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Toyota träumt, aber: "Unser Gegner ist ein Riese"
"We push, you watch": Warum der fehlende schwarze Rauch Anthony Davidson pessimistisch stimmt, Toyota aber trotzdem auf das Wunder von Le Mans hofft
(Motorsport-Total.com) - Waren die 24 Stunden von Le Mans in den vergangenen Jahren ein echtes Gigantenduell zwischen Audi und Peugeot, so deutet 2012 vieles auf einen Audi-Durchmarsch hin. Doch Herausforderer Toyota will sich von den schlechten Vorzeichen nicht beunruhigen lassen und träumt davon, den Riesen aus Ingolstadt herauszufordern.

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Für das Toyota-Team wäre 2012 schon eine Zielankunft ein kleiner Erfolg
Mit einem knappen "Ja" antwortet TMG-Präsident Yoshiaki Kinoshita auf die Frage, ob er sich erhoffe, am Sonntag um 15:00 Uhr die Zielflagge zu sehen. Selbst mit der Frage nach einem möglichen Podium oder sogar Gesamtsieg stößt man nicht an die Grenzen seines Realismus: "Wir sind Racer. Wir träumen, wir alle tun das. Aber manchmal muss man realistisch sein. Unser Gegner ist ein Riese, und unser Auto wurde erst vor fünf Minuten geboren. Aber man weiß nie. We push, you watch!"
Goldene Toyota-Zeiten längst vorbei
Doch die Vorzeichen stehen nicht gut für den Ende 2009 aus der Formel 1 ausgestiegenen Automobilhersteller. Die TMG-Fabrik in Köln wurde von mehr als 800 Mitarbeitern personell geviertelt, Teile der Anlage vermietet - an Kunden wie etwa Craig Pollocks PURE-Projekt, das ab 2014 Grand-Prix-Motoren in der Formel 1 verkaufen will. Während Audi kolportierte 150 bis 200 Millionen Euro in den Sieg in Le Mans investiert, bäckt Toyota (noch?) deutlich kleinere Brötchen.
Hinzu kommt, dass der Zeitplan von der Bekanntgabe der Rückkehr an die Sarthe bis zum heutigen Rennen ohnehin schon knapp gesteckt war. Anschließend musste der TS030 erst einmal ordentlich abspecken, um einigermaßen konkurrenzfähig zu werden, und später folgte auch noch der Crash in Spa-Francorchamps, bei dem ein Auto verschrottet wurde. Dass Toyota überhaupt mit zwei Autos in Le Mans am Start ist, darf sich das Team in Köln durchaus als Erfolg an die Brust heften.

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Anthony Davidson und Alex Wurz gehen mit realistischen Erwartungen ins Rennen Zoom
Dass unter diesen Bedingungen die Zuverlässigkeit ein Fragezeichen bleibt, versteht sich von selbst. "Wir sind noch nie 24 Stunden durchgefahren", stellt Alexander Wurz nüchtern fest. "Zwei Tests haben wir durch den Crash verloren. Einen Dauerlauf hatten wir anschließend in Le Castellet, der rund 16 Stunden lang gut ging. Aber dann haben wir einen Hasen erwischt, einen 'Suizid-Hasen', der uns vier Stunden lahmgelegt hat. Als wir dann weitermachen wollten, hatten wir ein Problem mit der Elektrik."
Genau wie auch in der Le-Mans-Woche, in der es einen laut Technikchef Pascal Vasselon "einmaligen" Motorschaden sowie mehrere elektrische Defekte gab. Aber Wurz' Teamkollegen lassen sich davon nicht beirren und strahlen Zuversicht aus: "Ich bin sicher, dass wir ein gutes Rennen liefern können", meint etwa Stephane Sarrazin. "Unser Auto ist richtig schnell. Ich glaube schon, dass die Jungs bei Audi nach dem Qualifying etwas geschockt sind. Das ist für den Wettbewerb perfekt."
Hat Audi nur geblufft?
Gerade mal eine Sekunde fehlte in der Nacht von Donnerstag auf Freitag auf den Pole-Audi mit Hybridantrieb (e-tron), das Leichtbau-Modell (ultra) hatte man sogar relativ locker im Griff. Aber viele im Fahrerlager vermuten: Audi hat die Hosen noch bei weitem nicht runtergelassen. "Es ist interessant, die Kommentare der Audi-Fahrer zu lesen. Lotterer sagt, er habe nicht alles rausgeholt. Meine Runde war aber auch nicht perfekt", analysiert Anthony Davidson, im Qualifying schnellster Toyota-Pilot und heute auf Startplatz drei.
"Wenn man sich die Sektorenzeiten anschaut, wäre sicher mehr gegangen als 3:24.8 Minuten", sagt der Brite, der im Mittelsektor sogar absolute Bestzeit markierte. "Ich würde gerne glauben, dass sie 100 Prozent gegeben haben, aber ich kenne den Diesel zu gut. Wenn wir bei Peugeot oder auch Audi wirklich alles gegeben haben, ohne Schub zurückzuhalten, wie man es mit diesen Autos leicht anstellen kann, dann kam da immer schwarzer Rauch." Ein Zeichen für fett eingestelltes Gemisch.
Doch schwarzen Rauch gab es bei Audi bisher noch nicht zu sehen, was Davidson skeptisch stimmt. Denn er hält dieses Indiz für einen absolut zuverlässigen Hinweis darauf, ob ein Fahrzeug am Limit ist oder nicht: "Das war bei Peugeot so und auch bei Audi im Vorjahr, und das war das Zeichen dafür, dass wirklich alles gegeben wurde. Vielleicht sind das nur zehn oder 15 PS, aber zehn oder 15 PS sind hier acht Zehntel pro Runde", gibt der ehemalige Formel-1-Pilot zu Protokoll.
