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  • 27.03.2017 10:59

  • von Dieter Rencken, Rebecca Friese & Dominik Sharaf

Eine Sorge weniger: Lob für neue Pirelli-Reifen

Zwar ist es beim Saisonauftakt zum befürchteten Einstopprennen gekommen, aber Reifenverhalten, Strategien sorgten für Variabilität und die Performance litt kaum

(Motorsport-Total.com) - Man befürchtete schon das Schlimmste: einen langweiligen Saisonauftakt, bei dem das Rennergebnis trotz der vielversprechenden neuen Boliden schon nach der ersten Kurve feststeht. Aber zumindest Pirelli scheint seine Hausaufgaben gemacht zu haben. Denn trotz des befürchteten Einstopprennens gab es beim Grand Prix von Australien Variabilität im Reifenverhalten, entscheidende Strategie-Unterschiede und vor allem: Keine Reifenschon-Sorgen!

Titel-Bild zur News: Pirelli

Premium-Produkt: Die neuen Pirellis haben die Piloten überzeugt Zoom

"Die Reifen sind jetzt in allen Bereichen besser", kommt ein überschwängliches Lob ausgerechnet von Kimi Räikkönen. "Man kann härter pushen, und sie lassen nicht so stark nach. Alte Reifen werden immer nachlassen, aber das Zusammenspiel aus Reifen und Autos ist jetzt eher so, wie wir es haben wollten. Zumindest hier haben sich die Reifen so verhalten, wie wir es nach den Tests erwartet haben."

Pirelli ist mit seinen weichsten Reifenmischungen nach Down Under gereist. Und schon bei den ersten Trainingseinheiten hatte sich herausgestellt, dass sich der Ultrasoft nicht nur als Qualifying-, sondern auch gut für längere Stints im Rennen eignet. Fast alle Piloten starteten auf der wichsten Mischung. Aber längst nicht alle kamen gleichgut damit zurecht.

Mercedes hat die Haltbarkeit unterschätzt

Die auffälligste Auswirkung: Während Sebastian Vettel 23 Runden problemlos auf den vom Samstag angefahrenen Pneus auskam, knickten Lewis Hamiltons Reifen schon nach 17 Runden ein. Das bedeutete den entscheidenden Führungswechsel. Der Mercedes-Pilot äußerte sich schon in seinem Stint kritisch über das Reifenverhalten. Sein Teamboss Toto Wolff gibt hinterher zu, dass man vielleicht einfach zu übervorsichtig war.

"Ich denke, dass wir das Ziel mit den Reifen erreicht haben", sagt er. "Sie halten viel länger und man kann sie pushen. Das hat uns vielleicht ein bisschen in die Irre geführt. Sebastian war aber sehr schnell und war in der lag, an Lewis' Getriebe zu schnüffeln. Wir können die Reifen wahrscheinlich mehr belasten." Außerdem analysiert er: "Ferrari war schon am Samstagmorgen das schnellere Auto. Die Temperaturen kommen ihnen entgegen und der Reifen ist relativ schwer zu verstehen."

Ferrari gelang hingegen der Strategie-Clou, der ihnen im Vorjahr noch verwehrt war. "Im Nachhinein sieht das immer einfach aus", sagt Chefingenieur Jock Clear gegenüber 'Sky'. "Aber wir haben erst an einen Stopp gedacht, als Lewis ihn machte, denn wir hatten eigentlich einen Undercut geplant. Als er aber so früh kam, planten wir einen sogenannten Overcut. Der Abbau ist bei diesen Reifen sehr gering, denn sie sind wirklich stark."

Hamilton unzufrieden

Die nackten zahlenbeweisen es: Vettel verlor zwar den Start gegen Hamilton, blieb aber am Mercedes dran. Hamilton musste deswegen so sehr pushen, dass er in den ersten Runden im etwas schneller unterwegs war - Vettel konnte aber stets kontern. Das wirkte sich am Ende des Stints aus. Vettel konnte nach 20 Runden noch um über eine halbe Sekunde schneller fahren, als Hamilton nach 15 Runden auf dem gleichen Reifen. So funktionierte der Overcut.

