• 23.12.2017 15:28

  • von Roman Wittemeier

WEC-Rückblick 2017: Porsche-LMP1-Team nimmt Abschied

Nach vier Jahren mit zahlreichen Titeln und drei Le-Mans-Triumphen in Folge verlässt auch Porsche die LMP1-Szene: Die Gründe für den Ausstieg der Stuttgarter

(Motorsport-Total.com) - Nach vier Jahren in der Topklasse der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) verabschiedet sich Porsche wieder aus der LMP1-Szene. Die Stuttgarter feierten ihren innovativen 919 Hybrid beim letzten Renneinsatz in Bahrain bereits als Legende - in einer Reihe mit Modellen wie dem 917 und dem 962. "Wir haben mit dem 919 ein Auto auf die Beine gestellt, das technologisch bislang unübertroffen ist. Das ist zweifellos eine Legende", sagt Volkswagen-Konzernchef Matthias Müller im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'.

Titel-Bild zur News: Timo Bernhard, Earl Bamber

Eine Legende im Ziel: Der Porsche 919 Hybrid brachte den Stuttgartern viel Erfolg Zoom

Der Vorstandvorsitzende aus Wolfsburg war einer der Väter des LMP1-Projektes. Müller stand beim Comeback 2014 als Porsche-Chef an der Spitze. "Tatsache ist, dass 260 Menschen beteiligt waren, die hervorragend zusammengearbeitet haben. Mich erfüllt es mit Dank und mit Stolz, dass ich dabei sein durfte", sagt er. Selbst nach seiner Berufung an die Konzernspitze zeigte sich Müller oft im Fahrerlager der WEC. Beim Saisonfinale 2017 in Bahrain schüttelte er allen Beteiligten noch einmal die Hand.

"Mir war es ein großes Bedürfnis, beim letzten Rennen dabei zu sein und allen noch einmal Dank zu sagen - vom Schrauber bis zum Fritz Enzinger. Es kommt auf die Menschen an, und die haben das toll gemacht", erklärt Müller. Im ersten Jahr der erste Sieg, in den drei folgenden Jahren jeweils der Gewinn aller Titel und der wichtige und prestigeträchtige Triumph bei den 24 Stunden von Le Mans. Rekordsieger Porsche konnte die Zahl der Gesamterfolge an der Sarthe auf 19 nach oben schrauben.

Mark Webber: Jedes Projekt endet mal

"Wenn man irgendwann an den Porsche 919 Hybrid zurückdenkt, dann wird man das Wort Dominanz schnell im Kopf haben. Das mag jetzt nicht in allen Rennen so gewesen sein, aber wir haben dreimal Le Mans in Serie gewonnen und dreimal in Folge alle WM-Titel", sagt Mark Webber. Der Ex-Formel-1-Star ergänzt: "Man muss sich nur mal erinnern, dass wir Audi aus dem Stand unter Druck setzen konnten. Das muss man erst einmal schaffen. Genau das war ein großes Ziel, das sich Porsche gesetzt hatte."

"Am liebsten hätte man es, dass ein solches Projekt niemals enden würde. So ist es aber im Motorsport nicht. Es gibt immer einen Punkt, an dem die Strategie sich verändert", meint der Australier, der 2015 mit Porsche Weltmeister werden konnte. Warum wird das so erfolgreiche Projekt der Werksmannschaft aus Weissach beendet? Fehlender Wettbewerb, teils schwache WEC-Vermarktung und eine zu wenig progressive Entwicklung des LMP1-Regelwerkes sind Gründe.

Blume, Enzinger, Seidl und Wolfgang Porsche

Quartett: Oliver Blume, Fritz Enzinger, Andreas Seidl und Wolfgang Porsche Zoom

"Mehr Wettbewerb hätte uns möglicherweise motiviert, in der LMP1-Klasse weiter zu machen", sagt Porsche-Entwicklungsvorstand Michael Steiner. Von einst drei konkurrierenden LMP1-Herstellern war zuletzt nur noch ein einziger (Toyota) übrig. "Für mich sind zwei Dinge zusammengekommen, warum die Serie nicht dauerhaft funktioniert hat: der missglückte Einstieg von Nissan und der Ausstieg von Audi", erklärt Porsche-LMP1-Chef Fritz Enzinger.

