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  • 28.12.2015 08:02

  • von Roman Wittemeier

WEC-Rückblick 2015: Toyota komplett überrumpelt

Die WEC-Saison 2015 im Rückblick - Toyota: Als Weltmeister in das Jahr gestartet, im Wettbewerb plötzlich chancenlos - Volle Kraft in Richtung 2016

(Motorsport-Total.com) - Die Saison 2015 der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) hat spannenden Sport auf den acht Strecken in Europa, Asien und Amerika geboten. Im zweiten Jahr des neuen LMP1-Regelwerks haben die Hersteller einen gigantischen Aufwand im Bereich Entwicklung getrieben. Man optimierte die schnellen Prototypen nicht nur im Bereich der Hybridtechnologie, sondern legte auch bei Mechanik und Aerodynamik gewaltig zu. Wir blicken auf das intensive Jahr 2015 zurück. Heute: Toyota.

Titel-Bild zur News: Anthony Davidson, Sebastien Buemi, Kazuki Nakajima

2014 top, 2015 ein Flop: Toyota stürzte im intensiven Wettbewerb schnell ab Zoom

Die Japaner, die 2014 noch souverän Weltmeister wurden, waren im Wettbewerb der WEC in diesem Jahr absolut chancenlos. Der Wettbewerb überflügelte Toyota im Längen, dabei hatten sogar die Champions noch einmal rund zwei bis drei Sekunden pro Runde im Vergleich zum Vorjahr zulegen können. Weil Toyota 2015 im Kampf der Hersteller nicht konkurrenzfähig war, verzichten wir an dieser Stelle auf die Darstellung der einzelnen Rennen wie im Falle von Audi und Porsche. Stattdessen lassen wir Anthony Davidson im Interview zu Wort kommen.

Frage: "Anthony, als Weltmeister durftest du gemeinsam mit Sebastien Buemi und Kazuki Nakajima im Auto mit der Startnummer 1 durch das Jahr fahren. In der Bilanz steht am Ende ein einziger Podestplatz zu buche. Mit welchen Gedanken gehst du nun aus dem Jahr 2015?"
Anthony Davidson: "Ich bin richtig erleichtert, dass die Saison vorüber ist. Zum Schluss gab es für Toyota noch einen Podestplatz, für uns Platz vier. Diese Emotionen nehmen wir nun mit durch den Winter."

Frage: "Kann dieser kleine Erfolg vom Finale in Bahrain tatsächlich die Schwierigkeiten im gesamten Jahr übertünchen?"
Davidson: "Ich will nicht lügen: Es war etwas demoralisierend und auch teilweise regelrecht erschütternd. Es war phasenweise schwierig, sich am Riemen zu reißen. Es wäre als Fahrer aber dem Team gegenüber total unfair, in den Rennen nicht immer alles zu geben und bis zum Letzten zu kämpfen. Wir hatten immerhin alle zusammen völlig verdient 2014 den Titel geholt."

Die Abhängigkeit des Fahrers vom Material

Frage: "Wie geht man als Fahrer mit einem solch tiefen Fall um? Wie erklärt man sich so etwas?"
Davidson: "Das gefällt mir an unserem Sport manchmal echt gar nicht: Die Resultate sind dermaßen stark vom jeweiligen Equipment beeinflusst. Das ist in keinem anderen Sport in diesem Ausmaß der Fall. Ich mag das nicht. Das ist wirklich niederschmetternd. Als Fahrer sagt man immer, dass man im Folgejahr stärker zurückkommen will, aber die Wahrheit ist: Ich kann aktiv gar nichts dafür tun. Es liegt nicht in meiner Hand."

Frage: "Diese Abhängigkeit von einem konkurrenzfähigen Auto bleibt bestehen. Deine Leistungen und Ergebnisse 2016 hängen wieder vom Werk anderer ab..."
Davidson: "Ich hoffe einfach ganz stark, dass wir ein Paket haben werden, mit dem wir wieder mitmischen können. Ich erwarte gar kein dominantes Auto, sondern ich wünsche mir einfach nur, dass wir wieder dabei sind. Ich will mit den anderen kämpfen können. Das ist es, was mir die Liebe zu diesem Sport gebracht hat. Dieses Jahr war diesbezüglich grausam."

Anthony Davidson

Anthony Davidson muss die Startnummer 1 an Webber/Bernhard/Hartley abgeben Zoom

Frage: "Woran hat es gelegen, dass ihr dermaßen ins Hintertreffen geraten seid?"
Davidson: "Das Auto war eine Evolution des Vorgängers. Das sieht man von außen, und wir Fahrer haben das im Cockpit genau gespürt. Die Gegner haben einen riesigen Sprung gemacht und während der Saison immer weiter nachgelegt. Wir nicht."

