• 18.06.2005 03:30

Dennis: "Sollten hinter verschlossenen Türen diskutieren"

Ein ungewohnt menschlicher Ron Dennis über Kanada, die FIA-Vorschläge, Streichresultate, weniger Rennen und vieles mehr

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Ron, vor Kanada war die Situation so, dass Kimi Räikkönen nicht einmal dann Weltmeister geworden wäre, wenn er alle verbleibenden Rennen gewonnen hätte. Ist so ein Punktesystem nicht unsinnig?"
Ron Dennis: "Nicht wirklich. Es ist für alle gleich, legt den Schwerpunkt auf die Zuverlässigkeit. Ich halte das für eine gute Sache für die Formel 1. Irgendwie habe ich aber auch die Zeit genossen, als man es sich leisten konnte, mal auszufallen. Wenn ich alleine entscheiden könnte, dann würde ich bei diesem Punktesystem bleiben, aber nur die besten zwölf Resultate einer jeden Saison werten. Ich war immer der Ansicht, dass Streichresultate eine gute Sache sind, aber ich verstehe, dass es für die Öffentlichkeit und für die Medien verwirrend ist. Daher verstehe ich, warum man davon abgekommen ist."

Titel-Bild zur News: Ron Dennis

Ron Dennis hat seine eigenen Ideen, wie er sich die Formel 1 vorstellt...

"Aber jetzt haben wir eine Situation, die schon sehr eigenartig ist, denn bei BAR haben sie Sato in Kanada nach 20 oder mehr Runden nur wegen der Qualifying-Position im nächsten Rennen wieder aus der Box geschickt. Deswegen ein Getriebe zu reparieren, ist fast schon pervers. Für das Team hat es sich natürlich gelohnt, denn durch die Ausfälle sind die auf Platz elf oder so nach vorne gekommen."#w1#

"Es ist ziemlich korrekt darüber berichtet worden"

Frage: "Ihr hattet in Kanada aber auch euer eigenes Drama. Habt ihr die Prozeduren deswegen geändert?"
Dennis: "Es ist ziemlich korrekt darüber berichtet worden, wie das abgelaufen ist. Als wir das gleich nach dem Rennen erklären mussten, waren wir aber noch nicht so gut informiert wie jetzt, denn ich hatte keine Ahnung, dass Juan-Pablo (Montoya; Anm. d. Red.) Bedenken hatte, dass Kimi (Räikkönen; Anm. d. Red.) seine Pace eventuell nicht senken könnte, wenn wir es beiden Fahrern befehlen. Unsere Anweisung war, dass sie langsamer Fahren und einen Abstand von fünf Sekunden halten sollen. Beide Fahrer haben darüber am Funk mit uns diskutiert. Juan-Pablo wollte sicherstellen, dass er nicht um seinen Sieg stirbt, wenn er langsamer wird. Zwischen dem Zeitpunkt der Safety-Car-Ausfahrt und der Boxeneinfahrt hat Juan-Pablo Montoya ungefähr 50 Prozent der Zeit am Funk mit seinem Renningenieur geredet, und es gab auch eine interne Kommunikation, und daher haben wir den Zeitpunkt verpasst, ihn rechtzeitig an die Box zu beordern."

"Ich war in dem Moment erschüttert, aber wenn ich all meine Fehler aufschreiben müsste, die ich je gemacht habe, dann wäre das eine ziemlich, ziemlich lange Liste. Wir stehen unter Druck, da können Fehler passieren. Wir hätten aber niemals das Rennen zu Juan-Pablos Ungunsten beeinflussen wollen. Aber Juan-Pablo hat uns nicht kritisiert, ebenso wenig kritisieren wir ihn für andere Fehler. Das macht ein Team aus. Man feiert die Erfolge gemeinsam und man geht gemeinsam durch die Niederlagen. Für uns ist der Zwischenfall aber in höchstem Maße peinlich, denn wir sehen uns als Profis, aber in dem Fall waren wir überhaupt nicht professionell."