Wettbewerb hätte vielleicht auch BMW angelockt

"Wenn man sich vorstellt, dass es bei Nissan geklappt hätte und die Gründe für den Audi-Ausstieg niemals aufgetreten wären, dann hätten wir vier Marken gehabt. Und dann stellt man sich vor, dass alle vier mit jeweils drei Autos in Le Mans fahren - und zwar auf dem hohen Level wie wir es jetzt hatten -, dann hätte es vielleicht sogar BMW davon überzeugen können, dass sie keinen GTE, sondern einen LMP1 machen", meint der Österreicher. "Wer weiß, welche Marke dann noch gekommen wäre."

"Auch die Vermarktung ist nicht optimal gelaufen. Da gibt es viele Möglichkeiten, es besser zu machen", fügt Enzinger an. Außerdem ist den Porsche-Verantwortlichen übel aufgestoßen, dass der in Aussicht gestellte Schritt zur 10-Megajoule-Hybridklasse und die Einführung eines dritten Hybridsystems nicht umgesetzt wurden. Die Techniker in Weissach hatten bereits alles für einen solchen Fortschritt entwickelt, Porsche hatte viel Geld investiert - letztlich für die Katz.

"Das war sicherlich auch ein Faktor", sagt Fritz Enzinger. "Das war fest bei uns im Plan, wir waren da schon dran am 10MJ-System. Als dann Peugeot mit am Tisch saß und es nur noch darum ging, wie man alles günstiger machen kann, da war für uns ein Punkt erreicht, eine Entscheidung zu treffen. Letztlich war es genau richtig, denn Peugeot ist nicht einmal gekommen." Die Franzosen hatten zahlreiche Bedingungen für ein Comeback genannt. Der ACO kam den "Löwen" entgegen, die dann aber doch absagten.


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"Das, was wir in das LMP1-Projekt investiert haben, hat sich für unser Unternehmen voll und ganz ausgezahlt. Allein die drei Le-Mans-Siege und die WM-Titel haben enorm auf unser Image eingezahlt", bilanziert Porsche-Vorstandschef Oliver Blume. "Wir bereuen keinen einzigen Euro, den wir investiert haben." Allerdings beendete man das LMP1-Projekt, das ursprünglich vom Vorstand bis mindestens Ende 2018 verabschiedet war, vorzeitig.

Weitere Investitionen kaum zu argumentieren

"In der WEC sprechen wir von hohen Budgets. Da muss man dann auch immer den Marketingwert dagegen halten", sagt Blume und deutet damit an, dass in der Langstrecken-WM das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht gestimmt hat. "Man schaut sich immer wieder an, was man reinsteckt und was herauskommt." Da das Antriebskonzept des 919 mit seinem V4-Turbo an den Grenzen der Entwicklung angekommen war, hätte man für einen neuen Motor (V6-Turbo) nochmals viel Geld in die Hand nehmen müssen.

"Das Reglement war offen und spannend. Aber zu einer Rennveranstaltung gehört auch Wettbewerb. Wenn nicht hinreichend viele mitmachen, dann wird auch die spannendste technologische Herausforderung weniger interessant", zieht Entwicklungschef Michael Steiner einen Schlussstrich unter die erfolgreiche Ära mit dem 919 Hybrid. "Wenn wir jetzt noch einmal viel reingesteckt hätten, dann wäre es mehr vom Gleichen gewesen", meint Porsche-Boss Oliver Blume. "Da muss man mit klarem Kopf entscheiden."


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Porsche bricht nun zu neuen motorsportlichen Ufern auf (Formel E ab 2019/20), gleichzeitig erweitert man das Engagement in der GTE-Pro-Kategorie der WEC mit dem 911 RSR. "Wir bleiben im GT-Sport. Das gilt bestimmt auch noch in zehn Jahren: Wir werden Motorsport mit Verbrennern machen und etwas im Bereich Elektromobilität", verspricht Blume. "Ich bin dankbar für die vielen Erfolge, aber auch dafür, dass nie etwas richtig Schlimmes passiert ist", sagt Teamchef Andreas Seidl zum LMP1-Abschied.