• 28.12.2010 11:36

  • von Roman Wittemeier

Porsche-Hybrid: Die unglaubliche Entwicklung

Der Porsche 911 GT3 R Hybrid kam als "rollendes Labor" auf die Strecken und steckt die GT2-Autos mittlerweile auf engen Kursen in die Tasche: Es geht voran - und wie!

(Motorsport-Total.com) - Im kommenden Jahr will der ACO in Le Mans die ersten Hybridfahreuge sehen. Jedoch beschränkten die Regelhüter beim größten Langstreckenrennen der Welt diese Technik zunächst auf die große LMP1-Klasse, alle weiteren Autos müssen mit herkömmlichen Antrieben auskommen. Schade eigentlich, denn vor allem in der GT-Klasse könnte Hybridtechnik für ein Spektakel sorgen. Grund ist der Porsche GT3 R Hybrid, der im Jahr 2010 eine unglaubliche Entwicklung an den Tag legte.

Titel-Bild zur News: Mike Rockenfeller, Romain Dumas, Timo Bernhard

Entwicklung: Der Porsche 911 GT3 R Hybrid wird konstant weiter verbessert

Im Februar stellte man den Wagen samt KERS-Schwungrad von Williams auf dem Genfer Autosalon vor. Wenige Wochen später rollte der experimentelle Wagen im Rahmen der VLN über die Nordschleife und überzeugte dabei. Eines wurde sofort klar: Es sollte sich lohnen, in die Weiterentwicklung noch mehr Arbeit zu stecken - das Potenzial war unverkennbar vorhanden. Im April absolvierte Williams-Formel-1-Pilot Nico Hülkenberg sein Nordschleifen-Debüt am Steuer des Hybrid-Porsche.

"Ich bin beeindruckt, wie gut der Hybrid-Antrieb im Porsche 911 funktioniert hat", jubelte Hülkenberg nach seinen Versuchsfahrten vor dem 24-Stunden-Rennen in der Eifel. "Ich habe den Boost-Hebel bestimmt 20 bis 25 Mal pro Runde benutzt. Nach jeder Bremsung ist wieder zusätzliche Power da, entsprechend oft kann man es benutzen. So etwas muss man nutzen, sonst bleibt Zeit liegen", fasste der Emmericher nach seiner Testfahrt im GT-Auto zusammen.

Boost-Einsatz verläuft teils automatisch

Der Boost-Hebel ist zwar nach wie vor im Porsche-Hybrid vorhanden, aber er wird seit einiger Zeit deutlich seltener genutzt. Dem Entwicklungsteam um den früheren Penske-Einsatzingenieur Owen Hayes sind gerade in Bezug auf die Bedienbarkeit und Effizienz enorme Fortschritte gelungen. Vor allem auch Porsche-Werksfahrer Marc Lieb ist in die Entwicklung fest eingebunden. Der gelernte Ingenieur arbeitet intensiv an der Verbesserung des Hybrids mit und kennt alle Feinheiten.

"Wir haben sehr viel verbessert", berichtet der 30-Jährige aus Ludwigsburg im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'. "Das System arbeitet nun noch stabiler, wir haben keine Sorgen mehr bezüglich Überspannung. Uns sind in sehr vielen Bereichen deutliche Schritte nach vorn gelungen." Das Vorankommen mit dem "rollen Labor" konnten die Fans auch anhand der Auftritte auf den Rennstrecken beobachten. Beim 24-Stunden-Rennen in der Eifel zeigte man sich an der Spitze, aber rollte zwei Stunden vor dem Ende aus.

Marc Lieb

Marc Lieb ist nicht nur Werksfahrer, sondern auch Entwicklungsingenieur Zoom

Die Haltbarkeit des Gesamtsystems stand fortan ebenso im Fokus der Entwicklung wie viele andere Deatils, die den Porsche-Werksfahrern bei ihren Einsätzen aufgefallen waren. Ein erheblicher Schritt gelang beispielsweise bei der Bedienbarkeit. "Wir können den Boost-Hebel nutzen, müssen aber nicht", sagt Lieb. "Wir wählen zu Beginn eines Rennwochenendes die Punkte, wo der Boost kommen soll, die Datenaufzeichnung sichert diese Punkte."