Frage: "Die FIA hat Vorschläge für ein neues Formel-1-Reglement ab 2008 bekannt gegeben. Was hältst du davon?"
Dennis: "Zunächst einmal muss man erwähnen, dass wir von 2008 reden, uns aber mitten in der Saison 2005 befinden. Dadurch können wir verschiedene Meinungen mit einbeziehen. Es gibt niemanden, der die Formel 1 nicht besser machen möchte. Wenn sie gleichzeitig weniger teuer sein kann, ist das ein großartiger Bonus. Viele der Änderungen der letzten Jahre haben aber eher Geld gekostet als eingespart, und selbst die Reifen- und Motorenregel, die wir im Moment haben, hat eher Kosten verschoben als tatsächlich gespart. Zum Beispiel kommt die neue Reifenregel den Reifenfirmen billiger, aber für die Teams ist sie teurer, weil wir mehr testen müssen. Bei den Motoren müssen wir mehr auf dem Prüfstand arbeiten als früher. Wenn man das nicht tun müsste, könnte man Kosten sparen."

FIA-Vorschläge: Robin Hood lässt grüßen...

"Es ist eine Robin-Hood-Situation, wo den kleinen Teams auf Kosten der großen Teams, die hart arbeiten und investieren, geholfen wird. Die kleinen Teams würden sicher Geld sparen, aber ob die Formel 1 insgesamt damit etwas einsparen könnte, wage ich zu bezweifeln. Teams und Hersteller müssen sich jetzt eine eigene Meinung darüber bilden, dann einen gemeinsamen Standpunkt formulieren, schauen, ob die guten Punkte in unseren eigenen Vorschlägen schon enthalten sind, und wegen der schlechten Punkte die Diskussion suchen. Wir müssen aus der Vergangenheit lernen, als Regeländerungen oft zu höheren Kosten geführt haben. Wir haben ja viel Zeit, die wir auch nutzen sollten. Meine Meinung ist außerdem, dass nicht eine Behörde unfairen Druck in der Situation ausüben darf. Wir sollten diese Dinge hinter verschlossenen Türen diskutieren."

Frage: "Gibt es manche Vorschläge, die dir vielleicht gefallen?"
Dennis: "Ich denke, es wäre gefährlich, einzelne Vorschläge herauszupicken. Jeder hat seine Meinung. Ich denke, dass man unter den richtigen Umständen die Formel 1 verbessern und gleichzeitig billiger machen kann. Leider gibt es aber Leute, die sich gegen die einfachen Methoden wehren, wie alles billiger werden könnte, nämlich zum Beispiel beschränkte Testfahrten oder weniger Rennen. Es gibt mehrere solche Dinge, aber aus politischen Gründen werden diese einfachen Vorschläge von manchen bekämpft."

Frage: "Die Vorschläge sehen die Vereinheitlichung vieler Komponenten vor. Warum sollte ein Hersteller in einer solchen Formel bleiben?"
Dennis: "Soweit ich es abschätzen kann, wird es darüber Diskussionen geben. Es ist aber notwendig, diese Diskussionen hinter verschlossenen Türen zu führen."

"Konkurrenten haben mit dem Verschleiß mehr Schwierigkeiten"

Frage: "Es steht der Vorschlag des Einheitsreifens im Raum. Viele meinen, dass die Reifen im Moment überproportional viel zur Performance beitragen. Was hältst du von Einheitsreifen?"
Dennis: "Ich sehe das zweigeteilt. Wir alle sind uns einig, dass durch das aktuelle Reglement mit nur noch einem Satz für Qualifying und Rennen Geld gespart wird. Allerdings haben sich die Kosten zum Teil zu den Teams verschoben, weil die Evaluierungsprozesse schwieriger geworden sind und mehr getestet werden muss. Ein Vorteil ist - ob der eingeplant war oder nicht, weiß ich nicht -, dass die Rennen sehr spannend werden, weil am Ende die Autos durch unterschiedlichen Reifenverschleiß oft unterschiedlich schnell sind. Wir haben in diesem Bereich momentan einen Vorteil. Sobald man im Motorsport einen Vorteil hat, gibt man den nicht gerne auf. Unsere Konkurrenten haben mit dem Verschleiß mehr Schwierigkeiten als wir."

