• 29.06.2011 20:14

Ascanelli: "Fahrer zeigen im Qualifying nicht das Maximum"

Girogio Ascanelli im Interview: Warum Toro Rosso die Erwartungen übertrifft, wieso man im Qualifying schwächelt und warum er sich für Silverstone ein Gewehr wünscht

(Motorsport-Total.com) - Vor der Saison zählte Toro Rosso zu den Geheimtipps, inzwischen hat sich die Truppe rund um Teamchef Franz Tost und Technikchef Giorgio Ascanelli tatsächlich zu den regelmäßigen Punktesammlern entwickelt. In Monaco und in Kanada wurde Sebastien Buemi zwei Mal Zehnter, in Kanada und in Europa glänzte Jaime Alguersuari gar mit zwei achten Plätzen - das ergibt zehn Punkte aus drei Rennen.

Titel-Bild zur News: Sebastien Buemi, Giorgio Ascanelli (Technischer Direktor)

Technikchef Giorgio Ascanelli sieht im Qualifying Entwicklungspotenzial

Somit liegt das kleine Red-Bull-Team mit 16 Punkten vor Force India (12) und Williams (4) auf einem starken siebten Platz in der Konstrukteurs-WM. Anlass genug, um mit Ascanelli Zwischenbilanz zu ziehen und über den Plan für die zweite Saisonhälfte zu sprechen.

Frage: "Giorgio, fünf Punkte aus acht Rennen - zudem bei den vergangenen drei Grands Prix stets in den Punkten. Wie sieht dein bisheriges Saisonfazit aus?"
Giorgio Ascanelli: "Ich glaube, dass wir bezüglich aller Aspekte, die ein Formel-1-Team ausmachen, auf einem Niveau sind, das man vom neuntplatzierten Team erwarten würde. Dennoch war es unser Ziel, am Ende Achter zu werden, und derzeit liegen wir in der Konstrukteurs-WM auf dem siebten Platz."

"Daher müssen wir damit glücklich sein, auch wenn es schwierig wird, in der verbleibenden Saison dort zu bleiben. Die Tatsache, dass wir Siebter sind, bedeutet nicht, dass wir eine bessere Leistung zeigen, als es unser Plan vorsieht, denn, obwohl wir einiges richtig gemacht haben, verdanken wir unsere Platzierung auch einigen anderen Teams, die es manchmal nicht hinkriegen."

"Wir sehen am Samstagabend wie Idioten und am Sonntagabend wie Genies aus." Girgio Ascanelli

Frage: "Ganz allgemein sind die Rennleistungen von Toro Rosso besser als die Qualifying-Leistungen. Warum?"
Ascanelli: "Geht es nach dem Verlauf unserer Rennwochenenden, sehen wir am Samstagabend wie Idioten und am Sonntagabend wie Genies aus, aber das ist eine Theorie, die ich nicht unterschreibe! Es gibt wirklich einen Unterschied zwischen unseren Qualifying- und unseren Rennleistungen. Das hat teilweise technische Gründen und beruht zudem auf der Tatsache, dass wir den Rennvorbereitungen bewusst mehr Zeit widmen als den Qualifyingvorbereitungen."

"Der andere Faktor ist - und das soll jetzt nicht respektlos klingen -, dass unsere Fahrer nicht das Maximum aus dem Auto herausholen können, wenn die Reifen in einer Qualifying-Runde am besten sind."

Frage: "Ihr seid im zweiten Jahr, in dem ihr das Auto in der eigenen Fabrik designt und baut, was auch die Verbindung zwischen dem Windkanal in Bicester und Faenza beinhaltet. Wie läuft der Betrieb des Rennstalls?"
Ascanelli: "Für mich persönlich ist es das dritte Jahr, dass ich ein Auto auf beiden Seiten des Kanals produziere, die ersten zwei Jahre waren bei Ferrari, als die Technologie - Internet, Computer, eine vernetzte Datenbasis und eine Satellitenverbindung - noch nicht so weit fortgeschritten war wie jetzt."

"Jetzt funktioniert dieses System viel besser als in der Vergangenheit, und bei Toro Rosso haben wir gelernt, wie wir damit am besten umgehen, auch wenn es hin und wieder Probleme gibt. Dennoch ist all das ziemlich neu für uns und wir wenden immer noch Zeit auf, um zu überprüfen, ob unsere prophetischen Werkzeuge - Windkanal, CFD, etc. - ordnungsgemäß funktionieren."

