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Clerici: "Tiefer Respekt vor Michael Schumacher"
TV-Entertainer und Hobbyrennfahrer Christian Clerici spricht im ausführlichen Interview über Michael Schumacher, die Formel 1 und vieles mehr
(Motorsport-Total.com) - Ganz ehrlich? Okay. Christian Clerici wird es mir, hoffentlich, verzeihen, wenn ich schreibe, dass ich ihn eigentlich nur vom Wegzappen kenne, weil 'Herzblatt' noch nie zu meine Lieblingssendungen gehört hat. Und so war ich dann doch ein wenig verwirrt, als der geschätzte Kollege Helmut Zwickl meinte: "Sprich mit dem Christian Clerici - der hat etwas zu sagen, das ist ein guter Mann!"

© Sat.1
Christian Clerici ist bekannt als Moderator verschiedener TV-Shows
Im Rahmen des Mediencocktails der Oldtimerrallye Ennstal-Classic war auch Clerici zu Gast, hielt eine amüsante Doppelkonferenz mit Veranstalter Zwickl. Da wurde klar, was der Kollege gemeint hat: Clerici war schon in jungen Jahren von Autos und vom Motorsport begeistert. Erst in den letzten Monaten jedoch stieg er aktiv in den Sport ein, bestreitet erfolgreich den österreichischen Histo-Cup (Siege in der Gruppe N) und nimmt bereits zum zweiten Mal an der Ennstal-Classic teil. Zudem ist der 42-jährige Wiener auch bei dem knallharten Ironman-Bewerb mit von der Partie.#w1#
Clerici ist ein großer Formel-1-Fan
Clerici hat nicht nur zum Motorsport etwas zu sagen - und ist obendrein ein sehr amüsanter, geistreicher und liebenswürdiger Gesprächspartner. Und: Ihm fällt auch zum Thema Formel 1 etwas ein.
Frage: "Christian, verfolgst du die Formel 1?"
Christian Clerici: "Dieses Jahr wieder. Dieses Jahr finde ich die Formel 1 so spannend wie seit Jahren nicht mehr. Aber nicht deshalb, weil ich in das gleiche Horn stoße wie diese Masse, die immer gesagt hat: 'Der Schumacher, der gewinnt immer alles, das ist ja langweilig!' Denn ich habe einen tiefen Respekt vor Leuten, die auf so einem Niveau, in so einem Umfeld so eine Leistung erbringen. Ich war eigentlich zutiefst enttäuscht von der Welt, als sie ihn in seinem letzten Jahr am Anfang so geschlachtet haben - ich fand das unglaublich respektabel, wie der zurückgekommen ist und beinahe noch in seinem letzten Jahr eine Sensation geschafft hätte."
Frage: "Ich habe erst vor kurzem einen Kommentar geschrieben, der nicht nur auf Zustimmung gestoßen ist. Ich finde halt, dass man jetzt sehr deutlich sieht, wie sehr die Spannung aufrechterhalten bleibt, wenn es in einem Topteam zwei vollkommen gleichberechtigte und annähernd gleich starke Piloten gibt. Und dass auch die langweiligen Jahre wie 2002 spannender sein hätten können, wenn an der Seite von Michael Schumacher ein gleichberechtigter und ähnlich starker Teamkollege gewesen wäre. Aber das hat Schumacher eben nicht zugelassen."
Clerici: "Ja, absolut."
Frage: "Das Einzige, was man Michael Schumacher, dessen unglaubliche Leistungen ich zutiefst bewundere, vorwerfen kann, ist eben, dass er auf seinen Nummer-eins-Status bestanden hat und uns dadurch vielleicht spannende Stallduelle verwehrt blieben."
Clerici: "Ja, wobei - das sage ich ehrlich gesagt jetzt als Mensch, der auch vor der Kamera steht: Du hast entweder ein Siegergen oder du hast es nicht. Und Siegergen impliziert auch: Gewonnen wird nicht nur mit purer Geschwindigkeit. Gewonnen wird nicht nur mit purem Zufall. Gewonnen wird auf dieser Welt halt einfach auch mit Abgrenzung, Taktik und Überlegung. Und ich meine, dass das im Sport genauso dazugehört wie es in anderen Lebensbereichen dazugehört, wo du gewinnen willst."
Die Formel 1 hat sich verändert
"Der Punkt ist der: Die Gesellschaft hat sich mittlerweile so verstrickt in ihrer Komplexität - die Formel 1 ist nicht mehr so wie früher, wie du es von den Bildern her kennst, wo die Fahrer miteinander in die Box gegangen sind und gesagt haben: 'Was ist denn das für ein scheiß Spoiler? Mit dem willst du gewinnen? Schleich dich!' Und der hat geantwortet: 'Du mit deiner Schürze, die kannst du dir beim Kochen umbinden - aber du wirst von mir nur den Auspuff sehen! Magst eine Zigarette?' Und der andere Fahrer sagt: 'Ja, gib her!' Ich meine damit: das war einfach eine andere Zeit. Und diese Zeit spiegelt auch die Gesellschaft, die ist der gesamten Gesellschaft abhanden gekommen, nicht nur im Sport."
