Haug: "Können nach vier Rennen zufrieden sein"
Mercedes-Sportchef Norbert Haug im ausführlichen Interview über den Grand Prix von Spanien und den neuen WM-Leader Lewis Hamilton
(Motorsport-Total.com/Premiere) - Frage: "Herr Haug, Sie haben - zumindest in der Konstrukteurs-WM - wieder die meisten Punkte eingefahren. Wie sehr ärgert es Sie, dass Fernando Alonso bei seinem Heimrennen nur Dritter geworden ist?"
Norbert Haug: "Es passen halt nicht drei auf die oberste Stufe. Ich bin mir sehr sicher, dass das Rennen mit einem gewonnenen Start von Fernando einen anderen Verlauf genommen hätte. Er hat sich im Windschatten angesaugt, Felipe (Massa; Anm. d. Red.) hat ganz clever innen zugemacht. Außen rum ging Fernando dann die Straße etwas aus. Natürlich hat Massa an der Stelle nicht mitgeholfen, aber es war ein sauberes und mutiges Manöver. Dort ist man ganz schön schnell unterwegs.

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Norbert Haug hofft, dass die WM in der Tonart wie bisher weitergeht
"Es hilft nichts, in der ersten Runde mit neuen Reifen durchs Kiesbett zu fahren und vielleicht den Unterboden zu beschädigen. Das müssen wir uns angucken. Das sind ja ganz filigrane Autos. Aber wie gesagt: Das ist der Preis, den man zahlt, wenn man als Zweiter startet. Es waren 30 Tausendstel."#w1#
Haug lobt Alonsos rasche Reaktion
Frage: "Er ist als Vierter zurück auf die Strecke gekommen. Das war noch Glück im Unglück."
Haug: "Es müsste eigentlich Bonuspunkte dafür geben, so durchs Kiesbett zu fahren und nur die Plätze zwei und drei zu verlieren. Als Vierter wieder auf die Strecke zu gehen, war sehr gut. Danach haben wir einen sehr langen Mittelstint gefahren."
Frage: "Fernando Alonso hat sich gleich in der zweiten Runde an Kimi Räikkönen herangekämpft. Die Motivation bei ihm war extrem hoch, nicht wahr?"
Haug: "Da sieht man, dass er am Anfang alles gegeben hat. Gegen Kimi hat er zweimal ganz minimal den Kürzeren gezogen. Schade, aber wir greifen an. Ich denke, das ist das, was der Zuschauer sehen will."
Frage: "In Runde neun wurde Kimi Räikkönen dann langsamer und Fernando Alonso konnte vorbeigehen."
Haug: "Tut mir leid für Kimi! Ich habe gehört, es war ein Problem mit der Lichtmaschine. Das kommt schon mal vor."
Frage: "Was macht eine Lichtmaschine in der Formel 1?"
Haug: "Die sorgt für Strom im Fahrzeug insgesamt. Das ist eine sehr ungewöhnliche Geschichte. Schade für Kimi. Sicher hat Fernando dadurch profitiert, aber eigentlich wollen wir die Gegner auf der Strecke schlagen."
Keine Panik beim Boxenfeuer
Frage: "Beim ersten Boxenstopp von Felipe Massa kam es zu einem Feuer. Was war da los?"
Haug: "Das war sicherlich nicht der Plan, aber es sah schlimmer aus, als es in Wahrheit war. Das sind wahrscheinlich Dämpfe gewesen. Ich nehme an, da hat sich was verklemmt im Tankventil. Dann laufen zwei, drei Tropfen zu viel raus. Da hinten ist ja alles heiß, das entzündet sich dann, aber zu einem großen Brand kann es nicht kommen. Die Jungs waren ja gleich mit dem Feuerlöscher da. Als er bei uns an der Box vorbeifuhr, war noch ziemlich viel Rauch in der Bude. Aber es ist nichts passiert. Ich war mir auch gleich sicher, dass das nicht zu einem Ausfall führen würde."
