Formel-1-Countdown 2010: Ferrari

Das Jahr nach der Krise: Hoffnungsträger Fernando Alonso soll Ferrari neuen Glanz verleihen - Marc Surer rechnet mit teaminternen Spannungen

(Motorsport-Total.com) - Am 14. März beginnt in Manama (Bahrain) die neue Formel-1-Saison - und die Königsklasse birgt dieses Jahr so viel Spannung wie schon lange nicht mehr: Vier Weltmeister, sensationelle Comebacks und klingende Namen lassen jedes Racingherz höher schlagen. 'Motorsport-Total.com' nimmt vor dem Auftaktrennen wie jedes Jahr alle Teams genau unter die Lupe. Heute: Ferrari.

Titel-Bild zur News: Felipe Massa, Fernando Alonso

Explosives Latino-Fahrergespann: Fernando Alonso und Felipe Massa

792 Grand-Prix-Starts, 209 Siege, 219 schnellste Rennrunden, 203 Pole-Positions, fast 5.000 WM-Punkte und insgesamt 31 WM-Titel, davon 15 in der Fahrerwertung, machen die legendäre Scuderia Ferrari aus Maranello zum erfolgreichsten Rennstall der Formel-1-Geschichte. Doch als es im Vorjahr bis zu einem sechsten Platz im vierten Saisonrennen dauerte, ehe die ersten Punkte verbucht werden konnten, war der schlechteste Ferrari-Saisonauftakt aller Zeiten Realität.#w1#

Rehabilitation ist angesagt

Im Laufe der Zeit arbeitete sich das Team zwar näher an die Spitze heran, doch bis auf einen Sieg von Kimi Räikkönen in Spa-Francorchamps blieb man doch deutlich unter den Erwartungen. Somit wurde es am Ende nur der vierte WM-Platz bei den Konstrukteuren - so schlecht war Ferrari zuletzt 1993 mit Gerhard Berger und Jean Alesi. Man könnte meinen: Langsam wirken sich die Abgänge der einstigen Galionsfiguren Michael Schumacher, Jean Todt, Ross Brawn und Rory Byrne also doch aus.

Tatsächlich entschied man bei Ferrari 2009 früh, die Saison angesichts der Chancenlosigkeit im WM-Kampf abzuhaken, um alle Konzentration auf das 2010er-Projekt lenken zu können. Das beinhaltete nicht nur die Entwicklung des neuen F10, sondern auch einen genialen Coup auf dem Transfermarkt: Der zuletzt nicht immer voll motivierte Kimi Räikkönen wurde in die Rallye-WM abgeschoben, stattdessen holte man Fernando Alonso und einige Millionen Euro von Neo-Sponsor Santander an Bord.

Fernando Alonso

Fernando Alonso und Ferrari, das scheint eine gute Kombination zu sein Zoom

"Wir brauchten einen Piloten, der wie früher Michael Schumacher nicht nur superschnell ist, sondern auch die Ingenieure und das Team nach vorne bringt, jeden Einzelnen motiviert und das Auto ständig verbessert. Genau dieser Pilot ist Fernando Alonso", wird Teamchef Stefano Domenicali von der 'Sport Bild' zitiert. "Fernando rief im Winter jeden Tag in der Fabrik an und fragte nach dem Auto. Er wollte alles wissen und hatte sogar am Telefon Ideen, welche Details man verbessern könnte."

Alonso und Ferrari: Eine Lovestory?

Man hat das Gefühl: Der leidenschaftliche Spanier und das leidenschaftliche Team aus Italien, das passt gut zusammen. Selbst mit seinem Stallgefährten Felipe Massa, der ihm 2007 am Nürburgring noch fast an die Gurgel gegangen wäre, läuft bisher alles harmonisch ab. Aber: "Mir ist die Harmonie viel zu groß", warnt 'Motorsport-Total.com'-Experte Marc Surer. "Genauso hat es bei McLaren angefangen: 'Das ist mein Team, das ist mein Auto, alles top!' Das Problem war dann beim ersten Rennen, als Hamilton vor ihm fuhr."

