• 06.05.2013 17:03

  • von Dominik Sharaf

Prozessionen Ade: Denksport im Cockpit

DRS und die Option-Reifen sorgen in der DTM für Action, Begeisterung und neue Würze, an der Transparenz muss jedoch noch gearbeitet werden

(Motorsport-Total.com) - Schon vor der Saison war klar, dass das Drag-Reduction-System (DRS) und die neuen Option-Reifen von Hankook die beherrschenden Themen des DTM-Auftaktes in Hockenheim werden würden. So kam es tatsächlich, allerdings scheint nach einem ungemein spannenden Rennen beinahe jede kritische Stimme verstummt. Allen voran der umklappbare Heckflügel hat viele Freunde im Fahrerfeld und an der Boxenmauer gefunden. Zu ihnen zählt auch der Mercedes-Motorsportchef.

Titel-Bild zur News: Timo Scheider, Augusto Farfus

Viel Bewegung im Feld: Fahrzeugschlagen gehören der Vergangenheit an Zoom

Toto Wolff lobt das aus der Formel 1 bekannte System, das die DTM massiver, rustikaler, aber auch deutlich kostengünstiger umgesetzt hat: "Wir haben ein Megarennen gesehen, viele Überholmanöver, das DRS funktioniert richtig", ist der Österreicher begeistert. Auch Audi-Teamchef Hans-Jürgen Abt gefällt die Kombination mit den schnelleren, aber nicht so lange haltbaren Pneus: "Ohne hätten wir dies nie gesehen. Die unterschiedlichen Reifenstrategien haben das ermöglicht."

Die Piloten sind ebenfalls angetan von den Innovationen: Rennsieger Augusto Farfus zeigt sich froh über Denksport im Cockpit: "Es war super viel Spaß, das war so interessant", meint der Brasilianer, der sich durch die von abweichenden Taktiken verursachten Positionsverschiebungen gezwungen sah, dem Team den Kopfhörer heiß zu reden: "Das habe ich dann immer im Funk gefragt", berichtet er von "einem der spannendsten Rennen" seiner Karriere, das nebenbei einer der größten Erfolge war.

Beschäftigungstherapie für Masterminds

Auch Audi-Kollege Jamie Green findet, dass die Innovationen neue Würze gebracht haben: "Man muss eine Menge nachdenken", berichtet der Brite, der Zweikämpfe nicht mehr so unbedacht führt wie noch in der Vorsaison: "Jemand überholt dich und du schaust: Ist der auf Option-Reifen? Bin ich auf Standardmaterial? Darüber musste man sich früher keinen Kopf machen, da war die Denke eher kurzfristig", so Green im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'. "Jetzt geht es um langfristiges Taktieren."

Robert Wickens

Der neue Option-Reifen erfordert eine ausgeklügelte Strategie Zoom

Nicht nur wegen seines dritten Platzes zum Saisonauftakt frohlockt Christian Vietoris. "Ich find's geil", findet der Mercedes-Star und freut sich darüber, im Rennen alle Hände voll zu tun zu haben. "Gerade auch mit den Reifen, die man managen muss", ergänzt der Gönnersdorfer und spricht von der "wohl größten Aufgabe" für die Fahrer. DRS liefe eher nebenbei und sei einfach zu bedienen. "Ich hatte meine Augen genau so viel im Spiegel, wie nach vorne raus", schildert Vietoris seine Eindrücke.

Der Clou ist es, dann keine Zeit zu verlieren, wenn der Option-Reifen montiert ist. Raushalten aus unnötigen Zweikämpfen, sich möglichst freie Fahrt organisieren - das sind die Maximen, mit denen nicht nur Farfus zum Erfolg kam. Die Teams sind gefragt, den Überblick zu behalten und dem Piloten zu sagen, ob es sich lohnt, sich zu verteidigen und dabei Zeiteinbußen zu riskieren. Was nicht unbedingt nach Vollblut-Motorsport klingt, gefällt allen DTM-Fahrer offenbar außerordentlich gut.

Hopfen und Malz im Qualifying nicht verloren

Da reiht sich Gary Paffett ein: "Der Motorsport war ziemlich aufregend, aber wir müssen schauen, ob die Ergebnisse der anderen Zufall waren oder durch eine gute Strategie und ein schnelles Auto zustande gekommen sind", fordert der Mercedes-Star eine Nachlese, um sicherzustellen, dass am Ende auch tatsächlich der Beste gewonnen hat und die Kräfteverhältnisse nicht auf den Kopf gestellt wurden. "Wir müssen darauf achten, dass es keine Lotterie wird", bremst Paffett die allgemeine Euphorie.