Dass Hamilton sich angesichts dieses Reifenkrieges nicht ausschließlich positiv über die Pirelli-Produkte äußern kann, ist klar. "Die Reifen sind sich sehr ähnlich: sie überhitzen und sie bauen ab", zieht er einen Vergleich zum Vorjahr. "Sie sind halt breiter und härter. Aber man hat es mit den gleichen Dingen wie in der Vergangenheit zu tun."


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2016 wurde der Australien-Grand-Prix noch mit den superweichen, weichen, und mittelharten Mischungen von Pirelli gefahren. Hamilton gelang damals die durch eine Safety-Car-Phase unterbrochene Renndistanz mit nur zwei Boxenstopps, während seine Rivalen auf zwei oder drei Stopps gehen mussten. Er gewann damals.

Bestzeit mit "abgefahrenen" Reifen

Auch der Rest des Feldes sammelte unterschiedliche Erfahrungen mit den neuen, deutlich breiteren Reifen. So fielen etwa die Teamkollegen der beiden Spitzreiter schon früh im Rennen zurück, weil sie der Ultrasoft quälte. Räikkönen war in der Startphase schon knapp eine Sekunde langsamer als Vettel. Und der Finne, der nach 25 Runden zum Reifenwechselt kam, fuhr am Ende seines Stints noch immer mindesten zwei Zehntel gemächlicher.

Mit den Soft-Reifen kam er besser zurecht und war zeitweise sogar schneller als Vettel unterwegs. Selbst als seine Pneus bereits 31 Runden alt waren, gelang ihm die schnellste Runde des Rennens.


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"Die Reifen sind insgesamt einfacher im Umgang, wenn ich sie mit den Vorjahresreifen vergleiche", erklärt er ungewohnt ausführlich. "Es ist einfacher, sie auf Temperatur zu bringen und auch das Temperaturfenster, in dem sie funktionieren, ist jetzt größer. Die Mischungen Ultrasoft und Soft unterscheiden sich aber sehr stark, die Konstruktion ist unterschiedlich, auch der Grip. Das wirkt sich auch auf die Vorderachse aus. Es sind Kleinigkeiten, aber die können sich enorm auswirken."

100 Prozent pushen möglich

Auch Toro Rosso scheint die neuen Reifen schneller verstanden zu haben, als andere. Carlos Sainz und Daniil Kwjat erreichten im Rennen die Plätze acht und neun. Sainz bemerkte dabei, dass vor allem am Ende der Stints noch Saft drin ist: In seinem ersten war er aus Ultrasoft am Ende im Schnitt eineinhalb Zehntel schneller als am Anfang. Im zweiten schaffte er es gar, sich um über zwei Sekunden zu steigern - und das auf dem härteren Soft-Reifen.

100 Prozent durchpowern könne man immer noch nicht, merkt der Spanier an. Und das Reifenmanagement sei auch weiterhin ein Thema. Aber er beschreibt auch: "Im vergangenen Jahr konnte man zu Beginn des Stints vielleicht nur 60 oder 70 Prozent geben. Jetzt muss man die Reifen zwar immer noch ein wenig schonen, aber ich konnte meist 90 Prozent geben und meine letzten Runden mit 100 Prozent fahren."

Dass man mit den Pirellis jetzt auch am Ende noch einmal einen raushauen kann, merkten einige Piloten - und das weckte ihren Ehrgeiz! Sowohl Hamilton als auch Verstappen erkundigten sich in der Schlussphase noch danach, ob die Bestzeit zu knacken sei. Beide bekamen von ihren Teams allerdings eine Abfuhr. Das beweist aber: Nicht nur die neuen Boliden, sondern auch die Reifen machen den Fahrern wieder Spaß!