¿pbvin|512|2473|ferrari|0|1pb¿"Für mich brodelt es da. Im Moment gibt es keinen Grund zum Streiten, weil jeder für sich seinen Job macht, aber wart mal ab! Ich würde mich sehr wundern, falls es da nicht zu Problemen kommen sollte", sagt er über Alonso versus Massa. Tatsächlich wurden über die spanischen Medien schon Zwistigkeiten gesät, die es in Wahrheit wohl gar nicht gab. Andere bezweifeln die offiziellen Dementis jedoch und vermuten: Wo Rauch ist, da ist auch Feuer.

Das will Massa so nicht stehen lassen: "Ich hatte niemals irgendwelche Probleme mit meinen Teamkollegen. Ich bin zu 100 Prozent davon überzeugt, dass es auch zwischen mir und Fernando keine Schwierigkeiten geben wird. Wir arbeiten gut zusammen und das ist alles, was zählt. Er ist klug und weiß, wie wichtig es für das Team ist, ein großartiges Auto zu haben. Und ich weiß das auch", so der Ferrari-Pilot.

Massa keineswegs chancenlos

Zumindest vom Feeling her sollte Alonso gut zu Ferrari passen: "Er spricht perfekt Italienisch - das kann er noch aus Minardi-Zeiten. Und von der Mentalität her passt er viel besser zu dieser Truppe als zu McLaren", gibt Surer zu Protokoll. "Aber man darf Massa nicht unterschätzen, der bei Ferrari das Lieblinkskind ist. Die lassen den nicht fallen. Wenn er dann auch noch schneller fahren sollte, bin ich mal gespannt!"

Dennoch standen die Chancen für Alonso, erstmals seit 2006 wieder Weltmeister zu werden, schon lange nicht mehr so gut wie dieses Jahr. Der F10 sei "das beste Rennauto, das ich je gefahren bin", meinte er nach den ersten paar Testtagen. Dazu steht er weiterhin: "Es ist mein bestes Auto, ja, aber ich kann unmöglich wissen, ob es bei den ersten Rennen das beste Auto sein wird. Aber wie dem auch sei, ich bin sehr zufrieden damit, wie der Februar verlaufen ist."

Boxenstoppampel bei Ferrari

Für die Boxenstopps hat Ferrari diese elektronisch geregelte Ampel entwickelt Zoom

"Klar ist, dass wir großartige Arbeit geleistet haben. Das Auto lief die ganze Vorsaison hervorragend und ich hatte Glück mit meinen Testtagen, weil die meistens trocken waren. Wir hatten uns eine Liste an Arbeit vorgenommen und heute konnten wir den letzten Punkt abhaken. Wir fahren nach Bahrain im Wissen, dass wir bestmöglich vorbereitet sind", sagt der 28-Jährige, der für eine von insgesamt drei Ferrari-Tagesbestzeiten im Februar verantwortlich war.

Optimismus vor dem Comeback

Auch Massa klingt optimistisch, erwartet aber keinen Selbstläufer: "Wir haben niemals damit gerechnet, mit einem Vorteil zum ersten Rennen zu reisen und dort mit Leichtigkeit zu siegen - ganz und gar nicht! Wir gehen aber sehr wohl davon aus, ein konkurrenzfähiges Auto zu haben. Ein solches haben wir gebaut. Das Fahrzeug ist zuverlässig und konstant. Das ist genau das, womit wir das Rennjahr beginnen wollen", erklärt der Brasilianer.

Der 28-Jährige steht vor seiner achten Saison in der Formel 1. Diese könnte insofern entscheidend sein, als er beweisen muss, nach seinem schweren Unfall im Qualifying zum Grand Prix von Ungarn 2009 wieder hundertprozentig fit zu sein. Eigentlich traut ihm das fast jeder zu, andererseits ist aber nicht ausgeschlossen, dass eine mehrmonatige Verletzungspause Spuren hinterlässt. Außerdem ist Massa im Winter erstmals Vater geworden und hat ein neues Leben kennengelernt.