Große Vorteile auf engen Kursen

"Danach wird das System programmiert, sodass der Extraschub fortan an genau diesen Punkten immer wieder in passender Form einsetzt", erklärt der Werkspilot. "Wir fahren also zu Anfang ein paar Runden, danach wird es für uns Fahrer deutlich einfacher. Die Power kommt genau dort, wo ich sie brauche. Ich selbst kann den Wagen dann fahren wie ein normales Rennauto. Hinzu kommt, dass wir über Torque-Vectoring jederzeit das passende Maß von Über- und Untersteuern regulieren können."

¿pbvin|64|2680|hybrid|0|1pb¿Der Hybrid-Porsche kann auf diesem Weg besser an jeweilige Bedingungen angepasst werden. Am besten funktioniert das Gesamtsystem bisher auf engen, winkligen Rennstrecken. Dies unterstrich der deutliche Erfolg beim ILMC-Finale in Zhuhai. "Die chinesische Strecke kam dem Hybrid sicherlich sehr entgegen", erklärt Lieb. "Es gibt dort kaum schnelle Kurven, aber passende Bereiche, wo der Schwungradspeicher aufgeladen wird."

Der Zhuhai-Einsatz stellte die Vorteile des Systems deutlich dar. Fast jederzeit waren Patrick Long und Jörg Bergmeister rund zwei Sekunden schneller unterwegs als alle herkömmlichen GT-Fahrzeuge - ein meilenweiter Vorsprung. Vor allem der Allradantrieb, der durch den Zug der beiden Elektromotoren an der Vorderachse zustande kommt, hilft auf Strecken dieser Art. Hingegen bringt der Hybrid auf schnellen und flüssigen Kursen noch nicht allzu viele Vorteile.

Es fehlt direkte Konkurrenz

In schnellen Kurven macht sich das zusätzliche Gewicht von über 100 Kilogramm erheblich bemerkbar, außerdem können die Vorzüge des Allrads nicht entsprechend zur Geltung kommen. Aber auch daran arbeitet man weiterhin. "Es wird ganz sicher nicht der letzte Renneinsatz des GT3 R Hybrid gewesen sein", kündigte Porsche-Sportchef Hartmut Kristen schon nach dem Zhuhai-Erfolg an. "Wir haben eindrucksvoll aufzeigen können, welches Potenzial in der Hybridtechnologie steckt."

"Wir wollen es nun noch leichter und stärker machen", nennt Lieb die künftigen Aufgaben. Das System aus dem 911er könnte als Vorbild für den Einsatz der Hybridtechnik in anderen Autos dienen. Nach dem Motto: Es geht tatsächlich auch ohne Batterien. "Das Schwungrad könnte man überall in dieser Form einsetzen", erklärt der 30-jährige Werkspilot. "Die Elektromotoren an der Vorderachse sind allerdings speziell auf den 911er abgestimmt."

Martin Ragginger, Marco Holzer, Richard Lietz

Beim 24-Stunden-Rennen auf der Norschleife im Pech: Ausfall in Führung Zoom

Auch wenn Porsche den Wagen bislang nur außer Konkurrenz einsetzen durfte, hatten die Piloten viel Spaß bei ihren Fahrten. "Das macht uns alle stolz, außerdem bekommen wir im Hybrid-911er eine erhöhte Aufmerksamkeit", sagt Marc Lieb. "Jeder Fahrer hat Spaß in diesem Fahrzeug", erklärt der Le-Mans-Klassensieger von 2010. Er ermuntert andere Hersteller: "Was uns noch fehlt, ist direkte Konkurrenz."