Der lange Weg bis auf die Rennstrecke
Audis Technischer Projektleiter Stefan Aicher erklärt bei 'Motorsport-Total.com', wie aus dem neuen Audi A4 ein reinrassiger DTM-Rennwagen wurde
(Motorsport-Total.com) - Der neue Audi A4 feiert in diesem Jahr eine Doppelpremiere: Als Serienfahrzeug und als DTM-Renner. Wie wird aus einem Straßenfahrzeug ein DTM-Bolide? Welche Herausforderung ist es, eine neue Fahrzeuggeneration auf die Rennstrecke zu bringen? Der Technische Projektleiter bei Audi Sport, Stefan Aicher, zeichnet im 'Motorsport-Total.com'-Interview den Weg von Serienfahrzeug zum Rennwagen nach.

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Der Audi A4 DTM hat den Saisonauftakt in Hockenheim klar dominiert
Frage: "Worin liegen ganz grundsätzlich die Unterschiede zwischen der Straßenversion des neuen Audi A4 und der Rennversion, dem A4 DTM?"
Stefan Aicher: "Die Rennversion hat ab einer bestimmten Bauhöhe - vom Boden weg 275 Millimeter - die Serienkontur des A4. Ansonsten handelt es sich beim Rennwagen um einen reinrassigen, echten Renn-Prototypen. Gemeinsam haben beide Fahrzeuge zum Beispiel beim Design die Karosserie, die Rückleuchten und die Frontscheinwerfer."#w1#
Frage: "Meistens müssen die Hersteller ihre Autos für die neue Saison nur weiterentwickeln. Audi startet in dieser Saison aber mit der Rennversion des völlig neu entwickelten A4. Wie schwierig ist es, ein Fahrzeug der neuen Generation auf die Rennstrecke zu bringen? Denn ein neues Serienmodell ist vom Design her anders als der Vorgänger, auch wegen Sicherheitsvorgaben der EU."
Aicher: "Es ist definitiv schwierig. Wie man ein Auto weiterentwickeln muss, das weiß man. Man kennt das Auto - man ist die gesamte Saison damit gefahren, man hat damit gearbeitet und man sollte genau wissen, wo man drehen muss, um noch besser zu werden. Bei den Autos der neuen Generation, die auch mit dem von der EU vorgeschriebenen Aufprallschutz für Fußgänger ausgestattet sind, ist alles neu. Das betrifft nicht nur die Aerodynamik, sondern auch die Mechanik, die sich aufgrund von Chassisänderungen ebenfalls geändert hat. Man fängt eigentlich bei der Entwicklung von vorn an."
Länger und breiter
Frage: "Wo lagen beim A4 die größten Herausforderungen?"
Aicher: "Das Fahrzeug ist viel länger - 120 Millimeter länger - als der Vorgänger-A4, schon beim Serienmodell. Das Auto ist ca. 30 Millimeter breiter. Wenn man das einfach eins zu eins in den Rennsport zu übernimmt, ohne etwas am Aerodynamikkonzept zu ändern, macht man erst einmal einen großen Schritt zurück. Deshalb haben wir versucht, schon konzeptionell die Effizienz auf das Niveau des vergangenen Jahres zu bringen - bzw. auf ein höheres Niveau. Zum Beispiel wird deswegen mit mehr Durchströmung am Fahrzeug gearbeitet."
"Die Herausforderung liegt darin, dass die neuen Modelle einfach größer sind. Man versucht immer wieder, die aerodynamische Effizienz zu steigern. Das kann man entweder erreichen, indem man den Abtrieb erhöht oder indem man den Luftwiderstand verringert. Beides ist wichtig. Man kann es am Auto sehen: Mit den vielen Kanälen, die am Auto entstanden sind, wurde versucht, die aerodynamische Effizienz zu steigern."
Frage: "Kann man dabei auch kreativ sein und aerodynamische Revolutionen wagen oder ist das Reglement so eng gesteckt, dass man sich nur in einem engen Rahmen bewegen kann?"
Aicher: "Wir haben ein festgelegtes Reglement, das uns allerdings schon auch noch Freiheiten lässt. Um die Radausschnitte und um das Fahrzeug herum darf man entwickeln. Ganz wilde neue Konzepte kann man nicht machen, dafür ist das Reglement zu eng. Aber in den Freibereichen ist viel machbar."
Ideen können überall kommen
Frage: "Kommen Ihnen die Ideen für neue Konzepte da auch mal sprichwörtlich 'unter der Dusche'?"
Aicher: "Genau so ist es. Natürlich hat man schon einen Plan, wie man vorgehen wird. Aber es ist schon auch so, dass man abends, wenn man heimkommt oder nachts auf einmal eine Idee hat, was man mal ausprobieren könnte. Das passiert immer wieder. Diese Idee bringt man dann mit in die Arbeit. Dort wird diskutiert, ob die Idee Sinn macht oder nicht. Dann versucht man, das Ganze am Computer darzustellen und zu berechnen. Und wenn es eine gute Idee ist, wird sie auch umgesetzt. Und solche Ideen können einem natürlich auch unter der Dusche kommen..."
