• 29.08.2006 10:10

  • von Inga Stracke

Barrichello: "Ich fühle mich befreit"

Rubens Barrichello erklärt im Interview, warum er für den ersten Honda-Sieg mitverantwortlich ist, und glaubt, dass die Schumacher-Entscheidung feststeht

(Motorsport-Total.com) - Nach 14 Honda-Rennen hat Rubens Barrichello 22 Punkte auf seinem WM-Konto, nur um neun weniger als zum gleichen Zeitpunkt vor einem Jahr. Der Brasilianer hatte zwar einen schwierigen Saisonauftakt, lieferte aber seit dem Nürburgring konstant gute Resultate ab und fand endlich auch Anschluss an seinen Teamkollegen Jenson Button.

Titel-Bild zur News: Rubens Barrichello

Rubens Barrichello hofft weiterhin auf seinen ersten Heimsieg in Brasilien

Weil er in der Weltmeisterschaft keine Bäume mehr ausreißen wird, bleibt für ihn noch ein großes Saisonziel: der Sieg bei seinem Heim-Grand-Prix in São Paulo am 22. Oktober. In Istanbul traf er sich zum Interview mit 'F1Total.com', um eben darüber, über sein neues Karrieregefühl in der Post-Ferrari-Ära sowie die zu erwartende Karriereentscheidung von Michael Schumacher zu sprechen, die seiner Meinung nach schon längst gefallen ist...#w1#

Barrichello wünscht sich weniger Testfahrten

Frage: "Rubens, diese Saison ist ziemlich anstrengend, es gibt wieder einige Blockrennen direkt hintereinander. Sollte es vielleicht mehr dreiwöchige Pausen dazwischen geben?"
Rubens Barrichello: "Ich weiß nicht, wie man es anstellen soll, aber ich wünsche mir, dass weniger getestet wird. Es sind ja nicht unbedingt die Rennen, denn ich bin als Rennfahrer geboren, mache das gerne - und es würde mir fehlen! In der Sommerpause haben mir die Rennen auch gefehlt. Wir testen aber so viel - nämlich 120 Runden am Tag, manchmal zwei oder drei Tage hintereinander -, dass man manchmal schon müde zu den Rennwochenenden kommt. Mit weniger Tests könnte man die Kosten eindämmen, aber wir würden auch den Fahrern einiges ersparen."

Frage: "Was sagst du zur Idee, am Freitag ab 2007 freie Testfahrten zu veranstalten?"
Barrichello: "Der Freitag hilft uns Fahrern ein bisschen dabei, gewisse Entscheidungen zu treffen, aber vor allem brachte die aktuelle Freitagsregel eines: dass wir der Welt auch andere Fahrer zeigen können. Ich hielt das für eine gute Entscheidung, denn warum gibt McLaren das Auto einem de la Rosa? Weil er schon lange für sie fährt, das Auto kennt und auch an den Freitagen gut für sie gefahren ist."

"Vor allem brachte die aktuelle Freitagsregel eines: dass wir der Welt auch andere Fahrer zeigen können." Rubens Barrichello

"Die Grand-Prix-Freitage sind wettbewerbsähnlicher als jeder andere Test, denn bei Tests kann man jederzeit neue Reifen aufziehen lassen, aber am Rennwochenende steht man automatisch unter einem gewissen Druck. Da kann das Team dann überprüfen, ob ein Fahrer geeignet ist, ob er auf die Wünsche der Ingenieure eingehen kann und so weiter. Ich halte es daher für eine schlechte Idee, die Freitagsfahrer zu streichen."

Frage: "Jenson Button hat in Ungarn euren ersten Grand Prix gewonnen und damit auch die Japaner im Team ein wenig besänftigt. Wie hast du das erlebt?"
Barrichello: "Ich war auch sehr gerührt. Ich will mich zwar nicht in den Vordergrund drängen, aber es ist schön, auch ein Teil davon zu sein. Es ist nur Zufall, dass er auf einmal gewonnen hat, aber ich habe auch hart mit dem Team und am Auto gearbeitet. Ich habe meine ganze Erfahrung im Bereich der Kontrollsysteme und der Bremsen eingebracht. Dadurch wurde das Auto schneller."

