Analyse: Das FIA-Urteil im Detail

Die FIA hat die Begründung ihres Urteils gegen Renault veröffentlicht - Analyse der wichtigsten Vorwürfe gegen die das ehemalige Weltmeisterteam

(Motorsport-Total.com) - Bereits gestern hat die FIA bekannt gegeben, dass ihr World Council zu der Entscheidung gekommen ist, das Renault-Team für die Spionageaffäre um McLaren-Mercedes nicht zu bestrafen. Allerdings wurde Renault für schuldig befunden, gegen Artikel 151c des International Sporting Codes verstoßen zu haben, in dem - vereinfacht gesagt - jede Handlung untersagt wird, die dem Ansehen des Sports schadet.

Titel-Bild zur News: World Council der FIA

Das World Council hat entschieden: Renault ist schuldig, wird nicht bestraft

Ausgelöst wurde die zweite Spionageaffäre des Jahres 2007 durch den ehemaligen McLaren-Ingenieur Phil Mackereth, der im September 2006 zu Renault kam und vertrauliche Informationen von seinem früheren Arbeitgeber mitbrachte. Kernaussage der FIA-Urteilsbegründung ist allerdings, dass durch diese Informationen der Verlauf der Weltmeisterschaft nicht beeinflusst wurde. Außerdem kam als mildernder Umstand die volle Kooperation von Renault hinzu.#w1#

Die wichtigsten Auszüge des FIA-Urteils im Detail:

In Punkt 1.1 des Urteils wird noch einmal festgehalten, dass Renault die FIA und McLaren am 7. September 2007 darüber in Kenntnis gesetzt hat, dass Mackereth bei seinem Wechsel vertrauliche Informationen mitgebracht hat. Diese beinhalteten laut Punkt 1.2 geistiges Eigentum von McLaren, unter anderem, aber nicht nur Abmessungen des McLaren-Autos sowie Informationen über das Benzinsystem, den Zusammenbau der Gänge, das Ölkühlungssystem, das Hydraulikkontrollsystem und eine neuartige Radaufhängungskomponente. Diese Teile waren an den 2006er- und 2007er-McLaren-Mercedes-Modellen zu finden.

Vor dem gestrigen Meeting des World Councils wurden McLaren und Renault ausführliche Schilderungen der Geschehnisse bei der FIA eingereicht. Zudem reichte auch Mackereth eine Stellungnahme ein, die "Renaults Position unterstützt" hat. McLaren und Renault bekamen im Vorfeld der Verhandlung jeweils Kopien dieser Dokumente.

Punkt 2.1: "Aus den schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen geht hervor (das wird auch von Renault zugegeben), dass verschiedene Renault-Ingenieure vier unterschiedliche McLaren-Zeichnungen von Mackereth erhalten und in Betracht gezogen haben. Damit gesteht Renault einen Verstoß gegen Artikel 151c des International Sporting Codes ein."

In Punkt 2.2 kommt das World Council zu der Erkenntnis, dass Mackereth viele vertrauliche Informationen mitgenommen hat, von denen aber nicht alle geistiges Eigentum von McLaren waren, sondern nur 15 Prozent, wie in Punkt 4.3 festgehalten wird. Unter anderem sollen darin auch persönliche finanzielle Details enthalten gewesen sein. Wörtlich heißt es: "Das WMSC (World Motor Sport Council; Anm. d. Red.) kann nur solche Informationen von McLaren in Betracht ziehen, die einen Einfluss auf die Weltmeisterschaft haben." Ein großer Teil des Mackereth-Pakets sei deshalb für das Urteil gar nicht relevant.

Ganz entscheidend ist Punkt 2.3, in dem festgehalten wird, dass von den vier erwähnten Zeichnungen drei keinerlei Relevanz für Renault hatten beziehungsweise nicht verwendet wurden. Die vierte Zeichnung - darauf wird der so genannte J-Dämpfer von McLaren dargestellt, ein System, das ähnlich funktioniert wie die verbotenen Schwingungstilger - wurde angeblich nur dazu verwendet, um die FIA darauf hinzuweisen, dass es sich dabei möglicherweise um eine illegale Komponente handeln könnte. Renault habe aber nicht ausreichend Informationen gehabt, um das System selbst zu verstehen.

Renault R27

An diesem Auto gibt es laut FIA nichts, was vom MP4-22 abgekupfert wurde Zoom

In den Punkten 3.1 bis 3.3 wird noch einmal auf den Umfang der Daten und deren Verwendung eingegangen. Mackereth hat demnach 33 Dateien auf elf Computerdisketten kopiert und diese mit nach Hause genommen. Inhalt: 18 Skizzen und Mackereths persönliche finanzielle Informationen. Außerdem ließ er zwei ausgedruckte Skizzen von McLaren mitgehen, auf denen ein Schwingungstilger und ein J-Dämpfer dargestellt sind. Laut McLaren macht das gesamte Paket 762 Seiten aus, wenn man es ausdrucken würde. Zum Vergleich: Das Paket, das Nigel Stepney bei Ferrari entwendet hat, umfasste 780 Seiten.

