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  • 12.09.2018 13:43

  • von Julia Spacek

Diskussionen um Reifendruck-Regel: Sicherheits- oder Show-Element?

Vorgeschriebener Mindestluftdruck der Hankook-Reifen sorgte bei der DTM am Nürburgring für Diskussionsstoff und erhitzte Gemüter - Hersteller geteilter Meinung

(Motorsport-Total.com) - Am Nürburgring sorgte der vorgeschriebene Mindest-Kaltreifenluftdruck für viel Wirbel und Diskussionsstoff. Wurde die neue Regel eingeführt, um die Meisterschaft bis zum Schluss offen zu halten oder ist es tatsächlich aus Sicherheitsgründen passiert? Die Meinungen im DTM-Fahrerlager waren am vergangenen Wochenende gespalten, was dieses Thema angeht.

Titel-Bild zur News: DTM

Der vorgeschriebene Mindest-Reifendruck in der DTM kam nicht bei allen gut an Zoom

DTM-Chef Gerhard Berger erklärt, warum die Regel während dem achten Rennwochenende der Saison 2018 eingeführt wurde: "ITR, DMSB und Hankook haben sich auf eine für die Teams bindende Festlegung eines Mindestluftdrucks (1,3 bar) für die Veranstaltung am Nürburgring verständigt. Dies war nötig geworden, nachdem auf der Suche nach Reifenperformance die bisherige Empfehlung des Herstellers in Bezug auf den Mindestdruck teils massiv unterschritten worden war."

"Damit war das Risiko für Reifenschäden erheblich gestiegen. Der Bogen ist schlichtweg überspannt worden. Mit Blick auf die Sicherheit wurde daher der Mindestluftdruck bindend festgelegt. Nun zeigt der Reifen genau das Verhalten, auf das sich die ITR zusammen mit den Herstellern bei der Neueinführung dieser Reifenspezifikation für die Saison 2017 verständigt hatten", ergänzt der Österreicher.

"Das ist keine Chancengleichheit"

Die Hersteller und Fahrer reagierten unterschiedlich auf die neue Regel und manche befürchteten sogar, dass damit die Meisterschaft auf den Kopf gestellt werden könnte. Gary Paffett äußerte nach dem Samstagsrennen in der Eifel sogar Zweifel daran, dass der Sicherheitsaspekt der wahre Grund für die Einführung während der laufenden Saison ist. "Ich persönlich kann die Änderung nicht verstehen. Das ist bestimmt nicht aus Sicherheitsgründen passiert. Es ist auch nicht gemacht wurden, um Chancengleichheit herzustellen. Es ist ein Ansatz, um etwas am Rennausgang zu ändern", polterte der Brite.

"Das ist keine Chancengleichheit. Chancengleichheit wäre, wenn man den Leuten die Ausrüstung gibt, anhand derer man sein Set-up abstimmen kann. Den Luftdruck sollte man selbst bestimmen können - zumindest bis zu einem bestimmten Limit", sagte er.

Im Mercedes-Lager schien man anfangs zu befürchten, dass die Erfolgsserie, die man seit Saisonbeginn hinlegte, enden und der Vorsprung in der Meisterschaft schrumpfen könnte. Tatsächlich haben die Stuttgarter zum ersten Mal in dieser Saison kein Rennen an einem Wochenende gewinnen können. Trotzdem sind Paffett (206 Punkte) und Paul di Resta (204) weiterhin an der Spitze der DTM-Fahrerwertung und haben 57 beziehungsweise 55 Punkte Vorsprung auf den drittplatzierten Rene Rast (149).

"Die Vorgabe gab es schon immer"

"Es stellt offensichtlich das Kräfteverhältnis etwas auf den Kopf. Man muss aber auch selbstkritisch sein", relativiert Mercedes-DTM-Teamchef Ulrich Fritz. "Wir müssen schauen, ob wir vielleicht einen Fehler gemacht haben oder die Philosophie falsch angegangen sind. Wir haben mit der davor geltenden Vorgehensweise eineinhalb Jahre gearbeitet und viel Erfahrung gesammelt. Wenn du vorne bist, ist die Chance, dass du etwas verlierst auch da."