"Schade, dass nicht ich gewonnen habe, denn das hätte ich mir gewünscht, aber Jenson war ein verdienter Sieger, denn er fuhr ein starkes Rennen, war in vielen Phasen wirklich schnell. Ich für meinen Teil hatte geringfügige Probleme, weil mein Auto ein bisschen für Trockenheit abgestimmt war, aber trotzdem war ich konkurrenzfähig. Schade, dass wir nicht mit beiden Autos auf das Podium kamen!"

Barrichello weiß, wie sich Button fühlen muss

Frage: "Bei unserem Interview in Melbourne hast du gesagt, dass du Rennen gewonnen hast, Jenson Button aber noch nicht, und dass er diese Erfahrung selbst machen müsse. Wirst du jetzt, da es endlich passiert ist, anders mit ihm sprechen?"
Barrichello: "Nein. Ich glaube nicht, dass sich dadurch irgendetwas ändern wird. Sein eigenes Gefühl ist jetzt vielleicht anders, denn er schwebt sicher auf Wolke sieben. Ich habe einmal in Japan gewonnen, das letzte Saisonrennen, und anschließend fühlte ich mich den ganzen Winter als Grand-Prix-Sieger, drei oder vier Monate lang."

"Jenson muss sich also in den vergangenen drei Wochen ebenfalls sehr gut gefühlt haben, aber wenn man dann wieder im Auto sitzt und fährt, kommt man wieder in der Realität an. Da muss man einfach aufs Gas steigen. Es ist wie gesagt ein Ankommen am Boden der Realität, aber das meine ich nicht negativ. Jedenfalls hat er sicher ein gutes Gefühl im Moment!"

"Da muss man einfach aufs Gas steigen..." Rubens Barrichello

Frage: "Es gibt viele Gerüchte über Unstimmigkeiten im Honda-Team. Hast du das Gefühl, dass da an einem Strang gezogen wird?"
Barrichello: "Das hat das Team doch schon bewiesen! Wir testen viel, verbessern viel - und auf einmal fanden wir etwas. Beim Test in Jerez vor zwei Monaten kamen wir so gut voran wie davor noch nie. Jeder wusste, wie hart wir gearbeitet haben, und es war nur eine Frage der Zeit, bis wir etwas erreichen würden. Nach Saisonbeginn verbesserten sich die anderen Teams, wir aber nicht. Es war klar, dass uns irgendwann auch mal ein Schritt gelingen würde."

Frage: "Woran musstet ihr am meisten arbeiten, um diesen Fortschritt zu erreichen?"
Barrichello: "An der Traktionskontrolle. Die Kontrollsysteme des Autos müssen noch weiter verbessert werden, die Fahrbarkeit ist unser Hauptproblem."

Honda fehlt es weiterhin an Topspeed

Frage: "Und sonst?"
Barrichello: "Wir müssen einfach weiterarbeiten, von immer mehr träumen. Ich glaube, dass wir die Bremsleistung des Autos noch steigern können. Unsere Balance ist nicht schlecht, denn wir haben den notwendigen Grip, aber wir müssen auf den Geraden schneller werden. Diese Dinge müssen wir definitiv ins Visier nehmen."

Frage: "Aus Japan kommen immer noch Ingenieure für befristete Zeit zu euch, die in der Formel 1 lernen und dann wieder zurück nach Japan gehen. Wie stehst du dazu?"
Barrichello: "Ihre Arbeit ist okay. Ich genieße die Zeit mit ihnen, kann schon gar nicht mehr ohne Sushi leben!"

Rubens Barrichello

Rubens Barrichello fühlt sich bei Honda inzwischen wie ein Fisch im Wasser Zoom

Frage: "Kommen immer noch Ingenieure aus Japan während der Saison zu euch oder bleiben die Ingenieure über einen längeren Zeitraum unverändert?"
Barrichello: "Honda geht anders an die Formel 1 heran. Mehr Leute, mehr Ideen - so denken sie. Es gibt bei uns nicht einen Chef, der alle Probleme löst, sondern es sind mehr Ingenieure involviert. Das hat Vor- und Nachteile, aber ich sehe immer wieder neue Gesichter im Team."

