Kolumne: Wenn einer eine Reise tut...
...dann hat er viel zu erzählen: 'Motorsport-Total.com'-Redakteur Dominik Sharaf ist da keine Ausnahme und berichtet über seinen DTM-Trip nach Moskau
(Motorsport-Total.com) - Liebe 'Motorsport-Total.com'-Leser,
gerne würde ich Ihnen an dieser Stelle eine Kolumne liefern, die sich in Sachen Spannung nur an Alfred Hitchcock messen lassen kann und in puncto Abenteuer ausschließlich in Jules Vernes Geschichten ihren Meister findet. Leider - oder wohl eher glücklicherweise - lesen Sie mit den kommenden Absätzen ein Stück, dass nichts von alledem bietet, was über Moskau an Kuriositäten, Unwegbarkeiten und Gefahren berichtet wird.

© xpb.cc
Vom Roten Platz bekam Redakteur Dominik Sharaf nichts zu sehen Zoom
Keine Miliz, die auf dem Seitenstreifen ein paar Tausend Rubel erpresst. Keine Frauen auf Pferden, die Wegegeld erpressen. Keine Mitarbeiter des FSB, die mein Medienvisum zum Anlass nehmen, mir eine besondere Eskorte zukommen zu lassen. Keine betrunkenen Fahrer, die im Getränkehalter ihres von Klebeband zusammengehaltenen Moskwitsch eine Flasche Wodka parken. Ob es Räuberpistolen, urbane Märchen oder tatsächliche Begebenheiten sind, die aus Russland erzählt werden, kann ich nicht beurteilen. Mir jedenfalls ist von alledem nichts untergekommen.
Ich muss aber zugeben: Ich durfte mich am vergangenen Wochenende ins gemachte Nest setzen. Die DTM hat auf organisatorischer Ebene alles unternommen, ihrem Tross den Trip nach Moskau so bequem wie nur irgendwie möglich zu machen und sich dabei einer echten Herkulesaufgabe gestellt. Nerven gekostet hat mich meine Tour vom Flughafen ins Hotel und an die Rennstrecke dennoch. Schließlich gibt es in Russlands Hauptstadt beinahe nur ein Thema. Um es mit den einzigen englischen Worten im Wortschatz meines Fahrers Dimitri auszudrücken: "Huge traffic!"
Alles vom Feinsten
Es staut sich an allen Ecken und Enden. Für 70 Kilometer braucht man schon mal gut und gerne drei bis vier Stunden - so wie aus dem Stadtgebiet zum Moscow Raceway. Wer die Geduldsprobe meistert und an den grimmig guckenden Pseudomilitärs am Metalldetektor, die in jedem alten James-Bond-Streifen den Sowjet-Offizier hätten mimen können, vorbeigekommen ist, der vergisst schnell, dass er in Russland ist: Es wartet eine moderne Anlage, die so manche Strecke in Deutschland vor Neid erblassen ließe.
Chaos? Fehlanzeige. Alles ist wie in Hockenheim oder am Nürburgring. Meine Kollegen, Joey Hand und ich staunen nicht schlecht, als sich sonntags auch noch die große Haupttribüne füllt: Schließlich war in der Stadt - von einigen Werbeplakaten abgesehen - nicht viel von der DTM zu spüren. Während auf dem Flughafen für die Leichtathletik-WM kräftig die Werbetrommel gerührt wurde, ließ kaum etwas auf das Tourenwagen-Gastspiel schließen. Mein Kronzeuge Dimitri konnte sich noch nicht einmal vorstellen, worum es bei dem Begriff überhaupt geht.
Er hält mich wohl noch immer für einen Berufsrennfahrer - dabei habe ich wirklich alles versucht, um ihm klarzumachen, dass ich nur darüber schreibe. Denn obwohl Dimitri für jeden der zahlreichen Luxuswagen, die uns im Dauerstau überholten, Bezeichnung, Motorisierung, dichtomes Qualitätsurteil ("good" oder "no good") sowie Preis - wahlweise in Rubel oder US-Dollar - nennen kann, hat er von Motorsport keinen Schimmer. Und genau das ist es, was Moskau doch von jeder anderen Strecke im Kalender unterscheidet.
"Mann von Seite drei, ein Autogramm bitte!"
Der Sport ist in diesem Land nicht zu Hause. Fans laufen mit dem offiziellen Programmheft durch das Fahrerlager und gleichen zunächst die Gesichter der Fahrer mit dem Abdruck auf den Porträtseiten ab, ehe sie sich ein Autogramm holen - oder deuten mit dem Zeigefinger auf einen Mechaniker, um von einem deutschen Journalisten zu erfahren, ob sie dem Mann ihren dicken Filzstift unter die Nase halten sollten oder nicht. Das einzige Transparent, dass die Haupttribüne schmückt, zeigt das Konterfei von Ex-Formel-1-Pilot Witali Petrow.

© Bildagentur Kräling
'Motorsport-Total.com'-Redakteur Dominik Sharaf fährt (noch) nicht selbst DTM Zoom
Der präsentierte sich für seine eigenen PR-Zwecke im Fahrerlager, mit Mercedes-Jacke und wenig Lust auf kritische Fragen zu seiner Karriere. Selbst ins Lenkrad griff er aber nicht. Angezogen wurden die Besucher dennoch - und zwar vom Spektakel. Schlachtenbummler, keine Fans. Allerdings: Das ist ein Fernurteil. Sich mit den Einheimischen zu unterhalten, war wegen der unglaublich hohen Sprachbarriere nicht möglich. Englisch half praktisch nicht weiter. Fakt ist aber: 45.000 Zuschauer sind trotz Verkehrschaos und Ferienzeit tatsächlich gekommen.
Wichtiger noch: Die Hersteller, die so verbissen um den Wachstumsmarkt Russland kämpfen, haben ihr Gastspiel im Land der Superreichen und Superarmen bekommen. Und damit beantwortet sich auch die Frage, ob das neue Rennen der DTM weitergeholfen hat. Hat es, weil es Vorstände zufrieden gestellt hat. Schließlich ist Rennaction auf der Strecke in einer Herstellerserie kein Selbstzweck, sondern Mittel zu Zweck. Ob die Tourenwagen-Serie an sich dadurch einen Schritt weitergekommen ist? Abwarten. 2014 geht es wohl wieder nach Moskau und es wird sich zeigen, was sich getan hat. Dimitri steht bis dahin sicher oft im Stau und lernt in seinem Toyota viele DTM-Fahrer kennen.
Doswidanja,