Die Konkurrenz ist sich einig, dass sich Mercedes keine großen Sorgen machen muss, den DTM-Titel 2018 nicht ins Schwabenland zu holen. "Wer die Meisterschaft gewinnt ist doch eigentlich klar, oder?", sagt Audi-Motorsportchef Dieter Gass.

Doch den Unmut über die Pflicht, beim Start mit einem von Reifenhersteller Hankook vorgeschriebenen Mindest-Kaltreifenluftdruck zu starten, ist für die Gegner aus München unverständlich. "Die Vorgabe gab es schon immer. Wenn es bei einer Vorgabe nicht ausreicht, dann gibt es vielleicht mal einen auf die Finger und wenn es auf die Finger nicht gereicht hat...", meint BMW-Motorsport-Direktor Jens Marquardt.


Fotos: DTM am Nürburgring, Samstag


Die Behauptungen, dass so der Ausgang der Rennen und der Meisterschaft manipuliert werden könnten, schmettert er ab. "Was ist manipuliert, wenn du sagst, es gab schon immer eine Vorgabe: minimaler Druck 1,1 bar? Eine Empfehlung ist doch eine Vorgabe. Wenn sie dann die Vorgabe nicht umgesetzt haben, sondern etwas anderes gemacht haben, dann ist es doch ihre Verantwortung und nicht die Verantwortung von jemand anderem", so Marquardt.

Hankook mache Vorgaben zum minimalen Druck und Reifensturz. "Wer da drunter geht, der riskiert, dass es in die Hose geht", stellt der 51-Jährige klar. "Wenn du aktiv dagegen arbeitest, ist es dein eigenes Risiko, wenn es in die Hose geht. Trotzdem muss ich eine Empfehlung ausgegeben und die Empfehlung ist meistens eine sinnvolle. Das Produkt Hankook-Reifen kennt Hankook am allerbesten. Und wenn sie die Empfehlung ausgeben, minimaler Druck für die Reifen sollte 1,1 bar sein und nicht drunter, wäre es glaube ich nicht schlecht, sich daran zu halten."

"Einen Reifen-Mindestluftdruck als Empfehlung hat es in anderen Meisterschaften auch gegeben und irgendwann ist man in dieser Meisterschaft auch übergegangen, es ins Reglement aufzunehmen und umzusetzen. Nichts Anderes ist hier passiert, deshalb ist es nichts Außergewöhnliches oder ein Präzedenzfall", pflichtet Audi-Mann Gass bei.

Viel Wirbel um Nichts?

Einer, der die Diskussionen über die Reifendruck-Regel nicht verstehen kann, ist Audi-Pilot Mike Rockenfeller. "Es wird viel Wirbel um Nichts gemacht", meint "Rocky", der am Nürburgring sein 150. DTM-Rennen absolvierte. "Es ist für alle gleich und ich denke, dass es unser Rennen nicht groß beeinflusst. Es war ein tolles Rennen und hat trotzdem verschiedene Strategien gegeben, und einige sind auch nach vorne gekommen."

"Wenn alle in diesem einem Parameter gleich sind, dann kann man über die Renndistanz vielleicht ein bisschen besser die echte Performance ausmachen. Es macht die Rennen an sich auch interessanter", sagt BMW-Fahrer Bruno Spengler.

An Spannung und Action auf der Strecke mangelte es den beiden Rennen in der Eifel wirklich nicht. Viele Überholmanöver und Zweikämpfe über mehrere Kurven hinweg sorgten für reichlich Unterhaltung für die Zuschauer. Außerdem mussten sich die Piloten an die neuen Gegebenheiten gewöhnen. Und die kühlen Temperaturen in der Eifel machte es für sie nicht leichter, die Pneus auf Betriebstemperatur zu bringen.

"Ab der dritten, vierten Runde fühlt man sich, als ob man auf Ballons fährt. Es ist schwierig zu managen, als Fahrer kann man da nicht mehr viel machen. Man muss versuchen, die Reifen so wenig wie möglich zu belasten und dann hoffen, dass die Konkurrenz nicht aufholt", erklärt Rene Rast, der ein blitzsauberes Wochenende mit zwei Pole-Positions und zwei Siegen hinlegte.