Fotos: DTM in Hockenheim, Sonntag


Er erkennt jedoch in der Tatsache, dass die Piloten, die vorne ankamen, auch im Qualifying ohne unterschiedliche Reifen und DRS-Einsatz die Nase vorn hatten, ein Indiz für Entwarnung. Nichtsdestotrotz scheint der umgekehrte Effekt nun möglich. Wer mit einem schnellen Auto weit hinten startet, sieht sich nicht mehr am Ende einer Prozession gefangen, sondern kann mit DRS überholen und sich mit der richtigen Pneuwahl nach vorne taktieren. Bestes Hockenheim-Beispiel: Dirk Werner.

Für den Schnitzer-Piloten ging es von Startplatz 20 nach vorne auf Rang zwei, nie zuvor in der Geschichte holte ein DTM-Fahrer mehr Positionen auf. "Für mich war das heute Gold wert", sagt Werner. Sein Motorsport-Chef stimmt im 'Ersten' zu: "Ich glaube, es ist definitiv mehr Salz in der Suppe", so Jens Marquardt, der mit Kollege Wolff übereinstimmt: "Mir gefällt es von der sportlichen Seite gut, dass ein Fahrer, der den Samstag nicht gut hinkriegt, trotzdem am Sonntag noch ganz vorne landen kann, wenn er eine super Leistung bringt."

Behält der Zuschauer noch den Durchblick?

Dirk Werner

Viele Piloten können nicht einschätzen, ob sie sich in der DRS-Zone befinden Zoom

Doch zurück zur Paffett-Warnung: Gewinnt am Ende der Schnellste oder der Cleverste? "Beides", meint Werner und glaubt, einen Mehrwert für den Zuschauer geschaffen zu haben. Womit das nächste Häckchen an DRS und Option-Reifen gefunden wäre. "Es ist ein bisschen chaotisch, aber eine gute Show", beschreibt Green den Spagat, den Abt noch nicht vollführt sieht: "Wir brauchen bessere Informationen für die Zuschauer", fordert der Audi-Verantwortliche. "Wir hatten packende Zweikämpfe, aber wenn man nicht weiß, um welche Position, dann tut man sich schwer."

Am Sonntag gab es nur sporadische Fernsehgrafiken mit der Reifenwahl, an einer besseren Lösung soll hinter den Kulissen bereits gearbeitet werden. Den Status Quo beurteilt der neue Ingolstädter Rennleiter Dieter Gass noch unentschlossen: "Ob das jetzt für den Zuschauer verständlich war, wage ich im Moment noch nicht zu beurteilen." Auch TV-Experte Manuel Reuter hat seine Zweifel am allgemeinen Durchblick: "Es ist nicht ganz einfach, den Überblick zu behalten", findet der ehemalige DTM-Champion.


Fotos: Im Detail: DRS in der DTM


Für DTM-Neuzugang Timo Glock steht die Action im Vordergrund: "Die Fans werden über das Rennen reden und sich an viele Überholmanöver erinnern", sagt der BMW-Star. Ohne den Klappflügel scheint es jedenfalls nicht mehr zu gehen: "Wir haben gesehen, wenn das DRS-Fenster am Ende zugeht, wird es wahnsinnig zäh", unterstreicht Wolff, der sich am Kommandostand mit der Strategie insbesondere bei seinem Youngster Pascal Wehrlein verzockte. "Ich bin sicher, dass es aus Teamsicht sehr viel Stress ist", erklärt Bruno Spengler.

Abstände für Piloten schwierig einzuschätzen

Roberto Merhi

In Hockenheim funktionierte DRS nicht nur bei Roberto Merhi effektiv Zoom

Der Kanadier hatte noch am Freitag einen "Eiertanz auf der Boxenmauer" befürchtet, ist mittlerweile aber ebenfalls angetan - auch von DRS. Gass' Bedenken jedenfalls haben sich relativiert. "Es gab Zwischendurch ein paar Diskussionen über die Funktionsweise des DRS", rekapituliert der Audi-Verantwortliche. "Ich glaube, dass sich die Fahrer noch daran gewöhnen müssen, um einzuschätzen, wann sie im Fenster sind. Sie haben zwischendrin gerufen, dass das DRS nicht funktioniert, aber soweit wir es wissen, lag es daran, dass sie noch nicht nah genug dran waren."

Schon in Brands Hatch könnte das anders aussehen, schließlich gibt es auf der von der DTM befahrenen Kurzvariante des Kurses keine längere Gerade. Timo Scheider ist deshalb vorsichtig: "Die Wirkung des Flügels setzt frühestens ab der Hälfte oder zwei Dritteln der Geraden ein. Für Hockenheim war es genau perfekt. Alles, was kürzer ist an Geraden, wird schwierig." Farfus stellt die Errungenschaften in den Vordergrund: "Für uns ist das nicht einfach, weil wir es manchmal mögen, die Dinge mehr unter Kontrolle zu haben. Aber am Samstag war die DTM auf einem neuen Niveau."