• 10.03.2015 14:47

  • von Roman Wittemeier

Weitere LMP1-Hersteller willkommen: Träumen ist erlaubt

McLaren, Ferrari, Honda und Mercedes mit eigenen LMP1-Autos in Le Mans? Die WEC-Fans träumen von einer Herstellerflut in der Langstreckenszene

(Motorsport-Total.com) - In den vergangenen Jahren hat sich die Zahl der engagierten Hersteller in der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) immer weiter erhöht. Vor dem Debüt der neuen WM im Jahr 2012 gab es zunächst einen Schock zu verdauen. Peugeot zog kurzfristig den Stecker, aber Toyota stieg als neuer Gegner von Platzhirsch Audi ein. Im vergangenen Jahr folgte Porsche, nun geht Nissan in den Wettbewerb der LMP1-Hersteller. Vier Werke in der Prototypenszene, drei in der GTE-Klasse. War es das?

Titel-Bild zur News: Ferrari LMP1

Die Studie macht etwas her: Kommt Ferrari wirklich wieder nach Le Mans? Zoom

Offenbar nicht, denn die Macher von WEC und ACO deuten immer wieder an, dass es intensives Interesse von weiteren Herstellern gibt. Der Name Ford fällt oft. Die Amerikaner könnten auf Basis des neuen Ford GT ein Comeback wagen, dabei allerdings nicht um den Gesamtsieg in Le Mans kämpfen können. Wenn es um die großen, schnellen LMP1-Fahrzeuge geht, dann sind andere Marken gefragt. Gerüchten zufolge beschäftigt man sich nicht nur bei Ferrari immer mal wieder mit Le Mans, sondern auch bei den koreanischen Herstellern Kia und Hyundai ist das Thema nicht unbekannt.

Die Fans der Langstreckenszene dürfen träumen - und das spanische Designbüro G24 Studio liefert die entsprechenden Vorlagen: LMP1-Autos unter anderem im Design von Ferrari, Mercedes, McLaren und Honda. Die digitalen Le-Mans-Prototypen machen Lust auf mehr. Wie wahrscheinlich ist es, dass die genannten Werke tatsächlich nach Le Mans zurückkehren? 'Motorsport-Total.com' hat die Chancen auf einen Einstieg der einzelnen Hersteller analysiert.

McLaren: 90 Prozent Wahrscheinlichkeit

In Woking macht man kein großes Geheimnis aus der Liebe zu Le Mans. Vor genau 20 Jahren konnte man mit dem spektakulären F1 GTR samt BMW-V12-Motor an der Sarthe gewinnen. Es war historisch: Der große Triumph gelang gleich beim ersten Auftritt des neuen Autos - allerdings auch begünstigt durch unzählige Probleme der Teams mit den schnelleren WSC-Prototypen. Der siegreiche McLaren war damals in privatem Einsatz des Kokusai-Kaihatsu-Teams, aber in Woking heftet man sich den Sieg als eigenen Erfolg an.

"Die Ambition, ein Auto zu bauen, das in Le Mans antreten kann, ist vorhanden", bestätigt McLaren-GT-Leiter Andrew Kirkaldy. Wie ernst diese Ambitionen sind, belegt die aktuelle Modellpalette. Der neue McLaren 650S wird in einer limitierten Stückzahl von 50 Exemplaren als Sonderedition "650S Le Mans" gebaut. Man will damit an den Sieg bei den 24 Stunden von Le Mans vor genau 20 Jahren erinnern, aber auch einen Hinweis auf zukünftige Renneinsätze platzieren.

McLaren LMP1

Die McLaren-LMP1-Studie ist das neueste Werk der spanischen Designer Zoom

Der neue 650S ist in einer GT3-Version bereits jetzt recht erfolgreich unterwegs. Die Basis des Fahrzeuges ist mit Blick auf das künftige Reglement der GTE-Szene entworfen worden. Ab 2016 soll es laut ursprünglichem Plan möglich werden, die zahlreichen neuen GT3-Rennautos per Upgradekit auf GTE-Stand zu bringen - und somit für einen Start an der Sarthe zu präparieren. Notfalls könnte vom 650S ein reinrassiger GTE aufgelegt werden. Die notwendigen Ressourcen sind zweifellos vorhanden.

Zwar hat McLaren zu Beginn der neuen Ehe mit Honda in der Formel 1 reichlich technische Probleme zu lösen, aber die Abteilungen sind in Woking deutlich getrennt. Das GT-Programm hat mit dem Engagement in der Königsklasse nur wenig zu tun. Dennoch wären Synergien möglich. Aufgrund der Beschränkungen in der Formel 1 wären für die Entwicklung eines GTE-Fahrzeuges ausreichend Leerlaufzeiten im hauseigenen Windkanal verfügbar, um den 650S entsprechend zu trimmen.