Frage: "Als du in Bahrain einen letzten Blick auf den diesjährigen Toyota TS040 mit der Startnummer 1 geworfen hast, hattest du da trotz ausbleibender Erfolge eine Beziehung zu dem Auto?"
Davidson: "Für mich als Fahrer ist das bezüglich der Emotionen beim Blick auf das Auto wirklich seltsam. Das Auto sieht aus wie jenes von 2014, es fühlt sich genauso an - aber während man im Vorjahr alle im Griff hatte, fährt man plötzlich damit im Niemandsland. Das fühlt sich merkwürdig an. Plötzlich trägt dich dein Schatz nicht mehr nach vorn, sondern du wirst mehrfach überrundet - eine ganz seltsame Szenerie. Genau das macht aber eines ganz deutlich: Die schnellen Fortschritte in unserem Sport."

Fortschritt zur Saison 2016: Garantien gibt es nicht

Frage: "Seit Monaten arbeiten bei TMG in Köln und bei Toyota in Japan viele Leute unter Hochdruck am ganz neuen Auto, dem TS050 mit Turbomotor, Batteriespeichern und 8MJ-Hybridsystem. Wie sehnlichst erwartest du das neue Fahrzeug?"
Davidson: "Wirklich extrem. Seit Spa war uns klar, dass es keinen Sinn mehr macht, viel Geld in das aktuelle Konzept zu stecken. Es wäre Unfug gewesen, den Rückstand mit großem Aufwand von 2,5 auf zwei Sekunden zu reduzieren. Wir haben es ans Ende der Laufzeit getragen und unsere Ressourcen voll auf das neue Auto gesetzt. Alle Energie ist in das neue Auto für 2016 geflossen. Es wird eine revolutionäre Neuentwicklung sein, keine Evolution wie in diesem Jahr."

Frage: "Wie zuversichtlich bist du, dass der große Schritt gelingen wird?"
Davidson: "Hoffnung gibt es natürlich, aber Garantien gibt einem keiner - das geht auch gar nicht. Ich erwarte nicht, dass wir das Mega-Auto haben, mit dem wir die Konkurrenz in Grund und Boden fahren. Im Vergleich zu den Mitbewerbern werden wir aber definitiv besser aussehen als in diesem Jahr. Das ist meine Erwartung. Wenigstens mitkämpfen können, das ist es. Und dann schaut man mal - zumindest in Le Mans, wo nicht nur das Tempo entscheidet, sondern auch andere Faktoren."

Buemi Davidson Nakajima

Blick auf die Saison 2016: Toyota muss mit dem neuen TS050 die Kurve kriegen Zoom

Frage: "Wie hat sich die WEC im Verlauf des Jahres 2015 aus deiner Sicht allgemein weiterentwickelt?"
Davidson: "Wir müssen jetzt aufpassen. Im Moment haben wir einen guten Lauf, die Entwicklung war bislang toll. Die Hybridtechnologie ist großartig und faszinierend, die Autos sehen herrlich aus und wir bekommen mit der LMP1-Klasse viel Aufmerksamkeit geschenkt. Ich hoffe, wir machen es mit einem kranken Entwicklungswettkampf und zu hohen Kosten nicht kaputt. Die Giganten Toyota und VAG liefern sich eine Schlacht. Im Moment ist alles okay, aber so etwas kann schnell mal ausufern."

Menschen statt Marken: Piloten sollten in Fokus rücken

Frage: "Wie könnte man diesen Wettkampf kostengünstiger und nachhaltiger gestalten?"
Davidson: "Man muss sich mal die LMP2-Klasse anschauen. Dort wird deutlich, dass man auch mit geringeren Mitteln großartigen und spannenden Sport haben kann. Es geht hier um Sport und nicht in erster Linie um Business. Wir Fahrer wollen uns mit möglichst gleichen Waffen einen harten und fairen Kampf liefern. Ich selbst als Pilot will gar kein überlegenes Auto. Ich will siegen und wissen, dass ich daran Anteil hatte. Boxer steigen auch mit womöglich unterschiedlichen Handschuhen in den Ring. Die Aufmerksamkeit gilt aber komplett den Boxern und nicht den Handschuhen."

"Ich verfolge genau, was in der Formel 1 seit einigen Jahren passiert. Es ist eine Entwicklung, die immer noch anhält. In diese Richtung soll es bitteschön auf der Langstrecke nicht gehen. Die Geschichte der Gruppe C sollte uns ebenfalls eine Mahnung sein. Das waren damals tolle Zeiten, aber solch einen Wettbewerb kann sich kaum jemand auf Dauer leisten - zumal es bei so etwas immer mehr Verlierer als Gewinner gibt."


Abschied von Alexander Wurz

Tom Kristensen und andere Stars verabschieden sich beim RoC von Alexander Wurz.

Frage: "Muss in der WEC womöglich der Fokus wieder mehr von den Technologien und Marken auf die Fahrer gelenkt werden?"
Davidson: "Ja, so sehe ich das. Auf der Langstrecke teilen wir uns zu dritt ein Auto. Die Egos der Piloten sind also sowieso schon hinten angestellt. Es darf aber abseits davon nicht noch weiter der Fokus von den Fahrern abgelenkt werden. Es darf letztlich nicht nur noch um die Namen der Hersteller oder Marken und das reine Equipment gehen."