• 04.07.2018 16:32

Formel-1-Technik 2018: So funktioniert die Kommandozentrale

Ein Formel-1-Pilot steuert damit seinen Boliden: das Lenkrad - Wie ist es aufgebaut, was kann damit gemacht werden und wie wird es gewartet? Eine Analyse

(Motorsport-Total.com) - Das Lenkrad eines modernen Formel-1-Boliden ist weder ein Rad, noch nur zum Lenken geschaffen. Die Funktionsweisen eines der wichtigsten Bestandteile des Wagens haben sich im Laufe der Jahrzehnte vervielfältigt. Die komplexe Kommandozentrale im Cockpit unter der Lupe.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton

Die moderne Kommandozentrale: Das Lenkrad von Weltmeister Lewis Hamilton Zoom

Ein Lenkrad ist zum Lenken da, würde man meinen. Insgesamt gibt es am Lenkrad von Weltmeister Lewis Hamilton 16 Knöpfe, sechs Drehknöpfe und drei Drehschalter am Lenkrad - hinzukommen die Schaltwippen und die Kupplung. Eine der wichtigsten Aufgaben wird mit letzteren beiden durchgeführt, die Gangschaltung. Durch Schaltwippen und Kupplung an der Rückseite des Lenkrads kann der Pilot das Getriebe einstellen.

Außerdem ist das Lenkrad das zentrale Kommunikationsorgan. Über das große Display in der Mitte kann der Pilot wichtige Informationen abrufen, wie etwa die Motordrehzahl, die Delta-Zeiten zu anderen Autos oder Sensorinformationen, wie etwa die Reifentemperatur.

Wie im Flugzeug: Plastikränder an bestimmten Knöpfen

Vor einem Boxenstopp muss der Fahrer per Knopfdruck bestätigen, dass er an die Garage kommt. Außerdem kann er über das Lenkrad den Boxenfunk aktivieren. Wichtig sind auch Informationen der Rennleitung, etwa über die Anzeige der Flaggensignale der Streckenposten. Insgesamt 25 LED-Lampen informieren die Piloten am Lenkrad über verschiedenste Situationen.

Entscheidend sind ebenso kurzfristige Änderungen in der Fahrzeugbalance. Der Fahrer kann selbst wählen, wie er die Bremsbalance gern hätte, oder wie das Differential arbeiten soll. Selbst beim Motor kann der Fahrer über das Lenkrad verschiedene Modi einstellen - im Qualifying unter anderem auch den "Party-Modus". Der Fahrer hat die Leistungsabgabe selbst in der Hand.

Mercedes-Lenkrad

Jeder Knopf hat seine eigene Funktion am Mercedes-Lenkrad Zoom

Bei hohen Geschwindigkeiten und teilweise starken Vibrationen im Cockpit können Fehler in der Bedienung des Lenkrads kaum vermieden werden. Das eingeschränkte Sichtfeld und die Betätigung mit Handschuhen stellen außerdem weitere Risiken dar, die die Teams mit einfachen Tricks zu vermindern versuchen. Bei Mercedes hat das Team daher kleine Plastikränder um bestimmte Knöpfe herum angebracht. Diese Abgrenzungen können sich von Rennen zu Rennen verändern. Zusätzlich zu diesem Schutz rund um die Knöpfe verwenden die Teams langlebige Knöpfe, die auch in Flugzeugen Verwendung finden und mit relativ viel Kraft betätigt werden müssen.

Silverstone: Die Bewegungen der Fahrer auf einer Runde

Die Anzahl und die Art des Lenkrad-Einsatzes hängt vom Streckenlayout und der Situation ab. Auf einer gewöhnlichen Rennrunde in Silverstone schaltet der Fahrer ungefähr 40 Mal, verstellt zweimal die Bremsbalance, verändert zweimal die angezeigte Display-Seite und passt dreimal das Differential an - alles zusätzlich zu seinen Lenkbewegungen.

Am kommenden Rennwochenende in Großbritannien wird Hamilton demnach am Sonntag über 2.000 Mal schalten. Damit er sich optimal wohlfühlt, hat daher die Ergonomie des Lenkrades eine große Bedeutung. Hier gilt es zu bedenken: Je größer das Lenkrad ist, desto mehr Raum benötigt es im Bereich der Knie oder auf Höhe der Fingerknöchel an der Innenseite des Cockpits. Das wird auch in der Entwicklung bedacht, die Fahrer sind in den Designprozess stark involviert - sowohl mit Blick auf die Ergonomie des Lenkrads als auch das physische Layout (von der Gesamtform des Lenkrads bis zu jener der Griffe).

Mercedes-Lenkrad

Alt vs. neu: Das Lenkrad aus vergangenen Zeiten im Vergleich zum aktuellen Zoom

Die Karbonstruktur ist eine Langzeitkomponente, die normalerweise über ein oder zwei Jahre hinweg verwendet wird. Wenn eine neue Struktur eingeführt wird, stellt das Team eine Reihe an Prototypen her und bringt sie an die Strecke mit, damit die Fahrer sie im Freitagstraining ausprobieren können. Im Verlauf der Saison verändert das Team den Griff, die Knöpfe, die Anordnung der Schalter und der Abgrenzungen rund um die Knöpfe. All das basiert auf den individuellen Wünschen der Fahrer und dem Streckenlayout.

Drei bis vier Lenkräder erhält jeder Pilot pro Saison

Auf den Designprozess folgt die Montage, diese dauert ungefähr zwei Wochen. Die meisten Bauteile werden direkt in der Fabrik von Mercedes gefertigt, dabei stellen das zentrale Display und die darunterliegende Schaltplatine die einzige Ausnahme dar. Sie sind Einheitsteile, die alle Teams verwenden. Alle anderen Komponenten wie der Schaltkreis, die Platinen, die Lenkung, das Karbongehäuse, der Schnellverschluss und die elektrischen Verbindungen werden in der Fabrik des Teams in Brackley speziell für diesen Zweck gefertigt. Im Lenkrad finden hauptsächlich Karbon, Fiberglas, Titan, Silikon und Kupfer Verwendung. Im Verlauf der Saison erhält jeder Fahrer drei oder vier Lenkräder.

Da diese Anzahl relativ gering ist, werden die Lenkräder sehr oft gewartet - alle zwei oder drei Rennen. Wie jede andere Komponente des Autos besitzen auch sie eine bestimmte maximale Laufleistung. Die Lenkräder sind im Auto ständig Vibrationen ausgesetzt und da sie als sicherheitsrelevante Komponenten gelten, müssen sie zerstörungsfreie Prüfungen (NDT = "non-destructive testing") überstehen, um sicherzustellen, dass sie keine Risse haben.


Fotos: Mercedes, Grand Prix von Österreich


Um die Lenkräder auf Sprünge zu überprüfen, werden sie in Farbeindringmittel mit niedriger Viskosität getaucht und eingeweicht. Die Farbe dringt in jegliche Risse ein und sobald sie abgetrocknet ist, sind diese bei ultraviolettem Licht deutlich zu erkennen. Die Lenkräder werden außerdem elektrischen Tests, Ultraschallprüfungen und Checks zur Wasserdichtigkeit unterzogen. Die Griffe und Knöpfe werden ebenfalls regelmäßig überprüft, da jeder Knopf nur eine bestimmte Anzahl an Betätigungen aushält.

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