Felipe Massa

Mit wenigen Ausnahmen war der Ferrari F10 diesen Winter sehr zuverlässig Zoom

Surer sagt über seine Rückkehr: "Die Verletzungen merkt man überhaupt nicht mehr. Er fuhr sofort schnell, auch teilweise schneller als Alonso. Er scheint wieder der Alte zu sein, aber man muss aufpassen: Natürlich will er sich und der Welt beweisen, dass er noch der Alte ist. Wenn es dann aber über die Saison gesehen hart auf hart geht, dann muss man abwarten, ob er wirklich noch diese Hingabe hat, alles oder nichts zu gehen, oder ob da doch was hängen geblieben ist."

Neues technisches Konzept

Viel wird natürlich vom F10 abhängen, der mit dem erfolglosen Vorgänger F60 nicht viel gemein hat. KERS wurde aufgrund des freiwilligen Verzichts der FOTA-Teams rausgeschmissen, ein mehrstöckiger Diffusor von Anfang an ins Gesamtkonzept integriert. Aerodynamisch erinnert die Karosserie stark an den Red Bull, etwa durch die hohe Nase oder die Höcker vor dem Cockpit. Doch die vielleicht größte technische Innovation steckt im Chassis drin.

Angeblich wurde der V8-Motor mit einem Neigungswinkel von 3,5 Grad - nicht zu verwechseln mit dem Bankwinkel, der weiterhin bei den vorgeschriebenen 90 Grad liegt - ins Chassis eingebaut, also leicht nach vorne gekippt. Diese spezielle Installation soll trotz des etwas ungünstigeren Schwerpunkts ein Design ermöglicht haben, mit dem sich der Luftstrom unter dem Fahrzeug erheblich optimieren lässt.

Felipe Massa

Blick auf den Diffusor, den Ferrari diesmal ins Gesamtkonzept eingearbeitet hat Zoom

Das wiederum ist vorteilhaft, um den mehrstöckigen Diffusor besser wirken zu lassen, der 2009 einer von Ferraris Schwachpunkten war. Designer Aldo Costa: "Der neue Ferrari hat eine sehr interessante mechanische Lösung. Die meisten Geheimnisse sind unter der Verkleidung versteckt." Chefdesigner Nikolas Tombazis fügt an: "Der Diffusor ist fundamental. Um die Performance zu maximieren, haben wir das Heck überarbeitet und verschiedene Komponenten besser integriert."

Surer nach Wintertests beeindruckt

Das neue Konzept, für das sich die Ingenieure schon früh im Jahr 2009 mehr Zeit genommen haben als die anderen Teams, schien bei den Wintertests auf Anhieb zu funktionieren: "Ich war in Valencia", berichtet Experte Surer. "Da sind sie gekommen und sie waren sofort schnell - jede Runde, beide Fahrer. Mit den Longruns haben sie dann nur bestätigt, dass sie konkurrenzfähig sind. Die werden der Maßstab sein. Ob sich jemand bewusst zurückgenommen hat? Ich glaube es eigentlich nicht."

Auch Teamchef Domenicali strahlt Zuversicht aus, wenn er sagt: "Wenn man all die unsicheren Faktoren bei Tests mal mit in Betracht zieht, dann bin ich aufgrund der Eindrücke sicher, dass wir sowohl vom reinen Speed als auch von der Pace her auf die Distanz in der Topriege dabei sind. Das ist vor allem in Anbetracht unserer letztjährigen Leistungen eine tolle Sache. Abu Dhabi ist gerade mal etwas mehr als vier Monate her. Wir haben hart gearbeitet."