"Ich glaube, zumindest von Fahrerseite her haben sie 100 Prozent gezeigt. So sah es zumindest aus, wenn man ihre kurzen mit ihren längeren Runs vergleicht. Da war der Unterschied groß, wie auch bei uns", analysiert Davidson weiter. Doch anstatt sich an irgendeinen Strohhalm zu klammern, gesteht er sich selbst ein: "Ich bin ehrlich gesagt nicht komplett davon überzeugt, dass sie insgesamt 100 Prozent gegeben haben. Aber ich würde es gerne glauben."
Mitleid mit früheren Peugeot-Gegnern
Das größte Toyota-Defizit ist die PS-Leistung: "Man spürt, dass ganz offensichtlich Leistung fehlt", sagt Davidson und grinst: "Jetzt weiß ich, wie sich die Benziner gefühlt haben müssen, als ich noch im Diesel saß! Damals dachte ich, das sei die bessere Aerodynamik gewesen, weil wir ein Herstellerteam waren. Aber dieses Argument zählt nicht mehr. Toyota hat die Benzinregeln so gut ausgeschöpft, wie es geht. Wir sollten sehr glücklich darüber sein, dass uns nur eine Sekunde fehlt, denn 50 PS bedeuten vier Sekunden pro Runde."
Aber tatsächlich um 50 PS weniger als der e-tron, obwohl die Höchstgeschwindigkeiten durchaus vergleichbar sind? "Meiner Erfahrung nach kannst du als Fahrer ab 30 PS den Unterschied spüren. Es fühlt sich sogar mehr als das an - und die Berechnungen des Teams bestätigen das. Ich weiß ja auch, welches Downforce-Niveau der Peugeot hatte und welches Downforce-Niveau unser jetziges Auto hat. Man kann das fast als Tatsache betrachten", gibt der Toyota-Pilot zähneknirschend zu.
"Wir sind jetzt mit weniger Downforce gefahren, darum ist auch unsere Höchstgeschwindigkeit besser als am Testtag. Uns ist klar geworden, dass wir ein Defizit gegenüber Audi haben. Also haben wir auf diese Weise versucht, den Nachteil zu kompensieren", erläutert Davidson. Wurz wirft ein: "Wir haben den höheren Topspeed. Wir fahren weniger Abtrieb und sind auf den Geraden schneller. Audi macht die Zeit in den Porsche-Kurven."
Dabei ist die Balance in eben diesen hervorragend: "Durch die Porsche-Kurven habe ich mich in einem Auto noch nie so wohl gefühlt, nicht einmal im Peugeot", behauptet Davidson. "Obwohl wir wegen des Reglements weniger Downforce und Grip haben, fühlt sich das Auto sehr agil an und generiert eine Menge Grip." Aber er räumt ein: "Verglichen mit dem Turbodiesel spürst du jetzt im mittleren Drehzahlbereich, wenn wir keinen Schub haben, ein richtiges Loch."
Hybrid macht sich positiv bemerkbar
"Am Ende der Geraden ist die Geschwindigkeit ähnlich und beim Beschleunigen haben wir sogar einen leichten Vorteil, selbst gegenüber dem e-tron - zumindest die ein, zwei Sekunden, in denen wir den Schub spüren", lobt Davidson den Hybridantrieb. Sarrazin nickt: "Das gewaltige Drehmoment am Kurvenausgang fehlt, dafür haben wir den Hybrid. An den Stellen, wo uns dieser zusätzliche Schub nach vorne katapultiert, ist es okay. Schwierig ist es in den Bereichen, wo der Schub fehlt. Da kommt dann deutlich weniger als bei einem Diesel."
Davidson erinnert sich an eine Situation aus dem Qualifying: "In der Kurve vor Tetre Rouge hatte ich einen Audi hinter mir. Da konnte man selbst auf dem Bildschirm sehen, dass die da einfach mehr natürliche Leistung haben. In diesen Kurven sind wir wirklich verletzlich. Dafür haben wir am Ausgang von Tertre Rouge den Hybrid-Schub, der uns hilft. Zum Glück haben wir den Hybrid-Schub, denn sonst hätten wir nicht die geringste Chance, auch nur den ultra anzugreifen. Wir haben schon noch einen Weg vor uns."
Während Sarrazin "in der Anfangsphase wieder eine Art Sprintrennen" erwartet, in dem man "Vollgas geben" muss, weiß Davidson, dass der Weg zum Sensationssieg nur über Audi-Pannen führen kann. Das hat er als Peugeot-Pilot selbst zur Genüge erlebt: "In Le Mans kann alles passieren. Peugeot war 2010 um eineinhalb Sekunden schneller, aber wir haben es alle versemmelt und Audi feierte einen Dreifachsieg. Dabei hatten wir eineinhalb oder zwei Runden Vorsprung. Also ja, es kann alles passieren."
"Die Herausforderung ist, ein Auto beim ersten Anlauf über die 24 Stunden zu bringen", gibt Davidson zu Protokoll und gesteht: "Bei den Langstrecken-Tests hatten wir eine Menge Probleme. In Le Mans kannst du dir nicht einmal dann sicher sein, deine Autos ins Ziel zu bekommen, wenn die Vorbereitung perfekt gelaufen ist. Wir haben ein ganz neues Programm und müssen realistisch sein." Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt: "In einem Rennen wie diesen besteht immer Hoffnung."