Honda: 50 Prozent Wahrscheinlichkeit

Die Japaner suchen sich traditionell im Motorsport immer wieder gegenseitig als Gegner. Wo Toyota ist, tritt auch Honda an - nach diesem Motto begegnete man sich auf WM-Niveau zuletzt in der Formel 1. Toyota ist - ebenso wie Nissan - nun intensiv in den Wettbewerb in der WEC und in Le Mans involviert. Man wurde 2014 Weltmeister, konnte seine Stärken im Bereich Hybridtechnik nutzen und entsprechend vermarkten. Das werden die Honda-Macher mit Interesse beobachtet haben.

In der Formel 1 spielt das Thema Hybridtechnik immer noch eine untergeordnete Rolle, unterdessen stehen die Technologien in der WEC weit mehr im Vordergrund. Das Publikum der Langstreckenszene ist deutlich mehr an technischen Details interessiert als die Mehrheit der Fans der Formel 1. Hondas Le-Mans-Tradition ist nicht sonderlich umfangreich. 1995 und 1996 agierte man mit dem NSX werksseitig an der Sarthe. Im ersten dieser beiden Jahre holte ein Fahrzeug den Klassensieg - es war jedoch ein privat eingesetztes.

Honda LMP1

Kann Honda womöglich neben der Formel 1 noch ein LMP1-Programm stemmen? Zoom

Dass der einziges Klassenerfolg eines Honda in Le Mans ausgerechnet in jenes Jahr fällt, in dem McLaren seinen einzigen Gesamtsieg dort einfahren konnte, ist reiner Zufall. Werden die beiden Unternehmen, die derzeit in der Formel 1 gemeinsam an alte Erfolge anknüpfen möchten, womöglich gemeinsam an der Sarthe antreten? Ein McLaren-Honda in der WEC? Dies gilt als unwahrscheinlich, da McLaren auf die GTE schielt und Honda nur in der LMP1-Klasse als Gegner von Toyota und Nissan punkten könnte. Die amerikanische Tochter HPD (Honda Performance Development) ist überdies schon lange in der LMP2-Klasse aktiv.

Vor zwei Jahren, als die endgültige Entscheidung über ein Formel-1-Comeback als Motorenpartner von McLaren zur Abstimmung stand, war das Thema Le Mans bei Honda auf der Tagesordnung. Die Frage war damals: Formel 1 oder LMP1? Man entschied sich für die Königsklasse und baute eine umfangreiche neue Infrastruktur in Milton Keynes auf. Zahlreiche Beobachter, die einen kleinen Einblick in das neue Werk erhaschen konnten, sind sich jedoch sicher: In Milton Keynes passiert mehr als nur die Vorbereitung der Formel-1-Antriebe.

Ferrari: 30 Prozent Wahrscheinlichkeit

Vor allem im Vorlauf des 24-Stunden-Rennens 2014 war das Thema Ferrari und LMP1 in aller Munde. Der damalige Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo hatte in den Monaten zuvor immer wieder Hinweise auf ein mögliches Le-Mans-Engagement gegeben. Man habe eine lange und erfolgreiche Tradition auf der Langstrecke, daher werde Ferrari "früher oder später" wieder an die Sarthe zurückkehren. Und zwar nicht nur mit GT-Fahrzeugen, die aktuell über AF Corse in der Szene platziert sind, sondern mit einem Auto, das um Gesamtsiege kämpfen soll.

Montezemolo war es im Jahr 2009 höchstpersönlich, der das Rennen an der Sarthe starten durfte, im vergangenen Jahr wurde seinem damaligen Fahrer Fernando Alonso diese Ehre zuteil. "Es war eine riesige Party", schilderte Montezemolo nach seinem Besuch in Le Mans. "Wenn man dagegen die Boxengasse bei einem Formel-1-Rennen erlebt, dann kommt man sich vor wie in einer Wüste." Der charismatische Italiener hat seinen Job in Maranello mittlerweile verloren, seither rudert man im Hinblick auf ein mögliches Le-Mans-Engagement wieder etwas zurück.

"Formel 1 und Le Mans gleichzeitig geht nicht", meinte Piero Ferrari vor einem halben Jahr. Gleichzeitig betont der Vizepräsident und Anteilseigener des Sportwagen-Herstellers, dass man immer wieder in Richtung Sarthe blickt: "Natürlich ist Le Mans interessant. Dieses Rennen ist ein Teil der Ferrari-Historie", so der 69-Jährige. Die Aussagen von Piero Ferrari (Sohn von Enzo Ferrari) stellen die realistische Situation dar, entlarven Montezemolo, der die Schwärmereien für Le Mans als politisches Spiel zur Durchsetzung seiner Interessen in der Formel 1 einsetzte.


