• 20.05.2009 09:44

  • von Michael Noir Trawniczek

15 Jahre danach: Interview mit Karl Wendlinger

Karl Wendlinger spricht über das Koma nach dem Horrorcrash in Monaco 1994 und über den derzeitigen Kalten Krieg in der Formel 1

(Motorsport-Total.com) - Morgen ist es nun schon 15 Jahre her: Sauber-Pilot Karl Wendlinger kracht im Training für den Grand Prix von Monaco 1994 hart gegen eine Barriere, wird mit Schädel/Hirn-Trauma abtransportiert und liegt danach im Koma. Erst 19 Tage nach dem schrecklichen Unfall wacht der Kufsteiner wieder auf. Zwei Wochen davor sind Roland Ratzenberger und Ayrton Senna an dem "schwarzen Wochenende" von Imola tödlich verunglückt.

Titel-Bild zur News: Karl Wendlinger

Karl Wendlingers Formel-1-Karriere endete nach dem Unfall im Jahr 1995

Im Interview spricht Wendlinger über seinen schicksalsträchtigen Unfall, die "schwarze Welle" im Jahr 1994, die verbesserten Sicherheitsvorkehrungen und auch über die aktuelle Lage in der Formel 1.#w1#

Frage: "Karl, vor 15 Jahren hattest du deinen schweren Unfall im freien Training für den Grand Prix von Monaco, bist danach 19 Tage lang im Koma gelegen. Du hast immer gesagt, du hast dich an den Unfall nicht erinnern können. Ich stelle mir das sehr bedrückend vor, wenn man im Krankenzimmer aufwacht und man weiß nicht, was passiert ist. Was denkt man in einem solchen Moment?"
Karl Wendlinger: "Das ist alles ein bisschen schwierig zu erklären, weil man die ganze Situation eigentlich nicht wirklich erklären kann. Ich kann mich nur ganz vage an das erinnern, von dem ich glaube, dass es die erste Erinnerung ist."

Von der Familie aufgeklärt

Karl Wendlinger

1994 gab es in der Formel 1 noch keine hochgezogenen Seitenwände Zoom

"Dass ich da in dem Bett drinnen liege und ich erkenne, dass es ein Krankenhaus ist, ich aber nicht weiß: 'Warum bin ich in diesem Krankenhaus?' Da ich aber immer in Gesellschaft war - meine Frau, die damals noch meine Freundin war, beziehungsweise meine Eltern waren immer bei mir -, habe ich gleich einmal fragen können: 'Na hallo, was ist denn hier los?' Und ich bilde mir ein, dass mir damals gesagt wurde: 'Ja, du hast einen Unfall gehabt mit dem Rennauto, aber es ist alles in Ordnung.' Aber so eine lange Denkphase, wo man darüber nachdenkt, wo man eigentlich ist, die hat es nie gegeben - weil eben immer jemand um mich herum war und ich sofort erfahren habe, was passiert ist."

Frage: "Was ich mir noch vorstellen kann: Wenn man dann erfährt, wie knapp man eigentlich davongekommen ist, dass man sich dann irgendwann darüber freut. Dass es ein gutes Gefühl ist, dass man das geschafft hat..."
Wendlinger: "Dabei musst du aber immer bedenken: Wenn du über etwas sprichst oder nachdenkst, woran du keine Erinnerung hast, dann kommen da einfach nur wenige Emotionen daher."

"Du siehst den Unfall dann irgendwann einmal, denn sobald ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde und das erste Mal zuhause angelangt war, wollte ich den Unfall sofort sehen. Du sitzt dann da und schaust das an, hast aber keine Erinnerungen, denkst dir: 'Das bin ich, aber es könnte genauso gut auch jemand anderer sein, denn ich weiß einfach nichts davon.' Gut, dann erklären dir deine Angehörigen, wie die ersten Tage nach dem Unfall waren oder du liest die Presseartikel, die man für dich aufbehalten hat. Dann realisierst du schon: 'Das war knapp!'"

Frage: "Du hast in einem Interview gesagt: 'Der Unfall war meine Schuld!' Wie kannst du das so genau wissen, wenn du dich nicht daran erinnern kannst?"
Wendlinger: "Das habe ich in dem Sinne gemeint, dass ich die Einstellung habe, dass alles, was passiert im Leben, auch einen Sinn hat. Der Unfall geht irgendwie von mir selbst aus, ich bin das Auto gefahren, ich hatte den Unfall - und es wird wahrscheinlich genau so geschehen haben müssen."

