• 11.06.2015 12:51

  • von Christian Nimmervoll & Roman Wittemeier

Le Mans: Der Tod fährt mit, aber keiner denkt dran...

Bei den 24 Stunden von Le Mans haben über 100 Menschen ihr Leben verloren, doch die Fahrer sind Weltmeister darin, ihren Beifahrer mit der Sense weit zu verdrängen

(Motorsport-Total.com) - Das 24-Stunden-Rennen von Le Mans wird 2015 wesentlich schneller sein als in den vergangenen Jahren, wie sich schon im Qualifying angedeutet hat. Neel Jani erreichte bei seiner Qualifying-Zwischenbestzeit einen Schnitt von 249,2 km/h - und ist sich sicher: Da geht noch mehr! Ab wann es dann wirklich gefährlich wird, darüber herrscht Uneinigkeit. Für den ACO stand vor einigen Jahren fest: 3:30 Minuten ist der Schnitt, der im Renntrimm gefahren werden sollte. Das ist längst Schnee von gestern (Jani: 3:16.9 Minuten).

Titel-Bild zur News: Anthony Davidson, Sebastien Buemi, Michele Rugolo, Sam Bird

Fast jedes Jahr passiert in Le Mans mindestens ein schwerer Unfall Zoom

"Manche sagen, es wird zu schnell, aber ich bin da anderer Meinung", sagt Vorjahressieger Andre Lotterer. "Ob man jetzt 328 km/h fährt oder 315: Wenn's in Le Mans kracht, tut's genauso weh, so oder so." Insgesamt 22 Fahrer haben bei dem legendären Autorennen an der Sarthe schon ihr Leben verloren, zuletzt der Däne Allan Simonsen im Jahr 2013. Davor gab es 1997 einen Toten, in den 1980ern zwei, in den 1970ern ebenfalls zwei. 1969 kam Lucien Bianchi ums Leben, der Großonkel von Jules.

Alles überschattet hat die Le-Mans-Katastrophe 1955, bei der ein Fahrzeug in die Zuschauer flog und ein Flammeninferno auslöste. Pierre Levegh riss 83 Zuschauer mit in den Tod, 120 weitere wurden verletzt. Heute erinnert eine Gedenktafel bei Start und Ziel - dort, wo der Unfall passiert ist - an die Tragödie. Zwar waren die Sicherheitsmaßnahmen vor 60 Jahren im Vergleich zu heute praktisch nicht existent, doch bei Geschwindigkeiten jenseits der 300 km/h fährt der Tod immer mit. Auch anno 2015.

Schwere Unfälle ohne Folgen

Trauriger Beweis dafür ist nicht nur der Simonsen-Unfall. 2011 flogen Allan McNish und Mike Rockenfeller so erschreckend ab, dass es nur als kleines Wunder bezeichnet werden kann, dass sie sich keine schweren Verletzungen zuzogen. 2012 hob Anthony Davidson wie eine Rakete ab. 2014 schließlich war es Loic Duval, der einen Horrorcrash in den berühmt-berüchtigten Porsche-Kurven überlebte. Und die Mercedes-Überschläge von 1999 sind sowieso moderne Le-Mans-Geschichte.

Aber: "Kein Fahrer denkt an so etwas", sagt Nissan-Werksfahrer Jann Mardenborough. "Wir wollen unser Auto möglichst schnell um die Strecke bringen. Das ist unser Job. An andere Dinge denkt man da nicht." Selbstschutz, der für Rennfahrer lebenswichtig ist. Gerade Mardenborough muss das wissen: Der 23-Jährige segelte dieses Jahr bei einem VLN-Rennen auf der Nürburgring-Nordschleife in die Zuschauer; ein Mensch kam ums Leben, zwei weitere wurden verletzt.


Unfall von Jann Mardenborough am Nürburgring

Mardenborough gehört zur jungen Garde von Nissans PlayStation-Draufgängern. "Ich spreche immer noch nicht gern darüber", sagt er, "aber ansonsten ist alles wieder normal. Nissan hat mich sehr unterstützt, auch von außen gab es viel Zuspruch. Das hat mir dabei geholfen, schnell wieder ganz der Alte zu sein." In Le Mans heißt es nur drei Monate später: Augen zu und durch. Denn gerade der neue Nissan-LMP1-Prototyp gilt mit seinem Frontmotor als schwierig zu beherrschendes Fahrzeug.

"Strietzels" Tick mit dem aufgeräumten Zimmer

Lotterer und Co. wissen, dass in Le Mans jederzeit ein lebensgefährlicher Unfall passieren kann - und dass sie das häufig nicht selbst in der Hand haben, weil sie etwa beim Überrunden auf professionelles Verhalten von Amateurfahrern angewiesen sind. Rekordhalter Hans-Joachim Stuck etwa hat früher sein Zimmer nie verlassen, ohne vorher aufzuräumen - damit es dort nicht unordentlich aussieht, falls er selbst nicht mehr dorthin zurückkehren sollte.