Frage: "Im März 2007 wurde mit der Konzeption für das neue Auto begonnen. Wie geht man diese Aufgabe an? Wie geht es Schritt für Schritt voran?"
Aicher: "Man bekommt zunächst die Karosserie-Daten des Serienmodells. Dann stülpt man diese Karosserie über das existierende Fahrzeug. Man kennt die Tücken des alten Autos, die man verbessern will und man hat das neue Auto. Von da ab läuft die Entwicklung parallel. Auf der Mechanikseite wird auf den Achsen und im gesamten Package-Bereich optimiert. Gleichzeitig werden im Modellwindkanal Konzepte erarbeitet, wie man an einem Tourenwagen aerodynamische Effizienz gewinnen kann. Wenn in beiden Bereichen ein entsprechender Fortschritt gemacht wurde, werden sie zusammengebracht."
Ein Jahr Entwicklungsarbeit
Frage: "Wie lange dauert es dann, bis eine erste Version des neuen Autos auf der Strecke ist?"
Aicher: "Etwa fünf bis sechs Monate, nachdem die ersten Konzepte fertig sind. Am neuen A4 DTM haben wir insgesamt ca. ein Jahr lang gearbeitet. Am Anfang macht man aber wirklich ein Fahrzeugkonzept nach dem anderen und sucht nach dem Optimum. Wenn man sich dann für ein Konzept entschieden hat und ins Detail geht, dauert es noch etwa fünf bis sechs Monate, bis das Auto da steht."
Frage: "Wie viele Mitarbeiter sind an der Gesamtkonzeption beteiligt?"
Aicher: "Intern bei Audi Sport sind wir knapp 30 Leute. Wir arbeiten aber auch mit mit anderen Bereichen zusammen, deshalb würde ich von gesamt 50 bis 60 Leuten sprechen, die an der Entwicklung des Autos mitarbeiten. Die Werkstatt, die das Auto dann baut, kommt noch zusätzlich dazu."
Frage: "Vor dem Test in Oschersleben lagen sie noch etwas hinter ihrem Plan - konnte das in Oschersleben aufgeholt werden?"
Aicher: "Man ist natürlich immer etwas knapp dran mit der Fertigstellung. Denn wir versuchen immer bis zur letzten Minute, zu entwickeln. Deshalb wird es immer knapp. Und so war es auch in diesem Jahr."
Frage: "Kann jetzt noch etwas am Auto geändert werden oder steht alles fest?"
Aicher: "Man kann schon noch Änderungen vornehmen. Alles, was luftumströmt ist, ist fest und nicht mehr veränderbar. Wir dürfen nur noch Änderungen zum Beispiel am Flügel oder am Bodenabstand vornehmen. Ansonsten ist karosserieseitig nichts mehr zu ändern. Aber jetzt arbeiten wir am Fahrzeug-Set-Up, an Fahrwerkseinstellungen, Dämpfern, Federn, Stabilisatoren und ähnlichem."
Gerüttelt und geschüttelt
Frage: "Die Testzeit auf der Strecke ist sehr beschränkt. Welche Möglichkeiten bieten sich noch, um ein neues Auto zu testen und Simulationen durchzuführen?"
Aicher: "Wir haben die diversen Prüfstände der Serienproduktion, auf denen wir unsere Festigkeitsprüfungen durchführen. Wir haben einen Motorprüfstand und einen Getriebeprüfstand, auf denen die Dauerläufe der Aggregate gemacht werden. Wir haben einen Hydropulser, auf dem das Auto gerüttelt und geschüttelt wird, um eine Dämpferabstimmung zu machen. Es gibt also schon diverse Möglichkeiten. Dazu steht uns das Testgelände von Audi und Volkswagen zur Verfügung. Das ist zwar keine richtige Rennstrecke, aber man kann auf dem Oval oder dem Handlingkurs ein paar Dinge simulieren. Ansonsten bleiben uns nur die limitierten Testtage auf der Rennstrecke."
Frage: "Dabei wird auch der Testträger eingesetzt. Worin unterscheidet er sich vom richtigen Einsatzfahrzeug?"
Aicher: "Von der Mechanik her gibt es keinen Unterschied, aber es ist natürlich viel mehr Messtechnik im Testträger. Bei den offiziellen ITR-Tests darf man in den Rennautos nur sehr wenig Messtechnik und Sensoren einsetzen. Im Testauto ist dann die Messtechnik, die wir zum Entwickeln brauchen. Wir messen damit Kräfte, Temperaturen, Drücke und so weiter. Das ist der Hauptunterschied."