"Wäre der Unfall an einer anderen Stelle in Monaco passiert, hätte es anders ausgehen können. Wäre ich da unten in einem anderen Aufprallwinkel eingeschlagen, hätte es anders ausgehen können. Wäre ich einen Meter weiter rechts reingerutscht, wäre gar nichts passiert. Weißt du, was ich meine? So habe ich das in dem Interview gemeint. Ich habe nicht gemeint, dass ich schuld bin in dem Sinn, sondern ich bin im Auto gesessen, ich hatte den Unfall und deswegen habe ich einfach gemeint: Weil es mir passiert ist, hat es so sein sollen und das war meine Schuld."

Unfallserie: Nur schlechte Energie?

"Da haben alle gesagt: 'Man sieht es immer wieder: In der Formel 1 kann dir nichts mehr passieren!'"

Frage: "Damals hat es eine schreckliche Unfallserie gegeben, zuvor sind schon Roland Ratzenberger und Ayrton Senna gestorben. Woran lag das? Waren das nur die Autos, waren die damals so gefährlich? Wegen der fehlenden seitlichen Kopfstützen?"
Wendlinger: "Nein, überhaupt nicht. Im Freitagstraining von Imola hatte Rubens Barrichello einen schweren Unfall, hat sich vor Start und Ziel in der schnellen Schikane mehr oder weniger überschlagen. Es ist ihm eigentlich nichts passiert, außer dass er sich die Lippen ein bisschen aufgeschlagen hat. Da haben alle gesagt: 'Man sieht es immer wieder: In der Formel 1 kann dir nichts mehr passieren!'"

"Trotzdem sind unmittelbar danach zwei Menschen gestorben, innerhalb von zwei Tagen. Vielleicht war es einfach nur eine Ansammlung von schlechter Energie, ich weiß es nicht. Wäre Roland der runtergeklappte Frontflügel woanders passiert, wäre ihm vielleicht nichts geschehen. Und bei Senna gibt es ja auch Fotos, wo das Lenkrad neben dem Auto liegt, mit der langen Stange weg. Also wird die Lenkstange wohl gebrochen sein. Und hätte ihn dieser Aufhängungsteil nicht am Helm getroffen, wäre ebenfalls nichts passiert. Das ist einfach nicht zu erklären, warum das damals so geschehen ist."

Frage: "Also eine schlechte Welle..."
Wendlinger: "Naja, das ist vielleicht keine so gute Erklärung von mir. Aber diese drei Unfälle von Ratzenberger, Senna und mir, innerhalb von nur zwei Wochen, hätten allesamt auch ganz anders ausgehen können."

Frage: "Andererseits hätten einige Unfälle der Neuzeit auch anders ausgehen können, zum Beispiel der von Robert Kubica in Kanada..."
Wendlinger: "Genau. Bei Kubica haben sicher die modernen Sicherheitsvorkehrungen geholfen, speziell das HANS-System - das war, so schätze ich, bei Robert Kubica entscheidend über Leben oder Tod."

Frage: "Hätte dir 1994 das HANS-System geholfen?"
Wendlinger: "Nein, gar nicht - seitlich bringt dir das nahezu nichts. Mir hätte der Kopfschutz etwas gebracht, ja. Klar."

Formel 1 heute deutlich sicherer

"Da hätte ich den Mechanikern gesagt, sie sollen das Reserveauto für den Nachmittag herrichten!"

Frage: "Da wärst du ausgestiegen und hättest gesagt 'So ein Mist' und wärst an die Box marschiert?"
Wendlinger: "Ja, da hätte ich den Mechanikern gesagt, sie sollen das Reserveauto für den Nachmittag herrichten (lacht; Anm. d. Red.)."