Stefano Domenicali, Nikolas Tombazis, Luca Marmorini und Aldo Costa

Die Führungsriege bei Ferrari besteht wieder mehrheitlich aus Italienern Zoom

"Es gibt aber noch einige offene Fragen", fügt er an. "Zum Beispiel das Verhalten der Reifen bei hohen Temperaturen oder auch die unterschiedlichen Strategien. Wenn es dermaßen eng zugeht, dann kann dich ein kleiner Fehler vom Einzug in Q3 abhalten. Alle müssen stets das Maximum geben: Team, Fahrer, Auto. Wir werden gegen starke Teams antreten, die auch hart gearbeitet haben und siegen wollen. Wir sind für diese Herausforderung bereit!"

Ferrari ist wieder italienisch

Und zwar als rein italienisches Team: Die Lizenz war bei Ferrari schon immer italienisch, in Wahrheit hatten während der Schumacher-Ära aber vor allem Briten, Franzosen und ein Deutscher das Sagen. Das war Ende der 1990er-Jahre notwendig, um das traditionelle Ferrari-Chaos zu besiegen und Ordnung ins Team zu bringen. Jetzt legt Präsident Luca di Montezemolo wieder so großen Wert auf Nationalbewusstsein, dass sogar die Präsentation des F10 in Maranello in italienischer Sprache gehalten wurde - sehr zum Leidwesen der internationalen Medienvertreter.

Besteht deshalb die Gefahr, dass Ferrari wieder chaotisch wird, Marc? "Dafür hat es letztes Jahr schon Anzeichen gegeben. Da wurden Fehler gemacht, die es eigentlich nicht geben darf - Autos blieben auf der Strecke stehen oder hatten zu wenig Benzin, um Beispiele zu nennen", analysiert unser Experte. "Ich habe schon die Befürchtung, dass man diese englisch-französische Coolness, das Team zu führen, vielleicht irgendwann vermissen wird - vor allem mit zwei solchen Heißspornen als Fahrer."

Ferrari F10

Der Ferrari F10 war das erste neue Formel-1-Auto, das 2010 vorgestellt wurde Zoom

Doch die Basis für neue Erfolge scheint mit dem F10 gelegt zu sein, auch unter italienischer Führung. Und eines ist klar: Ein Ferrari-Team mit zwei Latino-Stars im Cockpit und lauter Italienern im Management wird beim Heimspiel in Monza noch mehr Emotionen wecken als sonst. So ist Ferrari neben McLaren (Großbritannien) und Mercedes (Deutschland) das dritte wichtige Element im neuen Länderkampf der Formel 1...


Fotos: Ferrari, Testfahrten in Barcelona


Saisonstatistik 2009:

Team:

Konstrukteurswertung: 4. (70 Punkte)
Siege: 1
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 1
Podestplätze: 6
Ausfallsrate: 11,8 Prozent (3.)
Durchschnittlicher Startplatz: 9,7 (3.)
Testkilometer 2010: 7.353 (1.)
Testbestzeiten 2010: 3 (1.)

Qualifyingduelle:

Massa vs. Räikkönen: 4:6
Alonso vs. Piquet jun.: 9:1
Alonso vs. Grosjean: 7:0

Felipe Massa (Startnummer 7):

Fahrerwertung: 11. (22 Punkte)
Gefahrene Rennen: 9/17
Siege: 0
Podestplätze: 1
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 1
Durchschnittlicher Startplatz: 8,7 (8.)
Bester Startplatz: 4.
Bestes Rennergebnis: 3.
Ausfallsrate: 20,0 Prozent (15.)
Testkilometer 2010: 3.725 (1.)
Testbestzeiten 2010: 2 (1.)

Fernando Alonso (Startnummer 8):

Fahrerwertung: 9. (26 Punkte)
Gefahrene Rennen: 17/17
Siege: 0
Podestplätze: 1
Pole-Positions: 1
Schnellste Rennrunden: 2
Durchschnittlicher Startplatz: 8,9 (9.)
Bester Startplatz: 1.
Bestes Rennergebnis: 3.
Ausfallsrate: 17,6 Prozent (12.)
Testkilometer 2010: 3.629 (2.)
Testbestzeiten 2010: 1 (5.)