"Wir haben uns alle in eine Dimension hineinmanövriert - ob das soziale oder politische Systeme sind -, die ist nicht mehr entwirrbar. Und genauso, finde ich, ist es im Spitzensport. Es ist so undurchsichtig geworden. Damit du überhaupt erst gewinnen kannst oder wenn du oben bleiben willst, musst du gleichzeitig eine Art von Medien-, von Managementspiel spielen, das früher vielleicht überhaupt nicht notwendig gewesen ist, wo die reine Leistung des Rennfahrers gezählt hat. Und die Kohle, die der jeweilige Rennstall hatte, um halt das Material zur Verfügung zu stellen. Das hat heute medial Dimensionen erreicht, die meiner Meinung nach außer Kontrolle laufen. Und da wiederum habe ich sehr viel Respekt vor Leuten, die sich so abgrenzen, dass sie auf Platz eins bleiben können. Das gehört mit dazu, das ist für mich ganz klar. Hätte der Schumacher im Team einen Massa oder einen Räikkönen gehabt, dann hätte das Ganze wahrscheinlich anders ausgeschaut."
Frage: "Gut, einen Felipe Massa hatte er ja im Team. Aber da war Massa halt noch eine Art Lehrling, der ja auch oft genug erklärt hat: 'I have learned a lot!'"
Clerici: "Ja, und jetzt hat der Massa auch nicht mehr diesen Übergott Michael Schumacher vor der Nase und kann sich mental vielleicht auch eher frei spielen. Das macht ja wahnsinnig viel aus. Und so gesehen finde ich immer: Die Welt sollte mehr Respekt haben vor den Leistungen, die erbracht werden. Sie sollte mehr Verständnis dafür haben, dass dort, wo auf diesem Niveau gekämpft wird, die Luft nicht nur sportlich sehr dünn ist, sondern auch menschlich, emotional, wirtschaftlich. Nach dem Motto: Heute da oben, morgen da unten. Ich finde, dass ein bisschen mehr Respekt und Demut vor den sportlichen Helden schon etwas nützen würde."
Medien sind allgegenwärtig
"Dadurch, dass wir heute über die Medien alles sofort live im Wohnzimmer haben - schau dir an, bei jedem Gokartrennen: Kaum haben die Leute einen Rennanzug an, können sie alle Formel 1 fahren. Bei jedem Fußballspiel sitzen die Leute auf der Couch und wissen, wann und wie man ein Tor schießt. Bei jedem Ironman, so wie ich das jetzt erlebt habe, sitzen Leute da und sagen: 'Heast, Clerici - 2:14 Stunden, was ist das für eine beschissene Zeit?' Dann sage ich: 'Herzlich willkommen, probiert es doch einfach einmal selber aus!'"
Frage: "Deine Botschaft ist also: Macht es doch mal selber!"
Clerici: "Meine Botschaft ist immer: Jeder, der eine gescheite Ansicht zu irgendeiner Sportart hat, soll es einmal selber ausprobieren. Und ich habe festgestellt, dass die großen Leute - die, die wirklich Charisma haben, die etwas leisten, die siegfähig sind, die siegen - eigentlich die entspanntesten Leute überhaupt sind. Das sind Menschen, die in sich ruhen - weil sie wissen, was sie tun. Und daran sollte man sich eher orientieren als an diesem Medienhype und diesem Medienrummel. Also ein bisschen mehr Bewusstsein für das, was da eigentlich geleistet wird."
"Ich kann das, seit ich da selber drinnen bin, noch viel besser beurteilen - weil bei so einem Sportrennfahrerlehrgang der Scuderia Hanseat fährst du ja auf dem Nürburgring neben der Nordschleife auch auf dem Formel-1-Kurs. Da stehen die Schilder 200 Meter, 150 Meter vor der Kurve. Wenn ich mir vorstelle, dass ich mit einem Opel Astra dort mit ungefähr 180 km/h von der Zielgeraden bei dem 200-Meter-Schild zu bremsen beginne, damit ich dann die erste Kurve noch irgendwie hinbekomme und dann erfahre, dass der Formel 1 mit 300 km/h bis auf die 50-Meter-Marke hinknallt - Alter, da denk ich mir dann: 'So Freunde, und jetzt haltet mal alle die Pappn und jetzt macht einmal alle die Welle - vor der körperlichen Leistung!' Es ist kein Wunder, dass die so gut trainiert sind - brems da mal von 300 runter!"
Frage: "Ja, so mancher Alleswisser würde vielleicht in Ohnmacht fallen bei so einem Bremsmanöver, übertrieben gesagt..."
Clerici: "Da bremst du auf 50 Metern runter von 300 auf 80 km/h - das ist irre. Es ist auch für mich im Histo-Cup nicht ohne - in meinem Auto hat es auch ungefähr 60 oder 70 Grad. Ich steige dort aus meinem Boliden und mir rinnt das Wasser aus den Schuhen heraus."