Frage: "Lewis Hamilton führt als Rookie die Weltmeisterschaft an. Wahnsinn - oder ganz normal, weil er einfach so gut ist?"
Haug: "Wenn man von Lewis spricht, haben alle Leute - selbst die Spanier, die Fernando unterstützen - sofort das Grinsen im Gesicht, weil sie einem Newcomer wie ihm nur das Beste gönnen. Wer sich so einführt und nach vier Grands Prix die WM anführt, da muss man schon mal kurz innehalten und drüber nachdenken. Ich habe ihn immer hoch eingeschätzt, aber wenn mir das vor der Saison jemand gesagt hätte, hätte ich wahrscheinlich gesagt: Wo träumst du nachts? Es ist eigentlich ein Traum. Es ist noch lange nicht rum, aber auf einen Fernando Alonso herumzufahren, der zwei Punkte zurück ist, gleich beim Einstieg, das ist bemerkenswert."
"Es freut mich ganz besonders, unsere ganze DTM-Truppe, die Formel-3-Truppe, wo Lewis ja zwei Jahre schnell unterwegs war. Er ist immer mit den ganzen Jungs beim Fitnesstraining gewesen, kennt die alle und hat deshalb auch jede Menge deutsche Unterstützer. Er hat ein ganzes Fanlager bei uns. Das macht Spaß. Das ist wirklich ein toller Moment, das zu genießen."
Haugs Zwischenbilanz mehr als positiv
Frage: "Haben Sie damit gerechnet, einen so vollen Punkterucksack aus Barcelona nach Stuttgart mitzunehmen?"
Haug: "Natürlich hofft man das, aber annehmen, dass man nach vier Rennen 58 Punkte hat und damit fast auf einen Schnitt von 15 kommt, kann man natürlich nicht. Die wenigsten Punkte sind durch Ausfälle zustande gekommen. Was die Zuverlässigkeit, den Speed, die Weiterentwicklung betrifft, muss ich der Truppe wirklich ein großes Kompliment machen. Wir haben geschafft wie nie im Winter, obwohl wir auch vorher immer fleißig waren. Das ist gut."
"Wir sind jetzt das einzige Team, das bei den acht Starts noch gar kein Problem hatte. Ich will es nicht verschreien, auch wenn ich eh nicht abergläubisch bin. Den Aberglauben beseitigt man am besten, indem man noch härter arbeitet - und das machen unsere Jungs. Nicht nur Lewis hebt nicht ab bei uns, sondern das tut keiner. Wir werden uns konstant weiterentwickeln und Ferrari wird sich auf jeden Fall nicht zurücklehnen können. Die hatten heute besonders im Mittelstint einen besseren Speed, aber wir sind dran. In Melbourne waren wir noch über eine Sekunde weg, was die schnellste Rennrunde betrifft. Man hat gesehen, wer sich seither am meisten gesteigert hat, das sind nämlich wir."
Frage: "Ferrari hat mehr Siege und Pole Positions, aber dennoch sieht es bei den Konstrukteuren sehr gut aus für Sie."
Haug: "Ja, Ferrari hat vier Pole Positions und drei Siege. Wir haben einen Sieg und keine Pole Position. Wir haben mehr Punkte, haben den Vorsprung von fünf auf neun Punkte ausgebaut - sicher auch mit Hilfe des Ausfalls von Kimi, aber wäre der Ausfall nicht gewesen, dann hätten wir insgesamt halt nicht sechs, sondern fünf geholt für Fernando, und Ferrari sechs mehr - wobei das auch noch nicht gegessen war, wer da vor wem fährt. Insofern kann man da durchaus nach den ersten vier Rennen zufrieden sein. Ich möchte es nur mit vier multiplizieren, dann sind wir schon bei 16 Rennen, und wenn wir so ins 17. gehen, dann haben wir gute Karten."