"Ab und zu denkt man kurz an solche Kleinigkeiten, was man hinterlässt. Aber das sind wirklich nur Sekundenbruchteile und man setzt keine konkreten Maßnahmen deswegen", räumt Lotterer ein. Und WEC-Champion Sebastien Buemi von Toyota sagt: "Es ist gefährlich. Nicht mehr so gefährlich wie früher, aber Simonsen oder andere Unfälle machen einem klar, dass was passieren kann. Man muss wissen, wie viel Risiko man nehmen kann."

Le Mans 1955

Gedenktafel für die Opfer: Das Jahr 1955 ist in Le Mans nicht vergessen Zoom

"Die Geschwindigkeiten sind sehr hoch, rund 350 km/h. Wenn man mit langsamen GTs fährt, muss man einfach aufpassen", weiß der ehemalige Formel-1-Pilot. Audi-Rookie Rene Rast geht Le Mans trotzdem an "wie auf jeder anderen Rennstrecke auch. Die Gefahr, dass irgendwas passiert, ist bei jedem Rennauto da. Klar, beim LMP1 besteht immer die Gefahr, dass man mit hoher Geschwindigkeit irgendwo einschlägt. Darüber mache ich mir jetzt aber keinen Kopf."

340 km/h fühlen sich nicht wie 340 km/h an

Auch sein Markenkollege Marcel Fässler unterstreicht: "Ich habe das nicht im Hinterkopf. Es ist halt so, dass man in unseren Autos diese enorm hohen Geschwindigkeiten gar nicht als so hoch wahrnimmt. Es hört sich nach außen immer so schnell und so extrem an, aber unsere Autos sind speziell dafür gebaut. Wenn man 340 km/h fährt, dann spürt man im Cockpit nicht, dass es so dermaßen schnell ist." Und das, obwohl in Le Mans zum Teil auf öffentlichen Straßen gefahren wird.

Dort sind die Möglichkeiten limitiert, jene Sicherheitsstandards zu implementieren, die etwa in der Formel 1 längst Usus sind. Trotzdem versuchen die Veranstalter, das Rennen jedes Jahr sicherer zu machen. So wurden zum Beispiel an der Simonsen-Stelle neue Barrieren aufgestellt. "In Sachen Sicherheit ist alles sehr weit fortgeschritten", lobt Fässler. "Das gilt für die Autos mit ihren Monocoques, aber auch für die Strecken. Ein Risiko bleibt dennoch bestehen. Dessen muss man sich als Fahrer bewusst sein."


Fotostrecke: Le Mans 2015: 24 Stunden - 24 Fakten

Das war 1955 noch anders. Als Levegh mit seinem Mercedes in die Katastrophe raste, gab es weder eine ordentlich ausgebaute Boxenmauer noch einen starken Fangzaun, der die direkt neben der Strecke stehenden Zuschauer geschützt hätte. Lose stehende Strohballen waren das Höchste der Gefühle, wenn es um das Thema Sicherheit ging, und auf den Eintrittskarten stand noch nicht der Satz, den sich jeder Zuschauer heute noch vor Augen halten sollte: Motorsport ist gefährlich.

1955 nicht mit 2015 vergleichbar

"Ich habe mich erkundigt, wie das alles damals vor 60 Jahren passiert ist", sagt Fässler. "Die Absperrung zwischen Rennstrecke und Boxengasse gab es gar nicht, die Zuschauer waren nur durch einen Zaun von der Strecke getrennt. Die Autos sind damals einfach rechts rangefahren und haben angehalten für einen Stopp. Das ist unvorstellbar nach heutigen Gesichtspunkten, aber damals war es der Standard. Le Mans 1955 war eine riesige Tragödie. Man hat viel daraus lernen können."

Der Mythos, dass Rennfahrer lebensmüde Adrenalin-Junkies sind, die lieber einen Heldentod sterben als langsam zu überleben, ist Unsinn. Vielmehr fahren in Le Mans 168 Verdrängungskünstler, die das Thema Gefahr weit von sich schieben, weil sie sonst wahrscheinlich unbewusst langsamer wären. So sind es auch meistens die "jungen Wilden", die in den heikelsten Passagen das Gaspedal bis zum Anschlag durchdrücken, wohingegen erfahrenere Piloten ihre Erfolge mit Köpfchen feiern.


Le-Mans-Katastrophe von 1955

Es geht nicht um das Sterben, sondern darum, die zweifellos vorhandene Gefahr bestmöglich zu kontrollieren. Nervenkitzel spiele daher bei der Faszination Le Mans nur eine untergeordnete Rolle, behauptet etwa Lotterer: "Wir sind ja nicht lebensmüde! Wir wissen, es ist ein gefährliches Rennen, und man geht mit viel Respekt hinein. Man gibt sich hier ein bisschen mehr Zeit, in den Rhythmus zu kommen. Man weiß, dass jeder kleine Fehler sehr hart bestraft wird. Respekt ist das richtige Wort."

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