Frage: "Man hat von der Herstellervereinigung in letzter Zeit nicht viel gehört. Gibt es irgendwelche Neuigkeiten, was deren derzeitige Position angeht?"
Dennis: "Ich denke, dass sie den aktuellen Verhandlungsstand nur selbst bekannt geben sollten. Prinzipiell sind aber die Teams die treibenden Kräfte in all diesen Prozessen, und wenn wir mehrere Rennen hintereinander haben, noch dazu außerhalb Europas, dann kann man sich um solche Dinge nicht wirklich kümmern. Der Schwung in den Diskussionen geht daher immer auf und ab, aber das ist keineswegs eine Reflektion der Anstrengungen, die investiert werden."

Frage: "Es gibt eine Testbeschränkung von maximal 30 Tagen während der Saison. Gleichzeitig wird für nächstes Jahr aber ein neues Motorenreglement eingeführt. Werdet ihr die V8-Tests aus der Testbeschränkung auslagern?"
Dennis: "Es gibt dazu zwar noch keine dokumentierte Entscheidung, aber ich denke, dass wir uns darauf verständigen werden, dass die V8-Testfahrten auch zu den 30 Tagen gerechnet werden müssen."

"Motoren sind noch in der Anfangsphase ihrer Entwicklung"

Frage: "Kann ein Team dann nicht auf die Idee kommen, die Entwicklung für dieses Jahr zu stoppen und alle Testtage für Tests für nächstes Jahr zu verwenden?"
Dennis: "Das steht einem frei. Die Motoren sind aber noch in der Anfangsphase ihrer Entwicklung und werden wohl erst in den nächsten drei Monaten herauskommen. Ich bin der Meinung, dass man nicht von Kostensenkung sprechen kann, gleichzeitig aber etwas anderes tut. Die Einigkeit innerhalb der neun Teams ist sehr stark. Wir alle halten uns an die Testbeschränkung, was sehr ungewöhnlich ist, und noch ungewöhnlicher ist es, wenn man bedenkt, dass sich ein Mitbewerber überhaupt keinen Restriktionen beugt."

Frage: "Wie groß ist der Vorteil durch euer drittes Auto an den Freitagen? Kann das die Weltmeisterschaft entscheiden?"
Dennis: "Wenn ich ehrlich bin, haben wir dadurch natürlich die Möglichkeit, die Reifenwahl zu verifizieren, aber ob es wirklich ein so großer Vorteil ist, wird bei uns intern permanent diskutiert. Die Wahrheit ist, dass innerhalb der Michelin-Teams Daten offiziell und inoffiziell ausgetauscht werden, aber damit haben wir kein Problem. Davon profitieren alle. Es ist ein Vorteil für uns, natürlich, aber es setzt uns logistisch gesehen auch ein wenig unter Druck."

Frage: "Die geschäftliche Seite der Formel 1 wird immer wichtiger, die sportlichen Aspekte nehmen hingegen ab. Wie ist deine Position dazu?"
Dennis: "Das ist leicht: Wenn die Formel 1 kein Sport wäre, wäre ich nicht dabei. Ganz einfache Antwort, aber das ist nun mal Tatsache. Ich liebe die Formel 1 als Sport, nicht wegen der finanziellen Aspekte. Man muss ein kompetenter Geschäftsmann sein, um Erfolg haben zu können, aber als Weg, nur an Geld ranzukommen, wäre es viel zu zeitraubend."

Drittes Auto für Ferrari noch lange nicht sicher

Frage: "Als vergangenes Jahr realistisch wurde, dass ihr unter Umständen für ein drittes Auto in Frage kommen könntet, bist du davon ausgegangen, dass die Regel geändert werden könnte. Jetzt ist Ferrari in einer Position, in der man 2006 in den Genuss eines dritten Autos kommen könnte..."
Dennis: "Bis zum 31. Oktober muss eine Änderung des Sportlichen Reglements nicht einstimmig beschlossen werden, danach aber schon. Als ich damals meine Meinung geäußert habe, war das vor dem 31. Oktober jenes Jahres."

