• 22.07.2011 19:18

  • von Dieter Rencken

Chandhok: "Es war interessant"

Lotus-Fahrer Karun Chandhok beschreibt seine Rückkehr ins Renncockpit und spricht über seine Baustellen: "Ich weiß, wo meine Defizite liegen"

(Motorsport-Total.com) - Für Karun Chandhok bedeuteten die beiden Freien Trainings zum Großen Preis von Deutschland die Rückkehr ins Renncockpit in der Formel 1. Der indische Fahrer ersetzt an diesem Wochenende den Italiener Jarno Trulli, der aber schon in Budapest wieder ins Lenkrad greifen wird - Chandhok erhält eine einmalige Chance. Diese nutzte der 27-Jährige während der drei Stunden in der Eifel prima aus und zeigte kontinuierliche Fortschritte. In seiner Medienrunde schildert Chandhok weitere Eindrücke.

Titel-Bild zur News: Karun Chandhok

Karun Chandhok erlebt die Formel 1 endlich wieder aus der Cockpit-Perspektive

Frage: "Karun, wann erfuhrst du, dass du an diesem Wochenende im Rennauto sitzen würdest?"
Karun Chandhok: "Das hatte sich schon vor geraumer Zeit angedeutet. Ich wusste, dass es eine ziemlich gute Möglichkeit geben würde, doch bestätigt wurde all dies recht spät."

"Ich war dem Team im vergangenen Jahr in dem Glauben beigetreten, eines Tages Rennen für diese Mannschaft bestreiten zu können. Tony und ich sprachen schon im vergangenen Jahr darüber, dass er gerne asiatische Fahrer promoten würde. Ich freue mich sehr darüber, dass weiterhin dazu steht."

Frage: "Wie schwierig ist es für dich, während der Saison einzusteigen, wo du doch bisher nur ein paar Geradentests und Freitagsfahrten absolviert hast?"
Chandhok: "Der große Unterschied ist: Bislang konnte ich das Auto noch nie im Trockenen fahren."

"Wie ich im Laufe des Freitags feststellen konnte, sind die Pirelli-Reifen ganz anders als das, was ich im vergangenen Jahr zur Verfügung hatte - speziell, was das Aufwärmen und das Halten der Temperaturen angeht. Auch das Bremsmaterial, das hier verwendet wird, ist anders. In diesen Bereichen muss ich also Fortschritte machen."

"Ich denke, das ist mir auch schon gelungen. Vom Morgen bis zum Nachmittag fanden wir insgesamt 1,5 Sekunden. Das Meiste davon war beim Bremsen zu holen. Es ist halt eine Lernphase, wie die Reifen und die Bremsen funktionieren und reagieren. Das Team war fantastisch und die Ingenieure waren mir eine große Hilfe."

"Vom Morgen bis zum Nachmittag fanden wir insgesamt 1,5 Sekunden." Karun Chandhok

"Ich muss ihnen meinen Dank aussprechen, weil sie so geduldig mit mir waren. Auch für sie ist es eine seltsame Situation, wo sie nun doch einen Fahrer im Auto haben, der eben dieses nie wirklich testen konnte. Für die Crew ist es ebenfalls ein Gefühl, wie wenn man noch einmal die Schulbank drückt. Es war aber sehr interessant."¿pbvin|512|3903||0|1pb¿

Die Reifen als großer Stolperstein

Frage: "Wie sehr musst du dich bremsen, um nicht zu viel zu wagen?"
Chandhok: "Ich bin kein großer Bluffer. Ich nehme einfach jede Session, wie sie kommt. Es geht darum, Fortschritte zu zeigen. Am Morgen lag ich doch recht deutlich hinter Heikki zurück, aber dafür gab es auch Gründe. Wir hatten es nicht auf Rundenzeiten abgesehen."

"Wichtig war uns stattdessen, einen guten Start hinzulegen. Am Nachmittag machten wir etwas mehr Druck. Dabei kamen dann auch erstmals die weichen Reifen zum Einsatz, die sich ebenfalls vollkommen von den Pneus aus dem vergangenen Jahr unterscheiden. Solange ich mich bei jedem neuen Reifensatz und bei jeder neuen Ausfahrt steigere, ist es okay."

"Am Nachmittag machten wir etwas mehr Druck." Karun Chandhok

Frage: "Wie lässt sich deine Lernkurve zusammenfassen?"
Chandhok: "Ich denke, das Problem ist, dass ich meine persönliche Messlatte ziemlich hoch setze. Ich bin aber auch realistisch. Das Auto ist jetzt auf jeden Fall in einem besseren Zustand als nach drei Kurven in Australien (lacht; Anm. d. Red.). Es ist einfach gut, ein paar Kilometer zu absolvieren."