Fotos: DTM am Nürburgring, Sonntag


Bei den Stuttgartern ist man gewarnt vom Lauf des amtierenden DTM-Champions, der seit Zandvoort fünf Mal auf dem Podium stand, davon drei Mal als Sieger. "Wenn ich mir den Lauf von Rast anschaue, dann bin ich nicht der Meinung, dass die Meisterschaft für uns schon in trockenen Tüchern ist", sagt Mercedes-Rennleiter Fritz. "Ich habe in der DTM schon viel erlebt. Wir sind alle gewarnt, das waren wir schon vor dieser Änderung."

Die Ingolstädter hingegen erwarten nicht, dass es in Spielberg ein ähnlicher Spaziergang für sie werden wird. "Ich erwarte, dass wir in Spielberg wieder etwas mehr Probleme haben werden", sagt Audi-Sportchef Gass.

Tabellenführer Paffett bleibt bei seinem Standpunkt, dass der Meisterschaftsstand in den verbleibenden vier Rennen noch einmal durcheinandergebracht werden könnte. "Ich hatte viele Probleme mit dem Auto und den Reifen, wie ich es die ganze Saison noch nicht erlebt habe", erklärt er. "Das ist eine direkte Folge der Tatsache, dass wir mit suboptimalen Reifendrücken fahren mussten. Das hat die Meisterschaft ziemlich verändert. Das ist nicht gut, aber wir müssen unser Bestes geben."

"Das erste Qualifying - und das hat vordergründig nichts mit Mindest-Luftdrücken zu tun - war nicht auf dem Niveau, wie wir das in der letzten Zeit gewohnt waren", gibt Fritz zu. "Das müssen wir uns selbstkritisch anschauen." In der heißen Phase der Saison könnten die Emotionen überkochen und man überlegen, wer oder was schuld für ein nicht optimales Abschneiden sein könnte. "Aber das hilft nicht und am Schluss muss man einfach die Performance maximieren und das Beste herausholen. Es ist ein Störfeuer, und Störfeuer müssen ausgetreten werden", fügt er hinzu.

"Die Situation ist für alle gleich und für alle neu, darauf muss man sich jetzt einstellen. Die Randbedingungen sind da", meint Gass. Man könne sich entweder über die Regeln beschweren oder versuchen, "das Beste daraus zu machen".

Sowohl der Sportchef von Audi als auch der von BMW sind der Meinung, dass es positiv für die Serie ist, wenn der Mindest-Reifenluftdruck für spannende Rennen sorgt. "Wir haben ein Rennen gesehen, das spannend war bis zur letzten Runde, wo um die Führung und den dritten Platz gekämpft wurde bis zur letzten Runde. Wenn das auf die Reifen zurückzuführen ist, dann finde ich es gut, denn das wollen wir sehen", sagt Gass.


Fotos: DTM am Nürburgring, Freitag


Sein Kollege Marquardt sieht in der Durchsetzung der Regel sogar einen weiteren Vorteil. "Nach außen hin wirkt es so, dass die DTM eine Serie ist, die konsequent ihr Regelwerk und alles was dazu gehört umsetzt. Deshalb glaube ich, dass es für die Serie gut ist, dass wir klarmachen, dass Vorgaben und Regeln konsequent zur Umsetzung kommen", sagt der BMW-Verantwortliche. "Und vor allem fair, wenn es für alle gleich ist - und das ist es ja."

Für das Rennwochenende am Red-Bull-Ring (21. bis 23. September) wird Hankook wieder eine Vorgabe zum Mindest-Reifendruck machen und nach eigenen Angaben bis zum Mittwoch vor der jeweiligen Rennveranstaltung kommunizieren. Die Teams und Hersteller müssen sich an die Vorgaben halten, denn bei Nichteinhaltung oder Unterschreitung des vorgegebenen Drucks droht eine Disqualifikation.

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