Frage: "Mit 19 Rennen ist diese Weltmeisterschaft die längste aller Zeiten. Soll es künftig noch mehr oder weniger Rennen geben?"
Dennis: "Ich bin der Meinung, dass es eine ausgewogene Weltmeisterschaft sein sollte. Es kostet Geld, Rennen zu fahren, denn sonst bräuchten wir keine Sponsoren - wobei ich dieses Wort hasse, denn das, was wir diesen Firmen verkaufen, ist Medienpräsenz. Mit zwei Rennen hintereinander kann ich aber nicht mehr lange leben. Unsere Mechaniker mussten nach Kanada einige Dinge an Kimis Auto reparieren. Ich selbst war bis 20:00 Uhr in der Boxengasse. Die Jungs hatten drei wahnsinnig anstrengende Tage in Kanada, aber am Dienstag waren sie hier schon wieder im Einsatz. Das ist einfach zu viel. Auch auf die Familien der Mechaniker sind die Auswirkungen dramatisch. Die Jungs haben kaum mehr Zeit, sich einmal auszuspannen, sondern nach zwei Tagen zu Hause geht es gleich wieder zum nächsten Rennen - und das ist schon eine eher angenehme Situation gemessen an dem, wie es wirklich ist..."

Frage: "Wäre es nicht eine Idee, den Saisonauftakt früher - schon im Januar zum Beispiel - anzusetzen? Dann würde sich die Saison auch ein wenig entspannen."
Dennis: "Das ist kompliziert. Jeder will die dreiwöchige Sommerpause im August. Das ist eine wichtige Pause für uns alle, vor allem dann, wenn nicht getestet wird. Ein Rennen alle zwei Wochen können wir verkraften. Mit 16 und 17 Rennen bräuchte man keine zwei Rennen binnen acht Tagen, aber man könnte trotzdem eine brauchbare Saison fahren. Ich finde, dass der Saisonauftakt etwas Besonderes ist, auf das sich alle freuen, daher sollte man nicht das ganze Jahr über Rennen fahren. Die Leute müssen mit der einen Weltmeisterschaft abschließen und sich auf die nächste einstellen können."

"So leicht ist das Thema Kalender auch wieder nicht"

"Außerdem gibt es ja einen Grund dafür, dass manche Rennen an einem bestimmten Termin stattfinden - zum Beispiel nationale Ferien oder das Klima. Wir kollidieren nur ungern mit Olympischen Spielen und der Fußball-WM. So leicht ist das Thema Kalender also auch wieder nicht. Am einfachsten wäre es, einfach weniger Rennen zu fahren."

Frage: "Diese Weltmeisterschaft könnte im letzten Rennen entschieden werden. Wäre es nicht besser, Stallorder wieder zu erlauben? Denn im Moment wird sie ja doch angewendet, aber die Zuschauer werden für dumm verkauft..."
Dennis: "Ich möchte ein Beispiel nennen: Wenn einer unserer Fahrer mathematisch keine Chance mehr auf den WM-Titel hat, der andere aber schon, dann wäre ich enttäuscht, wenn der eine Fahrer sich nicht dementsprechend verhalten würde. Dass ein Fahrer seinen Teamkollegen im Interesse des Teams überholen lässt, setzt nicht zwingend eine Anweisung des Teams voraus. Das hat etwas mit Ehre und Integrität zu tun."

Frage: "Kimi Räikkönen hat seit neuestem einen Hund, während Juan-Pablo Montoya immer seinen Sohn mitbringt. Was hältst du davon, dass dein Team mehr und mehr zu einer Familientagesstätte wird?"
Dennis: "Wenn ich ein Ronald-McDonald-Kostüm tragen müsste, um meine Fahrer schneller zu machen, dann wäre ich der Erste, der das tun würde (lacht)! Im Ernst: Wenn ich feststelle, dass sich so etwas positiv auf die Leistung eines Fahrers auswirkt, sehe ich darin kein Problem. Wenn es negativ wäre, würde ich das auch sagen. Im Moment glaube ich, dass sich die angesprochenen Situationen positiv auf die Fahrer auswirken."

"Juan-Pablos Frau halte ich für extrem konstruktiv, was Juan-Pablo angeht. Wenn der Preis, den wir dafür zahlen müssen, dass Connie dabei ist, ist, dass das Baby auch da ist, dann ist das okay für mich. Wenn das nach außen wie ein ungewohnt menschlicher Aspekt von McLaren wirkt, dann kennt man das Team schlecht. Wir sind immer so, nur die Umstände waren eben früher nicht so, dass man bei uns Kinderwagen gesehen und Hunde bellen gehört hätte (lacht)."