Am besten: Einmal selbst ans Steuer setzen!
Frage: "Bei den Kartrennen, die ich früher gefahren bin, ob jetzt 100 ccm oder 6-Gang-125-ccm - allein schon diese höchste Konzentration beansprucht dich körperlich sehr hart."
Clerici: "Ja, du kennst das eh auch - das muss einfach jeder einmal machen!"
Frage: "Wobei: Da gibt es dann schon auch Stimmen wie jene von Niki Lauda, der dann eben auch sagt, dass die Formel 1 - rein fahrtechnisch - früher schon schwieriger zu meistern war. Ich bin 1979 auf dem Österreichring beim Hella-Licht-S gesessen und da hast du es laut krachen gehört, wenn sich jemand verschalten hat. Das war schon ein anderes Geräusch als das Knattern der Traktionskontrolle. Irgendwas hat es mit solchen Aussagen schon auch auf sich. Zugleich sehe ich auch deine Perspektive, dass es auch heute noch ungemein schwierig ist, so ein Formel-1-Auto überhaupt zu bewegen, das sollte man nicht vergessen."
Clerici: "Das ist wie das Theater mit dem Doping. Dort, wo Doping ans Tageslicht kommt, plaudert entweder jemand oder es kommt bei den Athleten raus, die denen, die so viel Geld haben, dass sie eigentlich unbeschadet dopen können, hinterherhecheln. Dann wird mit weniger Geld gedopt - und dann platzen die Leute."
"Was ich damit sagen will ist: Was sollst du denn machen in der Formel 1? Wenn Ferrari oder Mercedes hergehen und eine technische Aufrüstung betreiben - du siehst es ja dann ohnehin bei den Rennställen, die weniger Geld haben, was das ausmacht. Das ist eine Materialschlacht geworden. Aber was hast du jetzt für Möglichkeiten? Du ziehst dich zurück - dann fahren irgendwann nur noch - keine Ahnung - Ferrari, Mercedes und vielleicht irgendwann Toyota, wenn sie ihr Zeug in den Griff kriegen, gegeneinander - und alle anderen fahren nicht mehr. Oder halt noch Renault."
Technisches Aufrüsten nimmt Überhand
"Aber das ist für mich der Wahnsinn in diesem Sport, das technische Aufrüsten - einer fängt damit an, und wenn die anderen nicht mitmachen, sind sie keine Konkurrenten mehr. Das finde ich schade. Umgekehrt fördert das mein Verständnis dafür, dass es scheinbar eben so laufen muss. Ich habe mir eine Dokumentation über das Le-Mans-Rennen 1969 angesehen. Die sind über 400 km/h auf der Geraden gefahren, im Dunkeln, mit zwei so Grablaternen vorne. Klar, das waren andere Helden. Aber es ist auch damals viel mehr gestorben worden."
Frage: "Klar, damals musste man schon ein sehr schräger Vogel sein, um diesen Beruf zu wählen. Schließlich war das damals ein Beruf, wo in jeder Rennklasse zwei Fahrer pro Saison gestorben sind. Ein bisschen wie russisches Roulette. Das ist heute, glücklicherweise, möchte ich dazusagen, nicht mehr so. Aber es erklärt, warum damals der Zugang anders war, warum es ganz spezielle Menschen waren, die trotz dieser erdrückenden Todesbilanz diese Liebe zu diesem Sport aktiv ausgelebt haben."
Clerici: "Der Unfall von Robert Kubica - der wäre damals doch ganz sicher nicht mehr lebend aus dem Auto gestiegen."
Frage: "Das wäre sogar vor nur zehn Jahren schon sehr brenzlig gewesen. Du hattest früher auch etliche Piloten, die sich durchwursteln mussten, die wie Nigel Mansell im Campingbus gelebt haben, um einen Sport zu betreiben, der höchste Lebensgefahr bedeutet hat. Gut, es gab auch damals schon andere. In meiner Kartzeit gab es einen Rennfahrersohn, der hatte einen Bus voller neuer Reifen. Ich habe ihn, ganz ehrlich, beneidet - denn ich hatte für die Saison nur zwei Satz. Das Schlimme war: Der Vater, der es als Rennfahrer nicht allzu weit gebracht hat, stand da mit der Stoppuhr. Wenn der Bub zu langsam war, gab es eine Ohrfeige. Gut, nur auf den Helm, aber der Bub hat geheult, der wollte gar nicht..."
Clerici: "Es ist immer das Gleiche. Okay, unser Thema ist Motorsport, eigentlich. Aber wenn man das Thema ein bisschen weitläufiger spannt, dann ist meiner Meinung nach das Thema unserer Generation Demut. Da geht es einfach um ein bisschen mehr Respekt vor der Tatsache, dass Leben ein Privileg ist."
Frage: "Sollen wir das als Schlusswort nehmen?"
Clerici: "Gerne."