Träume in LMP1-Form: McLaren und Co.

Und dennoch sind die Chancen auf einen möglichen zehnten Gesamtsieg von Ferrari in Le Mans nicht allzu gering. Denn eines hatte Montezemolo erkannt: In Zeiten der immer intensiveren Beschränkungen bei der Nutzung von Windkanal und CFD sowie des limitierten Einsatzes von Formel-1-Personal an den Rennstrecken werden in Maranello einige Ressourcen frei. "Ich kann nicht 100 Leute vor die Tür setzen und sagen, sie sollen sich einen neuen Job suchen", so der ehemalige Ferrari-Präsident.

Im Zuge einiger Umstrukturierungen soll es bereits Machbarkeitsstudien eines Ferrari-LMP1-Projektes gegeben haben. Das Ergebnis: Der Aufwand, der in der WEC-Szene notwendig wäre, ein konkurrenzfähig LMP1-Auto mit umfangreicher Hybridtechnik zu bauen, ist ähnlich hoch wie in der Formel 1. Gleichzeitig sind beide Programme kaum zu stemmen. Dennoch erklärt der neue Ferrari-Boss Sergio Marchionne, dass ein Le-Mans-Engagement nicht ausgeschlossen ist. Ferrari in der Formel 1, Alfa Romeo in Le Mans - oder umgekehrt? "Das ist denkbar", so der Italiener.

Mercedes: Null Prozent Wahrscheinlichkeit

Mercedes und Le Mans - es ist eine ganz besondere Geschichte. 1952 erzielten Hermann Lang und Fritz Riess im 300 SL den ersten Gesamtsieg der Stuttgarter an der Sarthe. Es hätten zweifellos einige mehr werden können, doch das Schicksal meinte es mit Mercedes beim größten Langstreckenrennen der Welt überhaupt nicht gut. 1955 beendete das Werksteam die Rennaktivitäten nach dem Le-Mans-Drama um Pierre Levegh, der mit seinem verunglückten Mercedes insgesamt 81 Menschen mit den in Tod riss.

1989 holte man als enger Partner von Sauber einen weiteren Titel in Le Mans, zehn Jahre später sollte endlich wieder das silberne Werksteam glänzen. Erneut schlug das Schicksal zu. Der damalige CLR wurde von den Kuppen des Circuit de la Sarthe mehrfach ausgehebelt, die Fahrzeuge flogen im wilden Rückwärtssalto durch die Luft. Nur mit viel Glück entkamen die damaligen Piloten Peter Dumbreck und Mark Webber einer Katastrophe. Wieder zog sich Mercedes zurück.

Mercedes LMP1

Mercedes und Le Mans: Bisher hat es das Schicksal nicht immer gut gemeint Zoom

Bis heute macht das Stuttgarter Werksteam einen großen Bogen um Le Mans. Zu schmerzhaft und gefährlich waren die Erlebnisse der Marke an der Sarthe Außerdem hat man sich voll der Formel 1 verschrieben. In der vergangenen Saison dominierte man unter anderem dank des starken V6-Turbo-Hybridantriebs nach Belieben. In der nun beginnenden Formel-1-Saison ist eine ähnliche Dominanz zu erwarten.

Die besondere Performance des Mercedes-Antriebs in der Formel 1 lässt es logisch erscheinen, dass die Werksmannschaft in der dortigen Szene bleibt. Man erntet endlich die Früchte einer kostspieligen Saat in der Königsklasse. Was ebenfalls als gewichtiges Gegenargument zur WEC und Le Mans gelten dürfte: Ein derart deutliches Alleinstellungsmerkmal mit dem überlegenen Hybridantrieb wird man im Kampf gegen Audi, Toyota und Porsche nicht einfach so erlangen können. Man müsste erneut investieren und Geduld aufbringen.

"Die Mercedes-Motosport-Strategie stützt sich auf die Säulen Formel 1, DTM, AMG-Kundensport und Formel 3. Mit dieser Aufstellung sind wir sehr zufrieden und wollen mit unseren Teams in allen Rennserien Top-Leistungen abliefern", heißt es etwas hölzern auf Nachfrage von 'Motorsport-Total.com', ob Mercedes über ein Le-Mans-Comeback nachdenkt. "So ist gerade die Formel 1 eine hervorragende Plattform, um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Hybridtechnologie einem weltweiten Publikum zu präsentieren."