"Ich weiß immerhin, wo meine Defizite liegen und in welchen Bereichen ich mich noch verbessern muss. Wie ich schon sagte: Vieles gibt sich durch die richtige Nutzung der Bremse. Vor mir liegt nun eine lange Nacht, in der ich gemeinsam mit dem Team die Daten durchgehen werde. Ich bin eh ein Workaholic und habe kein Problem damit, stundenlang auf Computerausdrucke zu starren."

Qualifikaton: Vor HRT und Marussia-Virgin bleiben

Frage: "Welche Ziele setzt du dir für die Qualifikation am Samstag? Kannst du das aus deiner Sicht überhaupt schon tun?"
Chandhok: "Es ist sehr schwierig, ein Ziel zu formulieren, wenn man - wie ich - so kurzfristig dazustößt. Mir ist klar: Es ist unmöglich, dass ich in der Qualifikation unterm Strich vor Heikki landen werde. Das liegt einfach an meiner geringeren Erfahrung mit diesem Auto. Ein Testtag in Barcelona oder Jerez hätte sicherlich geholfen, denn dabei hätte ich einmal ein paar Reifen ausprobieren und verschiedene Dinge testen können."

"Ich weiß nämlich noch immer nicht genau, wie sich die Pneus in ihren unterschiedlichen Zuständen anfühlen sollten. Wir müssen einfach realistisch sein, was das Wochenende am Nürburgring anbelangt. Wenn es mir gelingen sollte, am Ende vor den anderen beiden neuen Teams zu stehen, dann hätte ich gute Arbeit geleistet, denke ich."


Fotos: Karun Chandhok, Großer Preis von Deutschland


Frage: "Welcher Zeitabstand zu Heikki Kovalainen würde deinen hohen Erwartungen an dich selbst entsprechen?"
Chandhok: "Auf diese Frage weiß ich keine Antwort. Ich denke, da müssen wir einfach einmal abwarten. Es sollte schon enger sein als am Freitag. Wenn ich mich nicht irre, lag ich am Morgen noch 2,8 Sekunden hinter ihm, am Nachmittag waren es 1,5 Sekunden oder dergleichen. Wenn ich meine Runde auf die Reihe kriege, ist noch eine weitere halbe Sekunde drin."

"Die Hauptsache ist: Wir kommen näher ran. Ich würde mir sorgen machen, wenn ich vollkommen verloren wäre und keine Ahnung hätte, wo die Zeit zu finden ist. Ich sehe aber bestimmte Bereiche, an denen wir arbeiten müssen, um uns zu steigern. Noch habe ich kein Vertrauen ins Auto, aber die Ingenieure - an dieser Stelle noch einmal ein großes Kompliment - machten es mir sehr einfach, ins Auto zu steigen."

Noch ist alles etwas ungewohnt...

Frage: "Wobei fehlt dir das Vertrauen denn am meisten? Ist es auf der Bremse oder zum Beispiel in schnellen Kurven?"
Chandhok: "Schnelle Kurven sind nicht das Problem. Da bin ich gar nicht so weit weg von Heikki. Die Hauptbaustelle ist die Bremse. Da scheine ich gewisse Schwierigkeiten zu haben."

"Das liegt aber auch an der kurzen Zeit, die ich im Vergleich zu ihm im Auto verbrachte. Ich werde über Nacht darüber schlafen und vielleicht wache ich ja am Samstag auf und habe eine zündende Idee. Schön war auf jeden Fall, dass wir schon am Freitag viele Runden drehen konnten. Es fühlte sich gut an."

Frage: "Ist deine Einstellung eine andere, weil du weißt, am Samstag noch einmal ins Auto zurückkehren zu können?"
Chandhok: "Oh ja. Es ist etwas ganz Anderes. Auch die Beziehung zum Team ist in dieser Hinsicht anders. Das passiert aber ganz automatisch."

"Es ist etwas ganz Anderes." Karun Chandhok

"So bist du einfach 200 Prozent konzentriert, weil du weißt, dass es dein Auto ist. Fährst du nur am Freitag, hast du eine andere Einstellung dazu. Du denkst immerzu daran, dass das Fahrzeug eigentlich jemand Anderem gehört. Das hast du immer im Hinterkopf. Du kannst auch nicht allzu tief in die Setuparbeit einsteigen, weil es ja nicht für dich, sondern für den anderen Piloten passen muss."

"Jetzt kannst du da viel intensiver zu Werke gehen und ich denke, wir kommen dahin. Ich nutze nach wie vor einen Sitz von Heikki. Daran werden wir wohl auch noch einige Modifizierungen vornehmen, denn er ist ein bisschen kleiner als ich. Ich habe da aber keine Wahl."

Frage: "Hoffst du auf Regen?"
Chandhok: "Nein (lacht; Anm. d. Red.). Nur: Normalerweise regnet es immer, wenn ich hier bin. Am Nürburgring kann man sich dessen ohnehin sicher sein."