"Dabei machen wir gute Fortschritte, aber es gibt immer noch eine Diskrepanz zwischen den theoretischen Werkzeugen und dem, was wir an der Strecke sehen. Zum Beispiel brachten wir eine neue Fahrzeugkonfiguration nach Valencia und waren nach dem ersten Training ziemlich überrascht von den Unterschieden zwischen dem tatsächlichen Ergebnis und unseren Erwartungen von diesem Paket."

"Für mich ist es das dritte Jahr, dass ich ein Auto auf beiden Seiten des Kanals produziere." Girgio Ascanelli

"Wir hatten durch die Analyse der Daten einen ziemlich stressigen Freitag, denn wenn jemand einen Unterschied erkennt, dann muss man herausfinden, ob dem unkorrekte Messungen oder physische Gründe zugrunde liegen. Es gab tatsächliche Gründe dafür und das führte schließlich dazu, dass wir in besserer Form waren. Ich glaube, dass sich das beim nächsten Rennen in Silverstone fortsetzen wird."

Frage: "Darf man also beim Grand Prix von Großbritannien eine weitere starke Vorstellung erwarten?"
Ascanelli: "Das ist schwer zu sagen, denn durch die Einführung signifikanter Updates in Valencia sind wir wahrscheinlich in einem anderen Rhythmus als die Mehrheit der britischen Teams, die ohne Zweifel beim Rennen in Silverstone einen großen Sprung machen wollen. Das war einer der Gründe dafür, dass Jaime am Sonntag in Valencia so viel besser als im Qualifying abgeschnitten hatte."

"Sebastiens Leistung war auch gut, auch wenn das weniger offensichtlich war, denn wir haben eben erst herausgefunden, dass er ein großes Trümmerteil mit seinem Auto aufsammelte, wodurch er eine Rennhälfte lang einen signifikanten Abtriebsverlust verzeichnete. Dennoch machte er bis zum Rennende vier Plätze gut, obwohl er wie die meisten auf einer Dreistopp-Strategie unterwegs war, während Jaimes Resultat auch auf die Zweistopp-Strategie zurückzuführen ist."

Frage: "Silverstone ist die erste von mehreren schnellen Strecken, die jetzt kommen, auf der die Aerodynamik sehr wichtig ist. Wird das Toro Rosso liegen?"
Ascanelli: "Ich weiß es nicht sicher, aber ich hoffe, dass wir eine gute Leistung bringen können. Dennoch haben wir bereits unsere zwei großen Entwicklungsschritte gemacht, während die englischen Teams einige Anstrengungen für dieses Rennen unternehmen werden. Und wenn ein Mann mit einer Pistole einem Mann mit einem Gewehr begegnet, dann ist der Mann mit der Pistole ein toter Mann. Daher müssen wir sehr klug sein und das Beste aus unserem Paket herausholen."

Frage: "Wird der STR6 noch weiterentwickelt?"
Ascanelli: "Wir erreichen die Phase des Jahres, in der wir mit der Entwicklung des neuen Autos für 2012 beginnen müssen. Dennoch sind weitere Entwicklungen für den STR6 in der Pipeline: Es wird in Silverstone und in den Rennen danach ein paar Kleinigkeiten geben. Abgesehen davon wird der Grand Prix von Italien Änderungen am Auto mit sich bringen, weil Monza so eine einzigartige Strecke ist, der wir etwas Aufmerksamkeit widmen müssen."

"Wenn ein Mann mit einer Pistole einem Mann mit einem Gewehr begegnet, dann ist der Mann mit der Pistole ein toter Mann." Girgio Ascanelli

Danach müssen wir uns wirklich auf den STR7 konzentrieren, sonst haben wir nächstes Jahr kein Auto. Derzeit liegen wir etwas vor unserem Ziel, was die Platzierung im Klassement angeht. Ob wir dort bleiben, hängt von unserer Arbeit und auch ein bisschen vom Glück und vom Abschneiden unserer direkten Rivalen ab - und davon, wie viele Ressourcen sie den 2011er Autos widmen können."