearbeitet hat." Christian Horner

Frage: "Haben Sie keine Angst, dass die Rivalität zwischen Ihren Fahrern weitergehen könnte?"
Horner: "Beide verstehen, dass sie die McLaren-Fahrer und die Ferrari-Fahrer schlagen müssen. Es ist wichtig, dass wir Rennen beenden. Beide wissen, dass Lewis Hamilton und Jenson Button im Moment in der besseren Position sind. Sie führen die WM an. Unsere Priorität muss sein, vor diese beiden Fahrer zu kommen."

Frage: "Gibt es keinen Zweifel daran, dass Mark Webber auch im nächsten Jahr im Team sein wird, nach dem, was er über seine Vertragsverlängerung gesagt hat?"
Horner: "Er weiß, welche Unterstützung er in diesem Team hat. Ich kann mir nicht vorstellen, wo er sonst hingehen wollte."

Vettel soll sich wohlfühlen

Frage: "Was ist mit Sebastian Vettel? Es gibt Spekulationen, dass Red Bull daran interessiert sei, seinen Vertrag vorzeitig über 2012 hinaus verlängern zu wollen."
Horner: "Sebastian gehört schon lange zum Red-Bull-Team und zur Red-Bull-Familie. Er war im Nachwuchsprogramm, ist dann für Toro Rosso gefahren und jetzt bei Red Bull. Er ist ein sehr aufregender junger Fahrer, er wächst und entwickelt sich kontinuierlich."

"Es ist ganz natürlich und unvermeidlich, dass es Diskussionen über Verträge gibt. Aber wenn er sich bei uns wohl fühlt und wir mit ihm zufrieden sind, dann wird die Zusammenarbeit weitergehen. Ich bin überzeugt, dass Sebastian sich bei uns wohl fühlt, und wir werden über die Zukunft reden, wenn es relevant wird."

Frage: "Jetzt steht Hockenheim vor der Tür, Vettels Heimrennen. Was können er und Ihr Auto dort leisten?"
Horner: "Es ist ein sehr wichtiges Rennen für uns. Wir haben als Team den Rückstand zu McLaren leicht verringert. Beide Fahrer werden hoffentlich auch in Hockenheim wettbewerbsfähig sein. Es ist keine Strecke mit so schnellen Kurven wie in Silverstone, eine andere Herausforderung. Ich erwarte Ferrari, McLaren und auch Mercedes sehr stark."

¿pbvin|512|2934||0|1pb¿Frage: "Sollte wieder eine Situation wie in Silverstone eintreten, dass nur noch ein Teil für zwei Autos zur Verfügung steht, wie würde dann die Entscheidung ausfallen?"
Horner: "Ich würde die gleiche Entscheidung heute, morgen, oder übermorgen treffen. Kein Individuum ist größer als das Team. Dass nur noch ein Teil zur Verfügung stand, lag nicht an den Fahrern, nicht daran, dass einer einen Unfall oder einen Ausritt hatte. Wir haben wegen eines mechanischen Fehlers einen Frontflügel verloren. Beide Autos waren vorbereitet, mit den vorherigen Frontflügeln ins Qualifying zu gehen."

"Adrian Newey wollte mehr Informationen und Daten über den neuen Flügel sammeln, und deshalb mussten wir entscheiden, welches Auto damit fahren soll. Wir, Adrian und ich, haben nach einer Logik entschieden, die auf der WM-Position beruhte. Leider wurde ich in Meetings aufgehalten, und diese Entscheidung ist nicht klar genug auch an Mark kommuniziert worden. Sollte so eine Entscheidung unter den gleichen Umständen noch einmal getroffen werden müssen, wovon ich hoffe, dass es nicht noch einmal passiert, würde die gleiche Logik angewendet. Wir sind deshalb als Team erfolgreich, weil wir innovativ sind. Wenn wir den konservativen Ansatz gewählt hätten, dass keiner den neuen Flügel bekommt, wäre das falsch gewesen."

Beide Fahrer haben gute Chancen

Frage: "Sollte die gleiche Situation in Hockenheim auftreten, würde diesmal also Mark Webber ein solches Teil bekommen?"
Horner: "Potenziell ja, aber wir hoffen, dass dieses Szenario nicht wieder auftritt und wir diesmal drei Frontflügel haben. Wir hatten in dieser Saison auch schon Situationen, wie in Monaco, dass Teile an Marks Auto gegangen sind. Jedes Team in der Boxengasse muss Entscheidungen treffen, egal ob es Virgin war, wer das Chassis mit dem größeren Tank bekam, der Luftschacht bei Sauber oder wer bei Ferrari das Auto mit dem neuen Auspuffsystem in Fiorano fahren durfte. Man kann hundert verschiedene Beispiele finden. Leider hingen mit dieser Entscheidung viele Emotionen zusammen."

Frage: "Haben Sie denn genügend Daten über den neuen Flügel sammeln können?"
Horner: "Leider wurde der Flügel schon in der ersten Runde nach Sebastians Zwischenfall mit Lewis Hamilton beschädigt. Wir haben aber viele Daten gesammelt, die uns eine gute Richtung geben."

"Es ist mir völlig egal, ob es am Ende der Australier oder der Deutsche ist." Christian Horner

Frage: "Wie im letzten Jahr sind Sie wieder die Jäger, auch wenn der Rückstand nicht so groß ist. Wie zuversichtlich sind Sie, dass die Saison diesmal anders ausgeht?"
Horner: "Niemand hat eine Kristallkugel. Es sind noch neun Rennen, und man muss in jedem Rennen den besten Job machen, der man machen kann. Der Fahrer und das Team, die bis zum Ende des Jahres den besten Job machen, werden die Meisterschaft gewinnen. Ich denke, dass unsere beiden Fahrer eine fantastische Chance haben, den Titel zu gewinnen."

Frage: "Und es gibt keine Präferenz, welcher Ihrer Fahrer den Titel holen soll?"
Horner: "Es ist mir völlig egal, ob es am Ende der Australier oder der Deutsche ist. Hauptsache, er sitzt in einem Red Bull."