Frage: "Verstehe. So gesehen hat die Formel 1 in den letzten 15 Jahren sehr tolle Fortschritte erzielt, das sollte man nie vergessen..."
Wendlinger: "Ja, das hat sie mit Sicherheit. Erstens von den Autos her - der Kopfschutz, die ganzen Aufprallzonen, die man im Crashtest überprüft. Und sicher auch von den Strecken her. Okay, in Monaco wird immer noch gefahren - Monaco ist eine Strecke, die immer noch eine gewisse Gefahr birgt. Doch viele andere Strecken sind nachträglich noch mit sehr vielen Auslaufzonen ausgerüstet worden."

Frage: "Jetzt ist die neue Formel 1 derzeit gerade auf einer Welle des Hochs, die Rennen sind spannend, es gibt mehr Überholmanöver. Alle freuen sich, finden auch die neue Rangordnung erfrischend. Zugleich wird das Ganze jetzt von diesem Streit um das Reglement 2010 überlagert, die Formel 1 zeigt sich wieder einmal als 'Formel Streithansel'. Was denkst du, wie wird dieser Konflikt ausgehen?"
Wendlinger: "Ich weiß es auch nicht. Ich denke mir schon, dass sie sich irgendwann wieder einigen werden, bis jetzt war es zumindest immer noch so."

"Aber dass sie so frontal aufeinander losgehen - ja, also das hat man eigentlich lange Zeit nicht gesehen in der Formel 1. Zumindest hat man es öffentlich nicht so mitbekommen, selbst wenn es hinter den Kulissen so geschehen wäre. Es scheint wirklich so zu sein, dass Max Mosley glaubt, dass seine Überlegungen die einzig richtigen für die Zukunft sind und dass er das konsequent durchboxen will. Worum geht es? Was sagen die anderen Teams? Es geht doch darum, dass dann die Formel 1 für vier andere Teams zugänglich wird und dann der eigene Startplatz weniger wert wird - oder was ist der Grund?"

Ferrari und die FIA

Karl Wendlinger

Heute startet Karl Wendlinger in der FIA-GT-Serie, wo er einen Saleen fährt Zoom

Frage: "Das spielt sicher eine Rolle, der viel zitierte Futterneid. Aber was man sonst noch so hört, dass Ferrari über lange Zeit hinweg sogar auf das Regelwerk Einfluss nehmen durfte, als einziges Team mit einem Vetorecht versehen wurde, das ist schon recht schräg, oder?"
Wendlinger: "Das ist ganz sicher nicht gut. Aber wenn man die Formel 1 die letzten Jahre mitverfolgt hat, weiß man es ja auch schon lange, dass schon viel getan wird, damit Ferrari happy ist."

Frage: "Allerdings. Bist du für ein Budgetlimit?"
Wendlinger: "Wenn es kontrollierbar ist und dadurch dann wirklich für alle gleich ist, finde ich es schon gut. Was ich ehrlich gesagt die letzten Jahre schon pervers gefunden habe - gut, das ist in diesem Jahr schon weniger der Fall, auch im letzten Jahr -, als es den Reifenkrieg zwischen Michelin und Bridgestone gab, als man dann gelesen hat, dass die ganzen Spitzenteams mehrere 100 Millionen Euro pro Team verbrauchen."

"Also bitte, wer braucht das? Das braucht wirklich kein Mensch! Da finde ich eine Einschränkung wirklich gut. Von den Regeln her ist es schon wichtig, dass alle auf einen Nenner kommen. Aber wenn dann Teams 300 oder 400 Millionen Euro pro Jahr ausgeben und sie dann trotzdem nichts reißen, das ist meiner Meinung nach schon pervers, ja."

Frage: "Wie viel Budget braucht man ungefähr in der FIA-GT-Serie für eine Saison?"
Wendlinger: "Das hängt davon ab, welches Auto du fährst und wie viele Rennen stattfinden. Dieses Jahr, mit den acht Rennen, wenn du ein Auto hast, bei dem die Preise überschaubar sind, dann kommst du auf zirka 600.000 Euro. Das kommt natürlich auch immer darauf an, welchen Tamtam du rundherum noch machst..."

Frage: "Apropos Tamtam: Wirst du am Wochenende in Monaco sein?"
Wendlinger: "Nein, sicher nicht, ich bin zu Hause. Als ich noch in Monaco gelebt habe, hat mich das Rennen schon immer aufgeregt. Da ist immer ein Mordsstress, also nein. Ich schaue mir das gerne im Fernsehen an, aber mehr nicht."