In Punkt 4.1 wird erläutert, dass Mackereth einen IT-Mann von Renault gebeten hat, den Inhalt der elf Disketten ins Renault-IT-System zu integrieren. Innerhalb von zehn Minuten wurden die Dateien jedoch in Mackereths persönliches Verzeichnis verschoben, zu dem nur er selbst Zugang hatte. Dabei dürfte es sich um ein Datenvolumen von 207 ausgedruckten Seiten gehandelt haben, von denen 108 geistiges Eigentum von McLaren sind.

Bevor am 6. September die interne Untersuchung durch Renaults Technischen Direktor Bob Bell eingeleitet wurde, dürfte Mackereth selbst auf den Informationstransfer hingewiesen haben - allerdings nicht aus einer Laune heraus, sondern weil ein ehemaliger Renault-Ingenieur in McLaren-Diensten in Woking Alarm geschlagen hatte. Mackereth kam der Enthüllung zuvor und legte die Fakten selbst auf den Tisch, heißt es in Punkt 5.1.

Der Rest von Punkt 5 erläutert zusammengefasst noch einmal, wie offen Renault in der Spionageaffäre mit der FIA und McLaren umgegangen ist. So wurden infolge des Auffliegens des Wissenstransfers 20 Interviews von Bell selbst geführt, was in 14 Zeugenaussagen resultierte. Außerdem wurde das IT-System von Renault und in Mackereths Haus auf Wunsch von McLaren von der unabhängigen IT-Firma Kroll OnTrack untersucht. Der Verdacht, dass Renault heikle Dateien davor gelöscht haben könnte, ist nicht zulässig, weil von allen Servern regelmäßig Backups angelegt werden, von denen einzelne Elemente nicht nachträglich gelöscht werden können.

In Punkt 5.11 heißt es wörtlich: "Insgesamt befindet das WMSC, dass sich das Topmanagement von Renault verantwortungsbewusst verhalten hat und sowohl McLaren wie auch der FIA offen und kooperativ gegenübergetreten ist."

Genau erläutert, welche Ingenieure welche Skizzen gesehen haben, wird in Punkt 6. Renault streitet die darin festgehaltenen Vorwürfe gar nicht erst ab, allerdings habe die FIA im Zuge ihrer Untersuchungen festgestellt, dass die Skizzen keinen Einfluss auf das Renault-Design hatten oder haben. Was den J-Dämpfer angeht, so sei es wie erwähnt die einzige Absicht gewesen, die Legalität durch die FIA prüfen zu lassen. Somit habe es keine Auswirkungen auf die Weltmeisterschaft gegeben.

Punkt 8.6: "Während McLaren zurecht extrem besorgt darüber ist, dass ein Mitarbeiter bei seiner Kündigung Informationen mitgenommen hat, geht es dem WMSC nicht darum, was Mackereth mitgenommen hat. Das ist eine Angelegenheit zwischen McLaren und dem früheren Mitarbeiter. Dem WMSC geht es darum, wozu Renault Zugang hatte beziehungsweise was den Ausgang der Weltmeisterschaft beeinflusst haben könnte."

In Punkt 8.8 wurde außerdem ein entscheidender Unterschied zum Fall Stepney festgehalten, nämlich dass der Informationstransfer nur einmalig stattgefunden hat und nicht auf einer "Live-Basis", wie es in der Urteilsbegründung heißt. Gleichzeitig wird Renault in Punkt 8.10 dafür kritisiert, die verdächtigen Vorgänge nicht früher gemeldet zu haben. Aber: "Alles in allem führen diese Faktoren zu dem Entschluss, dass keine Strafe verhängt werden kann", heißt es weiter.

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Bei Punkt 8.14 werden indes Erinnerungen an den ersten Freispruch von McLaren-Mercedes wach, denn auch Renault könnte im Nachhinein doch noch bestraft werden, falls es neue Entwicklungen geben sollte: "Es wird festgehalten, dass diese Angelegenheit von der FIA neu aufgerollt werden kann, falls neue Beweise ans Tageslicht kommen sollten, die die heutige Entscheidung des WMSC in Frage stellen."

Abschließend wurde in Punkt 10.1 auch noch verurteilt, dass die Silberpfeile im Vorfeld der gestrigen Anhörung bei einem Medienbriefing das Ausmaß der Informationen stark übertrieben dargestellt haben. Allerdings wurden diese Statements kurz vor der Anhörung in Form einer schriftlichen Richtigstellung auf Wunsch der FIA von McLaren-Mercedes korrigiert.

Klar ist damit, dass die beiden Spionagefälle des Jahres 2007 tatsächlich nicht miteinander zu vergleichen sind. Allerdings werden in den kommenden Wochen viele Experten die Frage stellen, ob es korrekt ist, dass McLaren-Mercedes aus der Konstrukteurs-WM 2007 ausgeschlossen und zu 100 Millionen US-Dollar Geldbuße verurteilt wurde, während Renault völlig ungeschoren davonkommt...