Frage: "Was ist für dich persönlich und für das Team in diesem Jahr noch möglich?"
Barrichello: "Für mich persönlich kann ich nur hoffen, dass das Auto weiter besser wird, denn das Saisonfinale ist ja mein Heim-Grand-Prix in Brasilien. Dort möchte ich immer gut abschneiden, und ich hoffe, dass wir dort eine gute Chance haben werden, das Rennen zu gewinnen. Das würde dieses Jahr besser machen als jedes andere!"

Frage: "Wie wird deine Saison eigentlich in Brasilien wahrgenommen?"
Barrichello: "Ziemlich gut. Es gab einige Hochs und Tiefs. Die ersten drei Rennen waren ziemlich schlecht, aber die Presse stand mir recht positiv gegenüber - vor allem die Öffentlichkeit. Es ist okay. Jenson gilt als einer der schnellsten Fahrer der Formel 1. Wenn ich ihn schlage, bin ich auf der Höhe, daher muss ich auch nicht immer erklären, warum ich langsamer als Michael bin. Das konnte die Öffentlichkeit schon nicht mehr hören. Massa ist jetzt genau dort, wo ich am Ende meiner Ferrari-Zeit war. In Brasilien ist man happy, dass man jemanden hat. Es ist schön, zumindest manchmal ein konkurrenzfähiges Auto zu haben."

Bei Honda fühlt sich Barrichello wie neugeboren

Frage: "Bist du glücklich über deine Entscheidung, Ferrari in Richtung Honda zu verlassen?"
Barrichello: "Das bin ich. Ich fühle mich befreit, habe Zeit, um am Auto zu arbeiten. Jetzt kann ich beweisen, dass meine Arbeitsweise positiv ist. Das Team gibt mir die Chance dazu. Ein Teil von Jensons Sieg hängt sicher auch damit zusammen."

Frage: "Setzt du deine Prioritäten jetzt anders als vor einem Jahr?"
Barrichello: "Absolut! Das Leben ist gut. Manchmal trifft man falsche Entscheidungen, aber das muss man mit einem Lächeln nehmen. Am Saisonbeginn haben die Leute gesagt, dass dieser Barrichello nach Hause gehen sollte, aber ich hatte Probleme mit den Bremsen und wusste das auch. Oberflächlich sah es so aus, als würde ich schlecht fahren, aber das war nicht der Fall. Ich blieb cool, konzentrierte mich auf meine Arbeit. Ich bin recht happy hier."

"Manchmal trifft man falsche Entscheidungen, aber das muss man mit einem Lächeln nehmen." Rubens Barrichello

Frage: "Michael Schumacher will sich bis Monza entscheiden, was seine Zukunft angeht. Wie siehst du die Situation?"
Barrichello: "Ich sehe es so, dass die Entscheidung längst gefallen ist. Sie sagen es nicht, aber Michael weiß bestimmt schon, was er machen wird. Ich weiß nicht, wie die Entscheidung ausfallen wird, aber ich wünsche mir, dass er weitermacht. Er macht zwar manchmal dumme Sachen, aber er ist trotzdem sehr wichtig für die Formel 1. Er ist sehr schnell und muss nicht aufhören. Ich glaube nicht, dass er sich auf dem absteigenden Ast befindet. Hoffentlich macht er weiter, aber das Team weiß es sicher schon. Sonst wären sie verleitet, etwas in der Öffentlichkeit zu sagen."

Frage: "Wer wird deiner Meinung nach in diesem Jahr Weltmeister, Fernando Alonso oder Michael Schumacher?"
Barrichello: "Ich weiß es nicht. Wenn Michelin weiter einen guten Job macht, hat Renault die bessere Chance, die Weltmeisterschaft zu gewinnen. Schwer zu sagen. Die Weltmeisterschaft ist offen, wird bis zum letzten Rennen Unterhaltung bieten."

Frage: "Werden die Reifen und das Team den Ausschlag geben oder doch die Fahrer?"
Barrichello: "Renault hat eine gute Chance. Es liegt definitiv nicht nur an den Fahrern."